Diplomarbeit, 2006
175 Seiten, Note: sehr gut
Psychologie - Klinische Psychologie, Psychopathologie, Prävention
Danksagung
Abkürzungsverzeichnis
A Zusammenfassung
B Einleitung
C Theorie
1 Metaanalyse
1.1 Sinn und Zweck
1.2 Potentielle Probleme und Kritikpunkte
1.2.1 Garbage-in-Garbage-out-Problem
1.2.2 Apfel-und-Birnen-Problem
1.2.3 Publikationsverzerrung und File-Drawer-Problem
1.3 Durchführung: Schritte
1.3.1 I Problemformulierung
1.3.2 II Datensammlung
1.3.3 III Datenevaluation
1.3.4 IV Datenanalyse
1.3.5 V Ergebnisdarstellung und Interpretation
2 Biofeedback
2.1 Definitorische Klärung
2.2 Wirkmechanismen der Biofeedback-Therapie
2.2.1 Physiologisches Lernen
2.2.2 Psychologische Wirkmechanismen
3 Kopfschmerz vom Spannungstyp
3.1 Diagnostik
3.2 Epidemologie
3.3 Ursachen
3.3.1 Pathophysiologische Mechanismen
3.3.2 Psychopathologische Faktoren
4 Biofeedback bei Kopfschmerz vom Spannungstyp
4.1 EMG-Biofeedback
4.1.1 Theoretische Begründung
4.1.2 Anwendung und Therapieelemente
4.2 Andere Biofeedbackmodalitäten
5 Forschungsstand
5.1 Befunde bisheriger Metaanalysen
5.1.1 Blanchard et al. (1980)
5.1.2 Holroyd & Penzien (1986)
5.1.3 Bogaards & ter Kuile (1994)
5.1.4 Weitere Integrationsbefunde
5.2 Maße und Kriterien des Therapieerfolgs
5.2.1 Kopfschmerzsymptomatik
5.2.2 Begleitsymptomatik
D Methode
1 Untersuchungsgegenstand und Fragestellung
1.1 Konstrukte und Operationalisierungen
1.2 Zielpopulation und Generalisierungsbereich
1.3 Deskriptive Fragestellungen
1.4 Hypothesen
1.4.1 Primäres Erfolgskriterium: Kopfschmerz
1.4.2 Sekundäre Erfolgskriterien
2 Literaturrecherche und -auswahl
2.1 Allgemeines Vorgehen
2.2 Recherche
2.3 Selektionsstufen
2.3.1 Ausschlussgründe während Literatursuche
2.3.2 Ausschlussgründe bei Literaturbeschaffung
2.3.3 Ausschlussgründe vor Kodierung
2.3.4 Ausschlussgründe während der Effektstärkenberechnung
2.3.5 Ausschlussgründe während der Integration
3 Bewertung der Primärstudien
4 Datenanalyse
4.1 Berechnung und Rekonstruktion der Effektstärken
4.1.1 Allgemeines Prinzip der Differenzenbildung
4.1.2 Effektstärkeberechnung aus Vergleich mit Wartekontrollgruppe
4.1.3 Effektstärkeberechnung aus Vergleich mit anderer Intervention
4.1.4 Effektstärkeberechnung aus Prä-Post-Vergleichen
4.1.5 Effektstärkeberechnung aus Rohwerten
4.1.6 Rekonstruktion der Standardabweichung aus dem Standardfehler des Mittelwerts
4.1.7 Effektstärkerekonstruktion aus abhängigen T-Tests
4.1.8 Effektstärkerekonstruktion aus einfaktoriellen Varianzanalysen mit Messwiederholung
4.1.9 Effektstärkenberechnung aus Odds-Ratios
4.1.10 Effektstärkerekonstruktion aus Irrtumswahrscheinlichkeiten
4.2 Messwiederholungskorrelationen
4.2.1 Kopfschmerzvariable und physiologische Variable
4.2.2 Psychologische Variablen und Medikation
4.3 Integration
4.3.1 Abhängigkeiten zwischen Effektstärken
4.3.2 Berechnung der gewichteten mittleren Effektstärken
4.3.3 Homogenitätsprüfung der integrierten Effektstärken
4.3.4 Schätzung der Varianzkomponente
4.3.5 Berechnungen im Modell zufallsvariabler Effekte
4.4 Sensitivitätsanalysen
4.4.1 Outlier-Analyse
4.4.2 Moderatorvariablenanalyse
4.4.3 Kontrolle auf Vorliegen einer möglichen Publikationsverzerrung
5 Ergebnisdarstellung
6 Verwendete Software
E Ergebnisse
1 Literaturrecherche
1.1 Verlauf des Recherche- und Selektionsprozesses
1.2 Überblick über exkludierte Studien und Exklusionsgründe
1.2.1 Exklusion vor Kodierung
1.2.2 Exklusion vor der Effektstärkenberechnung
1.2.3 Exklusion vor der Integration
2 Ergebnisse der Kodierung
2.1 Studienidentifikation
2.2 Patientenmerkmale
2.3 Methodologie
2.4 Interventionscharakteristika
2.5 Auswertung
2.5.1 Erhobene Erfolgsmaße
2.5.2 Erhebungsmethoden
2.5.3 Erhebungszeiträume
2.5.4 Statistiken der Primärstudien
3 Ergebnisse der Datenanalyse
3.1 Einzeleffektstärken der Primärstudien
3.2 Ergebnisse der Korrelationsberechnungen
3.3 Integrationsergebnisse
3.3.1 Primäres Erfolgskriterium: Kopfschmerz
3.3.2 Sekundäre Erfolgsmaße
3.4 Ergebnisse zu Publikationsverzerrung
F Diskussion
1 Die Wirksamkeit von BFB bei KST
1.1 Wirksamkeit im Bezug auf Kopfschmerzsymptomatik
1.2 Moderatoren
1.3 Stabilität
1.4 BFB und Entspannungsverfahren
1.5 Begleitsymptomatik
2 Gültigkeit dieser Metaanalyse
3 Fazit und Ausblick
G Literaturverzeichnisse
1 Gesamtliteratur
2 Primärstudien
H Anhang
1 Anhang1: Exklusionsgründe bei der Studienselektion
2 Anhang 2: Einzeleffektstärken
3 Anhang 3: Messwiederholungskorrelationen der Studien
4 Anhang 4: Abbildungsverzeichnis
5 Anhang 5: Formelverzeichnis
6 Anhang 6: Tabellenverzeichnis
7 Anhang 7: Kodierplan
Ich möchte mich ganz herzlich bei den Menschen bedanken, die durch ihre Unterstützung zum Entstehen meiner Diplomarbeit beigetragen haben.
An erster Stelle sei meiner Anleiterin Frau Dipl.-Psych. Yvonne Nestoriuc ganz herzlich für ihre wertvollen Anregungen und ihre Geduld gedankt.
Meinem Lebensgefährten Herrn Hans-Joachim Eckert möchte ich besonders für sein Verständnis und seine praktische und emotionale Unterstützung danken.
Außerdem bin ich meiner Familie und meinen Freunden für ihre Rücksicht auf meine durch die Arbeit sehr knappen zeitlichen Ressourcen und für ihre trotzdem verlässlich erfolgenden Ermutigungen sehr dankbar.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die vorliegende Metaanalyse bietet einen quantitativen Überblick über den Stand der Forschung im Bezug auf die Wirksamkeit von Biofeedback in der Behandlung des Kopfschmerzes vom Spannungstyp. Als Maß des Therapieerfolgs dienen Effektstärken: standardisierte Differenzen der Mittelwerte vor und nach der Therapie bzw. zwischen Interventions- und Kontrollgruppe. Das primäre Erfolgskriterium bildet die Kopfschmerzsymptomatik. Außer der Effektivität des Biofeedback unmittelbar nach Therapieende wird die Stabilität des Therapieerfolgs anhand einer Katamnese-Effektstärke evaluiert. Die Auswirkungen verschiedener Interventions- bzw. Patientencharakteristika auf die Größe des Effekts werden anhand von zwei entsprechenden Moderatormodellen untersucht. In Auseinandersetzung mit der Diskussion, ob Biofeedback in seiner Wirkung den kostengünstigeren und weniger aufwendigen Entspannungsverfahren äquivalent sei, erfolgt weiterhin die Angabe der gewichten mittleren Effektstärke der Kopfschmerzsymptomatik im Vergleich zu Entspannungsverfahren als aktiver Kontrollgruppe. Außer der Wirkung des Biofeedback auf die Kopfschmerzsymptomatik werden als sekundäre Ergebnisvariable die Veränderung des Medikamentenkonsums, des Frontalis-EMG und der drei psychologischen Variablen Angst, Depressivität und Selbstwirksamkeit betrachtet.
Die Literaturrecherche in mehreren Datenbanken resultierte in 64 Evaluationsstudien zu Biofeedback bei erwachsenen Patienten, die unter Kopfschmerz vom Spannungstyp litten. Mithilfe eines Kodierplans wurden relevante Merkmale dieser Studien erfasst und bewertet. In 43 der Studien fanden sich genügend statistische Angaben, um eine Effektstärke der primären oder sekundären Symptomatik berechnen bzw. rekonstruieren zu können. Insgesamt wurden 170 stichprobenfehlerbereinigte Einzeleffektstärken berechnet. Anschließend erfolgte die Klassifikation der Einzeleffektstärken entsprechend den jeweiligen Ergebnisvariablen und die Integration in je eine präzisionsgewichtete mittlere Effektstärke der Kopfschmerzsymptomatik nach Therapieende, zum Katamnesezeitpunkt und im Vergleich mit Entspannung als Kontrollgruppe sowie für die genannten fünf sekundären Ergebnisvariablen. Bei hinreichend großer Anzahl in die Integration eingegangener Einzeleffektstärken und insignifikanten Homogenitätstest wurde die Integration im Modell der festen Effekte durchgeführt, andernfalls wurde das Modell der zufallsvariablen Effekte zu Grunde gelegt.
Für die Wirksamkeit des Biofeedback bei Kopfschmerz vom Spannungstyp unmittelbar nach Therapieende ergab sich eine gewichtete mittlere Effektstärke von Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten= 0,73, die auf 40 Interventionsgruppen mit insgesamt 471 Patienten beruht. Sie ist mit einem Konfidenzintervall von ,62 bis ,84 statistisch gut abgesichert und liegt nach der Notation von Cohen (1988) im mittleren bis großen Bereich.
Entgegen den Befunden früherer Metaanalysen (Bogaards & ter Kuile, 1994; Holroyd & Penzien, 1986) zeigten Patienten- und Interventionscharakteristika kaum moderierende Wirkung auf die Größe des Effekts. Der Zusammenhang zwischen Therapieerfolg und den Patientencharakteristika Lebensalter bzw. Kopfschmerzgeschichte erwies sich als schwach, während kein Zusammenhang zwischen Therapieerfolg und Geschlecht nachweisbar war. Der Therapieerfolg zeigte sich unabhängig von den Interventionscharakteristika Publikationsjahr und zeitlicher Aufwand, variierte aber in Abhängigkeit vom Ausmaß der gegebenen Entspannungsinstruktionen. Am effektivsten erwiesen sich die Studien, in denen den Patienten keine Hinweise zur Entspannung gegeben wurden.
Die gewichtete mittlere Katamnese-Effektstärke erwies sich mit Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten= 0,64 als etwas niedriger als die Effektstärke unmittelbar nach Therapieende, dennoch ist aber angesichts des Konfidenzintervalls von ,38 bis ,90 von einer zufriedenstellenden Stabilität des Therapieerfolgs auszugehen.
Im Vergleich zwischen Biofeedback und Entspannungsinterventionen als Kontrollgruppe zeigt sich anhand von 14 Studien mit insgesamt 432 Patienten eine kleine, aber signifikante Überlegenheit der Biofeedback-Interventionen, die sich in einer gewichteten mittleren Effektstärke von Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten= 0,29 ausdrückt.
Die Biofeedback-Behandlung des Kopfschmerzes vom Spannungstyp erwies sich auch bezüglich aller betrachteten sekundären Erfolgskriterien als effektiv und ist somit von einer Reihe wünschenswerter Nebenwirkungen wie der Reduktion der benötigten Medikation, der Depressivität und der Angst sowie einer Steigerung der Selbstwirksamkeit begleitet.
Insgesamt bestätigt die vorliegende Metaanalyse die Einschätzung, dass die Behandlung mit Biofeedback bei Kopfschmerz vom Spannungstyp eine empfehlenswerte Intervention darstellt.
Der Kopfschmerz vom Spannungstyp (KST) stellt die häufigste Kopfschmerzform dar und ist demzufolge eine der kostenintensivsten Erkrankungen der modernen Gesellschaft (Jensen, 2001, 2003). Ein großer Teil der gebräuchlichen Bezeichnungen (Spannungskopfschmerz, Muskelkontraktionskopfschmerz, psychogener, psychomyogener, essentieller, idiopathischer oder gewöhnlicher Kopfschmerz, Stresskopfschmerz) spiegelt das Verständnis vom KST als einer psychosomatischen Störung. Somit gehört KST zu den klassischen Indikationsgebieten für verhaltensmedizinische Interventionen wie Biofeedback (BFB). Da viele KST-Patienten von einer organischen Ursache ihrer Schmerzen ausgehen (Göbel, 2004), können sie sich auf BFB, das Bezug auf körperliche Prozesse nimmt, leichter als auf andere psychotherapeutische Behandlungsmethoden einlassen. BFB besitzt auch eine Reihe von Vorzügen gegenüber der medikamentösen Behandlung: Im Gegensatz zu vielen gebräuchlichen Medikamenten gegen KST sind keine negativen Nebenwirkungen von BFB bekannt, wohl aber eine Reihe positiver Begleiteffekte wie die Verringerung von Depressivität und Angst. Außerdem scheint der Effekt des BFB bei KST stabiler zu sein als der von medikamentöser Behandlung (Gauthier, Ivers & Carrier, 1996; Paiva et al., 1982). Es gibt somit eine Reihe von guten Gründen für den Einsatz des BFB in der Behandlung von KST.
So bestätigen viele aktuelle Überblicksarbeiten die Wirksamkeit von BFB bei KST (Blanchard & Diamond, 1996; D'Amico, Grazzi, Leone, Moschiano & Bussone, 1998; Gauthier et al., 1996; Heuser, 2000; Holroyd, 2002; Nash, McCrory, Nicholson & Andrasik, 2005; Penzien, Rains & Andrasik, 2002; Penzien, Rains, Lipchik & Creer, 2004; Pfaffenrath, Brune, Diener, Gerber & Goebel, 1998; Rains, Penzien, McCrory & Gray, 2005; Schwartz & Andrasik, 2003). Dies geht zu einem großen Teil auf die Befunde der drei Metaanalysen von Blanchard, Andrasik, Ahles, Teders und O`Keefe (1980), Holroyd und Penzien (1986) sowie Bogaards und ter Kuile (1994) zurück, die durchschnittliche prozentuale Verbesserungsindices für BFB bei KST zwischen 46 % und 61 % berechneten. Da jedoch auch die aktuellste Metaanalyse bereits 12 Jahre alt ist und die in allen bisherigen Metaanalysen verwendeten prozentualen Verbesserungswerte unstandardisiert und damit nur von sehr eingeschränkter Aussagekraft sind, besteht Bedarf nach aktueller Integrationsarbeit. Diese soll die vorliegende Metaanalyse leisten, indem sie anhand von gewichteten mittleren Effektstärken einen quantitativen Überblick über den Stand der Forschung zur Wirksamkeit von BFB bei KST bietet. Die Verwendung der Effektstärke als standardisierter Mittelwertsdifferenz gewährleistet dabei die Vergleichbarkeit der Ergebnisse verschiedener Studien untereinander und ermöglicht eine Reihe inferenzstatistischer Verfahren zur Abschätzung der Variabilität und Robustheit der Befundlage. Im Rahmen einer Moderatorenanalyse wird die Auswirkung verschiedener Patienten- und Interventionscharakteristika auf die Größe des Effekts bezüglich der Kopfschmerzsymptomatik untersucht. Außer einigen bereits in den früheren Metaanalysen erfassten Moderatorvariablen wird der Einfluss von Unterschieden im Ausmaß der Entspannungsinstruktion untersucht. In Auseinandersetzung mit dem Argument, BFB sei nicht mehr als ein besonders teures und aufwendiges Entspannungsverfahren, erfolgt die Berechnung einer gewichteten mittleren Effektstärke für den Vergleich von BFB-Interventionsgruppen mit Entspannungs-Interventionsgruppen als aktiver Kontrollgruppe für die Primärstudien, in denen beide Interventionen durchgeführt wurden. Weiterhin wurde zur Beurteilung der Stabilität des Erfolgs der BFB-Behandlung eine Katamnese-Effektstärke berechnet. Neben der Berücksichtigung der Wirkung des BFB auf die primäre Ergebnisvariable Kopfschmerzsymptomatik erfolgt in der vorliegenden Metaanalyse auch die differenzierte Analyse der Effektivität des BFB bezüglich einer Reihe sekundärer Ergebnisvariablen: Es wird eine gewichtete mittlere Effektstärke für die assoziierte Änderung der Medikation, der Selbstwirksamkeit, der Depressivität, der Angst sowie des Frontalis-EMG berichtet. Außer der Quantifizierung Wirksamkeit des BFB bei KST erfolgt die qualitative Darstellung relevanter Merkmale der Primärstudien, um einen Überblick über die Forschungsdomäne zu geben.
In den letzten Jahrzehnten kam es zu einer rapiden Steigerung der Anzahl wissenschaftlicher Studien, nicht selten mit widersprüchlichen Ergebnissen hinsichtlich einer Fragestellung. In diesem Zusammenhang sprach Rustenbach von einer „rezenten Befundexplosion in den Wissenschaften“ (2003, S.1). Diese rasante Steigerung der Anzahl relevanter Untersuchungen zu einem Thema bringt mit sich, dass es selbst für Experten zunehmend schwieriger wird, den Überblick über die Einzelstudien und ihre Ergebnisse zu behalten (Beelmann & Bliesener, 1994; Fricke & Treinies, 1985; Rustenbach, 2003; Schulze, 2004). Der Nutzen rein narrativer Überblicksarbeiten ist hierbei als recht gering einzuschätzen. Beispielsweise wird dort bei der Gegenüberstellung signifikanter und insignifikanter Befunde zu einer bestimmten Fragestellung nicht unterschieden, ob die Insignifikanz einer Studie auf tatsächlicher Abwesenheit des fraglichen Effekts oder aber zu niedriger statistischer Power beruht (Cohn & Becker, 2003). Nach verschiedenen Berichten werden viele Studien (zusammenfassend in Cohn & Becker, 2003) mit einer zu schwachen statistischen Macht durchgeführt, so dass das Risiko, einen vorhandenen Effekt aufgrund eines zu geringen Stichprobenumfangs nicht zu entdecken, unverhältnismäßig hoch ist.
Zeitgleich mit der erwähnten „Befundexplosion“ wuchs das Bewusstsein in der Fachwelt für die Einschränkungen, denen die Aussagekraft singulärer Studienergebnisse unterworfen ist (Rustenbach, 2003). So sind Einzelstudien als Stichprobenerhebungen stets von statistischen, methodologischen und messtheoretischen Verzerrungen bedroht (Rustenbach, 2003). Dabei besteht nach Rustenbach (2003) die bedeutendste Einschränkung empirischer Studien im Stichprobenfehler, der sich in der Abweichung des anhand von Stichprobenergebnissen geschätzten Parameters vom wahren Wert manifestiert. Diese Abweichung wird umso größer, desto kleiner der zugrundeliegende Stichprobenumfang ist (Rausche, 1996; Rustenbach, 2003). Eine weitere Einschränkung besteht in der begrenzten Generalisierbarkeit der Ergebnisse einzelner Evaluationsstudien: Jede Studie wird an einem bestimmten Ort, in einem bestimmten Zeitraum, von bestimmten Personen durchgeführt (Raudenbush, 1994; Rustenbach, 2003). Oftmals werden die Umstände der Durchführung der Interventionen auch bewusst modifiziert, um Rückschlüsse über Wirkmechanismen etc. ziehen zu können. Auch die Weiterentwicklung einer Forschungsdomäne führt zu einer zunehmenden Heterogenität der jeweiligen Befundlage.
Nach einer Metapher von Cooper & Hedges (1994) kann man die Einzelstudien als Daten-Bausteine betrachten, aus denen sich das Gebäude der Befundlage eines Forschungsgebiets zusammensetzen lässt. Das geeignete Handwerkszeug für diesen Bau liefert die Metaanalyse, die von Smith, Glass und Miller(1980) als Verfahren zur statistischen Zusammenfassung der numerischen Ergebnisse von Einzelstudien definiert wurde.
Ein Jahr nach der erstmaligen Verwendung des Begriffs „Metaanalyse“ durch Glass (Glass, 1976) erschien die erste Metaanalyse im Bereich Klinische Psychologie von Smith und Glass (Smith & Glass, 1977) zur Wirksamkeit von Psychotherapie.
Glass (1976, S.3) kennzeichnete die Metaanalyse in Abgrenzung zur Primärforschung als „analysis of analysis“ und definiert sie als „statistical analysis of a large collection of analysis results from individual studies for the purpose of integrating the findings”.
Knapp 20 Jahre später verwies Rosenthal (Rosenthal, 1995, S.1) in seiner Definition auf die üblicherweise zur Darstellung des Integrationsbefundes verwendeten Parameter: „quantitative summary of research domains that describe the typical strength of the effect or phenomenon, its variability, its statistical significance, and the nature of moderator variables from which one can predict the relative strength of the effect or phenomenon”. Dabei wird die typische Stärke des Effekts gekennzeichnet von der durchschnittlichen Ausprägung der relevanten Outcome-Variablen.
Die Metaanalyse bietet gegenüber Einzelstudien, aber auch gegenüber narrativen Überblicksarbeiten somit eine Reihe von Vorteilen: Durch Quantifizierung des Ausmaßes von Zusammenhängen bzw. Unterschieden über die entsprechenden mittleren Parameter ermöglicht die Metaanalyse eine konkrete und präzise Zusammenfassung der Befundlage eines Forschungsgebietes. Die Aussagekraft des mittleren Befunds wird gesteigert durch die Angabe des Vertrauensbereichs, in dem der wahre mittlere Parameter mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit liegt. Je größer dabei die Gesamtanzahl der in den Studien berücksichtigten Patienten ist, desto enger wird das jeweilige Konfidenzintervall und entsprechend präziser kann der zugrundeliegende Effekt geschätzt werden. Da mit abnehmender Größe des Konfidenzintervalls auch die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass das Konfidenzintervall die Null enthält, steigt zugleich die statistische Power des Signifikanztests der Effektstärke gegen Null[1], ein weiterer wichtiger Vorteil des metaanalytischen Verfahrens (Cohn & Becker, 2003). Durch die Analyse des Effekts potentieller Moderatorvariablen ist es darüber hinaus möglich zu untersuchen, welche Faktoren einen Einfluss auf die Größe des in Frage stehenden Effekts ausüben. Besonderer Bedeutung kommt der Auswirkung von Charakteristika der Primärstudien zu, da im Rahmen der Integrationsforschung Informationen durch den Vergleich der Studien gewonnen werden können, die auf Einzelstudienebene nicht erkennbar sind (Cooper & Hedges, 1994; Hall, Rosenthal, Tickle-Degnen & Mosteller, 1994). Hall, Rosenthal, Tickle-Degnen und Mosteller (1994) sprechen in diesem Zusammenhang von „reviewgeneriertem“ Wissen im Vergleich zu dem „studiengenerierten“ Wissen.
Schon bald stieß die Metaanalyse als Verfahren zur statistischen Integration von Primärstudienbefunden auf vehemente Kritik: So bezeichnete Eysenck die bereits erwähnte Metaanalyse von Smith und Glass (1977) zur Wirksamkeit von Psychotherapie als „An Exercise in Mega-Silliness“ (Eysenck, 1978). Auf die zentralen Argumente der Kritiker der Metaanalyse soll im Folgenden eingegangen werden.
Die Garbage-in-Garbage-out-Debatte geht auf Eysencks Kritik (1978) zurück und befasst sich mit der Frage, ob auch methodisch schwächere Studien in eine Metaanalyse einzubeziehen sind oder nicht und ob die Integration von Studien mit Validitätsmängeln die Ergebnisse der Metaanalyse verzerrt. Besonderer Stellenwert kommt hier der Diskussion um die Notwendigkeit einer unbehandelten Kontrollgruppe und der randomisierten Zuweisung der Patienten auf die Kontroll- und Interventionsbedingungen zu.
Viele Autoren (Beelmann & Bliesener, 1994; Bortz & Döring, 1995; Rosenthal & DiMatteo, 2001; Rustenbach, 2003; Wortmann, 1994) empfehlen, alle verfügbaren Studien, die den genau zu spezifizierenden Mindestanforderungen an die methodische Qualität genügen, in die Analyse einzubeziehen und zu kontrollieren, ob die Studienqualität Einfluss auf die Größe des Effekts hat. Die Studienqualität ist zu beurteilen anhand assoziierter Studieneigenschaften, die im Rahmen der Kodierung erfasst wurden.
Dem Verfahren der Metaanalyse wurde weiterhin der Vorwurf gemacht, Äpfel und Birnen (bzw. im Englischen Orangen) zu vermischen, indem die Ergebnisse von Studien mit verschiedenen Interventionen und Erfolgskriterien in einen gemeinsamen mittleren Effekt integriert werden (Bortz & Döring, 1995; Eysenck, 1995; Rosenthal, 1995; Sharpe, 1997). Nach Bortz und Döring ist eine gewisse Heterogenität der unabhängigen Variablen durchaus wünschenswert, je nach angestrebtem Generalisierungsbereich der Metaanalyse: so lassen sich Äpfel, Birnen und Orangen nach Smith et al. (1980) sinnvoller Weise unter der Kategorie Obst subsummieren. Dagegen empfehlen Bortz und Döring bei der Auswahl der abhängigen Variablen auf die Existenz eines zugrundeliegenden gemeinsamen inhaltlichen Konstrukts zu achten.
Auf eine weitere mögliche Beeinträchtigung der Aussagekraft metaanalytischer Integrationsergebnisse wurde erstmals durch Rosenthal (1979) hingewiesen: Aufgrund der selektiven Unterdrückung insignifikanter Ergebnisse, sowohl durch die Forscherteams selber als auch durch die entsprechenden Auswahlverfahren der Fachzeitschriften, kommt es zu einer Überschätzung des mittleren Effekts, wenn nur veröffentlichte Studien in die Untersuchung einbezogen werden. Zur Abschätzung der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Publikationsverzerrung existieren mehrere Verfahren, die im Methodenteil an entsprechender Stelle vorgestellt werden.
In Anlehnung an Cooper & Hedges (1994; Schulze, 2004) lässt sich die Durchführung einer Metaanalyse in fünf aufeinanderfolgende Stadien untergliedern. Diese sollen im Folgenden erläutert werden.
Am Anfang einer Metaanalyse steht die explizite Formulierung der Fragestellung. In dieser sollten die der Untersuchung zugrunde liegenden Konstrukte und Operationalisierungen definiert sein, sowie der angestrebte Generalisierungsbereich und die Zielpopulation spezifiziert werden (Hall et al., 1994; Hedges, 1994b; Rustenbach, 2003). Daraus leiten sich die Ein- und Ausschlusskriterien der Metaanalyse (Schulze, 2004) ab.
Weiterer wesentlicher Bestandteil der Fragestellung sind die theoriegeleitet formulierten Hypothesen. Neben den bivariaten Hypothesen - in Form von Zusammenhangs- oder Unterschiedsfragestellung ausgedrückt - können potentielle Moderatorvariablen in die Hypothesenbildung einbezogen werden (Rustenbach, 2003).
Es herrscht der Konsens, dass große Sorgfalt bei der Literatursuche verwendet werden sollte, um jede Studie - idealerweise auch unveröffentlichtes Material -, die den in der Fragestellung spezifizierten Einschlusskriterien genügt, zu entdecken und zur gründlichen Durchsicht zu beschaffen (Cooper & Hedges, 1994; Fricke & Treinies, 1985; Rosenthal & DiMatteo, 2001; Rustenbach, 2003; White, 1994). Die Suche nach geeigneter Literatur stützt sich heute zunehmend auf Online-Datenbanken des jeweiligen Fachgebiets, aber auch über die Literaturverzeichnisse von Publikationen zum Thema lassen sich weitere relevante Studien ausfindig machen.
Die dritte Phase Datenevaluation umfasst die Kodierung und Bewertung inhaltlicher und methodischer Studienmerkmale, gewöhnlich anhand eines Kodierhandbuchs, Kodierschemas oder Kodierplans. Dazu müssen zunächst die hinsichtlich der Integrationsfragestellung relevanten Primärstudienmerkmale identifiziert werden (Lipsey, 1994; Rustenbach, 2003; Stock, 1994).
Die Kodierungen dienen nach Rustenbach „einer differentiellen Stichprobendeskription und der statistischen Modellierung der Studieneffekte in Abhängigkeit von relevanten Eigenschaften der Primärstudien“ (2003, S.42). Einige der kodierten Items können als Grundlage genutzt werden, um die Validität der einzelnen Studien zu beurteilen (Rustenbach, 2003; Wortmann, 1994).
Nach Cook & Cambell (1979; Rustenbach, 2003; Wortmann, 1994) werden vier Validitätsbereiche unterschieden, anhand derer sich die Gültigkeit der Ergebnisse der Studien beurteilen lässt: Erstens die Validität des statistischen Schlusses, zweitens die interne Validität, drittens die Konstruktvalidität und viertens die externe Validität.
Dabei bestimmt sich die statistische Validität anhand des Ausmaßes der Gültigkeit der beobachteten Kovariation zwischen der unabhängigen und der abhängigen Variablen (Rustenbach, 2003). Kriterien, ob eine Einschränkung der Validität des statistischen Schlusses vorliegt, lassen sich über die Angemessenheit der Hypothesentestung und der messtheoretischen Kriterien der erfassten Variablen gewinnen.
Die interne Validität wird verstanden als die „Güte der Aufdeckung kausaler Beziehungen zwischen den abhängigen, unabhängigen und intervenierenden Variablen aufgrund der implementierten experimentellen Manipulationen und Messverfahren“ (Rustenbach, 2003, S.58).
Die Konstruktvalidität definiert sich über die Güte der Studienkonzeption und ist gekennzeichnet durch die Angemessenheit der Operationalisierungen und die Identifikation intervenierender Variabler (Rustenbach, 2003).
Die externe Validität wird bestimmt vom Ausmaß der Übertragbarkeit beobachteter Studienergebnisse auf die Zielpopulation der Patienten, Settings und Interventionszeiten und somit durch die Repräsentativität und Generalisierbarkeit der Studienbefunde (Rustenbach, 2003).
Die Aggregation der Primärbefunde zum Integrationsergebnis verläuft in zwei Schritten. Zunächst müssen die statistischen Angaben der Primärstudien in ein einheitliches Maß umgerechnet werden, üblicherweise in eine Effektstärke oder eine Korrelation. Da in der vorliegenden Metaanalyse die Effektstärke als Indikator des Therapieerfolgs Verwendung findet, soll im folgenden auf dieses Maß näher eingegangen werden.
In einem zweiten Schritt werden die Einzeleffektstärken zur gewichteten mittleren Effektstärke integriert.
Die Effektstärke als standardisierte Mittelwertsdifferenz d wurde von Cohen (1968; Rustenbach, 2003) eingeführt. Sie eignet sich insbesondere zur Untersuchung von Unterschiedshypothesen (Beelmann & Bliesener, 1994; Schulze, 2004). Erfolgt ein Vergleich zwischen den Mittelwerten einer Interventions- und einer Kontrollgruppe nach Interventionsende wird die Mittelwertsdifferenz an der gepoolten Streuung beider Gruppen standardisiert. Beim Vergleich der Mittelwerte einer Interventionsgruppe vor und nach der Behandlung gilt die Standardisierung an der Streuung beider Messzeitpunkte unter Berücksichtigung der Messwiederholungskorrelation als angemessen (Hartmann & Herzog, 1995; Rustenbach, 2003; Smith, Glass & Miller, 1980).
Konventionell werden Effektstärken entsprechend ihrer Größe in drei Gruppen unterteilt: Von einem kleinen Effekt spricht man bei einem Effekt von d=0,2, der mit einer maximalen Varianzaufklärung von 1 % einhergeht, während ein Effekt von d=0,5 als mittlerer Effekt klassifiziert wird und zu einer maximalen Varianzaufklärung von 6 % Prozent führt. Effektstärken über d=0,8 werden als große Effekte bezeichnet und klären mindestens 14 % der Varianz auf (Cohen, 1988; Rustenbach, 2003).
1.3.4.2.1 Abhängigkeitsmechanismen und Kompensationsstrategien
Eine Voraussetzung aller inferenzstatistischen Verfahren besteht in der Unabhängigkeit der Untersuchungseinheiten, im Falle der Metaanalyse der Primärstudien bzw. der Einzeleffekte (Bortz, 1989; Rustenbach, 2003; Stevens, 1986). Oft werden in einer Studie multiple Outcome-Variable erfasst und berichtet, die - falls sie an denselben Versuchspersonen gewonnen wurden - als abhängige Maße zu betrachten sind (Beelmann & Bliesener, 1994). Werden in einer Studie mehrere relevante Interventionen durchgeführt, sind deren Effekte nur dann als miteinander korreliert zu betrachten, wenn die Effektstärken der Interventionsgruppen über den Vergleich mit ein und derselben Kontrollgruppe berechnet wurden.
Die einfachste Strategie besteht in der Auswahl eines singulären Parameters (Rustenbach, 2003) und der Vernachlässigung der weiteren Angaben. Diese Vorgehen führt aber zu einem erheblichen Informationsverlust. Eine andere Möglichkeit besteht in der Klassifikation und Kategorienbildung, so dass in jede Kategorie nur ein Effekt pro Studie bzw. Interventionsgruppe eingeht (Beelmann & Bliesener, 1994; Matt, 1989; Rustenbach, 2003). Eine weitere Technik besteht in der Mittelung von abhängigen Effekten einer Studie unter Berücksichtigung der entsprechenden Interkorrelationen, so dass pro Studie nur ein mittlerer Effekt integriert wird (Beelmann & Bliesener, 1994; Rustenbach, 2003).
1.3.4.2.2 Die Berechnung der gewichteten mittleren Effektstärke
Eine weitere Vorraussetzung inferenzstatistischer Verfahren besteht in der Homoskedastizität der Fehlervarianzen. Aufgrund der verschiedenen Stichprobenumfänge der zu integrierenden Primärstudien und der daraus resultierenden Unterschiedlichkeit der Effektvarianzen ist diese Vorraussetzung bei der Durchführung einer Metaanalyse notwendig verletzt (Rustenbach, 2003). Nach Hedges und Olkin (1985; Rustenbach, 2003) ist es daher üblich, bei der Berechnung der mittleren Effektstärke die einzelnen Effekte mit ihren individuellen Varianzkehrwerten zu gewichten. Da hierbei den Studieneffekten mit schmaleren Konfidenzintervallen ein höheres Gewicht zugemessen wird, bezeichnet man diese Methode auch als „Präzisionsgewichtung“.
1.3.4.2.3 Modellwahl: Feste oder zufallsvariable Effekte?
Bezüglich des Vorgehens lassen sich Parallelen ziehen zwischen der Integration im Rahmen einer Metaanalyse und einer einfaktoriellen Varianzanalyse, wobei jede der integrierten Studien einer Faktorenstufe entspricht (Hedges, 1994a; Hedges & Vevea, 1998; Raudenbush, 1994; Rustenbach, 2003). Es lassen sich sowohl die realisierten Faktorenstufen als auch die Studien als eine Zufallsauswahl aus dem Universum aller denkbaren Faktorstufen bzw. Studien konzipieren, oder aber man geht von einer festen Anzahl vorher festgelegter Faktorenstufen bzw. Studien aus. In der Metaanalyse unterscheidet man in diesem Sinne zwischen dem Modell zufallsvariabler Effekte und dem Modell fester Effekte. Während man im Modell der festen Effekte vom Stichprobenfehler als einziger Quelle der Unterschiedlichkeit ausgeht, wird im Modell der zufallsvariablen Effekte anhand der Varianzkomponente die Wechselwirkung zwischen den integrierten Studien und ihren Effekten zusätzlich zu der auch im Modell der festen Effekte berücksichtigten Fehlervarianz der einzelnen Studien einbezogen (Hedges, 1994b; Hedges & Vevea, 1998; Raudenbush, 1994; Rustenbach, 2003; Schulze, 2004). Der Stichprobenfehler resultiert somit aus der Zufallsauswahl der Versuchspersonen einer Primärstudie aus der Gesamtheit aller möglichen Versuchspersonen, während die Varianzkomponente der Zufallsauswahl der realisierten Primärstudien aus der Gesamtheit aller theoretisch möglichen Primärstudien zu einer bestimmten Fragestellung entstammt. Deswegen kann man das Modell zufallsvariabler Effekte als ein Prozess hierarchischer Stichprobengewinnung verstehen (Rustenbach, 2003).
Beide Modelle gehen mit einer Reihe von Implikationen sowie Vor- und Nachteilen einher.
Anders als im Modell der festen Effekte geht man im Modell zufallsvariabler Effekte nicht von der Existenz einer konstanten, gemeinsamen Populationseffektstärke aus, sondern jede Effektstärke schätzt vielmehr ihre eigene Populationseffektstärke. Diese Populationseffektstärken sind entsprechend der Unendlichkeit der Variabilität der möglichen Primärstudieneigenschaften normalverteilt um den Hyperparameter, der vom gewichteten Mittelwert der individuellen Populationseffektstärken konstituiert wird. Daraus resultiert der breitere Generalisierungsbereich der Integrationsbefunde unter zufallsvariabler Modellierung auf das ganze Universum möglicher Primärstudien, während die Integrationsergebnisse im Modell fester Effekte nur für die tatsächlich realisierten und in die gewichtete mittlere Effektstärke eingeflossenen Primärstudien Gültigkeit haben (Hedges, 1994b; Raudenbush, 1994). Der Vorteil des Modells der festen Effekte besteht in der höheren Präzision, mit welcher der Populationseffekt geschätzt wird: Aus der additiven Berücksichtigung des Stichprobenfehlers und der Varianzkomponente resultiert unter zufallsvariabler Modellierung ein breiteres Konfidenzintervall und somit eine im Vergleich zum Modell fester Effekte reduzierte Teststärke des Signifikanztests des Populationseffekts gegen Null (Cohn & Becker, 2003; Rustenbach, 2003; Schulze, 2004).
Wenn auch einzelne Experten die Meinung vertreten, die Anwendung des Modells der festen Effekte sei aufgrund der Heterogenität der Primärstudien zu einer Fragestellung praktisch niemals angemessen (z.B. Hunter & Schmidt, 2000, nach Cohn & Becker, 2003, S. 251), und Peto (1987) dagegen meint, nur tatsächlich durchgeführte Studien sollten die Basis wissenschaftlicher Schlüsse bilden, wird doch meist empfohlen, die Entscheidung für eins der beiden Modelle entweder a priori vom angestrebten Generalisierungsbereich abhängig zu machen oder aber a posteriori von den Ergebnissen eines Homogenitätstests und der Größe der geschätzten Varianzkomponente. Bei Vorliegen einer substantiellen Varianzkomponente oder aber signifikantem Ergebnis eines Homogenitätstest wird geraten, die Integration nach dem Modell der zufallsvariablen Effekte vorzunehmen, ebenso wenn die Teststärke des Homogenitätstests aufgrund zu geringen Stichprobenumfangs zu niedrig ist (Hedges & Vevea, 1998; Rustenbach, 2003; Schulze, 2004).
1.3.4.2.4 Sensitivitätsanalytische Verfahren
Nach Rustenbach dienen Sensitivitätsanalysen im Anschluss an die Berechnung der mittleren gewichteten Effektstärke der „Abschätzung der Robustheit beobachteter Integrationsbefunde unter variierenden Integrationskonzeptionen und zur Ableitung empirisch und rational begründbarer Interpretationen und Schlussfolgerungen“ (2003, S.221).
Besondere Bedeutung im Rahmen einer Sensitivitätsanalyse kommt der Kontrolle auf das Vorliegen einer Publikationsverzerrung zu, die nach Rustenbach (2003) als bedeutsamster validitätsmindernder Faktor bei Metaanalysen anzusehen ist. Die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Publikationsverzerrung lässt sich sowohl auf graphischem Weg anhand eines Funnel-Plots und eines Normal-Quantil-Plots sowie auf rechnerischem Weg anhand der Bestimmung der Fail-Safe-Anzahl einschätzen (Begg, 1994; Greenhouse & Iyengar, 1994; Rustenbach, 2003).
Im Rahmen einer Outlier-Analyse lassen sich Ausreißer diagnostizieren, über deren Ausschluss oft eine Verbesserung der Modellgüte erreicht werden kann (Greenhouse & Iyengar, 1994; Halvorsen, 1994; Rustenbach, 2003). Anschließend sollte überprüft werden, ob der Ausschluss zu einer Veränderung der Integrationsergebnisse führt.
Bei Heterogenität des Integrationsbefundes ermöglicht das Auffinden relevanter Moderatorvariable oft eine erhebliche Reduktion des Anteils unerklärter Varianz (Halvorsen, 1994; Rustenbach, 2003) und damit eine Verbesserung der Modellgüte.
Generell lassen sich im Rahmen einer Sensitivitätsanalyse die Auswirkungen sämtlicher bei der Durchführung einer Metaanalyse getroffenen Entscheidungen untersuchen, indem man verschiedene Alternativen ausprobiert und die jeweiligen Ergebnisse vergleicht. So beschreiben Greenhouse & Iyengar die Sensitivitätsanalyse als systematischen Zugang zu der Frage „What happens if some aspect of the data or the analysis is changed?“ (Greenhouse & Iyengar, 1994, S. 384).
Als letzte Stufe der Durchführung einer Metaanalyse erfolgt nach dem Abschluss von Evaluation und Analyse der Daten die Darstellung der Ergebnisse. Neben der Beschreibung wesentlicher Primärstudienmerkmale und der Angabe der gewichteten mittleren Parametern, deren Variabilität und statistischer Signifikanz, sind auch Informationen über praktische Bedeutsamkeit des Ergebnisse von Interesse. So ist es im Bereich der klinischen Psychologie üblich, die praktische Bedeutsamkeit der Wirkung einer Therapie anhand des Binominial Effect Size Display (BESD) darzustellen, indem die Anzahl durch die Therapie Gebesserter in Verhältnis gesetzt wird zur Häufigkeit vom Spontanremissionen bei dem untersuchten Krankheitsbild (Rosenthal, 1995; Rosenthal & DiMatteo, 2001; Rustenbach, 2003).
Der anschließende Diskussionsteil setzt die Befunde der aktuellen Metaanalyse in Bezug zum bisherigem Kenntnisstand des Forschungsgebiets, indem Übereinstimmungen, aber auch Wiedersprüche aufgezeigt und Erklärungen für Diskrepanzen angeboten werden (Rosenthal, 1995).
Basierend auf der Demonstration der operanten Konditionierbarkeit des autonomen Nervensystems durch Miller entwickelte sich BFB in den frühen 70er Jahren (Kröner-Herwig, 2004; Olson & Schwartz, 1987) als eine „therapeutische Intervention zur Verbesserung der Wahrnehmung und Kontrolle physiologischer Funktionen mit dem Ziel des Abbaus funktioneller Störungen“ (Kröner-Herwig, 2004, S.551). In der Folge fand BFB Anwendung bei den verschiedensten Störungen, wie z.B. Hypertonie, Epilepsie, Asthma und verschiedenen Schmerzsyndromen (Kröner-Herwig, 2004). Rückgemeldet wurden z.B. Herzrate, Hautleitwert, Hauttemperatur, periphere Durchblutung, Atemfunktionen, Blutdruck und Muskelaktivität (Fichter, 2000; Rief & Birbaumer, 2006). Rief und Birbaumer (2006) nennen als einzige Voraussetzung, um eine physiologische Funktion mittels BFB beeinflussen zu können, dass diese eine neuronale Verbindung zum Großhirn aufweisen müsse.
Eine umfassende Definition des Begriffes BFB geben Schwartz & Schwartz: “A group of therapeutic procedures that uses electronic or electromechanical instruments to accuretly measure, process, and feed back, to persons and their therapists information with educational and reinforcing properties about their neuromuscular and autonomic activity, both normal and abnormal, in the form of analog or binary, auditory, and/or visual feedback signals. Best achieved with a competent biofeedback professional, the objectives are to help persons to develop greater awareness of, confidence in and an increase in voluntary control over their physiological processes that are otherwise outside awareness and/or under less voluntary control, by first controlling the external signal, and then by using cognitions, sensations, or other cues to prevent, stop, or reduce symptoms“ (Schwartz & Schwartz, 2003, S.34f). Als wesentliche Gemeinsamkeit aller BFB-Therapien wird dem Einsatz elektronischer und elektromechanischer Instrumente genannt, mit deren Hilfe Patienten (sowie seinem Therapeuten) Information über seine autonome, aber auch neuromuskulären Aktivität anhand eines akustischen oder visuellen Signals zurückgemeldet wird. Dieser Information kommt verstärkende, aber auch edukative Funktion zu: Sie soll den Patienten dabei unterstützen, ein besseres Gefühl für unwillkürliche physiologischer Prozesse zu entwickeln, Vertrauen in die eigene Kontrolle über diese Funktionen und damit eine tatsächliche Steigerung der Kontrollfähigkeit zu erlangen. Über die Kontrolle eines externen Signals, und später mithilfe von Kognitionen, Empfindungen oder anderen Cues lernt der Patient, seinen Symptomen vorzubeugen oder sie zu bekämpfen. Von großer Bedeutung ist auch die Unterstützung durch einen kompetenten Therapeuten, der den Patienten dabei unterstützt, Zusammenhänge zwischen Stressoren und seinen physiologischen Reaktionen zu erkennen und ihm geeignete Strategien zur Einflussnahme auf die Zielfunktion anbietet (Bruns & Praun, 2002; Fichter, 2000; Rief & Birbaumer, 2006).
Für zahlreiche Anwendungsgebiete kann die Wirksamkeit von BFB-Verfahren als gesichert betrachtet werden (Kröner-Herwig, 2004; Nanke & Rief, 2004; Rief & Birbaumer, 2006). Noch nicht abschließend geklärt ist die Frage nach den Wirkmechanismen des BFB (Kröner-Herwig, 2004).
- Spezifisches Modell
Das physiologische Spezifitätsmodell stellt die klassische Variante dar und entspricht der ursprünglichen Annahme, dass der Patient mittels direkter Rückmeldung einer bestimmten, pathophysiologisch relevanten Funktion willentliche Kontrolle über diese erlangt und somit Einfluss auf seine Symptomatik nimmt (Kröner-Herwig, 2004; Schwartz & Schwartz, 2003). Nach diesem Modell müsste ein direkter Zusammenhang zwischen dem Erfolg in Bezug auf die Kontrolle der Zielfunktion und der erwünschten Symptomreduktion bestehen.
- Generelles Modell
Das unspezifische oder generelle physiologische Modell geht davon aus, dass die Wirkung der BFB-Intervention nicht über das Erlernen der Kontrolle über die rückgemeldete Funktion erzielt wird, sondern anhand der Vermittlung der Fähigkeit zur allgemeinen Entspannung. Die Annahme, BFB wirke über das Erlernen einer allgemeinen Entspannungsreaktion, diente Kritikern als Argument gegen den Einsatz der recht kostenintensiven BFB-Apparaturen, da der gleiche Effekt auch mit einfachen Entspannungsverfahren zu erreichen sei (Belar, 1979; Blanchard et al., 1982b; Blanchard, Andrasik & Silver, 1980; Silver & Blanchard, 1978). Diese Diskussion wird unten im Bezug auf die Anwendung von BFB bei KST wieder aufgegriffen.
- Steigerung der Selbstwirksamkeit
Die Erfahrung, selbst erfolgreich Kontrolle über für unbeeinflussbar gehaltene Funktionen ausüben zu können und damit Einfluss auf Krankheitssymptome zu nehmen, steigert die Selbstwirksamkeitserwartung (Bruns & Praun, 2002; Kröner-Herwig, 2004; Rief & Birbaumer, 2006; Schwartz & Schwartz, 2003). Im kognitiven Modell des BFB wird der Erfolg der BFB-Therapie nicht direkt über physiologische Veränderungen vermittelt, sondern durch das Erleben von Erfolg und somit gesteigerte Selbstwirksamkeit. Insbesondere bei der Bewältigung von Schmerzsyndromen kommt der Steigerung der Selbstwirksamkeitswahrnehmung eine große Bedeutung zu (Bandura, 1987).
- Verbesserung der Interozeption
Viele Störungen gehen einher mit einer Fehlinterpretation oder mangelhafter Wahrnehmung bzw. Differenzierungsfähigkeit hinsichtlich körpereigener Vorgänge (Bruns & Praun, 2002; Kröner-Herwig, 2004; Rief & Birbaumer, 2006). BFB bietet die Möglichkeit, solche Prozesse direkt erlebbar zu machen und somit die Wahrnehmung des eigenen Körpers zu verbessern.
- Verdeutlichung von psychosomatischen Zusammenhängen
Durch das direkte Erleben von rückgemeldeten physiologischen Reaktionen auf Stressoren oder negative Gedanken lassen sich Patienten psychosomatische Zusammenhänge verdeutlichen (Bruns & Praun, 2002; Kröner-Herwig, 2004; Rief & Birbaumer, 2006).
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Der Kopfschmerz vom Spannungstyp (KST) stellt die am häufigsten auftretende Kopfschmerzform dar (Göbel, Petersen-Braun & Soyka, 1994). Gemeinsam mit Migräne bildet er die Gruppe der primären Kopfschmerzen, die nach Ausschluss anderer Erkrankungen, die sekundäre Kopfschmerzen auslösen können, diagnostiziert werden. In Abgrenzung von Migränesymptomatik gelten gemäß des gebräuchlichen Diagnose-Systems der International Headache Society (IHS) als Merkmale von KST eine drückende bis ziehende, aber nicht pulsierende Schmerzqualität, leichte bis mäßige Schmerzintensität, sowie die beidseitige Lokalisation des Schmerzes. Körperliche Aktivität führt nicht zu einer Verstärkung des Schmerzes. Chronischer KST wird gelegentlich von Übelkeit begleitet, nicht aber von Erbrechen. Phono- oder Photosensibilität kann auftreten, jedoch nicht gleichzeitig (Bischoff, Traue & Zenz, 2004; Bischoff & Traue, 2004; Bischoff, Zenz & Traue, 2003; Göbel, 2001, 2004).
Hinsichtlich der Auftretenshäufigkeit unterscheidet man zwischen episodischem und chronischem KST. Letzterer muss an mehr als 15 Tagen im Monat und seit mindestens einem halben Jahr auftreten, um die Diagnose zu rechtfertigen. Weiterhin wird eine Unterteilung vorgenommen in KST mit bzw. ohne Störung der perikranialen Muskulatur. Als Kriterium für das Vorliegen einer Störung der perikranialen Muskulatur gilt die erhöhte Empfindlichkeit der Muskulatur bei manueller Palpation oder beim Druckalgometertest sowie Auffälligkeiten des entsprechenden EMG (Bischoff et al., 2004; Bischoff & Traue, 2004; Bischoff et al., 2003; Göbel, 2004).
KST ist ein weit verbreitetes Problem: Nach Houy-Schäfer & Grotemeyer (2004) liegt die Lebenszeitprävalenz des episodischen KST zwischen 13 und 66 %, während die des chronischen KST zwischen 1 und 3 % beträgt. In einer repräsentativen Untersuchung von Göbel et al. (1994) gaben 38,5 % der Befragten an, gelegentlich unter Kopfschmerzen zu leiden, welche der IHS-Definition von KST entsprechen. Männer und Frauen sind etwa gleich häufig betroffen.
Die IHS benannte in der ersten Ausgabe ihrer Kopfschmerzklassifikation als mögliche Ursachen von KST eine Überbeanspruchung der Muskulatur, eine Dysfunktion des Kiefergelenks, Medikamentenabusus, psychosozialen Stress, Angststörungen, depressive Erkrankungen sowie Kopfschmerz als Vorstellung oder Idee (Bischoff et al., 2003; Göbel, 2004). Im Folgenden sollen kurz relevante pathophysiologische Mechanismen und ihre Interaktion mit psychischen Faktoren dargestellt werden. Abbildung 1 (S.18) gibt einen Überblick über das Zusammenwirken der verschiedenen Faktoren bei der Entstehung des KST.
Der vermutete Zusammenhang zwischen KST und erhöhtem Tonus der perikranialen Muskulatur beeinflusste die ursprüngliche Bezeichnung als Muskelkontraktionskopfschmerz (Jensen, 1999), aber auch der andere gebräuchliche Begriff des Spannungskopfschmerzes bezog sich auf dieses Entstehungsmodell. Zwar hat sich inzwischen gezeigt, dass der Entstehung des KST Störungen zentraler nozizeptiver Systeme zu Grunde liegen, doch scheinen zumindest bei einem Teil der KST-Patienten auch periphere Prozesse zum Kopfschmerzgeschehen beizutragen (Bischoff et al., 2004; Bischoff & Traue, 2004; Bischoff et al., 2003).
Nach Bischoff (Bischoff et al., 2004; Bischoff & Traue, 2004; Bischoff et al., 2003) kommt es durch Fehlhaltungen, psychische Belastung, aber auch durch die Erwartung von Schmerzen zu Muskelverspannung, die zu einer Minderdurchblutung des betroffenen Muskels führt. Durch die resultierende Senkung des pH-Werts werden chemische Schmerzstoffe (Bradykinin, Prostaglandine) freigesetzt, wodurch die Schmerzschwellen sowohl der mechanosensiblen als auch der chemosensiblen Nozizeptoren sinken, so dass bereits schwächere Muskelkontraktionen als schmerzhaft erlebt werden. Der entstehende Schmerz führt seinerseits zu einer noch stärkeren Muskelanspannung, so dass über positive Rückkopplung ein Teufelskreis aus Schmerz und assoziierter Muskelkontraktion entstehen kann (Bischoff et al., 2004). Weiterhin fallen KST-Patienten durch Defizite bei der Wahrnehmung und Differenzierungsfähigkeit hinsichtlich des Ausmaßes der Muskelspannung auf (Appelbaum, Blanchard & Andrasik, 1984; Flor, Furst & Birbaumer, 1999). Diese können lerntheoretisch erklärt werden durch die erfolgte operante und klassische Verstärkung für mit dysfunktionaler Muskelmehrarbeit einhergehende motorische Aktivität und die assoziierte Löschung propriozeptiver Hinweisreize für notwendige Erholungsphasen (Bischoff, 1989; Bischoff & Dahlinger, 1993; Bischoff & Traue, 2004).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Mechanismen des KST, z.T. nach Bischoff et al., 2003.
Während die frühen Arbeiten zu EMG-BFB bei KST die Hypothese vom ursächlichen Zusammenhang zwischen erhöhtem Frontalis-EMG und KST zu stützen schienen (z.B. Budzynski, Stoyva, Adler & Mullaney, 1973), fand sich in nachfolgenden Arbeiten nur in der Hälfte der Studien eine entsprechende Assoziation von erhöhten EMG-Werten und KST (Pikoff, 1984). Wittrock (1997) errechnete in seiner Metaanalyse von 23 Studien mit insgesamt 860 Versuchspersonen eine mittlere Effektstärke von d= 0,395 für den Vergleich des Frontalis-EMG zwischen KST-Patienten und gesunden Kontrollpersonen.
Somit gilt die diagnostische und ätiologische Bedeutung erhöhter EMG-Werte der perikranialen Muskulatur mittlerweile als umstritten: So betrachtet sie Göbel (Göbel, 2004) nicht als einen Kausalfaktor bei KST, sondern als einen produktiven Schutzmechanismus.
Größere Bedeutung kommt inzwischen der erstmals von Langemark und Olesen (1987) demonstrierten perikranialen Tenderness als diagnostischem Merkmal entsprechender muskulärer Störungen zu. Sie wird definiert als „subjektiv empfundene perikraniale muskuläre Empfindlichkeit bei manueller Palpation“ (Houy-Schäfer & Grotemeyer, 2004, S.106). Nach Jensen (2001) ist sie der auffälligste und konsistenteste Befund bei KST und repräsentiert wahrscheinlich die Aktivation peripherer Nozizeptoren. Auch lässt sich im Gegensatz zu EMG ein direkter zeitlicher Zusammenhang zwischen Kopfschmerzaktivität und palpatorischem Befund am Muskel (Houy-Schäfer & Grotemeyer, 2004; Schiller & Bischoff, 2000) nachweisen. Nach Mongini et al. (2004)besteht ein positiver Zusammenhang zwischen Tenderness und den psychiatrischen Störungen Angst und Depression.
Bei längerer Dauer von Muskelanspannung und Ischämie kommt es durch Degeneration von Muskelgewebe zur Ausbildung von Myogelosen, die als Triggerpunkte übertragene Schmerzen in anderen Gebieten verursachen. Es ließ sich nachweisen, dass die elektromyographische Aktivität in den Triggerpunkten unter emotionaler Belastung fast doppelt so hoch ist, wie im umgebenden Muskelgewebe und diese Aktivität durch Sympathikusefferenzen vermittelt wird, während die normale EMG-Aktivität vom kortikospinalen Nervensystem gesteuert wird (Bischoff et al., 2003; Schiller & Bischoff, 2000).
Nach Ansicht von Bischoff et al. (Bischoff et al., 2004; Bischoff & Traue, 2004; Bischoff et al., 2003) ist die Ursache von KST mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer Störung zentraler antinozizeptiver Systeme zu suchen: Bedingt durch eine Fehlregulation des Endorphin- und Serontonin-Stoffwechsels kommt es zu einer gesteigerten Empfindlichkeit für periphere Schmerzreize (Hyperalgesie) oder aber normalerweise gar nicht schmerzauslösendes Reize werden als schmerzhaft empfunden (Allodynie). Diese Fehlregulation kann sowohl konstitutionell bedingt sein - Personen mit Verwandten ersten Grades, die unter KST leiden, tragen ein drei mal höheres Risiko wie die Normalbevölkerung, selber KST zu bekommen (Bischoff & Traue, 2004; Houy-Schäfer & Grotemeyer, 2004) - oder aber erworben durch bestimmte Erfahrungen wie Stress, Hilflosigkeit und Depression (Bischoff et al., 2004; Bischoff & Traue, 2004; Bischoff et al., 2003). Entsprechend findet sich nach Göbel (2004) bei Patienten mit primärem Kopfschmerz ein β-Endorphinspiegel im Liquor von nur 20 % dessen, wie er in der Kontrollgruppe gemessen wird, wobei nicht klar ist, ob dieser niedrige Spiegel reaktiv oder ätiologisch zu verstehen ist.
Während der erniedrigte β-Endorphinspiegel unspezifisch sowohl bei Migräne als auch bei KST vorzufinden ist, gibt es auch Hinweise auf einen KST-spezifischen Mechanismus: So fehlt bei KST-Patienten doppelt so häufig wie bei Migränikern die zweite Phase der exterorezeptiven Hemmung (ES2), einem Schutzreflex der Kaumuskulatur, wobei die Schmerzempfindlichkeit bei fehlender ES2 deutlich erhöht ist (Bischoff et al., 2004; Bischoff & Traue, 2004; Bischoff et al., 2003). Nach Ergebnissen von Tierversuchen wird die Schmerzempfindlichkeit als auch die ES2 gesteuert durch Aktivität des serotonergen antinozizeptiven Systems in periäquaduktalen Grau, Nuclei Raphe und pontobulbärer Formatio reticularis, welche unter dem Einfluss des limbischen Systems stehen und somit durch emotionale Erlebnisse moduliert werden (Bischoff et al., 2004; Bischoff & Traue, 2004; Bischoff et al., 2003).
Nach Penzien et al. (2005) belegt die klinische und epidemologische Forschung einen deutlichen Zusammenhang zwischen den primären Kopfschmerzformen und einer Reihe psychiatrischer Störungen, insbesondere Depression und Angst. So liegt bei 64-84 % der Patienten in Kopfschmerzambulanzen eine Komorbidität mit affektiven Störungen vor (Houy-Schäfer & Grotemeyer, 2004). Lake et al. (2005) berichten, dass in einer multizentrischen Studie 84 % der Patienten mit chronischen KST komorbide psychiatrische Störungen aufwiesen, bzw. 70 % der untersuchten Patienten mit episodischem KST. Nach Angaben von Holroyd et al. (2000) ist die Komorbidität von Angststörungen und chronischem KST 15mal so hoch wie in der Normalbevölkerung und bei depressiven Erkrankungen dreimal so hoch wie in einer gematchten Kontrollgruppe. Vergleichbare Komorbiditätsraten berichteten Juang et al. (2000) und Puca et al. (1999).
Aus den erwähnten Studien geht allerdings nicht hervor, ob die Psychopathologie Ursache oder Wirkung der Kopfschmerzen ist. Die Ergebnisse einer Studie von Blanchard et al. (1989) sprechen dafür, dass die Psychopathologie eher Ursache als Wirkung ist. Noch mehr ist aber davon auszugehen, dass beiden Störungen gemeinsame Mechanismen zu Grunde liegen, beispielsweise eine Funktionsstörung des Serontoninstoffwechsels, die sowohl KST als auch depressive Symptome hervorruft (Boz et al., 2004).
Aufgrund der früheren Annahme, KST würde durch Verspannungen der perikranialen Muskulatur verursacht, ist das EMG-BFB die am häufigsten genutzte BFB-Modalität. Zwar hat sich wie erwähnt inzwischen gezeigt, dass längst nicht alle KST-Patienten erhöhte EMG-Werte aufweisen und die Korrelation zwischen dem Erfolg der BFB-Therapie hinsichtlich des Kopfschmerzgeschehens und der Reduktion des EMG-Werte oft nur mäßig hoch ist, dennoch lässt sich aber die generelle Wirksamkeit dieser Intervention sehr gut belegen (Blanchard & Diamond, 1996; Heuser, 2000; Heuser, Rief & Nestoriuc, 2006; Holroyd, 2002; Kröner-Herwig, 2004; Nash et al., 2005; Penzien et al., 2002; Penzien et al., 2004; Rains et al., 2005; Schwartz & Andrasik, 2003).
Im folgenden soll die Relevanz der oben erwähnten Wirkmechanismen der BFB-Therapie bei der Behandlung des KST erläutert werden.
Zumindest in der Untergruppe der Patienten mit pathologisch erhöhten EMG-Werten kommt dem klassischen Wirkprinzip des spezifischen physiologischen Lernens Bedeutung zu, insbesondere wenn wie in den Arbeiten von Arena, Bruno, Hannah und Meador (1995), Heaton (Heaton, 1979), Peck und Kraft (1977), Nicholson und Blanchard (1993) sowie Philips und Hunter (1981) das BFB vom pathologisch auffälligsten Muskel (Tenderness, erhöhter EMG-Wert) abgeleitet wird.
Dass das Erlernen der Fähigkeit zur allgemeinen Entspannung hilfreich bei der Therapie des KST sein kann, leitet sich aus der oben besprochenen Rolle von Stress, allgemeiner Anspannung und Angst bei der Entstehung des KST ab. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen somatischem und vegetativem Nervensystem, so dass ein erhöhter Muskeltonus mit Sympathikusaktivität einhergeht, während unter parasympathischer Aktivation der Tonus der quergestreiften Muskulatur reduziert ist (Bruns & Praun, 2002). Neben willentlichen Betätigungen eines Muskels lassen sich auch unwillkürliche Reaktionen, z.B. in Zusammenhang mit psychischer Anspannung oder emotional bedeutsamen Erlebnissen, im EMG als tonische Aktivität sichtbar machen.
Die Vorstellung, BFB erziele seine Wirkung in erster Linie durch den Erwerb der Fähigkeit zur allgemeinen Entspannung führte zu der Diskussion, ob in diesem Fall nicht die deutlich weniger kostenintensiven und weniger aufwendigen einfachen Entspannungsverfahren wie die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson (PMR) oder das Autogene Training (AT) vorzuziehen seien (Belar, 1979; Blanchard et al., 1982b; Blanchard, Andrasik & Silver, 1980; Silver & Blanchard, 1978), zumal einige Studien mit Vergleichen zwischen Entspannungs- und BFB-Interventionsgruppen beide Bedingungen als ähnlich effektiv auswiesen (Chesney & Shelton, 1976; Cott, Goldmann, Pavloski, Kirschberg & Fabich, 1981; Haynes, Griffin, Mooney & Parise, 1975; Kumaraiah, 1980; Martin & Mathews, 1978). Allerdings zeigte sich auch, dass eine Untergruppe von Patienten existiert, die von BFB, nicht aber von einfachen Entspannungsverfahren profitiert. So ist es in der Arbeitsgruppe von Blanchard üblich geworden, in einem sequentiellen Studien-Design zunächst alle Patienten mit PMR zu behandeln, und anschließend nur den nicht hinreichend erfolgreichen Patienten (den sogenannten Relaxation-Failures) BFB anzubieten (Andrasik & Blanchard, 1987; Blanchard et al., 1982a, 1982b; Blanchard, Appelbaum, Guarnieri & Morrill, 1987; Neff, Blanchard & Andrasik, 1983). Ein Grund dafür, dass einige KST-Patienten auf BFB, nicht aber einfache Entspannungsverfahren ansprechen, dürfte darin zu sehen sein, dass durch das BFB in einem sehr viel stärkeren Maß die Fähigkeit des Patienten zur Interozeption gefördert wird. Die Bedeutung der Verbesserung der Fähigkeit zur Wahrnehmung von Muskelverspannungen leitet sich aus den oben erwähnten Defiziten vieler KST-Patienten in diesem Bereich her. Außerdem führt BFB nach Kröner-Herwig wahrscheinlich „zu einer stabileren Kontrollkompetenz als andere Entspannungsmethoden, da der Erfolg immer direkt und „überzeugend“ operationalisiert zurückgemeldet wird“ (Kröner-Herwig, 2004, S.559; in diesem Sinne auch Schwartz & Andrasik, 2003, S. 326). Der Steigerung der Selbstwirksamkeit kommt eine nicht zu unterschätzende Bedeutung bei der Behandlung des KST mit EMG-BFB zu, wie Holroyd et al. (1984) demonstrieren konnten. So führt eine hohe Selbstwirksamkeit zu gesteigerter Schmerztoleranz (Bandura, O´Leary, Taylor, Gauthier & Gossard, 1987), mildert die kopfschmerzauslösende Wirkung von Alltagsstress (Marlowe, 1998) als auch die kopfschmerzbezogene Beeinträchtigung sowie die Ängstlichkeit (French et al., 2000). Auch angesichts der erwähnten hohen Komorbidität von KST und Depression kommt der Steigerung der Selbstwirksamkeit durch die BFB-Therapie große Bedeutung zu, da bei depressiven Menschen häufig eine Selbstwirksamkeitseinschränkung vorliegt (Bischoff & Dahlinger, 1993).
Weiterhin lässt sich BFB bei KST auch psychoedukativ nutzen, indem es ermöglicht, Zusammenhänge zwischen Stressoren und physischen Reaktionen zu demonstrieren. So geht immerhin etwa die Hälfte der KST-Patienten von einer organischen Ursache ihrer Kopfschmerzen aus, während nur etwa 10 % der Betroffenen ihre Lebensführung verantwortlich machen und nur 2 % (episodischer KST) bzw. 6 % (chronischer KST) psychische Ursachen in Betracht ziehen (Göbel, 2004). Aufgrund des Bezugs auf körperliche Prozesse ist es auch Patienten mit einem somatisch ausgerichteten Störungsmodell möglich, sich auf BFB einzulassen, während andere psychologische Interventionen auf Ablehnung stoßen (Bruns & Praun, 2002; Kröner-Herwig, 2004).
Der Frontalis-Muskel hat sich als Standard-Ableiteort etabliert (Bruns & Praun, 2002). Einige Autoren vertreten aber auch die Position, die Trapezius-Muskulatur korrespondiere in stärkerem Maße mit der Pathophysiologie des KST und eigne sich daher besser zur Ableitung (Bischoff & Dahlinger, 1993; Jensen, 1999). Arena, Bruno, Hannah und Meador (1995), Heaton (1979), Peck und Kraft (1977), Nicholson und Blanchard (1993) sowie Philips und Hunter (1981) leiteten dagegen das BFB vom pathologisch auffälligsten Muskel (Tenderness, erhöhter EMG-Wert) ab, wobei auch andere als die bereits erwähnten Muskelgruppen berücksichtigt wurden.
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Abbildung 2: Frontalis- und Trapezius-EMG
Nach Bruns und Praun (2002) lässt sich das EMG-BFB bei KST sinnvoller Weise in sechs aufeinander aufbauende Stufen unterteilen, die nach den individuellen Bedürfnissen des Patienten unterschiedlich gewichtet werden sollten. Anhand der Stufen sollen nun wichtige Therapieelemente des BFB bei KST im folgenden kurz erläutert werden.
1. Psychophysiologische Diagnostik
Bruns und Praun (2002) empfehlen, in einem ersten Schritt die Muskelpartien zu identifizieren, welche am stärksten verspannt sind oder aber am stärksten auf Stress reagieren. Dazu wird das EMG in verschiedenen Situationen abgeleitet. Weiterhin sollte eine systematische Verhaltensanalyse erstellt werden, in der die schmerzauslösenden und -aufrechterhaltenden Faktoren (emotionale, soziale, gedankliche und körperliche Stressoren) identifiziert werden. Anhand der gewonnen Informationen lassen sich dem Patienten[2] Zusammenhänge zwischen Stress, negativen Gedanken und muskulärer Anspannung veranschaulichen und ihm somit ein bio-psycho-soziales Schmerzmodell vermitteln.
2. Beobachten und Experimentieren
Auf dieser Stufe erhält der Patient erstmals visuelle oder akustische Rückmeldung über seine aktuelle Muskelspannung, mit der Instruktion, diese zunächst einfach nur zu beobachten. Dann soll er sich über bewusstes Anspannen der rückgemeldeten Muskulatur davon überzeugen, dass es ihm möglich ist, das Signal willentlich zu beeinflussen. Mit dieser Erfahrung wird er nun ermutigt zu versuchen, den Muskeltonus zu reduzieren.
3. Sensibilitätstraining
KST-Patienten tendieren dazu, niedrige EMG-Werte zu überschätzen und hohe EMG-Werte zu unterschätzen (Flor et al., 1999). Diese mangelhafte Körperwahrnehmung wird durch eine externale Feedback-Schleife ersetzt, bis es dem Patienten gelungen ist, ein hinreichend gutes Gefühl für seine Muskelspannung zu entwickeln.
4. Muskelentspannung
In dieser Phase wird Wert auf den Erwerb von Strategien zur Entspannung gelegt, wobei dem Patienten ggf. Hilfestellung gegeben wird in Form von Entspannungsverfahren wie PMR oder Autogenem Training, Imaginationen und Atemtechniken.
5. Selbstkontrolle
Nachdem der Patient gelernt hat, sich mithilfe des Feedbacksignals effizient zu entspannen, soll er lernen, dies auch ohne Unterstützung zu bewerkstelligen. Daher wechseln sich nun Phasen mit und ohne Feedback ab, auch wird der Patient dazu angehalten, die Entspannungsübungen regelmäßig zuhause durchzuführen.
6. Transfer
Auf der letzten Stufe wird Wert darauf gelegt, dass der Patient auch in Belastungssituation von seiner erworbenen Entspannungskompetenz Gebrauch machen kann, indem Stressbewältigungsübungen, die den tatsächlichen Alltagsstress des Patienten möglichst ähnlich sein sollten, durchgeführt werden.
Das Training kann beendet werden, wenn sich Therapeut und Patient darin einig sind, dass eine deutliche Verringerung der Schmerzsymptomatik erreicht wurde, aber auch effiziente Bewältigungsstrategien erworben wurden und die Körperwahrnehmung verbessert wurde.
Das beschriebene Programm von Bruns und Praun (2002) steht exemplarisch für verschiedene Trainingsprogramme: Es enthält die wesentlichen Elemente der aktuellen Form der EMG-BFB-Therapie bei KST, wenn auch von anderen Autoren teilweise abweichende Schwerpunkte gesetzt werden mögen.
Vereinzelt fanden auch andere BFB-Modalitäten Verwendung in der Therapie des KST, so der Hautleitwert (Collet, Cottraux & Juenet, 1986), die Handtemperatur (Daly, Donn, Galliher & Zimmerman, 1983) und das Ausmaß der Produktion von Alpha-Wellen im EEG (Mathew, Mishra & Kumaraiah, 1987; McKenzie, Ehrisman, Montgomery & Barnes, 1974). Während es sich beim Hautleitwert wie bei der Handtemperatur um die Erfassung und Rückmeldung von Indikatoren der Aktivität des autonomen Nervensystems handelt, wird beim Alpha- oder Neuro-Feedback Bezug genommen auf die Aktivität des ZNS.
Der Hautleitwert ist in erster Linie abhängig von der Aktivität der Schweißdrüsen. Da diese ausschließlich vom Sympathikus innerviert werden, eignet sich der Hautleitwert besonders gut als Indikator des Sympathikotonus und damit des allgemeinen Aktivationsniveaus bzw. der inneren Anspannung (Bruns & Praun, 2002).
Die (Oberflächen-)Hauttemperatur ändert sich in Abhängigkeit von der peripheren Durchblutung. Sympathikotone Aktivation führt zu Vasokonstriktion und damit zum Absinken der Hauttemperatur, während eine allgemeine Entspannung mit einem Anstieg der Hauttemperatur einhergeht (Bruns & Praun, 2002).
Hauttemperatur- als auch Hautleitwert-BFB zielen in erster Linie auf den Erwerb der Fähigkeit zur allgemeinen Entspannung, während anders als beim EMG-BFB spezifisches physiologisches Lernen weniger zu erwarten sein dürfte. Die psychologischen Wirkmechanismen Erhöhung der Selbstwirksamkeit, Vermittlung von Einsicht in psychosomatische Zusammenhänge und Verbesserung der Interozeption spielen mit Sicherheit aber auch beim Hauttemperatur- und Hautleitwert-BFB eine wichtige Rolle.
Die Anwendung des EEG-BFB (oder Alpha-) beruht auf der Beobachtung, dass ein EEG mit dominanter Alpha-Aktivität oft mit einem Entspannungszustand korrespondiert. Das Alpha-Feedback stieß jedoch auf starke Kritik, einerseits wegen methodischer Mängel der Studien, aber auch weil das Alpha-Feedback stark von okulomotorischen Artefakten verzerrt wird. Außerdem erfordert es hohen technischen Aufwand, während das gleiche Ziel effektiver mit Rückmeldung peripher-physiologischer Aktivität erreicht werden kann (Bruns & Praun, 2002).
Die erste Metaanalyse, die den Effekt von BFB bei KST untersuchte, erschien im Jahre 1980. Blanchard et al. (1980) berechneten als Indikator des Therapieerfolgs die durchschnittliche prozentuale Verbesserung als Differenz der Werte vor und nach der Therapie, relativiert an den Ausgangs-Mittelwerten. Sie berichteten eine durchschnittliche prozentuale Besserung für zwölf BFB-Studien von 60,9 % und für sechs Studien mit kombiniertem BFB und Entspannungsverfahren von 58,8 %. Der Erfolg der Therapie bestätigte sich auch in Katamnese-Effektstärken von 57,5 % (6 Studien) bzw. 57,3 % (3 Studien), wobei allerdings teils sehr kurze Follow-up-Zeiträume Berücksichtigung fanden.
Holroyd und Penzien (1986) bezifferten in ihrer Metaanalyse die Wirksamkeit von BFB alleine mit 46,0 % anhand von 26 Primärstudien und von kombiniertem BFB und Entspannungsverfahren mit 57,1 % anhand von neun Studien. Weiterhin errechneten sie als Moderatoren des Therapieerfolgs, allerdings in Bezug auf alle untersuchten Interventionen (außerdem Entspannungsverfahren, nichtkontingentes BFB und unbehandelte Kontrollgruppen), eine Korrelation von -0,55 mit dem Alter, von -0,39 mit der Stichprobengröße, von -0,29 mit der Dropoutrate und von -0,51 mit dem Publikationsjahr.
Die durchschnittliche prozentuale Verbesserung von KST-Patienten durch BFB alleine beträgt nach Bogaards & ter Kuile (1994) 47 % auf Grundlage von 29 Primärstudien sowie für die Kombination von BFB und Entspannungsverfahren 56 % unter Berücksichtigung von 11 Studien. Sie untersuchten als Moderatoren ـ auch hier bezogen auf alle Behandlungsarten ـ die Behandlungscharakteristika Dauer in Stunden (r = 0,06) und Dauer in Wochen (r = -0,02), die Patientencharakteristika Chronizität (r = -0,31) Alter (r = -0,22) und Frauenanteil in der Stichprobe (r = 0,12) sowie die Studien-charakteristika Stichprobengröße (r = 0,02), Dropoutrate (r = -0,17) und Publikations-jahr (r = -0,36).
In einer nur eingeschränkt vergleichbaren Metaanalyse, in der keine Unterscheidung getroffen wurde zwischen Migräne und KST, sondern zwischen EMG- und Temperatur-Feedback sowie zwischen Erwachsenen und Kindern als Kopfschmerzpatienten, berichteten Sarafino & Goehring (2000) eine durchschnittliche prozentuale Verbesserung der Kopfschmerzsymptomatik von 48,0 % durch EMG-BFB anhand von 25 Studien. Sie nahmen keine Aufteilung vor in Studien mit BFB alleine bzw. in Kombination mit Entspannungsverfahren, sondern gaben an, ob bzw. welche Entspannungsverfahren ergänzend vermittelt wurden. Weiterhin bezifferten sie das durchschnittliche Ausmaß der erlangten physiologischen Kontrolle mit 46,6 %. Hierbei berücksichtigten sie 18 Studien.
Außerdem berichten mehrere Autoren (Holroyd, 2002; Kröner-Herwig, 2005; Rains et al., 2005; Schwartz & Andrasik, 2003) über eine unveröffentlichte Metaanalyse von McCrory, Penzien, Hasselblad und Gray aus dem Jahre 2001, die im Gegensatz zu den bisher besprochenen Metaanalysen nur randomisierte und kontrollierte Studien in die Analyse einbezogen (Rains et al., 2005). Nach Schwartz & Andrasik (2003) beträgt die von McCrory et al. berichtete durchschnittliche prozentuale Verbesserung 48 % für BFB allein und 51 % für die Kombination von BFB und Entspannungsverfahren. Die Ergebnisse dieser Metaanalyse mit strengen Selektionskriterien unterscheiden sich somit kaum von denen der Metaanalysen mit liberaleren Kriterien.
Die Erfassung der Kopfschmerzsymptomatik anhand eines Kopfschmerztagebuchs gilt als „Golden Standard“ der verhaltensmedizinisch orientierten Kopfschmerzforschung (Andrasik, Lipchik, McCrory & Wittrock, 2005). Globale, retrospektive Kopfschmerzmaße wie Fragebögen führen dagegen zu tendenziell überhöhten Verbesserungsschätzungen (Blanchard, Andrasik, Neff, Jurish & O`Keefe, 1981; Schwartz & Andrasik, 2003).
Basierend auf der Kopfschmerzmessung mithilfe des Tagebuchs wird aktuell von verschiedenen Experten (Andrasik et al., 2005; McCrory, Gray, Tfelt-Hansen, Steiner & Taylor, 2005; Penzien, 2005) empfohlen, die Kopfschmerzhäufigkeit als primäres Erfolgskriterium zu erfassen. Von der weiteren Verwendung des früher sehr gebräuchlichen Kopfschmerz-Index als einem aus mehreren Kopfschmerzdimensionen zusammengesetzten und daher weniger eindeutigen Maß wird inzwischen einhellig abgeraten (Andrasik et al., 2005; McCrory et al., 2005; Penzien, 2005; Schwartz & Andrasik, 2003). Aber auch die anhand des Tagebuch erfasste Kopfschmerzdauer und –intensität werden von McCrory et al. (2005) als weniger präzise Kopfschmerzmaße angesehen.
Nach Penzien et al. (Penzien, 2005, 2.6.2.) ist es „highly desireable for trials to include a sufficiently wide spectrum of secondary outcome measures to capture possible differential outcomes of drug and behavior therapy”. Dabei werden an erster Stelle psychologische Variable als besonders geeignete sekundäre Erfolgsindikatoren genannt.
Aufgrund der oben erwähnten hohen Komorbidität zwischen KST, Depression und Angst störungen kommt den positiven Nebenwirkungen bezüglich dieser psychopathologischen Symptomatik große Bedeutung zu. Außerdem ist die Veränderung der Selbstwirksamkeit als potentiellem Moderator des BFB-Therapieerfolgs von besonderem Interesse.
Weiterhin empfiehlt es sich nach Andrasik (2005) und Penzien (Penzien, 2005), die Änderung der Medikation als sekundäres Erfolgsmaß zu erfassen: Sie bietet nach Andrasik (2005) ein behaviorales „Fenster“ der Schmerzmessung. Außerdem stellt die Reduktion der benötigten Kopfschmerzmedikamente eine wünschenswerte Nebenwirkung der BFB-Therapie dar. So kann bekanntlich die häufige Einnahme von Schmerzmitteln selber Kopfschmerzen verursachen (Andrasik, 2003; Blanchard & Diamond, 1996; Gauthier et al., 1996). Nach Bruhn, Olesen & Melgaard (Bruhn, Olesen & Melgaard, 1979, S.36) leitet sich der Wert des BFB unter anderem aus der Verringerung der Medikation her: „Drug therapy ... reinforce(s) a tendency to dependent behavior in many headache patients, but biofeedback educates the patient to control his own well-being“. Es ist denkbar, dass die medikamentöse Therapie eher mit einer externen Kontrollüberzeugung einhergeht.
Eine weitere interessante sekundäre Ergebnisvariable besteht in dem Ausmaß der durch die BFB-Therapie erlangten physiologischen Kontrolle. Der ursprüngliche Ansatz des BFB basiert auf der operanten Konditionierung physiologischer Funktionen (Kröner-Herwig, 2004). Der Zweck der BFB-Therapie in diesem Paradigma besteht darin, durch Rückmeldung die Fähigkeit zur physiologischen Kontrolle über relevante Funktionen zu erwerben und damit direkt auf die Krankheitssymptome Einfluss zu nehmen. Nachdem Tunis und Wolff (1954) den Begriff des „Muskelkontraktionskopfschmerz“ eingeführt hatten und Sainsbury und Gibson (1954) einen erhöhten Ruhe-Level des Frontalis-EMG bei Patienten mit Muskelkontraktionskopfschmerz nachwiesen, war es naheliegend, über die Reduktion des Frontalis-EMG mittels BFB Einfluss auf die Kopfschmerzsymptomatik zu nehmen (Budzynski et al., 1973).
Zwar hat die Forschung in den späteren Jahren gezeigt, dass neben der ursprünglich angenommenen zentralen Rolle des Frontalis-EMG bei der Entstehung, aber auch der BFB-Therapie des KST einer Reihe anderer Faktoren eine wichtige Bedeutung zukommt. Dennoch geht man auch heute noch davon aus, dass zumindest in einer Untergruppe der KST-Patienten Verkrampfungen der Muskulatur zum Kopfschmerzgeschehen beitragen (Andrasik & Blanchard, 1987; Andrasik et al., 2005; Bruns & Praun, 2002; Heuser, 2000; Heuser et al., 2006; Schwartz & Andrasik, 2003). Daher kommt der Verringerung des Muskeltonus als Indikator des Therapieerfolgs zumindest für die Untergruppe der KST-Patienten mit Störung der perikranialen Muskulatur weiterhin Bedeutung zu.
[...]
[1] Der positive Zusammenhang zwischen Anzahl berücksichtigter Versuchspersonen und der statistischen Power gilt allerdings nur im Modell fester Effekt, während im Modell zufallsvariabler Effekte die steigende Anzahl von Versuchspersonen bzw. Studien mit einer zunehmenden Variabilität der Studien einhergeht und so zu einem Anstieg der unsystematischen Varianz zwischen den Studien führt, die sich wiederum in einer Verbreiterung der Konfidenzintervalle und einer Verringerung der statistischen Power auswirkt (Cohn & Becker, 2003; Rustenbach, 2003).
[2] Zur besseren Lesbarkeit wird sich im folgenden auf die männliche Form beschränkt, wobei selbstverständlich auch Patientinnen gemeint sind.
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