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Examensarbeit, 2007
100 Seiten, Note: 1
A Hinführung zum Thema
B Gewalt in der Schule
B 1 Annäherung an den Begriff Gewalt
B 2 Entstehung von Gewalt im schulischen Kontext
2.1 Psychologische Sichtweisen der Begriffe Gewalt und Aggressivität
2.1.1 Trieb- beziehungsweise Instinkttheorien
2.1.2 Frustrations-Aggressions-Hypothese
2.1.3 Lerntheorien
2.1.4 Etikettierungstheorien
2.1.5 Sozialökologischer Ansatz
2.2 Gewalt und der Einfluss der schulischen Umwelt
2.2.1 Zusammenhang von Gewalt und Schulzugehörigkeit
2.2.2 Zusammenhang von Gewalt und Klassen- beziehungsweise
Klassenzimmergröße
2.2.3 Zusammenhang von Gewalt und Schulform
2.2.4 Zusammenhang von Gewalt und Sozialklima beziehungsweise Lernkultur
2.3 Gewalt und der außerschulische Sozialisationskontext
2.3.1 Zusammenhang von Gewaltverhalten und familiären Bedingungen
2.3.2 Zusammenhang von Gewaltverhalten und Einfluss der Gleichaltrigen- gruppe
2.3.3 Zusammenhang von Gewaltverhalten und dem Einfluss der Medien
B 3 Täter-Opfer-Zeugen-Typologien im schulischen Gewaltkontext
3.1 Charakterisierung des typischen Gewalttäters
3.2 Charakterisierung des typischen Gewaltopfers
3.3 Charakterisierung des typischen Zeugen
B 4 Geschlechtsspezifische Unterschiede im (schulischen) Gewaltkontext
4.1 Aktueller Forschungsstand
4.2 Ursachen für Gewaltverhalten bei Mädchen
B 5 Migrationsproblematik und schulische Gewalt
C Gewaltpräventive Arbeit in der (Grund-)schule
C 1 Klärung des Begriffs Gewaltprävention
C 2 Voraussetzungen für schulische Präventionsarbeit
C 3 Handlungsmöglichkeiten in der Schule
3.1 Vier Handlungsansätze zur Gewaltprävention
3.1.1 Schülerebene
3.1.2 Klassenebene
3.1.3 Schulebene
3.1.4 Gemeinde beziehungsweise Nachbarschaft
3.2 Praktische Möglichkeiten im Umgang mit Gewalt in der Grundschule
3.2.1 Entwicklung der Lernkultur
3.2.2 Entwicklung des Sozialklimas
3.2.3 Entwicklung von Regeln
3.2.4 Medienerziehung
3.2.5 Vermeidung von Etikettierungen
3.2.6 Öffnung der Schule und Kooperation mit dem Stadtteil
D Förderung von Selbstbehauptung und Zivilcourage am Beispiel des Gewalt-
präventionsprojekts „aufgschaut“
D 1 Vorstellung des Gewaltpräventionsprojekts „aufgschaut“
1.1 Hauptziele des Projekts
1.1.1 Stärkung von Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen
1.1.2 Stärkung des Gemeinschaftsgefühls/Förderung von Zivilcourage
1.2 Allgemeine Informationen über das Projekt
1.2.1 Beschreibung
1.2.2 Methode
1.2.3 Konzeption
1.3 Themenbereiche des Gewaltpräventionsprojekts „aufgschaut“
1.3.1 Selbstbehauptung – „Ich achte auf mich“
1.3.2 Gemeinschaft – „Ich achte auf die anderen“
1.3.3 Gewalt – „Konflikte kann ich lösen“
1.3.4 Sexueller Missbrauch – „Mein Körper gehört mir“
1.3.5 Zivilcourage – „Ich kann Gewalt verhindern“
D 2 Erste Evaluationsergebnisse des Gesamtprojekts „aufgschaut“
2.1 Untersuchungsgruppe Grundschullehrer
2.2 Untersuchungsgruppe Schüler
E Exemplarische Durchführung von Teilbereichen aus dem Gewaltpräven- tionsprojekt „aufgschaut“
E 1 Fragestellungen
E 2 Methode
2.1 Versuchspersonen
2.2 Design der Untersuchung
2.3 Instrument
2.4 Eigene Durchführung
2.4.1 Allgemeines
2.4.2 Themenbereich Selbstbehauptung
2.4.2.1 Zur eigenen Meinung stehen
2.4.2.2 Ja-Sagen
2.4.2.3 Stopp-/Nein-Sagen
2.4.3 Themenbereich Gemeinschaft
2.4.3.1 Knoten
2.4.3.2 Eisscholle
2.4.3.3 Auf und nieder
2.4.3.4 ABC-Brücke
2.4.4 Themenbereich Gewalt
2.4.4.1 Gewaltskala „Tumult erwünscht“
2.4.4.2 Kleinkreise
2.4.4.3 Anfeuern beim „Ritterturnier“
2.4.4.4 Pausenhofspiel
2.4.5 Themenbereich Zivilcourage
2.4.5.1 Reflexion und Zusammenfassung
2.4.5.2 Gemeinsame Gestaltung eines Plakats
E 3 Ergebnisse
E 4 Diskussion
F Resümee
G Anlagen
G 1 Fragebogen
G 2 Geschichte Selbstbehauptung
G 3 Geschichte Eisscholle
H Literaturverzeichnis
„Ausgrenzung aus der Klassengemeinschaft, Beschädigung von Schulsachen und Materialien, Auslachen, Verstecken von Kleidungsstücken, ungerechtfertigte Beschuldigungen, Knuffen, Stolpern lassen und Schlagen auf dem Pausenhof, Erpressung und Bedrohung, sexuelle Belästigung“ (Autor unbekannt, 2007, S. 1) – dies ist nur ein kleiner Teil der täglich beobachteten Gewaltformen an Schulen.
Doch nicht dieses fast schon selbstverständlich zum Schulalltag dazugehörende Gewaltverhalten, sondern Berichte über extreme Gewaltvorfälle an deutschen Schulen gingen in den letzten Jahren häufig durch die Medien. Eskaliert ist die Situation an Schulen mit der Ermordung eines Gymnasiallehrers im Jahr 1999 in Meißen und von Schulrektoren in Brannenburg und Eching im Jahr 2000. Im Jahr 2002 lief der 19-jährige suspendierte Gymnasiast Robert Steinhäuser in Erfurt an seiner ehemaligen Schule Amok. Er tötete damals 14 Lehrer sowie zwei Schüler[1] und nahm sich anschließend das Leben. 2003 schoss ein 16-jähriger Realschüler in Coburg im Unterricht auf seine Lehrerin, nahm einen Mitschüler als Geisel, verletzte eine Lehrerin und beging danach Selbstmord (Fuchs, Lamnek, Luedtke & Baur, 2005). Der im Internet angekündigte Amoklauf eines 18-jährigen Schülers im Jahr 2006 in Emsdetten endete mit 37 Verletzten und dem Selbstmord des Täters (Jüttner, 2006). Auch vom Hilferuf der Direktorin der Berliner Rütli-Schule im Jahr 2006 an den Berliner Senat berichteten die Medien. Die Lehrer sahen keine Möglichkeit mehr die bestehende Gewalt an der Hauptschule ohne Hilfe von außen einzudämmen (Autor unbekannt, 2006). Der jüngste schulische Gewaltvorfall vom Februar 2007 geschah an einer Nürnberger Grund- und Hauptschule mit angeschlossenem Förderzentrum. Nach einer Schlägerei unter Schülern fuhr die Polizei vermehrt Streife vor der Schule, um weitere Eskalationen zu verhindern. Nachdem ein 14-jähriger Schüler wegen Randale von der Polizei festgenommen wurde, befreiten ihn zehn Schüler zwischen 13 und 19 Jahren aus dem Streifenwagen und schlugen dabei einen der Polizisten brutalst zusammen. Nur mit Hilfe seiner Kollegen konnte der Beamte vor weiteren Angriffen der Schüler geschützt werden (Przybilla, 2007). Laut Nürnbergs Schulreferent Dieter Wolz sind ‚dies nur die ersten Anzeichen einer ganz neuen Form der Gewalt an Schulen’ (Przybilla, 2007, S. 1). Laut dem bayerischen Innenminister Günther Beckstein ist es dringend notwendig, sich mit dem fehlenden Respekt vor Autoritätspersonen auseinander zu setzen (Przybilla, 2007).
Als ein relativ neues „Phänomen“ der Gewalt unter Kindern und Jugendlichen in Deutschland gilt das sogenannte „Happy slapping“ oder das Drehen von „Snuff-Videos“. Ursprünglich kommt das „Happy slapping“ aus England: Auf ahnungslose Passanten auf der Straße wird unvermittelt eingeschlagen und danach weitergegangen als wäre nichts gewesen. In deutschen Schulen, auf Schulwegen und in der Freizeit nimmt diese Form der Gewalt eine neue Dimension an. Schüler quälen Mitschüler, Passanten oder Obdachlose und filmen ihre Taten mit dem Handy. Die gedrehten Videos stellen sie dann ins Internet oder tauschen sie aus, wie früher Sticker- oder Fußballbilder. Besonders aufsehenerregend war in diesem Zusammenhang ein Vorfall unter Schülern der internationalen Schule im Jahr 2006 in München. Hier wurde ein 14-jähriges betrunkenes Mädchen von dreien ihrer Mitschüler ausgezogen, mit einer Champagnerflasche missbraucht und auf ihrem Oberkörper mit obszönen Sprüchen bemalt. Diese Tat wurde von den Schülern mit der Handykamera gefilmt.
Mit diesen oben genannten brutalen Einzelereignissen wollen die Medien die scheinbar vermehrte Gewalt an Schulen belegen. Doch alle der bisher genannten Vorfälle haben mit schulischer Gewalt wenig gemeinsam (Fuchs et al., 2005). Diese Ereignisse sind „vielmehr Akte schwerer Gewaltkriminalität, die sich innerhalb von Schulgebäuden ereignet haben“ (Fuchs et al., 2005, S. 26). Die groß angelegte Längsschnittstudie in Bayern von 1994 bis 2004 von Fuchs et al. (2005) kann der, durch die Medien vermittelten, Vorstellung über die Zunahme von Gewalt an Schulen nicht zustimmen. Im Gegenteil: „Für fast alle Gewaltformen ist zwischen 1994 und 2004 ein Rückgang der Indexwerte, also der Gewaltbelastung der Schulen zu konstatieren“ (Fuchs et al., 2005, S. 107). Lamnek (2000) erklärt das Zustandekommen dieses falschen Bildes über die Gewalt an Schulen durch die Medien folgendermaßen. „Die massenmediale Berichterstattung über Gewalt an Schulen geht von drastischen Einzelfällen aus, verallgemeinert (implizit) schwere, auch strafrechtlich relevante Delikte, unterstellt (mindestens implizit) eine (allgemeine) Zunahme an Gewalt, befürchtet eine ‚neue Qualität’ der Gewalt, stilisiert Gewalt zu einem ‚Jedermannsphänomen’ und verknüpft Gewalt an Schulen mit der allgemeinen Gewalt-Debatte“ (Lamnek, 2000, S. 34). Die Medien tragen also einen Großteil dazu bei, die Gesellschaft für die Gewalt an Schulen zu sensibilisieren und durch die dramatisierte Darstellung ein Bild zu erzeugen, das mit der schulischen Realität wenig gemeinsam hat.
Trotz der medialen Darstellung von schulischer Gewalt ist es aber fraglich, ob dieses Thema heute tatsächlich als Problem gesehen werden muss. Schließlich gab es vor der großen Forschungswelle zu schulischer Gewalt in den 90-er-Jahren auch schon Schlägereien, Prügeleien, Außenseiter- oder Mobbingprobleme an deutschen Schulen. Doch hier setzt das Argument der Langzeitstörungen an. Schüler, die häufig schikaniert werden zeigen langfristig Symptome wie Schlafstörungen, Depressionen oder Nervosität (Autor unbekannt, 2007a).
Mobbing beziehungsweise Bullying und Ablehnung in der Schule sind heutzutage nicht selten. Besonders in ihrem sozialen Umfeld und in ihrer Schulklasse erleben Kinder und Jugendliche immer wieder Schikanen durch andere Schüler (Schuster, 2002). Dies kann zu „Selbstwertproblemen, Leistungseinbrüchen und psychosomatischen Beschwerden bis hin zu erhöhter Suizidgefahr“ (Schuster, 2002, S. 52) führen. Erlebte Gewalt kann sich negativ auf die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes auswirken und damit bei den Kindern soziale Störungen, wie Schüchternheit, Zurückgezogenheit oder Ängstlichkeit bewirken (Gaska, Frey, Spies & Manzenrieder, 2005). Aktuelle Studien zeigen, dass sogar schon Vorschulkinder und Grundschüler von diesen Problemen betroffen sind (Alsaker & Valkanover, 2001, zitiert nach Schuster, 2002, S. 52). Schulische Gewalt besteht am Häufigsten im Alter von sieben und von 13 bis 14 Jahren (Fuchs et al., 2005; Smith & Sharp, 1994, zitiert nach Ziegler & Ziegler, 1997, S. 32), so dass bereits in der Grundschule Konflikte entstehen, aus denen statt gleichberechtigten und mit der Lösung zufriedenen Kindern, Sieger und Verlierer hervorgehen (Autor unbekannt, 2002).
Da, wie oben beschrieben, aggressive und unsoziale Verhaltensweisen schon in der Kindheit beginnen (Cierpka, 2005) und von den Kindern bewusst wahrgenommen werden (Gaska & Frey, 2003), muss schon im Vorschul- und Grundschulalter mit gewaltpräventiven Maßnahmen begonnen werden. Daneben spricht für frühe gewaltpräventive Maßnahmen das Argument, dass Kinder, die schon in der Vorschule aggressives Verhalten zeigen, es auch in zunehmendem Alter zeigen werden. Damit sind sie später eher gefährdet, delinquent zu werden (Loeber, 1990, zitiert nach Ziegler & Ziegler, 1997, S. 38), so dass ein kriminelles Verhalten wahrscheinlich ist (Petermann & Petermann, 1994, zitiert nach Ziegler & Ziegler, 1997, S. 39). Ein weiteres Argument für eine früh ansetzende Gewaltprävention ist, dass die Kinder mit zunehmendem Alter resistenter gegenüber Veränderungen in ihrem aggressiven und gewaltbereiten Verhalten werden (Cierpka, 2005).
Die vorgelegte Arbeit soll einen Beitrag dazu leisten, schulische Gewalt beziehungsweise deren Entstehung zu erklären, und vor allem Möglichkeiten und konkrete Beispiele der Gewaltprävention zu bieten, um einen kompetenten Umgang mit diesem weitläufigen Gebiet möglich zu machen.
Hierzu ist die Arbeit wie folgt aufgebaut: Im theoretischen Teil erfolgt zunächst eine Annäherung an den Gewaltbegriff. Weiterhin wird der Entstehungsprozess von Gewalt anhand aktueller Forschungsergebnisse aufgrund der Vielschichtig- und Weitläufigkeit von Gewalt ausführlich dargestellt. Um in diesem Themenbereich konstruktiv arbeiten zu können, muss meiner Meinung nach zuerst der theoretische Hintergrund in allen seinen Facetten geklärt werden. Daher fällt der Gliederungspunkt B sehr ausführlich aus. Anfangs wird, nach der Begriffsklärung, auf die psychologischen Erklärungsansätze von Gewalt eingegangen, um nachfolgend die Einflüsse aus der schulischen und außerschulischen Umwelt näher darzustellen. Anschließend wird versucht ein charakteristisches Bild der Beteiligten an Gewaltsituationen, das heißt der Gewalttäter, Gewaltopfer und Zeugen zu geben. Gerade weil Gewalt oft als männertypisches Phänomen (Tillmann, Holler-Nowitzki, Holtappels, Meier, Popp, 2000) angesehen wird, soll auch der geschlechtsspezifische Aspekt, das heißt vor allem auch die Betrachtung der Gewalt unter Mädchen, nicht vernachlässigt werden, der nachfolgend besprochen wird. Ebenso wird das weit verbreitete Vorurteil, dass Schüler aus Migrantenfamilien gewalttätiger wären als deutsche Schüler (Fuchs et al., 1999, zitiert nach Strohmeier, Nestler & Spiel, 2006), diskutiert. An die Betrachtung des Gewaltbegriffs schließt sich ein theoretischer Teil über das Thema der Gewaltprävention an, in dem neben der Klärung des Begriffs konkrete Hilfen und Maßnahmen genannt werden, um in der (Grund-)Schule gewaltpräventiv arbeiten zu können. Darauf folgt der praktische Teil dieser Arbeit, in dem das bayerische Gewaltpräventionsprojekt „aufgschaut“ mit seinen Inhalten und Zielen vorgestellt wird. Anschließend wird die exemplarische Durchführung von Teilbereichen dieses Projekts näher beschrieben, die einen empirischen Teil zum Gewaltverhalten unter Grundschülern beinhaltet.
Durch die Vielzahl der existierenden Gewaltpräventionsprogramme fiel die Entscheidung für ein Projekt anfangs schwer. Naheliegend wäre es gewesen, sich für eines der bekanntesten Gewaltpräventionsprogramme für die Grundschule zu entscheiden. Dies trägt den Namen „Faustlos“ und wurde erstmals 1996 an Grundschulen eingesetzt. Das Curriculum „Faustlos“ fördert Kinder in ihren sozial-emotionalen Kompetenzen und ist hierzu in die Bereiche Empathiefähigkeit, Impulskontrolle und Umgang mit Ärger und Wut aufgeteilt, die innerhalb der ersten drei Grundschuljahre umgesetzt werden. Dafür steht dem, in einer Schulung ausgebildetem Lehrer, ein Materialkoffer zur Verfügung, der Fotofolien, Ideen zu Rollenspielen und zur Vertiefung der Inhalte enthält. „Faustlos“ setzt beim einzelnen Schüler an, will sein impulsives und aggressives Verhalten vermindern und seine soziale Kompetenz erhöhen (Cierpka, 2005).
Im Vergleich zu „Faustlos“ überzeugte „aufgschaut“ vor allem durch den unkomplizierten und spontan möglichen Einsatz im Unterricht. „Aufgschaut“ besteht aus Rollenspielen und Übungen, die sich an der Lebens- und Erfahrungswelt der Schüler orientieren. Nachdem der Klassenlehrer als Multiplikator ausgebildet wird, kann er flexibel und je nach Unterrichtsituation eines der „Spiele“ einsetzen. „Aufgschaut“ ist in mehrere Themenbereiche unterteilt, deren Übungen jeweils eine bestimmte Zielsetzung verfolgen. Der Lehrer hat damit die Möglichkeit, auf auftretende Probleme zu reagieren, indem er eine der dazu passenden Übungen mit den Schülern durchführt. Weiterhin spricht für „aufgschaut“ die vorgeschlagene Dauer des Programms. Das Gesamtprojekt soll über einen Zeitraum von zwei Jahren umgesetzt werden, was den Vorteil hat, dass der Klassenlehrer das Projekt in den zweijährigen Turnus einer Klasse einbauen kann. Im Gegensatz zu „Faustlos“, das bei den Tätern und Opfern ansetzt, spricht „aufgschaut“ vor allem die Opfer und Zeugen einer Gewaltsituation an, die in ihrem Selbstbewusstsein und ihrem zivilcouragierten Verhalten gestärkt werden, damit sie den Gewalttätern zukünftig kompetent begegnen können. Dies hängt unter anderem auch damit zusammen, dass in der Grundschule mehr Opfer als Täter identifiziert wurden (Schäfer & Albrecht, 2004). Hierzu vermittelt „aufgschaut“ konkrete Handlungsstrategien, die in den Rollenspielen und Übungen eingeübt werden und damit auf Gewaltsituationen vorbereiten. Daneben fördert „aufgschaut“ neben den einzelnen Kompetenzen des Schülers auch die Gemeinschaft der Schüler durch Teamübungen, was die Klassengemeinschaft unterstützt. Die Hauptziele von „aufgschaut“ sind Zivilcourage und Vertrauen auf sich selbst (Gaska & Frey, 2003), was auch in der momentanen Diskussion über die Werteerziehung bayerischer Schüler ein großes Thema ist. Die bayerische Staatsregierung hat hierzu im Frühjahr diesen Jahres eigens eine Initiative unter dem Motto „Werte machen stark“ an bayerischen Schulen ins Leben gerufen, damit Werteerziehung und Persönlichkeitsbildung in der Schule einen höheren Stellenwert bekommt (Autor unbekannt, 2007b). „Aufgschaut“ überzeugt daher auch durch den Aktualitätsfaktor.
Aus den oben genannten Gründen entschied ich mich für das eher noch unpopuläre Gewaltpräventionsprojekt „aufgschaut“, auch um eigene Erfahrungen zu sammeln und nicht ausschließlich auf Erfahrungen anderer aufzubauen. Daneben klang es für mich mit seinen Zielen und Inhalten sehr vielversprechend, wodurch meine Neugier auf die Reaktionen der Schüler und die Effektivität in der Schule geweckt wurde.
Im abschließenden Resümee wird die Notwendigkeit von Gewaltprävention im Hinblick auf die heutige Gesellschaft näher beleuchtet.
Eine Arbeit zum Thema Gewaltprävention benötigt zu aller erst eine Klärung der Begriffe Gewalt und Prävention. Allerdings kann eine Definition dieser Begriffe nie den Anspruch auf Vollständigkeit oder Eindeutigkeit erheben (Fuchs et al., 2005). Im Folgenden wird versucht, eine möglichst breite Definition des Gewaltbegriffs zu geben. Auf den Begriff der Prävention wird unter Punkt C 1 „Klärung de Begriffs Gewaltprävention“ näher eingegangen.
„Der Begriff Gewalt ist schillernd und vieldeutig; weder im Recht noch in der Wissenschaft gibt es einen umfassenden Konsens über den Begriff Gewalt“ (Neidhardt, 1986; Honig, 1992; Trotta, 1997, zitiert nach Melzer, Schubart & Ehinger, 2004, S. 44). Tillmann et al., (2000) sortieren den Begriff Gewalt in Anlehnung an Willems (1993) und Hansel (1994) in eine enge und eine weite Definition. Zur engen Definition zählen die physische Schädigung und der körperliche Zwang. Hier handelt es sich meist um Konflikte zwischen zwei oder mehreren Personen, wobei mindestens eine dieser Personen der jeweils anderen mit physischen Mitteln, beispielsweise durch Körperkraft, schadet. Diese körperliche Schädigung, wie beispielsweise eine Ohrfeige, ein gebrochener Arm oder lebensgefährliche Verletzungen, wird sowohl im Alltag als auch in der Wissenschaft klar als Gewalt definiert. Allerdings wird hier darauf hingewiesen, dass diese enge Definition von Gewalt mit Vorsicht zu genießen ist. Kann jede Ohrfeige, jeder Klaps auf den Hintern eines Kindes oder jeder Boxkampf tatsächlich immer als gewalttätiges Handeln bezeichnet werden? Die Kriterien „körperlicher Zwang“ und „Schädigungsabsicht“ reichen also nicht aus, um eine Handlung als gewalttätig einzustufen. Zusätzlich kommt es auf die normativen Momente an, also jene Situationen, in denen der physische Zwang als moralisch unangemessen eingeordnet wird. Hier muss auch bedacht werden, dass sich normative Vorstellungen im Laufe der Zeit verändern können. Deutlich erkennbar ist das am Beispiel Schule: Bis in die 60er-Jahre hinein war es Volksschullehrern erlaubt, männliche Schüler auch körperlich zu strafen. Heute gilt diese Form der Erziehung als körperliche Gewalt und ist zudem strafbar. „Die Definition von bestimmten Handlungen als ‚körperliche Gewalt’ folgt damit auch immer einem normativen Verständnis, das zeitlich-historisch gebunden ist“ (Tillmann et al., 2000, S. 20).
In die Definition von körperlicher Gewalt sollte nach Meinung der Autoren auch die Androhung von Gewalt und die Gewalt gegen Sachgegenstände (Vandalismus) eingeschlossen werden. Zusammenfassend gilt für die enge Definition von Gewalt: „Gewalt ist dann zu verstehen, ‚als die intentionale Ausübung physischer Stärke durch Menschen, die sich unmittelbar oder mittelbar gegen andere Mitglieder der Gesellschaft richtet, sowie die ernsthafte Androhung eines solchen physischen Krafteinsatzes, die sich auf den Rahmen einer sozialen Interaktion beschränkt’“ (Böttger & Lang, 1996, S. 6, zitiert nach Tillmann et al., 2000, S. 20).
Doch wozu zählen Gewaltformen, die weniger offensichtlich sind wie die körperliche Gewalt? Wo lassen sich verbale Gewalt oder Mobbing, also Gewaltformen, wie unter Druck setzen, lächerlich machen, hänseln, ausgrenzen oder bloßstellen, einordnen, die in den Schulen am Häufigsten auftreten (Fuchs et al., 2005 ; Sailer, 2004)? An dieser Stelle erweitert das Autorenteam seinen bisher relativ engen Gewaltbegriff: „Indem man einzelne ausgrenzt oder abwertet, indem man sie beleidigt, erniedrigt oder emotional erpresst, wird eine Person oft viel stärker ‚verletzt’ als durch einen Tritt gegen das Schienbein“ (Tillmann et al., 2000, S. 20). Olweus (2003, S. 437) definiert Mobben wie folgt: „Ein Schüler oder eine Schülerin ist Gewalt ausgesetzt oder wird gemobbt, wenn er oder sie wiederholt und über eine längere Zeit den negativen Handlungen eines oder mehrerer anderer Schüler oder Schülerinnen ausgesetzt ist“. Hierzu gehören laut Olweus (1996) verbale Verletzungen, wie drohen, verspotten, hänseln oder beschimpfen. Aber natürlich auch Verletzungen durch Körperkontakt, wie treten, stoßen, kneifen oder festhalten. Eine negative Handlung kann aber auch nonverbal, beispielsweise durch Fratzenschneiden, schmutzige Gesten oder den Ausschluss aus einer Gruppe, geschehen. Gewalt kann von einer Person oder von einer Gruppe ausgehen und sich entweder gegen eine oder mehrere Personen richten. Für Lehrer ist es wichtig zu wissen, dass Gleichaltrige täglich in der Schule während ihren sozialen Interaktionen immer wieder mit Hänseleien konfrontiert werden. Diese können spielerischen, aber auch einen abwertenden oder offensiven Charakter haben. Ab diesem Zeitpunkt, vor allem wenn das Opfer sich dagegen wehrt, ist von Gewalt beziehungsweise Drangsalieren zu sprechen, wobei die Grenze zwischen Spiel und Ernst oft schwer zu erkennen ist. Daher können drei Kriterien benannt werden, um Mobben zu identifizieren: Der Begriff Gewalt kann nur dann gebraucht werden, wenn ein Verhalten erstens über einen längeren Zeitraum, zweitens beabsichtigt durchgeführt wird und drittens ein asymmetrisches Kräfteverhältnis zwischen zwei Personen vorliegt. Dabei ist der schwächere Schüler dem Täter, der negative Handlungen an ihm ausübt, hilflos ausgeliefert (Olweus, 2004). Außerdem ist es sinnvoll zwischen unmittelbarer, das heißt offenen Angriffen und mittelbarer Gewalt, also Formen von gesellschaftlicher Ausgrenzung, zu unterscheiden (Olweus, 1996).
Differenziert werden kann der Gewaltbegriff auch mit zu Hilfenahme des Begriffs Bullying, der als „systematische und wiederholte Aggression gegenüber Schwächeren und bestimmter zeitlicher Erstreckung angesehen wird“ (Schäfer, 1997a, zitiert nach Jäger, 1999, S. 205). Nachdem der oben beschriebene Begriff des Mobbing vor allem für die Gewalt am Arbeitsplatz verwendet wird, bezieht sich Bullying auf die verbale beziehungsweise psychische Gewalt in der Schule. Massive Formen verbaler Gewalt, wie beispielsweise Lügen verbreiten, verspotten und hänseln, die mit Bullying bezeichnet werden, belasten die Schüler stark (Fuchs et al., 2005).
Im Bezug auf die Institution Schule muss allerdings neben der Gewalt, die von Personen gegen Personen ausgeübt wird, auch die Gewalt beachtet werden, die vom System Schule ausgeht. Diese Form von Gewalt wird als „institutionelle Gewalt“ (Lenk, 1982, S. 32, zitiert nach Tillmann et al., 2000, S. 22) bezeichnet. Wenn man noch einen Schritt weiter geht, stößt man auf den Begriff der „strukturellen Gewalt“ des skandinavischen Friedensforschers Johan Galtung. Strukturelle Gewalt geht demnach nicht von einem Täter aus, sondern ist ein Dauerzustand, wie Armut oder Unterdrückung. Nach Galtung (1975, S. 9, zitiert nach Tillmann et al., 2000, S. 22) ergibt sich für die Definition von struktureller Gewalt: „Gewalt liegt dann vor, wenn Menschen so beeinflusst werden, dass ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre potentielle Verwirklichung“. In diesem Fall wird Gewalt entpersonalisiert. Schüler stehen der Übermacht Schule gegenüber, die durch Notendruck, Stoffplan, Versetzungszeugnis oder Schulklingel Gewalt auf sie ausübt. Zur strukturellen Gewalt in der Schule gehören auch Leistungsdruck, repressive Unterrichts- und Erziehungsmethoden und Selektion (Sailer, 2004). Allerdings sprechen sich laut Tillmann et al. (2000) zahlreiche Sozialwissenschaftler, wie Willems, Schwind und andere dafür aus, die Definition der strukturellen Gewalt enger zu fassen. Demnach können Armut, Ungleichgewicht und Unterdrückung Ursachen für Gewalt sein, aber nicht Gewalt selbst.
Neben der Definition des Begriffs Gewalt sollten aber nach Tillmann et al. (2000) benachbarte Begriffe wie Aggression beziehungsweise Aggressivität, die hauptsächlich in der Psychologie verwendet werden, betrachtet werden.
Nach Nolting (1993, S. 91, zitiert nach Knopf, 1996, S. 38) steht aggressives Verhalten für jede Aktivität, für „jedes In-Angriff-Nehmen, jede Selbstbehauptung und jedes tatkräftige Handeln“. Dies wird zurückgeführt auf die lateinische Abstammung des Wortes aggressiv von „aggredi“, was soviel heißt wie angreifen oder in Angriff nehmen (Knopf, 1996). Unter Aggression werden solche Verhaltensweisen zusammengefasst, bei denen „ein gerichtetes Austeilen schädigender Reize erkannt wird“ (Lösel, 1990, S. 10, zitiert nach Tillmann et al., 2000, S. 23 f.). Nach Krahé & Greve (2006) wird aggressives Verhalten angewendet, um anderen Menschen zu schaden. Dazu gehören die physische, verbale oder relationale Aggression. Wichtig ist nach Selg (1994) auch zwischen verschiedenen Aggressionsformen zu unterscheiden. Hier wird die verbale Aggression der körperlichen Aggression gegenübergestellt, aber auch die affektbegleitete, das heißt wütend-feindselige Aggression von instrumenteller Aggression getrennt. Die affektbegleitete Aggression strebt meist die Befreiung von Spannungen und damit teilweise auch den Schaden des Opfers an, während die instrumentelle Aggression ein Ziel erreichen will und dabei nicht zwingend Schaden zufügen will. In diesem Zusammenhang muss nach Selg (1994) auch zwischen Fremd- und Autoaggression, individueller Aggression und Großgruppenaggression, spontaner und reaktiver Aggression unterschieden werden. Bedacht werden muss in jedem Fall, dass Aggressivität immer nur im sozialen Kontext interpretiert werden kann und soll (Witte, 1994, zitiert nach Kienast, Hein, Wrase, 2007, S. 28).
Auch wenn bei den Begriffen Gewalt und Aggression im Bereich der Schule Überschneidungen bestehen, ist zu beachten, dass beispielsweise die Gewalt gegen Sachen (Vandalismus) nicht als Aggression bezeichnet werden kann (Tillmann et al., 2000). Gemeinsam haben beide Begriffe die körperliche und psychische Schädigung anderer. Daher schlägt Melzer (2006b) vor, „den Aggressionsbegriff eher für persönlichkeitsinterne Prozesse [...] sowie zur Charakterisierung von Personen [...] zu wählen und den Gewaltbegriff für eine umfassende Leittheorie, durch welche die Erscheinungsformen und -ebenen, die Einflußfaktoren sowie die Steuerungsmechanismen des Handelns erfaßt werden können, zu reservieren“ (Forschungsgruppe Schulevaluation 1998, S. 37 ff., zitiert nach Melzer, 2006b, S. 13).
Gewalt ist somit als Untergruppe der Aggression zu verstehen, da diese sich meist gegen andere richtet (Tillmann et al., 2000).
Neben den bisher erläuterten Begriffen der Gewalt und Aggression soll noch auf den aus der Sozialforschung verwandten Begriff der Devianz eingegangen werden, der ein abweichendes Verhalten von Schülern bezeichnet (Tillmann et al., 2000). Durch die Normierung des Verhaltens der Schüler durch die Schule entstehen ständig Abweichungen. Beispiele schuldevianten Verhaltens können die Beschädigung der Schuleinrichtung oder das Beschimpfen des Lehrers sein. Das Schwänzen der Schule, das Mogeln bei Schulaufgaben oder die Fälschung einer Unterschrift können hingegen laut Tillmann et al. (2000) nicht als Devianz bezeichnet werden.
Nachdem der Begriff der Gewalt ausführlich dargestellt wurde, soll im Folgenden auf die Entstehung von Gewalt im Kontext der Schule näher eingegangen werden.
Bei den psychologischen Aggressionstheorien wird nach Horstmann & Müller (1995) zwischen Trieb- beziehungsweise Instinkttheorien, der Frustrations-Aggressions-Theorie, psychologischen Lerntheorien, Etikettierungstheorien und dem sozialökologischen Ansatz unterschieden. Alle diese Theorien sind auf das Individuum bezogen und können daher nicht ohne Weiteres auf Gruppen angewendet werden. Im Folgenden sollen die genannten Theorien kurz vorgestellt und in ihrer Bedeutung für die schulische Arbeit und insbesondere für die Gewaltprävention interpretiert werden.
„Begründer dieser Theorie ist Sigmund Freud, der den Trieb als eine Komponente der Psyche definiert, die einen Zustand der Erregung auslöst, welche den Organismus zum Tätigwerden antreibt“ (Freud, 1991, S. 479, zitiert nach Ziegler & Ziegler, 1997, S. 46). Demnach wird ein Trieb, das heißt eine gerichtete Energie vorausgesetzt, die in aggressiven Handlungen abgegeben wird (Horstmann & Müller, 1995). Freud sah Aggression zunächst als Reaktion auf eine Frustration, um Lustgewinn zu sichern. Später entwickelte er eine duale Triebtheorie. Hier steht der Destruktions- beziehungsweise Todestrieb dem Lebenstrieb gegenüber (Zimbardo, 2004), wobei Aggression der nach außen gerichtete Teil des Destruktionstriebes ist (Selg, 1988, zitiert nach Ziegler & Ziegler, 1997, S. 46). Nach Freud (1991, zitiert nach Ziegler & Ziegler, 1997, S. 46) muss der Mensch seine destruktive Energie immer nach außen richten, um seine Spannung zu reduzieren und sich nicht selbst zu zerstören. Nach der Triebtheorie entstehen aggressive Handlungen durch eine angeborene Aggressivität. Diese entsteht spontan und drängt nach einer Phase des Hochschaukelns zur Entladung durch eine Handlung, um sich dann wieder zu beruhigen. Die psychoanalytische Triebtheorie hat in der heutigen Aggressionsforschung nur noch wenig Einfluss (Ziegler & Ziegler, 1997).
Die Instinkttheorie wurde besonders von Konrad Lorenz und Irenäus Eibl-Eibesfeld geprägt. Demnach ist Aggressivität ein angeborenes Verhalten, das wichtig für die Arterhaltung ist (Lorenz, 1963, zitiert nach Ziegler & Ziegler, 1997, S. 51). In ihrem Ansatz ist die Instinkttheorie mit der oben beschriebenen Triebtheorie zu vergleichen. Genau wie hier werden instinktive, aggressive Energien vorausgesetzt. Im Unterschied zur Triebtheorie dienen diese Energien aber der erfolgreichen Arterhaltung und sind somit nützlich und lebensnotwendig (Stroebe, 1990, zitiert nach Ziegler & Ziegler, 1997, S. 51). Nach Konrad Lorenz ist Aggression „ein Instinkt wie jeder andere und unter natürlichen Bedingungen auch ebenso lebens- und arterhaltend“ (Lorenz, 1963, zitiert nach Martin, 2003, S. 30). Störungen, wie Hyperaktivität oder Aufmerksamkeitsmangel können, wenn sie bereits im frühen Kindesalter auftreten, angeboren sein (Silberg et al, 1996, zitiert nach Melzer et al., 2004, S.18). Allerdings kann ein genetischer Einflussfaktor bei aggressivem Verhalten nicht empirisch belegt werden, was die oben beschriebene Instinkttheorie widerlegt (Melzer et al., 2004). Laut Bohmann (1996, zitiert nach Melzer et al., 2004, S.18) erhöht sich das Kriminalitätsrisiko um das 13-fache, wenn Umwelteinflüsse und genetische Faktoren zusammenwirken. Im Bezug auf schulische Präventionsmöglichkeiten ist laut Melzer et al. (2004) zu beachten, dass einige Elemente der Triebtheorien hilfreich für die Erklärung der kindlichen und jugendlichen Aggressivität sein können. Zur kindlichen beziehungsweise jugendlichen Natur gehören emotionale Spannungszustände, Aktivitäts- und Bewegungsdrang und Risikobereitschaft, die nach Befriedigung verlangen. Dies sollte in der Pädagogik, besonders in der Grundschule, durch das Schaffen von Frei-, Spiel- und Erlebnisräumen berücksichtigt werden. Jedoch müssen hier Spielregeln aufgestellt und Rituale eingeführt werden, damit die Grenze des Spiels nicht überschritten wird.
Nach der Frustrations-Aggressions-Hypothese sind Frustrationen Folgen von Aggressionen und führen selbst wieder zu Aggressionen (Horstmann & Müller, 1995). Diese Hypothese wurde 1939 von Dollard et al. (1970, zitiert nach Ziegler & Ziegler, 1997, S. 53) auf der Grundlage der älteren Triebtheorien Freuds formuliert. Frustration führt demnach immer zu Aggression. In diesem Zusammenhang wurde die sogenannte „Katharsishypothese“ (Selg, 1988, 34 f., zitiert nach Martin, 2003, S. 52) aufgestellt. Es wird danach gefragt, welche Rückwirkung das aggressive Verhalten auf die es auslösenden Frustrationen hat. Dollard et al. (1939, zitiert nach Martin, 2003, S. 52) vertraten die Meinung, dass die aggressive Energie durch aggressive Handlungen verbraucht beziehungsweise reduziert wird. Diese Reaktion wird auch als „kathartischer Effekt“ (Martin, 2003, S. 52) bezeichnet. Allerdings muss in diesem Zusammenhang beachtet werden, dass nicht auf jede Frustration eine aggressive Handlung folgen muss (Gratzer, 1993, zitiert nach Ziegler & Ziegler, 1997, S. 53) „[...] sondern das Verhalten abhängig ist von der individuellen Attribution des Ereignisses“. Dies wird auch als Mangel an der Frustrations-Aggressions-Hypothese gesehen, da nicht festgestellt werden kann unter welchen Voraussetzungen oder Bedingungen eine Frustration zu einer aggressiven Handlung oder zu Flucht, Resignation und körperlichen Beschwerden führen wird (Wahl, 1984, zitiert nach Ziegler & Ziegler, 1997, S. 53). Die Frustrations-Aggressions-Hypothese wird als eine der angesehensten Theorien vertreten und kann auch im Bezug auf die Grundschule angewendet werden. Unreflektiert könnte man davon ausgehen, dass man als Lehrer Schüler nicht frustrieren darf, um bei ihnen kein aggressives Verhalten auszulösen. Doch solch ein erzieherisches Verhalten bewirkt bei den Schülern oft das Gegenteil. Kinder müssen vielmehr lernen mit Enttäuschung und Frust umzugehen und eine ausreichende Frustrationstoleranz aufbauen (Ziegler & Ziegler, 1997). Allerdings sollten Lehrer nach Melzer et al. (2004) sowohl die individuelle Frustrationsschwelle des einzelnen Schülers beachten als auch die Frustrationen durch schulische Misserfolge, persönliche Herabsetzungen und Demütigen möglichst vermeiden. Anerkennung und Erfolge sollen dagegen gefördert werden. Daneben ist es wichtig, dass Schüler „den bewussten und kontrollierten Umgang mir Frustrationen erlernen“ (Melzer et al., 2004, S. 59).
Die Lerntheorien nehmen an, dass zur Erklärung aggressiven Verhaltens im Gegensatz zu den bisher genannten Trieb- und Frustrationstheorien nicht ein spezifischer Faktor benötigt wird, sondern dass Aggressionen auf Lernvorgängen basieren. In diesem Zusammenhang werden drei Typen des Lernens genannt: Lernen am Modell, Lernen am Erfolg beziehungsweise Misserfolg und kognitives Lernen, auf die nachfolgend eingegangen werden soll (Schubarth, 2000).
Das Lernen am Modell wurde von Albert Bandura geprägt, der die These vertritt, dass Lernen durch Beobachtung beziehungsweise Nachahmung geschieht (Schubarth, 2000). Hierzu führte er Experimente durch, bei denen er verschiedenen Experimentalgruppen von Jungen und Mädchen Filme mit aggressiven Handlungen eines Helden zeigte. Dadurch konnten die Erkenntnisse gewonnen werden, dass Kinder vieles über die Nachahmung von Modellen aus der Realität, aber auch aus Filmen lernen. Begünstigt wird die Übernahme des Verhaltens, wenn die Modelle Erfolg mit ihren Handlungen und ein hohes Prestige haben (Martin, 2003), aber auch wenn das Modell Macht ausstrahlt, die Beziehung zwischen Modell und Beobachter positiv ist und wenn die Beobachter im Vorfeld eine Frustration erlebt haben (Melzer et al., 2004). Ebenso konnte herausgefunden werden, dass die Nachahmung vom Modell, vom Beobachter, von deren Beziehung zueinander und von der Situation abhängt (Schubarth, 2000). Hierbei ist auch zu nennen, dass es nicht selbstverständlich ist, dass das Modellverhalten sofort ausgeübt wird, da es auch erst einmal im Gedächtnis gespeichert werden kann, um es später auszuführen. Als wichtige Modelle gelten vor allem die eigenen Eltern, Personen aus dem Freundeskreis, aber auch Modelle aus den Massenmedien. Beim Lernen am Erfolg beziehungsweise Misserfolg sind die Konsequenzen des eigenen Handelns entscheidend für den Lernprozess (Melzer et al., 2004). Bisher erlebte Erfolgs- oder Misserfolgserfahrungen lehren das Individuum die neuen Verhaltensweisen in zukünftigen Situationen anzuwenden. Experimente zeigten, dass sich Aggressionen bei Kindern verstärken, wenn sie für ihr aggressives Verhalten gelobt werden. Nach dem Prinzip der intermittierenden Verstärkung wirkt die Verstärkung gelegentlicher Erfolge mehr als die ständige Bestärkung. Das bedeutet, dass aggressives Verhalten nach und nach vermindert wird, wenn es erfolglos bleibt oder gar negative Konsequenzen mit sich bringt (Schubarth, 2000). Beim kognitiven Lernen werden aggressionsrelevante Begriffe, wie „Freund“ oder „Feind“, Denkmuster, Handlungsweisen und Methoden gelernt. Kognitives Lernen bedeutet also, dass Wissen gebildet wird. Entsprechend dieses Vorwissens werden bestimmte Handlungen ausgeführt, da die Überzeugungen und Handlungsmuster des Individuums beeinflusst werden (Melzer et al., 2004). Die vorgestellten Lerntheorien haben große Bedeutung für die Schule. Besonders das Lernen am Modell findet sich im schulischen Zusammenhang häufig. Hier können Lehrer, aber auch Schüler Modelle für andere Schüler sein. Je öfter aggressives und gewalttätiges Verhalten toleriert oder sogar verstärkt wird, desto häufiger wird es ausgeführt werden (Schubarth, 2000). Eine Reduktion von Aggressivität kann unter anderem durch die sogenannte differentielle Verstärkung geschehen. Demnach sollte aggressivem Verhalten kaum Beachtung geschenkt, erwünschtes Verhalten dagegen aber verstärkt werden. Die Erziehung kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass Kinder und Jugendliche im Rahmen des kognitiven Lernens prosoziale Denk- und Verhaltensweisen erlernen (Melzer et al., 2004).
Ausgehend von der Problematik der Verwendung der Begriffe „abweichend“, „delinquent“ oder „kriminell“ entwickelte sich der Etikettierungsansatz beziehungsweise der „labeling approach“ (Schubarth, 2000). Innerhalb dieser Theorie geht es um die Festsetzung von Normen, was meist durch Machtinhaber geschieht. Erst wenn Normen bestehen kann ein bestimmtes Verhalten als abweichend bezeichnet werden. Charakteristisch für diese Theorie ist die Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Devianz. Mit primärer Devianz wird das abweichende Verhalten bezeichnet, zur sekundären Devianz zählen die Reaktionen der sozialen Umwelt und die Zuschreibung von Rollen (Melzer et al., 2004). Diese Etikettierung aufgrund einer primären Devianz engt die Person in ihrem Handeln ein und kann dazu führen, dass sie das abweichende Handeln fortsetzt, um ihrer, durch die sekundäre Devianz, entstandenen Rolle entsprechen zu können (Schubarth, 2000). An dieser Stelle wird dieser Ansatz interessant für die Schule. Hier laufen laut Bründel & Hurrelmann (1994, zitiert nach Melzer et al., 2004, S. 66) solche Etikettierungsprozesse ab, so dass Schüler durch Vorurteile in eine bestimmte Rolle gedrängt werden, eventuell in die des aggressiven Schülers. Nach und nach können sich diese Typisierungen verfestigen und zu Stigmatisierungen führen, aus denen sich der Schüler nicht mehr befreien kann und so dieses ursprüngliche Fremdbild in ein Selbstbild umwandelt. Diese Prozesse können aber auch in die andere Richtung geschehen, so dass negativ etikettierte Kinder aus ihrer Rolle wieder herausfinden können, indem sie in ihren positiven Verhaltensweisen durch ihr soziales Umfeld bestärkt werden (Melzer et al., 2004). Für Lehrer ist es nach Schubarth (2000) notwendig, sich die Stigmatisierungsprozesse bewusst zu machen und Strategien zu entwickeln, die diesen Prozessen entgegenwirken. In der Grundschule kommt es häufig vor, dass Schüler andere Schüler (zu Unrecht) beschuldigen. In diesem Fall sollte der Lehrer aufmerksam sein. Hilfreich kann es sein, die Schüler dazu anzuhalten, darauf zu achten, ob sich ein anderer Schüler kooperativ und hilfsbereit verhält und nicht mehr darauf, ob er irgendetwas angestellt hat. Dadurch achten die Kinder mehr auf gezeigtes positives Verhalten und nicht mehr auf verbotenes oder negatives Verhalten. Durch die Änderung und Erweiterung ihres Blickwinkels lernen die Schüler an ihren Mitschülern positive Eigenschaften kennen (Ziegler & Ziegler, 1997).
Dieser Ansatz behandelt die Frage, ob die Umwelt, in diesem Fall speziell die Einrichtung Schule, Einfluss auf das Gewaltverhalten von Kindern und Jugendlichen hat. Nach den sozialökologischen Theorieansätzen gestaltet der Mensch seine Entwicklung selbst und wird als sich selbst reflektierendes Individuum gesehen (Bronfenbrenner, 1976, zitiert nach Melzer et al., 2004, S. 67). Demnach ist der Mensch nicht nur das Produkt seiner Umwelt, sondern gestaltet sie mit. Weiter wird von den sozialökologischen Theorien hervorgehoben, dass zwischen dem Mensch und seinen ihn umgebenden Umweltsystemen Wechselbeziehungen bestehen. Der Mensch handelt durch Interaktionen und gelangt so sowohl zu Erkenntnissen als auch zum Erwerb von Kompetenzen und Fähigkeiten (Melzer et al., 2004). Die Grundannahme besteht darin, „daß Gewalt bei Schüler/innen das Resultat aus der subjektiven Verarbeitung von Wechselbeziehungen zwischen innerschulischen Umweltbedingungen und individuellen Persönlichkeitsmerkmalen des Schülers wäre“ (Moos, 1979; Dreesmann, 1982, zitiert nach Holtappels, 1997, S. 27). Der Schüler setzt die Einflüsse der Lern- und Sozialumwelt der Schule mit seiner subjektiven Verarbeitung in Beziehung und betrachtet sie in Hinblick auf die Interaktionen. Die Annahme, dass Menschen beziehungsweise Schüler den Dingen gegenüber danach handeln, welche Bedeutung sie für sie besitzen, stammt aus dem symbolischen Interaktionismus. Damit sind alle Erfahrungen und Strukturen, die Schüler wahrnehmen wichtige Faktoren für ihre Persönlichkeitsentwicklung und können demnach Aggression, Gewalt oder schulabweichendes Verhalten fördern (Melzer at al., 2004). Der sozialökologische Ansatz geht also davon aus, „dass eine problembegünstigende schulische Umwelt mit zur Entstehung von Aggression und Gewalt beiträgt“ (Melzer et al., 2004, S. 69).
Zusammenfassend kann man sagen, dass jede dieser Theorien den Anspruch erhebt, die Entscheidende zur Erklärung von Gewalt zu sein. Allerdings kann es aufgrund der Vielschichtigkeit von Aggression und Gewalt, die unter B 1 näher beleuchtet wurde, keine einzige, homogene Erklärung geben, die alle Erscheinungsformen der Gewalt beinhaltet. Die Trieb- und Instinkttheorien lokalisieren die Entstehung von Gewalt in der Person, was in der Konsequenz für die Grundschule bedeutet, dass der Lehrer im Rahmen einer Prävention kaum Möglichkeiten hat, dagegen anzugehen. Demnach sind die Theorien über die angeborene Aggression aus pädagogischer Sicht nicht besonders wertvoll. In der Frustrationstheorie geht man von situativen Auslösern aus, die Aggression begünstigen können. In der Lern- und Etikettierungstheorie und dem sozialökologischen Ansatz geht es ebenfalls um die Beziehung zwischen einer Situation und der Reaktion des sozialen Umfelds. Da die Entstehung von Gewalt von vielen verschiedenen Faktoren abhängt, die im Folgenden angesprochen werden, kann dieser Prozess nicht mit nur einer einzigen Theorie erklärt werden. Vielmehr sollte hier ein multikausaler Ansatz angewendet werden, um hilfreiche pädagogische Konsequenzen zur Verminderung von Gewalt in der Grundschule zu finden (Ziegler & Ziegler, 1997).
Welchen Einfluss der schulische Kontext auf die Gewaltentwicklung bei Schülern hat beziehungsweise welche Determinanten besonders gewaltfördernd- oder mindernd wirken, soll im Folgenden näher erläutert werden.
Im Zusammenhang von Gewalt und schulischen Voraussetzungen kann man laut Ziegler & Ziegler (1997) nicht von Ursachen für Gewalt, sondern eher von gewaltauslösenden Faktoren sprechen. Im Folgenden sollen verschiedene Faktoren, die gewalttätiges Verhalten begünstigen können, entnommen aus unterschiedlichen Studien, vorgestellt werden.
An „guten“ Schulen, die sich durch „hohe Anteilnahme der Lehrer an den Problemen der Schüler, gute Kooperation der Lehrkräfte und integrativen Führungsstil des Schulleiters“ (Fend, 1986, zitiert nach Valtin, 1995, S. 13) auszeichnen, lassen sich aggressive Verhaltensweisen und Vandalismus nur selten verzeichnen. Schüler, die sich einer „guten“ Schule zugehörig fühlen zeigen weniger körperliche Aggression so dass gesagt werden kann, dass körperliche Aggression unter anderem von der Zugehörigkeit einer Schule abhängt.
Unter ungünstige schulökologische und schulorganisatorische Bedingungen fallen auch die Klassenstärke und die Größe des Klassenzimmers (Ziegler & Ziegler, 1997). Schulklassen mit über 30 Schülern beziehungsweise Schulen mit über 800 bis 900 Schülern fördern Anonymität und Isolation und sind damit ungünstige Ausgangsfaktoren für eine gewaltfreie Schule (Bründel & Hurrelmann, 1994, zitiert nach Ziegler & Ziegler, 1997, S. 108). Hier berichten Funk & Passenberger (2004) aufgrund ihrer mehrebenenanalytischen Untersuchung an Nürnberger Schulen von 1994, dass der Aspekt der Schulgröße nur hinsichtlich Vandalismus gilt. „Je mehr Schüler eine Schule besuchen, umso mehr vandalistische Handlungen werden individuell berichtet“ (Funk & Passenberger, 2004, S. 259). Nach der Studie von Tillmann et al. (2000) ist es schwierig den Faktor der Schulgröße zu untersuchen, da in den meisten Studien unterschiedliche Definitionen über die Größe der Schule vorliegen. Daneben ist es problematisch Schulen hinsichtlich ihrer Größe auf Gewalthandlungen zu untersuchen, da die am stärksten gewaltbelasteten Schulen für Lernhilfe zu den kleineren Schulen zählen, Realschulen zu den mittelgroßen Schulen und die am wenigsten gewaltbelasteten Gymnasien zu den größeren Schulen. Daher gibt es hier keinen Beleg dafür, dass gewalttätiges Verhalten in Zusammenhang mit der Anzahl der Schüler steht. Allerdings treten in größeren Klassenzimmern nach einer Untersuchung von Bach (1987, zitiert nach Ziegler & Ziegler, 1997, S. 108) verbale Aggressionen und physische Gewalt seltener auf als in kleineren Klassenräumen.
Hinsichtlich der Schulform gibt die Untersuchung von Tillmann et al. (2000) Aufschluss. Hier muss zwischen verbaler und psychischer Gewalt differenziert werden, wobei man sagen kann, dass bezogen auf alle Gewaltformen in den Schulen für Lernhilfe die höchsten Werte festzustellen sind, während in Gymnasien die niedrigsten Werte gemessen wurden. „Durchgängig zeigt sich, dass Gewalt von Schülern mit steigendem Bildungsaspirationsniveau abnimmt“ (Fuchs et al., 2005, S. 22). Bezogen auf die körperliche Gewalt stehen die Schulen für Lernhilfe an erster Stelle, gefolgt von den Hauptschulzweigen, den integrierten Gesamtschulen, den Realschulzweigen und den gymnasialen Bildungsgängen (grundständigen Gymnasien und Gymnasialzweige an kooperativen Gesamtschulen)[2]. Bei den psychischen Gewaltformen kommen an integrierten Gesamtschulen und an Schulen für Lernhilfen am häufigsten Gewalthandlungen vor, gefolgt vom Hauptschul- und Realschulzweig und den gymnasialen Bildungsgängen. Allerdings sind die Differenzen bei psychischer Gewalt recht gering. Psychisches Drangsalieren und verbale Attacken kommen in allen Schulformen relativ häufig vor. Aber nicht nur die Schulform ist für das Gewaltverhalten von Schülern verantwortlich, sondern vor allem auch die soziale Zusammensetzung der Schülergruppe und ihre Problembelastung (Fuchs et al., 2005). Insgesamt kann man sagen, dass die Gewaltbelastung an Schulen mit überproportional vielen Schülern mit Lernproblemen und Schulversagen höher ist als an Schulen an denen ein ausgewogenes Leistungsniveau besteht, da das Konfliktverhalten der Schüler eher von aggressiven Mustern geprägt ist (Tillmann et al., 2000).
Als entscheidender Faktor, der das Gewaltverhalten bei Schülern begünstigt, wird das Sozialklima gesehen (Holtappels & Tillmann, 1999). Hierzu zählen vor allem die fehlende Bestätigung der Mitschüler, Stigmatisierungen und Etikettierungen durch die Lehrer, Konkurrenzverhalten der Schüler untereinander und eine selbst empfundene Position als Außenseiter. Diese Faktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schüler ein gewalttätiges beziehungsweise aggressives Verhalten zeigt. Knopf (1996, S. 75) nennt als Ursachen beziehungsweise fördernde Faktoren schulischer Gewalt ein „negatives, soziales/emotionales Klima, Anonymität und Isolierung, Vorherrschen von reaktivem und restriktivem Verhalten, Regellosigkeit und Inkonsequenz oder Verreglementierung“. Die genannten Schulqualitätsmerkmale unterscheiden laut empirischer Untersuchungen Schulen, an denen häufig Gewalt auftritt von denen, die ein geringeres Gewaltaufkommen verzeichnen können (Knopf, 1996). Weitere Faktoren, die das Gewaltverhalten von Schülern auf schulischer Ebene begünstigen können, sind „zu große Klassen, zu geringe Lehreranzahl, Überlastung der Lehrerschaft, fehlende Kompetenzen von Lehrern, geringe Autorität der Lehrer, hoher Leistungsdruck für Schüler, hoher Ausländer- beziehungsweise Aussiedleranteil, Fehlen männlicher Lehrpersonen, schulischer Gebäudezustand usw.“ (Schubarth, 2000, S. 96). „Gewaltfördernde Faktoren sind auch ungünstige schulökologische und schulorganisatorische Bedingungen sowie ein schlechtes Betriebsklima im Kollegium selbst, fehlender pädagogischer Konsens unter den Lehrerinnen und Lehrern und eine unpersönliche Lehrer-Schüler-Beziehung, getragen von Interesselosigkeit und Gleichgültigkeit“ (Bründel, 1994, S. 236). Schüler, die ihre Zukunft als sinnlos empfinden neigen nach Bründel (1994) eher zu Gewalt als Schüler, die Perspektiven für ihre Zukunft haben. In Hinblick auf das Sozialklima und die Lernkultur konnten Tillmann et al. (2000) in ihrer Studie an hessischen Schulen zeigen, dass in Schulklassen mit schlechtem Klima ein höheres Gewaltpotenzial, sowohl auf psychische als auch physische Gewaltformen bezogen, besteht, als in Klassen mit positivem Klima. Zum Sozialklima gehören Faktoren wie die Beziehung der Schüler untereinander, die Beziehung der Lehrer zu den Schülern, die Restriktivität und die Schülerpartizipation. Laut Melzer (2001, zitiert nach Melzer et al., 2004, S. 176) besteht ein enger Zusammenhang zwischen Schülerpartizipation und Gewalt: Je stärker Schüler mitbestimmen können, desto geringer ist das Ausmaß an schulischer Gewalt. Im Detail lässt sich nach Tillmann et al. (2000) sagen, dass es Zusammenhänge zwischen dem Sozialklima und der Häufigkeit von Gewalt gibt. Ein Sozialklima, das von einem restriktiven Erziehungsstil geprägt ist begünstigt aggressives Verhalten bei den Schülern, psychisch wie physisch. Daneben kann man sagen, dass Schüler, die sich von ihren Lehrkräften nicht akzeptiert fühlen häufig mit körperlicher Gewalt reagieren. Aber nicht nur die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler hat Einfluss auf das Gewaltverhalten von Schülern. Besonders auch das Verhältnis der Schüler untereinander und die Tatsache ob man sich in der Klassengemeinschaft angenommen fühlt, wirken sich auf Gewalthandlungen aus. Fehlt der Lebensweltbezug der Lerninhalte oder besteht ein zu hoher Leistungsdruck sind häufige psychische aggressive Handlungen zu verzeichnen. Bezogen auf die Lernkultur kann man nach Tillmann et al. (2000) sagen, dass es deutliche Zusammenhänge zwischen der Lernkultur und des Gewaltpotenzials gibt. Die Lernkultur wird definiert über die „strukturellen Rahmenbedingungen für Unterrichtorganisation und Lernarrangements [...], die Struktur der curricularen Angebote [...] und die didaktisch-methodische Qualität der Lehr-Lernprozesse [...] (Tillmann et al., 2000, S. 204). Weiterhin ist zu sagen, dass an Schulen, die reformpädagogisch orientiert unterrichten, weniger Gewalthandlungen zu verzeichnen sind.
Bründel (1994, S. 234) vertritt die These, „daß gewalttätige Kinder nicht als solche geboren werden, sondern im Laufe ihrer Sozialisation dazu gemacht werden“. Gewalt existiert im Leben der Kinder vor allem im Bereich der Schule, der Familie, der Freizeit und den Medien. Im Folgenden soll auf die Gewalteinflüsse aus dem außerschulischen Sozialisationskontext eingegangen werden.
Nach Singer (1994, S. 17) erhöht ein autoritärer Erziehungsstil die Gewaltbereitschaft Jugendlicher: „In der Regel bedeutet die Gewalt Jugendlicher eine Wiederinszenierung dessen, was den Kindern in ihrer Lebensgeschichte widerfahren ist. Sie waren Opfer von Gewalt und werden nun zu Gewalttätern“. Obwohl elterliche Gewalt heute nicht mit der „Prügelpädagogik“ (Fuchs et al., 2005, S. 33) des 19. Jahrhunderts zu vergleichen ist, gehört, neben der körperlichen Gewalt, vor allem der Einsatz psychischer und verbaler Gewalt, wie Liebesentzug, Schweigen, Missachtung, Ablehnung, Isolierung oder Demütigungen in vielen Familien zur Tagesordnung, um Kinder zu bestrafen (Fuchs et al., 2005). Zwischen dem Gewaltverhalten der Kinder und einem restriktiven Erziehungsstil der Eltern gibt es eindeutige Zusammenhänge. Das bedeutet, dass eine zu strenge Erziehung und zu hohe Erwartungen an die Kinder Aggressionen fördern können (Melzer et al., 2004). Bestehen in der Erziehung allerdings überhaupt keine Grenzen und Schranken für die Kinder, geben die Eltern zu oft nach und verwöhnen sie ihre Kinder zu sehr mit materiellen Dingen, programmieren sie damit aggressives Verhalten fast schon vor (Patterson & Bank, 1989, zitiert nach Bründel, 1994, S. 233). Aber auch durch ein inkonsequentes Erziehungsverhalten können Aggressionen seitens der Eltern verstärkt werden (Ziegler & Ziegler, 1997). Laut Schubarth (2000) fördern ein gewalttätiger Erziehungsstil und Gewalterfahrungen in der Familie das Gewaltpotenzial bei Kindern, besonders bei Jungen. Havers (1993) schreibt in seinem Artikel über die Ursachen aggressiven Verhaltens in der Familie, dass ein Zusammenhang zwischen einem niedrigen sozialen Status einer Familie, der als Risikofaktor gilt, und einer fehlenden sozialen Kompetenz der Eltern, besteht. Weitere Faktoren, die aggressives Verhalten bei Kindern begünstigen können sind „gestörte Familienbeziehungen, Trennung und Scheidung der Eltern, Armut und Deprivation sowie wechselhafter Erziehungsstil der Eltern“ (Tillmann et al., 2000, S. 155). Fest steht auch, dass Eltern für ihre Kinder als Modelle körperlicher Gewalt auftreten, so dass familiär erlebte Gewalt in andere Sozialisationskontexte übertragen wird, da Gewalt als legitime Konfliktlösungsmöglichkeit gesehen wird (Ziegler & Ziegler, 1997; Fuchs et al., 2005). Tillmann et al. (2000) gehen davon aus, dass das Verhalten der Kinder von den Bedingungen unter denen sie aufwachsen, beeinflusst wird. Hierzu gehört auch, dass die Kinder in der Familie Verhaltensweisen lernen, die sich in der Schule gewalttätig oder aggressiv äußern können. Allerdings kann in ihrer Untersuchung kein Zusammenhang zwischen Geschwisterzahl, Berufstätigkeit der Eltern oder deren Bildungsniveau und physischer Gewalt festgestellt werden. Ein geringer Zusammenhang besteht höchstens bei den Familienformen, das heißt vollständige Familie, Ein-Eltern-Familie, Elternteil mit Partner oder andere. Bezogen auf die physische Gewalt gibt es in Hinblick auf die Familienstruktur allerdings deutliche Zusammenhänge. Schüler, die viele Geschwister haben, deren Eltern ein niedriges Bildungsniveau und deren Väter einen unsicheren Arbeitsplatz haben, weisen erhöhte Werte physischer Gewalt auf. „Verstärkt werden kann dies durch ‚Risikonachbarschaften’, in denen sich Familien mit ähnlichen Problemlagen und Handlungsmustern konzentrieren“ (Fuchs et al., 2005, S. 34). Außerdem untersuchten Tillmann et al. (2000) den Zusammenhang zwischen dem kommunikativen Klima in den Familien der Schüler und dem Gewaltverhalten. Hier lassen sich Zusammenhänge zur physischen und psychischen Aggression herstellen. „Je weniger restriktiv die familiäre Erziehung ist, je stärker sich die Jugendlichen akzeptiert fühlen, desto seltener agieren sie in der Schule gewaltförmig“ (Tillmann et al., 2000, S. 174). In seinen Forschungsarbeiten, hauptsächlich mit Jungen, fand Olweus (1980, zitiert nach Olweus, 2004, S. 289 f.) vier familiäre Faktoren, die zu einem aggressiven Reaktionsmuster führen können. Dazu zählt die emotionale Einstellung, die die erste Bezugsperson dem Kind gegenüber in der frühen Kindheit hat. Ist diese Einstellung geprägt von fehlendem Mitgefühl und Wohlwollen, steigt das Risiko bei Kinder später eine aggressive Haltung anderen gegenüber einzunehmen. Als zweiten gewaltbegünstigenden Faktor nennt Olweus (2004) das Fehlen von Grenzen und Regeln. Begegnen die Bezugspersonen aggressiven Handlungen zu tolerant und frei, nimmt das aggressive Verhalten des Kindes mit hoher Wahrscheinlichkeit zu. Wie oben schon Singer (1994) erwähnt, geht auch Olweus (2004) davon aus, dass gewalttätiges Verhalten in der eigenen Familie bei Kindern wiederum Gewalt erzeugt. Nicht in gleichem Maße wie die bereits genannten Faktoren entscheidend für die Ausprägung einer aggressiven Haltung, ist der Einfluss des erblichen Temperaments des Kindes. Temperamentvolle und aufbrausende Kinder neigen eher zu Aggressionen als Kinder mit gedämpfterem Temperament. In diesem Zusammenhang muss gesagt werden, dass das Aggressionsniveau der untersuchten Jungen nicht mit der sozioökonomischen Situation ihrer Familie zusammenhängt. Zusammenfassend ist zu sagen, dass der „Anteil Gewaltaktiver unter geschlagenen Jugendlichen gut doppelt so hoch ist wie unter gewaltfrei erzogenen“ (Pfeiffer et al., 1999, zitiert nach Fuchs et al., 2005, S. 35). Damit liegt der entscheidende Unterschied in einer gewaltfreien und einer gewaltförmigen Erziehung (Fuchs et al., 2001, zitiert nach Fuchs et al., 2005, S. 35).
„Sozialisationstheoretisch gewinnen die Beziehungen zu Gleichaltrigen im Verlauf der Jugendphase zunehmend an Bedeutung“ (Tillmann et al., 2000, S. 174). Der Einfluss der peer-group ist nach Schubarth (2000) nicht zu unterschätzen: Demnach wirkt eine aggressive Haltung der Gleichaltrigengruppe gewaltfördernd. Solche Haltungen finden sich vor allem in Jungengruppen und Freundschaftsdyaden (Schubarth, 2000; Tillmann et al., 2000). Bezogen auf erlebte Gewalt in der Familie gilt, dass diese Kinder sich eher gewaltbereiten beziehungsweise devianten Gruppen anschließen (Pfeiffer et al., 1999, zitiert nach Fuchs et al., 2005). Allerdings kann laut Funk & Passenberger (2004) nicht klar gesagt werden, ob gewalttätige Jugendliche sich eher gewaltbereiten Gleichaltrigengruppen anschließen oder ob die peer-group das Gewaltverhalten Jugendlicher verstärkt. Bezogen auf Prügeleien ist aber sicher, dass die peer-group verstärkend auf dieses Verhalten wirkt. „Nicht die Gruppenzugehörigkeit ist gewaltfördernd, sondern die Zugehörigkeit zu aggressiven und intoleranten Gruppen“ (Melzer et al., 2004, S. 140). Tillmann et al. (2000) fanden in ihrer Studie heraus, dass Schüler, die aggressives Verhalten als positiv empfinden in hohem Maße zu physischer Aggression neigen. Dasselbe findet sich bei Ziegler & Ziegler (1997). Demnach gelten Gruppen, die abweichende Normen verfolgen als Determinante für gewalttätiges Verhalten sehen, wenn zu diesen Gruppen ein regelmäßiger Kontakt in der Freizeit besteht. Olweus (1996) nennt in diesem Zusammenhang den Einfluss von Gruppenmechanismen. Insbesondere die „soziale Ansteckung“ (Olweus, 1996, S. 53), das heißt der Einfluss eines (Gewalt-)Vorbilds, besonders auf unsichere, abhängige und passive Schüler, stellt eine Gefahr dar. Auch Bründel (1994) erwähnt, dass die Gleichaltrigengruppe motivierend auf Gewaltäußerungen wirkt, da dadurch Hierarchien und Rangpositionen innerhalb der Gruppe festgelegt werden. Gruppen üben einerseits Druck auf den Einzelnen aus, geben aber andererseits auch Halt und Geborgenheit. Bei Holtappels (2000) findet sich die Information, dass die Integration in eine gewaltbereite peer-group Einfluss auf gewaltförmige Einstellungen hat, besonders dann, wenn die Bindung an diese Gruppe relativ hoch ist. Laut Funk (1995, zitiert nach Schubarth, 2000, S. 97) besteht auch ein Zusammenhang zwischen der sozialen Integration und dem Gewaltverhalten. „Je größer die soziale Isolation ist, desto größer ist auch die Gewaltanfälligkeit“.
‚Die Massenmedien, die neuen multimedialen und vernetzten Medien sowie die medial angereicherten Freizeit- und Konsumräume gelten heute neben Elternhaus, Schule und Gleichaltrigengruppe als weitere wichtige Sozialisationsinstanzen, die wesentlich das Leben in den Phasen Kindheit und Jugend bestimmen’ (Meister und Sander, 1998, S. 6, zitiert nach Melzer et al., 2004, S. 141). Den Vorwurf, dass die Medien einen hohen Einfluss auf die Gewaltbereitschaft Jugendlicher haben, hört man heutzutage nicht selten. Daher soll in diesem Abschnitt der tatsächliche Einfluss des Medienkonsums auf das Gewaltverhalten Kinder und Jugendlicher dargestellt werden.
Nicht alle Medien haben eine negative Wirkung auf Kinder und Jugendliche. Pädagogisch wertvolle und kindgerechte Sendungen wie die „Sendung mit der Maus“, „Löwenzahn“ oder die „Sesamstraße“ können für die Entwicklung der Kinder sogar sehr nützlich sein. Doch von bestimmten Medienangeboten können kind- und jugendgefährdete Impulse ausgehen und negativ auf das Sozialverhalten der Kinder und Jugendlichen wirken. Zu Medien zählen hier das Fernsehen, das Videoangebot und der Heimcomputer beziehungsweise die Computerspiele (Fuchs et al., 2005). Bevor näher auf Ergebnisse von einzelnen Studien eingegangen wird, sollen vorweg fünf Vorannahmen zur Wirkung von Medien genannt werden. Laut Lukesch (2002) entstehen durch die Beobachtung medialer Gewalt sogenannte „Reinigungseffekte“ (Katharsisthese). Dies wurde bereits unter Punkt B 2.1.2 im Zusammenhang mit der Frustrations-Aggressions-Hypothese angesprochen. Durch den Konsum gewalthaltiger Medien und das Nachvollziehen der dargestellten Handlungen wird die Motivation des Zuschauers selbst gewalttätig zu werden, gesenkt (Fuchs et al., 2005). Daneben können Medien auch eine abschreckende Wirkung durch die Zunahme von Angst vor Gewalt haben (Inhibitionsthese). Allerdings kann durch den Konsum von Medien die Gewaltbereitschaft steigen (Stimulationsthese). Durch häufigen Medienkonsum ist es möglich, dass sogenannte „Gewöhnungs- und Abstumpfungseffekte“ entstehen (Habitualisierungsthese). Als fünfte Vorannahme nennt Lukesch (2002) die Möglichkeit der Identifikation des Zuschauers mit dem Täter beziehungsweise die Nachahmung der gesehen Taten (Imitationsthese).
Spitzer (2006) fand in seiner Langzeitstudie heraus, dass Kinder und Jugendliche, die zuviel fernsehen an Gewicht zunehmen, dumm und gewalttätig werden. Tillmann et al. (2000) und Fuchs et al. (2005) stellten in ihren Studien fest, dass die Dauer des Fernseh- beziehungsweise Videokonsums kaum beeinflussend auf das Gewaltverhalten Jugendlicher wirkt. Dagegen ist die Auswahl der Filme und Sendungen entscheidend für aggressive Verhaltensweisen. Gewaltdarstellende Filme gelten als Risikofaktor für Aggression und Gewalt bei Jugendlichen. Besonders gewaltfördernd wirken Verbote der Eltern innerhalb eines restriktiven Erziehungsstils, die von den Jugendlichen, meist im Besitz eines eigenen Videogeräts, überschritten werden. Besonders der Konsum von Horror-, Kriegs- und Sexfilmen wirkt sich auf das aggressive Verhalten, vor allem auf die physische und vandalistische Gewalt Jugendlicher aus (Schubarth, 2000). Sexfilme provozieren oder verstärken allerdings eher Gewalt als Kriegs- oder Horrorfilme (Fuchs et al., 2005). Obwohl kein direkter Zusammenhang zwischen den Inhalten in den Medien und dem Verhalten der Zuschauer festgestellt werden kann, ist trotzdem festzuhalten, dass der tägliche Konsum von Gewaltdarstellungen, in denen Gewalt als positiv angesehen wird, bei Kindern gewaltfördernd wirkt. Die Wirkung der Medien auf Kinder und Jugendliche hängt vor allem von der Art und Weise der Darstellung der Inhalte, aber auch von der Persönlichkeit des Zuschauers ab (Bründel, 1994). Auch zwischen dem Fernsehverhalten Kinder und Jugendlicher und dem sozialen Status der Eltern besteht ein deutlicher Zusammenhang (Lang, 1980, zitiert nach Fuchs et al., 2005, S. 161): „Je niedriger der soziale Status der Eltern, desto höher ist der (unkontrollierte) Fernsehkonsum der Kinder“. Laut Melzer et al. (2004) gilt die bereits mehrfach angesprochene Katharsisthese als widerlegt. Demnach reagieren Kinder ihre Aggressionen durch den Konsum von Gewaltmedien nicht ab und es treten keine Katharsiseffekte ein. Jedoch besteht laut Melzer et al. (2004) zwischen dem Medienkonsum und Gewalthandlungen Kinder und Jugendlicher ein deutlicher Zusammenhang. Besonders die Gruppe der Täter und die der Täter-Opfer ist als besonders gefährdet für überproportional hohen Medienkonsum einzustufen. Hierfür gibt es zwei Erklärungsansätze: Zum Ersten ist es möglich, dass die Kinder und Jugendlichen durch den häufigen Konsum von Medien zur Gewaltanwendung und -befürwortung angehalten werden. Die Hemmschwelle eigener Gewalthandlungen wird durch den problematischen Medienkonsum gesenkt und die eigene Aggressionsbereitschaft erhöht sich. Dies gilt besonders für aggressive Computerspiele, die bei den Kindern und Jugendlichen dazu führen können, Hemmungen abzubauen andere Menschen zu verletzen oder gar zu töten (Wildt & Emrich, 2007). Zum Zweiten nennen Melzer et al. (2004) die Möglichkeit, dass aggressivere Kinder stärker geneigt sind, Gewaltmedien zu konsumieren als ruhigere Kinder. Fuchs et al. (2005) stellten fest, dass Jungen insgesamt häufiger gewaltdarstellende Medien konsumieren als Mädchen und damit gefährdeter sind. Seit 1994 bis 2004 wuchs die Gruppe der männlichen Konsumenten stetig und besteht heute fast ausschließlich aus Jungen. Außerdem fand das Forschungsteam heraus, dass Gewalt in den Medien heute mehr akzeptiert wird als noch vor zehn Jahren und fast schon „normalisiert“ wird beziehungsweise ein Gewöhnungseffekt eingetreten ist. Sicherlich trifft der (negative) Einfluss der Medien nicht auf alle Schüler zu, aber für eine Untergruppe der Jugendlichen gilt, dass Gewalt in Filmen die Bereitschaft zu aggressivem Verhalten steigert (Ziegler & Ziegler, 1997). Allerdings ist abschließend zu sagen, dass „im Zeitverlauf von 1994 bis 2004 eine deutliche Zunahme der Varianzerklärung im Gesamtgewaltindex durch den Konsum gewaltförmiger Medieninhalte zu konstatieren (ist), d.h. die gewaltfördernde Wirkung dieser Genres hat sich verstärkt“ (Fuchs et al., 2005, S. 190).
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[1] Im folgenden Text wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit explizit nicht nach Geschlecht differenziert. Im Sammelbegriff „Schüler“, „Lehrer“ o. ä.. sind Mädchen und Frauen als „Schülerinnen und „Lehrerinnen“ ausdrücklich eingeschlossen.
[2] Die Untersuchung von Tillmann et al. (2000) wurde in Hessen durchgeführt, wo eine spezifische Struktur des Sekundarschulwesens besteht. Haupt- und Realschulen bestehen nur selten als eigenständige Schulen, sondern werden hauptsächlich als Schulzweig beziehungsweise in kooperativen Gesamtschulen geführt.