Diplomarbeit, 2006
143 Seiten, Note: 1,5
Einleitung
1. These I: Die Marktökonomie des digitalen Kapitalismus intensiviert die Arbeit, entgrenzt die moderne Arbeitsgesellschaft mit seinen geschlechtsspezifischen Implikationen und ignoriert die reproduktive Arbeit und Leistung von Frauen und Männern - dadurch Privatisierung dieses Problems und den damit verbundenen Kosten jeglicher Art - gleichzeitig nutzt der Markt die reproduktive Arbeit als kostenlose Ressource
1.1. Die Arbeitsgesellschaft
1.1.1. Was ist Arbeit?
1.1.2. Arbeit in der Postmoderne
1.1.2.1. Charakteristika der Postmoderne Die Arbeitsgesellschaft der Postmoderne
1.1.2.3. Geschlechterentgrenzung und Abwertungsprozesse der Reproduktionsarbeit in der postmodernen Arbeitsgesellschaft
1.2. Zusammenhänge zwischen Arbeit und Familie
1.2.1. Erwerbsarbeitsbeteiligung von Eltern
1.2.2. Arbeit, Elternschaft und Zeit
2. These II: Die Familie ist eine brüchige Basis für die heile Welt – Traditionalisierungsschub und Überforderungstendenz des Systems Familie im Spagat zwischen Integrations- und Funktionsaspekt
2.1. Was sind Familien?
2.2. Familienentwicklung und Haushalt
2.3. Wandel der Familie im Spiegel der amtlichen Statistik
2.3.1. Familienformen in der Haushaltsstatistik
2.3.2. Materielle Situation der Familien mit Kindern
2.3.2.1. Einkommenssituation von Familien
2.3.2.2. Wohnen
2.3.2.3. Ausgaben für die Lebenshaltung
Theoretisch-soziologische Zugänge zu Familie
2.4.1. Strukturfunktionale Systemtheorie der Familie
2.4.2. Neuere Systemtheorie nach Luhmann
2.4.3. Interaktionistische Familientheorie
2.5. Ambivalente Strukturen und Bewältigungskonstellationen
2.6. Familie als Institution
2.6.1. Familienrhetoriken
2.6.2. Verrechtlichungstendenzen von Familie
2.7. Leistungen von Familien
3. These III: Kindheit – eine segregierte, minorisierte und machtvoll ohnmächtige Daseinsform, die den Betreuungspersonen den Spagat der Integration in eine kinderfeindliche Welt abverlangt
3.1. Was ist Kindheit?
3.2. Auswirkungen des gesellschaftlichen Wandels auf die Kindheit
3.2.1. Kinder als Außenseiter der Gesellschaft?
3.2.1.1. „Schonraum Kindheit“
3.2.1.2. Die Evolutionsbiologisch anthropologische Sicht
3.2.1.3. Der Wert von Kindern
3.2.2. Charakteristik der Kindheit in komplexen Gesellschaften
3.2.2.1. Wandel der Eltern-Kind-Beziehung und Auswirkungen auf die Kindheit
3.2.2.2. Wandel der modernen Kindheit
3.3. Auswirkungen auf die Elternschaft
3.3.1. Auswirkungen der veränderten Eltern-Kind-Beziehung auf die Elternschaft
3.3.1.1. Modernes Exposé
3.3.1.2. Avandgardistisches Exposé
3.3.1.3. Elterlicher Umgang mit den neuen Herausforderungen
3.3.2. Auswirkungen und Anforderungen der gewandelten Kindheit auf die Eltern
4. These IV: Familiale Arbeit liegt im Spannungsfeld zwischen Frustration und Abwertung und Möglichkeiten persönlicher Sinntiefen und Entwicklung
4.1. Geschlechterverhältnisse und die darin eingelassene Bewertung und Verteilung der familialen Arbeit
4.1.1. Philosophisches
4.1.2. Muttermythos und Geschlechterschmerz
4.1.3.1. Soziologie der Partnerschaft -
4.1.3.2. Geschlechterkontrakttheorie
4.1.3.3. Empirie der Ungleichheit in familialen Lebensformen
4.1.4. Care und Bürgerrechte sowie die Privatisierung der Sorge
4.2. Zur Charakteristik von Familienarbeit
4.2.1. Auswirkungen eines Biographiewechsels
4.2.2. Regeln der der Familienarbeit
4.2.3. Warum manche trotzdem noch Eltern werden
5. These V: Menschen im reproduktionsfähigen Alter entscheiden sich aus Verantwortungsbewusstsein für weniger Kinder, da sie, wenn sie sich für Kinder entscheiden, diese auch intensiv begleiten möchten
5.1. Demographie
5.1.1 Demographische Entwicklung in Deutschland
5.1.2. Auswirkungen der demographischen Entwicklung
5.1.3. Muster generativen Verhaltens
5.1.4. Zur Kritik der Bevölkerungswissenschaft
5.2. Generatives Verhalten im Spannungsfeld von Natur und Kultur
5.3. Was die individuelle Entscheidung für oder gegen Kinder beeinflusst
5.3.1. Hürden des Kinderwunsches
5.3.2. Kinderlosigkeit
Fazit
Anhang
Literaturverzeichnis
Der demographische Wandel ist in Deutschland inzwischen seit einiger Zeit ins Bewusstsein der Menschen gerückt, vor allem als Horrorvision für die Jahre 2030 bis 2050, wenn mit der starken Überalterung ein gravierender Umbau der Bevölkerungszusammensetzung durch einen weiterhin starken Rückgang der Geburtenzahlen und eine erwartungsweise weiterhin steigende durchschnittliche Lebenserwartung intendiert sein wird. Damit werden bereits heute politischerseits gewaltige Einschnitte in das Sozialsystem des deutschen Staates begründet und vor allem Frauen beschworen, wieder mehr Kinder zu bekommen. Der ehemalige Innenminister Otto Schily mag als Beispiel dienen für eine hilflose Rhetorik über die deutsche Kinderarmut: „Kinder sind keine Belastung, sondern eine tiefe Bereicherung für die Eltern und auch für die gesamte Gesellschaft. Eine Absage an Kinder ist eine Absage an das Leben. Wir müssen in Deutschland den Wert von Kindern, von Familien, vom menschlichen Miteinander der Generationen im öffentlichen Bewusstsein stärken. Ohne eine solche offensive Wertedebatte laufen wir Gefahr, dass sich lebensfeindliche, zukunftsverneinende und egoistische Tendenzen in unserer Gesellschaft verstärken“ (BiB 2005, S.3).
Die Gründe und Befindlichkeiten für die Kinderlosigkeit und die Situation derer, die Kinder in diesem Land aufziehen scheinen, dagegen weniger schlagzeilentauglich zu sein. Die meisten ergeben sich stumm in ihre Situation – entweder Kinder und Beruf in einem Wirtschaftssystem unter einen Hut zu bekommen, das neben der allseitigen Einsatzbereitschaft für den Job keine anderen Verpflichtungen kennt oder aber als für die Erziehung abgestellter, meist weiblicher Teil der Bevölkerung von der Gesellschaft in ihren wesentlichen und selbstwert- und unabhängigkeitstiftenden Bereichen ausgeschlossen zu sein oder aber den Kinderwunsch gar nicht erst in die Tat umzusetzen, weil die gesellschaftlichen Bedingungen diesen als individuell zu verantwortenden Entschluss nie so recht zulassen. Es scheint in dieser Gesellschaft ein Leiden an der Reproduktion zu geben – an der mangelnden Möglichkeit, die reproduktiven Bedürfnisse auszuleben und diese in sein sonstiges gesellschaftliches Leben zu integrieren und die zusätzliche Benachteiligung derer, die doch den Entschluss zu einer Elternschaft gewagt haben und nun aber individuell verantworten müssen. Es geht deshalb an den Bedürfnissen und Problemen der Menschen vorbei, wenn bei der Schelte der Kinderarmut Deutschlands nicht danach gefragt wird, was der Wandel in Arbeitsgesellschaft, Familie und Kindheit für die Elternschaft oder auch Nicht-Elternschaft bedeutet und wie sie sich auf die Reproduktionsarbeit auswirken. Denn obgleich Elternschaft emotional noch nie so hoch bewertet und narzisstisch besetzt war, so haben doch Kinder und damit verbunden die Reproduktionsarbeit gesellschaftlich noch nie einen niedrigeren Stellenwert besessen und waren mit derart vielen Herausforderungen und Verzicht auf gesellschaftliche Teilhabe und Benachteiligungen verbunden. Es scheint gerade so zu sein, als ob der Verzicht auf die Elternschaft ein Opfer an die Arbeitsgesellschaft ist, der, je mehr ihr die Arbeit ausgeht, umso mehr individuell geopfert werden muss, um noch einen Platz in ihr zu finden. Und umgekehrt wird das Pendant zu dieser Arbeitsgesellschaft, der mit Idealen und Glücksversprechungen überfrachtete Privatbereich der Familien ebenfalls zu einem kraftaufwendigen und oftmals brüchigen Unterfangen. Der Wandel ist auch hier vielfältiger Natur und besonders die Komponenten der Paarbeziehung, der Elternschaft in der Paarbeziehung sowie der Eltern-Kind-Beziehung sind besonders großen Herausforderungen ausgesetzt, die von den Einzelnen bewältigt sein wollen.
Darüber hinaus ist das Konstrukt der Kindheit – selten unabhängig von der Familienkindheit betrachtet – gleichfalls gesellschaftlichen Wandlungsprozessen unterworfen, die vor allem für die Eltern gewandelte Anforderungen und Aufgaben bereithalten, die – werden sie als die eigenen Anforderungen aufgenommen – erhebliche Kraft-, Zeit- und Ressourcenaufwendungen zur Folge haben.
Und natürlich sind Elternschaft (und auch Nicht-Elternschaft) nicht ausschließlich mit Leiden verbunden, sondern haben auch ausgesprochen exklusive persönliche Entwicklungsmöglichkeiten. Es geht also nicht darum, die Problematik als einseitig negativ zu betrachten – wird doch sowohl die Tatsache, Kinder über Jahre begleitet zu haben, als auch letztendlich auf Kinder verzichtet und seine Kräfte andersweitig gesellschaftlich eingebracht zu haben, in den allermeisten Fällen rückblickend biographisch als zufriedenstellend und sinnerfüllend gelebt und gemeistert empfunden - sondern das besondere der Entwicklung, dass die Herausforderungen von Reproduktionsarbeit heute mehr und mehr vom Einzelnen auch als Überforderungen oder Überformungen des zweifelsohne auch erlebbaren Glücks wahrgenommen werden und in der Abschätzung der eigenen Kräfte oft eine Einschränkung der reproduktiven Bedürfnisse die Einzelnen vorzunehmen gezwungen ist.
Insofern versucht das Thema sich einer gesellschaftlichen Situation zu nähern, die vom einzelnen unhinterfragt als Realität wahrgenommen und in sich selbst und der eigenen Biographie zu vereinbaren gesucht wird, ohne die Ursachen für das sich Selbstversagen von oder der Benachteiligung durch reproduktive Arbeit zu kennen. Selten wird sich aus diesem Bewusstsein ein individueller Kampf für diese Bedürfnisse ermöglichen lassen, aber gesellschaftlich wird zu fragen sein, inwieweit die Menschen mit Gesetzen, wirtschaftlicher Ignoranz und Ausbeutung der privaten Reproduktionsarbeit und einer Segregation der Kinder und Jugendlichen und mit ihnen der Erziehenden zufrieden leben können und wollen. Dass Kinder nicht anders können als in der Gesellschaft zu leben, in die sie hineinwachsen und dass Erwachsene das Bedürfnis nach einer dem Menschen gerechteren Lebensweise lange und stark unterdrücken können und oft müssen, ist über die letzten Jahre unbestreitbar. Aber wenn nicht begonnen wird, sich über Ursachen und Alternativen Gedanken zu machen, kann es gesellschaftlich keine bewußtere Auseinandersetzung mit dem bisher nur oberflächlichen und randständigen Thema Reproduktionsarbeit geben, kann es keine Interessen an der Problematik in den produktiven und administrativen Bereichen und keine tiefgreifende, wirkliche Wertedebatte geben.
Inhaltlich möchte ich in dieser Arbeit anhand von 5 Thesen die Auswirkungen des Wandels von Arbeitsgesellschaft, Familie und Kindheit auf die Elternschaft erschließen.
Ausgehend von den Auswirkungen der postmodernen Marktökonomie auf die Einzelnen, die Anforderungen an die Arbeitskräfte und die Auswirkungen auf die Geschlechter und ihre reproduktiven Bedürfnisse soll These I: „Die Marktökonomie des digitalen Kapitalismus intensiviert die Arbeit, entgrenzt die moderne Arbeitsgesellschaft mit seinen geschlechtsspezifischen Implikationen und ignoriert die reproduktive Arbeit und Leistung von Frauen und Männern - dadurch Privatisierung dieses Problems und den damit verbundenen Kosten jeglicher Art - gleichzeitig nutzt der Markt die reproduktive Arbeit als kostenlose Ressource“ beleuchten.
Die Konzeption der Familie und ihr derzeitiger Wandel, die Anforderungen an sie von außen an ihre Funktion und von jedem einzelnen Familienmitglied an seine Integration als ganze Person steht als Grundlage der für die Reproduktionsarbeit als ideal angesehenen Institution in These II: „Die Familie ist eine brüchige Basis für die heile Welt – Traditionalisierungsschub und Überforderungstendenz des Systems Familie im Spagat zwischen Integrations- und Funktionsaspekt“ zur Debatte.
Schließlich stellen auch Kinder und die Daseinsform der Kindheit ganz neue Anforderungen an ihre Eltern. Zum einen werden Kinder von der Gesellschaft segregiert und mit ihnen die Bezugspersonen, zum anderen werden sie in narzisstisch besetzten Beziehungen zu Autoritäten in der Eltern-Kind-Beziehung. Der gesellschaftliche Wandel der Individualisierung und Institutionalisierung hat sowohl auf die Kindheit wie auf die Elternschaft Auswirkungen. Deshalb befasst sich die These III: „Kindheit – eine segregierte, minorisierte und machtvoll ohnmächtige Daseinsform, die den Betreuungspersonen den Spagat der Integration in eine kinderfeindliche Welt abverlangt“ mit dieser Problematik.
Schließlich soll auch auf die alltäglichen Erfahrungen und seine Herausforderungen von Eltern im Zusammenleben mit Kindern bzw. der mit ihnen verbundenen Arbeit eingegangen werden. Weithin ist eine Enttäuschung der idealen Vorstellungen und Frustrationen bei der Betreuung von Kindern zu beobachten, genauso wie die Eltern-Kind-Beziehung eine der letzten archaischen, sinn- und haltgebenden Beziehungen mit hohem persönlichen Erfüllungsfaktor in einer funktionalen, rationalen, differenzierten und disziplinierten Welt zu sein scheint. These IV: „Familiale Arbeit liegt im Spannungsfeld zwischen Frustration und Abwertung und Möglichkeiten persönlicher Sinntiefen und Entwicklung“ will sich genau dieser Ambivalenz annehmen.
Und schließlich soll es in These V: „Menschen im reproduktionsfähigen Alter entscheiden sich aus Verantwortungsbewusstsein für weniger Kinder, da sie, wenn sie sich für Kinder entscheiden, diese auch intensiv begleiten möchten“ deutlich werden, wie Kinderwunsch und Kinderlosigkeit mit den vorangegangenen Thesen in Wechselwirkung stehen und reproduktives Verhalten von Menschen in unserem Land beeinflussen.
Natürlich erhebt diese Arbeit keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder stellt auch nicht die Behauptung auf, der Wandel in Arbeitsgesellschaft, Familie und Kindheit wären die einzigen die Elternschaft bzw. die Beteiligung an der reproduktiven Arbeit beeinflussenden Faktoren, unter denen dieses Problem betrachtbar wäre. Die Beschäftigung mit diesem gesellschaftlich marginalen Thema ist aber spätestens dann für die Einzelnen von Bedeutung, wenn sie selbst Erfahrungen mit den Benachteiligungen durch die Ausübung reproduktiver Arbeit gesammelt haben, und zwar graduell immer noch sehr unterschiedlich, aber inzwischen meist unabhängig vom Geschlecht. Und das trifft auch für den größten Teil der Autoren zu, die sich mit diesen Themen der Reproduktionsarbeit wissenschaftlich beschäftigen – mich möchte ich dabei einschließen.
Laut dem Lexikon für Politik ist Arbeit folgendermaßen definiert:
„A. ist eine spezifisch menschliche sowohl körperliche als auch geistige Tätigkeit, die vor allem dazu dient, die zur Existenzsicherung notwendigen Mittel zu beschaffen. Sie stellt aber auch immer eine technisch-kulturell geprägte Form der Auseinandersetzung mit der jeweiligen Umwelt dar. A. ist insofern ein gestaltender, schöpferisch-produzierender und sozialer, zwischen Individuen vermittelnder Akt. A. ist von zentraler Bedeutung für die Verteilung individueller Lebenschancen, das Selbstwertgefühl und die Stellung des einzelnen in der Gesellschaft. Eine engere ökonomische Definition bindet den Begriff A. ausschließlich an die zur Herstellung von Gütern und Dienstleistungen - über Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt - vermittelte und entlohnte Erwerbs-A. Im politisch-ökonomischen Sinne ist A. der wichtigste Produktionsfaktor, der als Grundlage zur Entwicklung der Faktoren Boden, Kapital und technischer Fortschritt dient. Aus dieser Sicht wird auch zwischen Produktions- und Reproduktions-A. unterschieden und letztere traditionell insbesondere Frauen zugewiesen. Die Reproduktions-A. wird ausschließlich oder parallel zur Erwerbs-A. als Haus-, Familien-, Erziehungs- und Pflege-A. unentgeltlich ausgeübt. Die Unterscheidung nach selbständiger und unselbständiger A. zielt auf das Über- und Unterordnungsverhältnis (Weisungsbefugnis) im A.-Prozess und auf die Verantwortung für das Ergebnis der A. Die A.-Leistung selbst kann allerdings nicht von der jeweiligen Person des A.-Leistenden getrennt werden und ist erheblich von den gegebenen, durch Planung, Organisation und soziale Überlegungen beeinflussbaren A.-Bedingungen abhängig. Das typische, moderne Industriegesellschaften charakterisierende Normalarbeitsverhältnis (z.B. Achtstundentag, Fünftagewoche, Jahresvollzeit-beschäftigung, Dauerarbeitsvertrag) gilt heute nunmehr als normativer Bezugspunkt zur Festlegung geringfügiger bzw. atypischer Beschäftigungs-verhältnisse“ (vgl. Schubert und Klein 2001 - Internetquelle 1).
So nüchtern und eindeutig, wie das Lexikon die Arbeit des Menschen beschreibt, ist sie nicht immer zu beschreiben gewesen. Die Arbeit der Menschen ist nicht losgelöst zu verstehen von den gesellschaftlichen Bedingungen, die die Arbeit ihren Regeln und Gesetzen unterwirft, die Strukturen bereitstellt, die Aneignung und Nutzung der Arbeitsressourcen und die Verteilung der Arbeitsresultate festlegt. Je nach Kultur, Staatsform und Epoche kommt es zu verschiedenen Verständnissen und Auswirkungen von Arbeit in der Gesellschaft, die eine historische Dimension besitzen.
In den antiken Gesellschaften bis hin ins Mittelalter war Arbeit ein lästiges Übel und Mühsal, die für die ganz große Mehrheit der Menschen harte Arbeit zur Überlebenssicherung gegen alle möglichen Unbilden der Natur abverlangte und die von dem, der dazu geboren war, tunlichst gemieden wurde, um in Muße, also in der Arbeitsfreiheit die wirklich bedeutenden kreativen und kulturellen Leistungen und Entwicklungen zu schaffen. Die wirtschaftliche Einheit des ganzen Hauses war identisch mit dem, was Familie war. Alle zur Daseinsvorsorge im Lebenszusammenhang stehenden Tätigkeiten wurden mit dem Begriff „Arbeit“ bezeichnet, die der Männer genauso wie die der Frauen, Kinder und Alten. Natürlich gab es schon immer kulturell geregelte Zuschreibungen von Arbeit in Abhängigkeit von Geschlecht, sozialem Rangplatz, Alter etc. (vgl. BfJFG 1984).
Aber erst in der Neuzeit wurde Arbeit zu einem konstituierenden Prinzip der modernen Leistungsgesellschaft. Gesprochen wird auch von der Arbeitsgesellschaft, in der Arbeit zum zentralen Lebensinhalt wird und der Status des Einzelnen sich aus seiner Arbeit ergibt. Die Geschichte der Arbeitsgesellschaft beginnt mit dem Aufstieg des Bürgertums, das sich selbst über Ordnung, Disziplin und Arbeit definiert und setzt sich in allen Volksschichten mit der Industrialisierung durch. Der Müßiggang wird zum sozialen Feindbild, als sich Martin Luthers „protestantische Ethik“ (Max Weber) durchzusetzen beginnt. Heute wird jede Tätigkeit gegen Entgelt als Arbeit bezeichnet, Arbeit wird zur unhinterfragten Voraussetzung für gesellschaftliches Handeln.
Karl Marx wurde zum größten Kritiker der Arbeitsgesellschaft. Das grundlegende Problem sieht er in der Wandlung der Arbeit einstmals zur Befriedigung des Bedarfs (lebendige Arbeit) nun zur Arbeit als Selbstzweck, die sich nur im Geld verwirklicht (tote Arbeit). Arbeit um der Arbeit Willen nennt Marx abstrakte Arbeit, die zur Entfremdung des Produzenten von seinem Produkt und zu der Möglichkeit der Ausbeutung durch den Produktionsmittelbesitzer führt (vgl. Marx 1867).
Auch Max Weber beschreibt den Wandlungsprozess des Zweckes der Arbeit ähnlich, nämlich dass der „Erwerb“ von Mitteln zum Zwecke der Bedürfnisbefriedigung in der industrialisierten Gesellschaft zum Selbstzweck gerät (vgl. Weber 1905).
Die Diskussionen über die Wertimplikationen von Arbeit liefen an der nicht vermarkteten Familienarbeit völlig vorbei und konzentrierten sich auf seine gerechte Gestaltung und Entlohnung. Die Erwerbstätigkeit wurde in der gesellschaftlichen Perspektive zum allumfassenden Arbeitsbegriff. Die individuelle soziale Sicherung wurde an das Phänomen Erwerbsarbeit gekoppelt. Arbeit wird in der Arbeitsgesellschaft geradezu zu einem Grundbedürfnis, in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ von 1948 stellt Artikel 23 ausdrücklich fest, dass jeder Mensch ein Recht auf Arbeit und angemessene und befriedigende Arbeitsbedingungen habe.
Unter Postmodernisierung können mit dem Soziologen Hans-Günther Vester die „Entwicklung, Entfaltung und Durchsetzung der Merkmale verstanden werden, die man als postmodern ansieht“ (Vester1993, S. 24), die also über die Moderne hinausweisen, sie gleichsam erschüttern, infrage stellen und auflösen. War die einfache Modernisierung die Rationalisierung der Tradition, meint reflexive Modernisierung die Rationalisierung der Rationalisierung (vgl. Beck 1992). Das Produkt der Moderne, die Industriegesellschaft, rationalisiert nun ihre eigenen Notwendigkeiten, Grundlagen, Funktionsprinzipien und Voraussetzungen. Dies trifft ebenfalls auf die Kleinfamilie mit den in sie eingelassenen `Normalbiographien´ von Männern und Frauen und die Normierungen der Berufsarbeit zu (vgl. Beck 1986). Baute der Modernisierungsprozeß auf die Kontinuierung der industriegesellschaftlichen Grundkategorien auf, so transformiert sich die Moderne mit der Einlösung ihrer Funktionsprinzipien paradoxerweise selbst. „Reflexive Modernisierung heißt also: eine zunächst unreflektierte, gleichsam mechanische-eigendynamische Grundlagenveränderung der entfalteten Industriegesellschaft, die sich im Zuge normaler Modernisierung ungeplant und schleichend vollzieht und die bei konstanter, möglicherweise intakter politischer und wirtschaftlicher Ordnung auf dreierlei zielt: eine Radikalisierung der Moderne, welche die Prämissen und Konturen der Industriegesellschaft auflöst und Wege in andere Modernen – oder Gegenmodernen – eröffnet“ (Beck 1996, S.29). Die inzwischen scheinbar naturgegebenen Lebensformen und Normen der Industriegesellschaft werden obsolet und die gesteigerten Ansprüche der Postmoderne an Flexibilität, Mobilität und die Entstehung von individualisierten Konsumentenrollen sowie die sich in alle Bereiche einschleichende Marktorientierung lassen die Angst- und Unsicherheitsbewältigung der Menschen in ihren sozialen Millieus und Rollen (inklusive der Geschlechter- und Elternrollen) mehr und mehr versagen (vgl. Rauschenbach 1994). In den Zwängen des Arbeitsmarktes und der Konsumexistenz innewohnenden Standardisierungen und Kontrollen sucht der einzelne nun nach Halt, um seine Lebensform selbst herzustellen, die eigene Biographie zu konstruieren. Für Beck ist die Individualisierung in dieser Betrachtung nicht gelungene soziale oder menschliche Emanzipation, sondern mit einer „Institutionalisierung und Standardisierung von Lebenslagen“ (Beck 1986, S. 119) verbunden. Somit werden die Individuen, wie Beck (ebd.) ausführt, arbeitsmarktabhängig und damit bildungsabhängig, konsumabhängig und abhängig von sozialenrechtlichen Regelungen und verschiedendisziplinärer Beratung und damit zum Spielball der Moden und konjunkturellen Märkte.
Neben der Individualisierung prägt vor allem die funktionale Ausdifferenzierung die moderne Gesellschaft. Im Sinne der soziologischen Systemtheorie wird die moderne Gesellschaft als ein primär funktional ausdifferenziertes Sozialsystem beschrieben (vgl. Luhmann 1986; 1997). D.h., dass die moderne Gesellschaft in autonome, hierarchisch geordnete Teilbereiche (z.B. Wirtschaft, Politik, Religion, Recht, Pädagogik etc.) gegliedert ist, die jeweils exklusiv gesamtgesellschaftliche Funktionen erfüllen und keiner dieser Bereiche eine Spitze oder ein Zentrum der Gesellschaft bilden. Die Einbindungsmöglichkeit der Menschen in die Gesellschaft unter den Bedingungen der Moderne wird mit Inklusion und Exklusion beschrieben (vgl. Luhmann 1995, 1997 Bd. 2) und ersetzt gewissermaßen die Unterscheidung von Integration und Desintegration (vgl. Nassehi 1997).
Nicht mehr ausdifferenzierte soziale Strukturen mit fest gefügten Regeln und Strukturen integrieren den Menschen (wie in der segmentären bzw. stratifikatorischen Gesellschaft), sondern die Inklusion erfolgt über gesellschaftliche Teilsysteme und erfasst den Einzelnen nur teilweise lediglich als soziales Konstrukt Person und lässt an ihrer Kommunikation teilnehmen (vgl. Luhmann 1995). Die Kommunikation regelt sich über symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien, die die Individuen ins Spiel bringen müssen, um für die Kommunikation der Funktionssysteme als kommunikatives Ereignis Person relevant zu sein. Die Nichterfüllung der jeweils funktionssystemisch spezifischen Erwartungen erhöht das Risiko, die Inklusion in diese Funktionssysteme zu gefährden (vgl. ebd.).
Die Inklusion bedeutet aber die gleichzeitige Exklusion des Individuums, da der Mensch theoretisch und empirisch tatsächlich außerhalb der Systeme steht (vgl. Luhmann 1995, 1997 Bd. 2). Habermaß spricht deshalb von einem Auseinanderfallen von System und Lebenswelt (vgl. Habermaß 1982). Während sich auf der einen Seite die gesellschaftlichen Systeme differenzieren und verselbständigen, bleibt auf der anderen Seite das Individuum in seinen Lebenswelten auf sich selbst zurückgeworfen und kann nur noch differenziell funktionssystemisch nach nicht selbst determinierbaren Bedingungen an der Gesellschaft teilnehmen (vgl. Kleve 2002 - Internetquelle 2).
Was die Soziale Systemtheorie über die Inklusion und Exklusion der Individuen beschreibt, zeigt Beck quasi aus der Sicht der betroffenen Individuen.
Weitere Merkmale der Postmoderne, die die Arbeitsgesellschaft, aber auch Familie und Kindheit wandeln und prägen, wie die Pluralität, die situativ durch Kommunikation auszuhandelnde geltende Norm, und die Reflexion sollen im folgenden kurz erläutert werden (vgl. Kleve 2003 – Internetquelle 3).
Pluralität
In der postmodernen Gesellschaft kommt es zu einer Vervielfältigung von Weltsichten, ausgelöst durch die bereits weiter oben beschriebenen Differenzierungs- und Individualisierungsprozesse. Eine soziale Auflösung der Unterscheidung von Norm und Abweichung vervielfältigt Normalitäten so lange, bis sich der Orientierungsmaßstab von selbst auflöst (vgl. Rauschenbach 1994). Die Akzeptanz von Differenz und Dissens ist die notwendige Voraussetzung für die diskursive postmoderne Gesellschaft. Die Anerkennung von und die Suche nach Denk- und Handlungsmustern, die sich mit der sozialen Vielheit, der sogenannten Pluralität vertragen, sind bezeichnend für die postmoderne Gesellschaft (vgl. Welsch 1993).
Kommunikation
Die polyzentrische Gesellschaft vermag keine für jedermann verbindliche Normen zu implementieren, fast alle sozialen Prozesse sind ihrer Selbstverständlichkeit beraubt, ergo muss jeweils situativ neu und speziell verhandelt, ausgehandelt, diskutiert, kurz kommuniziert werden, was hier und jetzt an Normen und Verbindlichkeiten gelten soll. Es gibt „nichts Unverrückbares und Unbestreitbares“ (Giesen 1991) mehr, wie der Soziologe Bernhard Giesen formuliert.
Reflexion
War die Moderne noch vom Glauben getragen, dass der Mensch die Welt nach seinen Wünschen und Plänen gestalten und steuern kann, werden in der Postmoderne die Grenzen menschlichen Handelns sichtbar. Da Kommunikation als kleinste Einheit sozialer Systeme diese und die Menschen aber nicht direkt steuern kann, trotzt die postmoderne Welt der menschlichen Veränderungsgewalt mit schleichenden und ungeplanten Nebenfolgen.
Um nun die realistischen Möglichkeiten des Machbaren und die vielfältigen Grenzen abzuschätzen, bedarf es der Reflexion des eigenen Beobachtens und Handelns in allen gesellschaftlichen Bereichen. Nach Jokisch (1996) verwandelt sich die funktionale Differenzierung der Gesellschaft zunehmend in reflexive Differenzierung, um die Blindheit funktionaler Systeme gegenüber den Folgen, die sie in der sozialen, biologischen und psychischen Umwelt auslösen, wahrnehmen zu können (vgl. Jokisch 1996)
In der postmodernen Gesellschaft, die nun die Forderungen der Moderne einlöst, kommt es aber zu einer Krise der Arbeitsgesellschaft. Nicht nur, dass der Mensch durch seine Arbeit die Umwelt derart umgestaltet hat, dass er und mit ihm die gesamte lebendige Welt sich selbst und seine Lebensgrundlage bedroht, auch die fortschreitende Technisierung und Industrialisierung, die immer mehr Arbeit des Menschen ersetzt und dann nach Marx keinen Mehrwert mehr schafft (vgl. Marx 1973), macht die Arbeit des Menschen selbst immer überflüssiger. Autoren wie Rifkin(1995) und Jenner (1997) diagnostizieren das Ende der Arbeit mit dem zentralen gesellschaftlichen Phänomen der Arbeitslosigkeit. Um diesem Problem beizukommen, werden in der Öffentlichkeit zwei Wege diskutiert: zum Einen eine forcierte Liberalisierung und Globalisierung des Marktes, die das Wachstum der Wirtschaft garantieren und dann Arbeitsplätze schaffen soll, wobei mit dieser These auch eine Entfamilialisierung verbunden ist, die durch eine erhöhte Erwerbsbeteiligung der Frauen zur Konsumankurbelung und zum Ausbau des Dienstleistungssektors führen soll, zum anderen die staatlich regulierte gerechtere Umverteilung von Arbeit. Autoren wie Ulrich Beck und Jeremy Rifkin plädieren in ihren Lösungsvorschlägen für eine Ausweitung des Arbeitsbegriffes auch auf nicht bezahlte, also nicht marktvermittelte Tätigkeiten, bei Rifkin von Tätigkeiten im so genannten Dritten Sektor mit dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten (vgl. Rifkin 1997), die auch eine größere Bedürfnisnähe der regional anfallenden und dann wieder ausgeführten Arbeiten mit sich bringen würde (vgl. Peters/Körber 2000), im Falle Becks würde es die Umwandlung der „Arbeitsgesellschaft“ in eine „plurale Tätigkeitsgesellschaft“ bedeuten, in der der Status der Menschen nicht mehr von ihrer Bezahlung abhängt (vgl. Beck 2000). Auch ein Bedenken der zeitlichen Komponente wird von vielen Autoren für unsere Gesellschaft angemahnt: Das Ende des Turbokapitalismus mit einer Zeit, die auschließlich in einer vom Markt vermittelten Gelddimension gemessen wird (vgl. Sander 2000), wird zugunsten von Entschleunigung und dem Menschen gerechter werdendere, erfülltere Lebenszeit von Zeitforschern gefordert (vgl. Reheis 2003 – Internetquelle 4).
Diese Forderungen bedeuten aber eine Aufwertung der familialen und sonstigen nicht marktvermittelten Tätigkeiten, einer dem Menschen bedürfnisgerechteren und befriedigenderen Arbeit. Dies zeigt auch, dass die Menschen mit ihren Gefühlen, auch in ihrer familialen Arbeit anerkannt und mit zeitlichem Budget ausgestattet zu sein und in der Gesellschaft schaffend zu partizipieren die Probleme der Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgeht, individuell spüren und aushalten müssen und dem Paradox von zu viel oder zu wenig Arbeit unvermittelt ausgesetzt sind.
Mit der Etablierung der Massenarbeit des Mannes in der Moderne, die das patriarchale Herrschaftsprinzip mit dem kapitalistischen Waren- und Wachstumsprinzip verschmolz, das der Natur, dem Innen und dem Stillstand den Kampf ansagte, kommt es zu einer Abwertung allen Reproduktiven mit der gleichzeitig verstärkten Nutzung der kostenlosen Ressource des Humankapitals. In einer postmodernen Zeit, in der die technologische Rationalisierung, die Globalisierung und den Zeiten des Sharhoulder-Values das männliche Normalarbeitsverhältnis brüchig werden lassen und nur noch in den Kernbereichen der segmentierten Arbeitsgesellschaft nachfragt, kommt es für große Teile der arbeitswilligen Menschen zu einer Verknappung der Ressource vergüteter Arbeit(szeit) und für die Männer zu einer Feminisierung der Arbeit, d.h. zu einem Anstieg prekärer Arbeitsverhältnisse mit unsicheren Arbeitsplätzen unter schlechteren Arbeitsbedingungen und schlechteren Aufstiegs- und Erwerbschancen und Zeiten der Arbeitslosigkeit. Frauen dagegen beginnen, auf dem Markt Einzug zu halten und teilzuhaben an den männlichen Prinzipien der Vergesellschaftung. Böhnisch diskutiert diese Strukturprinzipien als Strukturprinzip der Externalisierung und kann so erklären, warum sich die Arbeitsgesellschaft des postmodernen Kapitalismus vom Subjekt und der sozialen Kategorie Mann lösen und den Frauen eine Zugangsmöglichkeit zur nunmehr nicht mehr Männergesellschaft sondern zur Erfolgsgesellschaft ermöglicht (vgl. Böhnisch 2001). Externalisierung besagt, dass der Mensch von außen geleitet sich über die Arbeit begreift und verwirklicht und damit eine Abwertung des Innen, der Natur und des Schwächeren impliziert. Dies hat für die Geschlechter, die nur über dieses Prinzip Eingang in die Arbeitsgesellschaft finden, große Auswirkungen auf ihre Bedürfnisse nach Innerlichkeit, Reproduktion und Heilsein. Läßt der Externalisierungsdruck und die steigende Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt Väter noch stärker in die Arbeitswelt abtauchen, sehen sich Mütter, von denen inzwischen auch kulturell erwartet wird, sich wenigstens in privaten Krisenzeiten allein zu versorgen, der Arbeitswelt völlig konkurrenzlos gegenüber und verzichten entweder auf ein Kind (folgerichtig dem Prinzip der Externalisierung) oder auf Karriere bzw. berufliches Engagement, was ihnen eine untergeordnete und abhängige, ja im digitalen Kapitalismus der Humankapitalressourcennutzung eine Position des Ausgebeutetseins einbringt. Umgekehrt ist die Rolle der Familienarbeit die einzig gebliebene Perspektive zum Innen und zur Unabhängigkeit vom Externalisierungsprinzip des Marktes, was für Frauen eine Ressource in Arbeitslosigkeit und Frühberentung sein kann, die Männern nach wie vor schwer zugänglich ist. Trotz der privaten Aufwertung des Bereiches der Eltern-Kind-Beziehung als einer entgegen dem Markt funktionierenden Beziehung wertet das Externalisierungsprinzip die Reproduktionsarbeit zusätzlich ab, da nun auch Frauen dem Zwang des Schritthaltens auf dem Markt unterworfen sind, wollen sie als emanzipiert gelten. Dies trägt nicht gerade dazu bei, das Leiden beider Geschlechter an dem ungenügend befriedigten Bedürfnis nach ausreichend Möglichkeit, ihre Kinder selbst zu begleiten und Beziehung mit ihnen zu leben, zu lindern oder gar zu verändern (vgl. Beck 1986). Da mögen die erkannten Zusammenhänge der Akzeptanz der Diversität der Mitarbeiter im Arbeitsprozeß in einigen Unternehmen, die sich davon ein positives Image versprechen und vielleicht sogar tatsächlich bessere Erfahrungen machen, wenn es ihren Mitarbeiter(Innen) leichter wird, Familie und Beruf zu vereinen (vgl. Jablonski/Fischer 2004) und den Forderungen der Bundesministerin für Familie und Frauen nach einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie v. a. für Frauen, aber auch Männer, tatsächlich den Bedürfnissen der Mütter und Väter entsprechen (vgl. Schmidt 2004), eine im System des Digitalen Kapitalismus verankerte Offerte ist die Familienvereinbarkeit jedoch nicht und scheint es im Zeitalter der Globalisierung auch alles andere als zu werden. Dies trifft v. a. auf all jene Arbeitnehmer(Innen) zu, die außerhalb des Kernbereichs der segmentierten Arbeitsgesellschaft, also in den immer breiter werdenden Peripherien auf weniger priviliegierten Arbeitsverhältnissen ihre Existenz zu erstreiten suchen. Denn die Intensivierung der Arbeit mit gleichzeitiger sozialer Entbettung und Privatisierung der Risiken an den einzelnen lässt Menschen zu „abstract workern“, zu Unternehmern der Vermarktung ihrer eigenen Arbeitskraft werden. Setzt dieser Prozess auch die Geschlechterdifferenzen frei, entgrenzt er also die in der Moderne etablierten Zuschreibungen von Rollen, Geschlechtscharakteren, Hierarchien und Aufgaben, so lässt er die Menschen im Privaten jedoch mit der Aufgabe zurück, sich als Einzigartiger zu verhalten und gleichsam zu erfinden. In der historisch und gesellschaftlich gewachsenen und inzwischen strukturell verselbständigten Matrix der Heterosexualität kommt der Geschlechtsdifferenzierung eine neue Bedeutung zu. Zwar muss auch sie privat ausgehandelt werden, jedoch gibt sie - psychodynamisch um sich zu verhalten und sozial zu existieren und vor allem in Krisensituationen auf „altbewährte“ geschlechtspezifische Bewältigungsmuster zurückzugreifen - jenen bewährten und fragwürdigen Halt (vgl. Böhnisch 2003). Damit ist die Brüchigkeit der Paar- und Familienbeziehungen angesprochen, denen es anvertraut ist, die in ihr lebenden Kinder zu begleiten und großzuziehen.
Erwerbsarbeit gilt in unserer Gesellschaft als das integrierende Moment in die Gesellschaft, erlangt man doch fast ausschließlich über die Erwerbsarbeit nicht nur ein Existenzgrundlage durch ein Einkommen, sondern auch die gesellschaftlich solidarische Sicherung vor allen möglichen das Einkommen über die Erwerbsarbeit beeinträchtigenden Situationen wie Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität, Alter, Schwangerschaft und Mutterschaft. Darüber hinaus stellt Erwerbsarbeit für jeden Einzelnen das Mittel zur Statusherstellung, sinnerfüllter Beschäftigung und Wertschätzung dar (dies gelingt natürlich mit mehr oder weniger großem Erfolg mit verschiedensten Zugangschancen). Aber eine seit der Industrialisierung einsetzende und nunmehr weiter zunehmende Zentrierung der privaten Lebensorganisation um die Erwerbsarbeit ist unabstreitbar. In dieser Beziehung kommt es auch zu einem Wegfall der Geschlechterschranken, Frauen orientieren sich genauso auf Erwerbsarbeit hin wie Männer, der Arbeitsmarkt kennt Qualifikationen, Verfügbarkeit und Motivation, das Geschlecht ist nicht mehr von absolut unterscheidender Bedeutung (vgl. Barabas/Erler 1994). Insofern gilt für Frauen die Möglichkeit an der Erwerbsarbeitsbeteiligung als wichtiger Indikator für die gleichwertige Anteilnahme an der Gesellschaft, für gleiche Rechte und vom Mann unabhängige ökonomische Stellung. Vor allem der feministische Kampf galt und gilt einer Chancengleichheit von Frauen bei Ausbildung und gleichwertig bezahlter Erwerbsarbeit – zur Not auch gegen die Interessen von Kindern (vgl. Horn 2000, Qvortrup 1996).
Für Männer gilt in der modernen Gesellschaft eine selbstverständliche Orientierung an einer Erwerbsarbeitsbiographie. Dem beruflichen Fortkommen wird Priorität zugesprochen, Selbstbestätigung wird hauptsächlich über die Erwerbsarbeit bezogen.
Mit der Industrialisierung sagte man der Reproduktionsarbeit allerdings ein Verschwinden durch den technischen Fortschritt vorher und konnte nicht ermessen, dass dafür neue, zeitaufwendige Arbeit von den Familien vor allem in Bezug auf die Erziehung der Kinder zukommen würde. De facto wird die Familienarbeit unter der mit dem angenehmen Leben verbundenen Freizeit als Pendant zur Erwerbsarbeit zugeordnet und damit ignoriert.
Jedoch untrennbar mit der Familie verbunden ist die Arbeit. Die Arbeit, damit Familie und ihre Mitglieder leben können. Dazu gehört nicht nur die ökonomische Sicherung der Familie durch Arbeit, die gegen monetäre Leistung Kunden oder einem Arbeitgeber zur Verfügung gestellt wird, sondern auch all die Arbeit, die mit der Lebenserhaltung in weitestem Sinne verbunden ist und in der „Freizeit“, also in zeitlich und inhaltlich keiner Norm unterworfener Zeit von den Einzelnen im Privatbereich ohne monetäre Honorierung erbracht wird. Arbeit und Familie waren schon immer auf das innigste miteinander verwoben. Heidi Rosenbaum (1982) vertritt die These, dass die jeweilige Familienform und –entwicklung grundlegend davon bestimmt war, in welcher Art und Weise die spezifische Eingebundenheit in den Bereich der gesellschaftlichen Produktion und seinen Wandel erfolgte. Mit der Trennung von privater und wirtschaftlicher Sphäre und der impliziten Minderwertigkeit der reproduktiven Arbeit gab es vor allem für Frauen nur eine Emanzipationsrichtung, nämlich in Richtung der Erwerbsarbeit nach männlichem Prinzip. Mutterschaft bzw. Elternschaft konnte sich nicht als eigenständiger Arbeitsbereich emanzipieren und werden immer weiter marginalisiert (vgl. Horn 2000).
Bezogen auf die Arbeit bedeutet dies, dass die Bestimmung der Biographie heute von der Arbeitswelt erfolgt (Sennett 1994) und dies auch in fortschreitendem Maße für die Frauen der Fall ist. Auch die Frau und Mutter wird zur Einzelperson, die sich selbst behaupten muss und sich eine eigene Erwerbsbiographie mit eigenen Verhaltensentscheidungen zulegen muss und will (vgl. Barabas/Erler 1994). In der modernen Familie werden ihre Mitglieder zu Teilzeitmitgliedern im Kernfamilienhaushalt, weil tendenziell vollerwerbstätige Männer zu Teilzeit-Vätern und Mütter zu Teilzeiterwerbstätigen mit Doppelbelastung werden, so konstatieren zumindest Barabas und Erler (vgl. ebd.). Besonders deutlich ist jedoch zu erkennen, dass Familien um eine Erwerbsarbeitszentrierung nicht herum kommen und ihr Leben um die Anforderungen der Arbeitswelt herum organisieren müssen, nach wie vor um die männliche Erwerbstätigkeit herum, sobald eine Familie zusätzliche Arbeit für die Versorgung von Kindern übernimmt.
Aus der starken Erwerbsarbeitszentrierung unserer Gesellschaft ergeben sich für die Familie drei Probleme: Erstens die starke Abwertung aller Reproduktionsarbeit, zum anderen die starke geschlechtliche Differenzierung gesellschaftlich zugeschriebener Familienarbeit bzw. der Reproduktionsarbeit an das weibliche Geschlecht, was beides gemeinsam eine Aufrechterhaltung von Geschlechterhierarchie beinhaltet und drittens eine Benachteiligung all jener im Erwerbsarbeitsprozeß, die neben der Konzentration auf die Erwerbsarbeit gesellschaftlich ausgesprochen wichtige Familienarbeit, „das Kernstück Gesellschaftlicher Daseinsvorsorge“ (Schriftenreihe des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit 1984, S.29) vor allem in Form der Pflege und Versorgung anderer Menschen, vor allem der Kinder, aber auch der behinderten und pflegebedürftigen Menschen jedes und vorzugsweise des hohen Alters erbringen.
Als wichtiger Indikator der Emanzipation vor allem von Frauen/Müttern bzw. Eltern gilt ihre Beteiligung an der Erwerbsarbeit. Während es für Männer von jeher zur Selbstverständlichkeit der Normalbiographie gehörte, voll erwerbstätig zu sein, kann für Frauen über die letzten Jahre eine Zunahme der Erwerbsarbeitsbeteiligung konstatiert werden.
Es ist es nicht verwunderlich, dass die Erwerbsarbeitsbeteiligung der Männer über alle Phasen des Erwerbsalters gleichmäßig hoch ist und eine Vaterschaft sich nach wie vor in keiner Weise in Richtung einer Reduzierung der Erwerbsarbeitsbeteiligung auswirkt. Im Gegenteil ist sogar nachgewiesen, dass Männer mit der Geburt von Kind(ern) ihr berufliches Engagement intensivieren und beruflich aufsteigen bzw. erfolgreiche Männer sehr viel häufiger Partnerin und Kinder haben als niedrigqualifizierte Männer. Dies hängst zum einen mit der plötzlichen Alleinverdienersituation der Männer in jungen Familien, in denen Frauen zu Gunsten des Kindes aus dem Beruf aussteigen, zum anderen mit einem Traditionalisierungsschub spätestens mit der Geburt des ersten Kindes zusammen. Mit dem zweiten Kind scheint dann eine völlige Arbeitsteilung besiegelt, der durchschnittliche Zeitaufwand für die Erwerbsarbeit beträgt beim Familienvater dann durchschnittlich 45 Stunden, womit auch, zumindest in den Altbundesländern beim Modell der Versorgerehe die familiale Arbeit ganz auf die Frau abgeschoben wird. (vgl. Wunderlich/Helfferich/Klindworth 2004, Engstler/Menning 2003, Niemer 2004).
Eine nennenswerte Unterscheidung von Vätern und Müttern ist allerdings noch an dieser Stelle festzuhalten, die bei alleinerziehenden Vätern und Müttern zu beobachten ist. Während alleinerziehende Väter so gut wie keine Einschränkungen auf Grund der Vaterschaft im Bereich der Erwerbsarbeit vornehmen und so auch nicht mit Einkommenseinbußen kämpfen müssen, zählen alleinerziehende Mütter zur einkommensschwächsten Gruppe (vgl. Diewald/Sörensen 1995).
Die Erwerbsarbeitsbeteiligung der Frauen bzw. Mütter ist dagegen einem Zyklus unterworfen, der ausgesprochen abhängig von Familienerweiterung und -konsolidierung und dem Alter der zu versorgenden Kinder ist. In Deutschland kann also nach wie vor keine Rede von einer gleichwertigen Beteiligung von Frauen, die außerdem noch Mütter sind, an der Erwerbsarbeit sein. Bei Frauen mit Kindern unter 3 Jahren liegt die Erwerbsquote insgesamt bei 30%, davon im Westen Deutschlands mit zwei Dritteln in einer Teilzeitbeschäftigung. Mehr als die Hälfte aller westdeutschen Frauen und fast zwei Drittel aller ostdeutschen Frauen mit Kindern zwischen 3-6 Jahren ist erwerbstätig. Der Anteil der Teilzeitbeschäftigten beträgt über den gesamten Zeitraum der Betreuung minderjähriger Kinder im Haushalt in den alten Bundesländern mehr als das Doppelte der Vollzeitbeschäftigten, während in den neuen Bundesländern fast immer doppelt soviel Frauen Vollzeit arbeiten wie Teilzeit (vgl. Engstler/Menning 2003). Dabei ist der Anteil der erwerbstätigen Frauen in Ostdeutschland in den Jahren nach der Wende maßgeblich gesunken, was zum einen an einer neuen Orientierung liegt, vor allem die ersten 1-2 Jahre die Kinder selbst zu Hause zu betreuen, zum anderen an Arbeitsmarktbedingungen, die Frauen und Mütter im Osten überproportional gegenüber Männern benachteiligen (vgl. ebd.)
Schon länger bekannt ist, dass auf die Erwerbstätigkeit der Frau sich maßgeblich das Einkommen des Mannes auswirkt. Ein niedriges Einkommen des Mannes hat eine höhere Erwerbsbeteiligung der Frau zur Folge und umgekehrt. Ein höheres Einkommen des Ehemannes korreliert sogar mit der Kinderzahl einer Familie. Es werden eher zweite und weitere Kinder geboren (vgl. Statistisches Bundesamt 1990).
Aber auch der Bildungsabschluss der Frau wirkt sich auf die Erwerbsquote aus: je höher der Abschluss, umso höher die Erwerbsbeteiligung. Im Kapitel 5 wird dann die geringere Geburtenhäufigkeit der höher qualifizierten Frauen beschrieben.
Das Einkommensgefälle zwischen Männern und Frauen ist in der Zeit der Kinderbetreuung durch die Frauen sehr hoch (vgl. ebd.). Frauen, die vor der Geburt des Kindes eine hohe Erwerbsarbeitsorientierung an den Tag legten oder einen guten Verdienst hatten, kehren eher in den Beruf zurück als andere Frauen, die oft eine Teilzeittätigkeit mit durchschnittlich 6-8 Stunden pro Woche in meist unterqualifizierten Bereichen annehmen (vgl. Niemer 2004). Die Beteiligung des Mannes an der familialen Arbeit hängt dabei ausschließlich vom Bildungsgrad der Frau, nicht aber des Mannes ab (vgl. Wunderlich/Helfferich/Klindworth 2004), und ist ein Hinweis darauf, dass Traditionalisierungsprozesse von beiden Geschlechtern getragen werden und Frauen durchaus als mitverhandelnde Akteurinnen in der Verteilung von Arbeit gesehen werden sollten (siehe dazu auch das Kapitel zum Geschlechterkontrakt); denn laut Umfragen unter männlichen Studierenden scheinen diese die Träger der Generation mit einem neuen Männerbild zu sein, die ihr Studium bzw. ihre Erwerbsarbeit hypothetisch reduzieren würden, wenn sie ein Kind hätten (vgl.Hendel-Kramer/Helfferich/Wehner 2004), was dann im Gegensatz zu allen Studien steht, die die tatsächliche Verteilung der Arbeit unter Paaren nach der Geburt des ersten Kindes untersuchen.
Interessanterweise sind Erwerbs- und familiale Arbeitsverteilungsmuster auch von der Region (bzw. der Kultur) abhängig, da für den Osten Deutschlands, wie bereits hin und wieder im Text ersichtlich, eine egalitärere Arbeitsverteilung konstatiert werden kann, auch wenn traditionale Einstellungen nach wie vor noch (und wieder) verbreitet sind (vgl. Wunderlich/Helfferich/Klindworth 2004).
Fakt ist, dass mit dem Familienernährermodell, das in weiten Teilen mit mehr oder minder Zufriedenheit von den Geschlechtern praktiziert wird, eine Verstärkung der Ausdifferenzierung von männlich geprägter Erwerbsarbeit mit Karriereambitionen und weiblich geprägter Familienarbeit mit Verzicht auf berufliche Karriere und dem Verlust des Wertes von guter Ausbildung durch lange Kinderbetreuungszeiten einhergeht (vgl. Niemer 2004) und so die gesellschaftlichen Verhältnisse der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung immer wieder bestätigt und neu schafft.
Elternschaft braucht Zeit. Mit der Zeit ist in der modernen und postmodernen Gesellschaft aber ein gravierender Wandel vor sich gegangen.
Alte Sozialgebilde der ständischen Gesellschaft wie die Kirche, die Sippe und autoritäre Eliten, die neben der weit verbreiteten bäuerlichen Arbeit selbst Zeit rhytmisch und zyklisch strukturierten, geben Funktionen und Aufgaben an neu entstehende Sozialgebilde ab (vgl. Neidthardt 1975). Neue gesellschaftliche Begrenzungsprozesse gingen nun sehr stark von der Schicht des verstärkt entstehenden Bürgertums aus. Sie werden zur tragenden sozialen Schicht in diesem Wandlungsprozess und geben gemeinsam mit dem Staat hegemonial die Impulse für die neuen nomischen Strukturen der modernen Gesellschaft. Als wichtigste prinzipielle Neuerungen der bürgerlichen Auffassung und Lebensweise sind das Leistungsprinzip zur Erreichung des Standes (in Abgrenzung zur Standesgeburt und Müßiggang im Adel) und die vernunftgeleitete selbstverantwortete Entscheidungsfreiheit des Individuums zu nennen. Damit einher geht eine immer spezialisierte Arbeitsteilung und die Dualisierung der Gesellschaft in Öffentlich und Privat.
Beim Prozess der Industrialisierung wurden die bürgerlichen Arbeitsprinzipien nun einer großen Breite der Bevölkerung abverlangt. Die Arbeiter durchliefen einen Transformationsprozess, der eine komplette Neuorientierung an Qualifikationen beinhaltete. Gemeint sind weniger die gegenstandsbezogenen Qualifikationen – da standen eher Dequalifizierungsprozesse der Arbeiterschaft an – als vielmehr die mit der tauschbezogenen Überformung des Gegenstandsbezuges in Zusammenhang stehenden Qualifikationen, konkreter dem Sozialverhalten der Arbeiterschaft. Das Akzeptieren einer linearen Zeitstruktur, die Trennung von Leben und Arbeit, der Verzicht auf die Befriedigung vitaler Lebensbedürfnisse während der Arbeit etc. erforderten eine generelle Umstrukturierung des Sozialcharakters (vgl. Bollinger 1980). Da sich mit dieser Umstrukturierung die reproduktiven Aufgaben des außer Haus im Produktionsprozess Involvierten mit der Erwerbsarbeit schlecht vereinigen ließen, wurde die bürgerliche Arbeitsteilung zwischen produzierendem öffentlichen und reproduzierendem privaten Leben besonders attraktiv. Ein Vorteil der Arbeitsteilung insgesamt ist das bessere Gerechtwerden an die Anforderungen der verschiedenen Arbeitsbereiche. Anforderungen hinsichtlich des Sozialverhalten (die ja als konträr bzw. komplementär zwischen öffentlich und Privat angelegt sind ) und z.B. der Zeitstruktur müssen nicht mehr in einer Person ausbalanciert werden.
Im Zeitalter der Globalisierung und moderne Kommunikationsmedien sowie Technologisierung beschleunigt sich Zeit, die neue, beschleunigte Lebensweise frisst geradezu Zeit (Böhnisch 2003, Sennett 2000, Reheis 2003 – Internetquelle 4). Indem alles schneller geht und Zeit intensiver genutzt werden muss, verschwindet die gewonnene Zeit mit ihrer Beschleunigung. Kinder haben noch ihre eigene Zeit, eine Zeit jenseits der Uhrzeit (Beck-Gernsheim 1989). Eltern dagegen müssen wandeln zwischen der Zeit des digitalen Marktes, wo es Schritt zu halten gilt und den Tempi der Kinder, die wie Sand im Getriebe der Zeitbeschleunigungsmaschinerie wirken. Der digitale Kapitalismus verengt Zeit auf seine Rentabilität – Zeit ist gleich Geld (vgl. Sander 2000). Darüber hinaus kennt er keine weitere Dimension von Zeit, obgleich es eine eigene Lebenszeit mit eigenem Wert gibt, diese aber dem effizienten, rationalen Menschen, der auch immer in der Logik der Ökonomie des Marktes gefangen wird, aberkannt wird. Wer auf dem Markt mithalten will, muss immer ein bisschen schneller rennen als die anderen. Was treibt die Einzelnen an, immer schneller im Hamsterrad des Wettlaufs zu rennen? Fritz Reheis enttarnt den Antrieb als die Logik des Marktes: „Es ist die Eigendynamik des Geldes, die den Austausch der Waren und damit unser Leben beherrscht, statt ihm zu dienen. Davor hatte schon Aristoteles gewarnt, später Marx. Heute spricht man verharmlosend von der Sharholder-Value-Logik. Das globale Kapital, hoch flexibel und extrem schnell, bestimmt den Takt der Weltwirtschaft. Alle anderen Märkte und damit auch die Menschen beugen sich diesem Takt. Wir sind Opfer eines globalen und totalitären Erpressungssystems geworden“ (Kessler/Reheis 2004, S. 20).
Für Eltern, die quasi aus diesem Hasterrad zumindest teilweise aussteigen, weil sie sich der wirtschaftlich höchst uneffizienten, zeitraubenden Aufgabe der Kindererziehung widmen, schlägt der Zeitdruck aber trotzdem in mehrfacher Hinsicht zu. Zum einen wirtschaftlich, da meist ein Elternteil vermehrt arbeiten muss, die wirtschaftliche Sicherung der Familien übernehmen muss, um nach der Geburt eines Kindes für mehr Personen mit weniger Einkommen klarzukommen. Zum anderen, weil sie die Zeiten der Kinder denen der Institutionen mit ihren rigiden Zeitvorgaben beugen müssen. Zum Dritten durch eine Überlagerung von Aufgaben im deutschen Kariere- und Familienzyklus. Kariere kann nur machen, wer am Ball bleibt, sich ständig genügend weiterbildet und engagiert. Kinder brauchen Zeit, will man eine gute Beziehung zu ihnen aufrechterhalten und ihnen eine so oft geforderte optimale Förderung zukommen lassen. Die gesamte soziale und materielle Existenzgründung braucht Zeit, bis Netzwerk und Wohnraum und Ausstattung für das Großziehen der Kinder tauglich sind. All dies intensiviert die Arbeitszeit junger Eltern enorm und lässt kaum eine Verschnaufpause zu. Bertram plädiert deshalb dringend für eine Entzerrung der Zeit bei Familien durch neue Modelle und Module von Ausbildung, lebenslangem Lernen, Karriere und finanzieller Unterstützung von Familien zur weniger stressigen und im Lebensverlauf länger möglichen Entscheidung für Kinder (BMFSFJ 2005 – Internetquelle 5)
Arbeitszeit müsste für Familien mit Kindern reduzierbar und den Lebensunterhalt trotzdem ausreichend sichernd sein. Frauen wie Männer, vor allem aber 35% der Väter wünschen sich eher eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit zugunsten der Hausarbeit und Familie, wie die Daten der Erhebung der Zeitverwendung von Familien des Bundesfamilienministeriums belegen (BMFSFJ 2003 – Internetquelle 6). Konzepte der Lebensarbeitszeit wären ebenso sinnvoll diskutierbar, um den Personen in der Gesellschaft, die mit der Übernahme reproduktiver Verantwortung eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe übernehmen und dort bereits eine Fülle von Zeit mit Arbeit verbringen, Anerkennung und die persönliche Vereinbarung der beiden Arbeitsfelder von Erwerbs- und Familienarbeit zu ermöglichen, ohne sie im Arbeitspensum gegenüber Kinderlosen gravierend schlechter zu stellen. Dies ist mit den zurzeit noch gängigen Überlegungen mit einer möglichst breiten Erwerbsbeteiligung von Müttern und einer damit verbundenen Entfamilialisierung und vorzugsweise außerhäuslichen, öffentlich finanzierten Betreuung der Kinder meist an den Bedürfnissen von Vätern und Müttern vorbei. Dieses Prinzip arbeitet weiterhin mit der Abwertung der Familienarbeit und drängt die „Nur-Familienarbeiterinnen“ in eine noch minderwertigere Rolle. Weiterhin behält dieser Zugang den Ausschluss der Väter von der Familienarbeit bei und übergeht überdies das Bedürfnis von Eltern, ausreichend Zeit ihrer Familie, insbesondere der Erziehung ihrer und der Beziehung zu ihren Kindern zu widmen.
Zunächst soll geklärt werden, was unter Familien zu verstehen ist. Der Plural der Familien ist bewusst gewählt.
Schon als kleine Kinder war es eines der zentralen Spiele: Vater, Mutter, Kind. Die Familie schlechthin. Aber in den Zeiten der Pluralisierung muss Familie nicht mehr zwangsläufig Vater, Mutter, Kind sein. Auch in der Geschichte war Familie nicht ausschließlich Vater, Mutter, Kind. Der Begriff für Familie sollte deshalb zeit-, kultur- und auch idealübergreifend sein. Übrig bleibt so die kleinste Möglichkeit von Familie als einer Beziehung von unmittelbar aufeinander bezogenen Generationen.
Ordnete Tyrell (Tyrell 1983) die Familie noch in den Systemtypus der sozialen Gruppe ein, spricht Lenz von der Familie als dem Konzept persönlicher Beziehungen. „Vielmehr entsprechen Familien des Strukturtypus persönlicher Beziehungen, wobei sich ihre Besonderheiten daraus ergeben, dass die persönlichen Beziehungen – ausschließlich oder zumindest als Zentrum – aus Personen gebildet werden, die unterschiedlichen, unmittelbar aufeinander bezogenen (Abstammungs-) Generationen angehören (Lenz/Böhnisch 1999, S. 29).
Die von Tyrell aufgezeigten zwei ausschließlichen Wege, Mitglied einer Familie zu werden, nämlich Ehe und Geburt (Filiation) (vgl. Tyrell 1979), sind nach den obigen Kriterien der Zeit- Kultur- und Idealunabhängigkeit nicht mehr haltbar. Zum einen ist die Ehe nicht konstitutives Bestimmungsmerkmal einer Familie, zum anderen setzt Elternschaft nicht zwangsläufig die biologische oder rechtlich legitimierte Adoptivelternschaft voraus.
Die Autoren Böhnisch und Lenz erörtern die oftmals als Grundbaustein der Familie geltende Mutter-Kind-Dyade, da die Anbindung des Vaters zur sogenannten Kernfamilie ungewiss erscheint (vgl. Lenz/Böhnisch 1999). Jedoch basiert die Mutter-Kind-Dyade ebenfalls auf einer kulturellen Zuschreibung, die gestützt durch kollektiv erinnerte Plausibilitätsstrukturen natürlich erscheint, aber durchaus nicht auf einem natürlich vorgegebenen Brutpflegemotiv basiert. Diese Dyade erscheint auch deshalb als so stabil, weil der Mythos der Natürlichkeit der Mutter-Kind-Dyade durch die der Mutter mit der Betreuung des Kindes kulturell auferlegten Pflichten gestützt wird. Deshalb scheidet auch die Mutter-Kind-Dyade als kulturell vermittelte als kleinster Grundbaustein der Familie aus, sondern müsste der Definition folgend konsequenterweise eine Übernahme der sozialen Elterfunktion in einer persönlichen Beziehung zu einem Kind sein. Diese Elterfunktion ist vom Geschlecht und auch der biologischen Elternschaft unabhängig. Nicht abgestritten werden soll allerdings, dass die biologische Elternschaft motivationsschaffend und –bestärkend wirkt (vgl. ebd.).
Ähnlich dem Konzept der persönlichen Beziehungen von Lenz führt Schülein (1990) den Begriff der Primärgruppe wieder ein. Einst von Cooley (1902) eingeführt, als Charakterisierung eines umfassenden Modells sozialer Organisationen, aber dann wegen der Unschärfe seines Begriffes nicht mehr weiterverfolgt, gibt Schülein diesem Begriff eine andere Verwendung. Als Ausgangspunkt nimmt Schülein dabei die Qualität der Beziehungen, die Primär- und Sekundärgruppen unterscheiden und so unterschiedlichste Formen von Familien und nichtfamiliären Formen primärer Kontakte beschreiben kann. Qualitativ macht die Beziehung einer Primärgruppe ein hoher Grad von Intensität, eine große thematische Breite und Häufigkeit der Kontakte sowie ein hohes Maß an wechselseitiger Relevanz als Bezugspersonen aus. Dabei verbindet Schülein die soziologische Bestimmung von Primärgruppen mit psychologischen und sozialisationstheoretischen Aspekten, was diesen Ansatz besonders interessant für die Beschreibung persönlicher Beziehungen macht. Da die Mitglieder der Primärgruppe einander hochrelavante Bezugspersonen sind und die Gesamtpersönlichkeit integrieren, also nicht wie sekundäre Gruppen formalisiert, differenziert und technisiert werden können, bleibt die Beziehung die Grundlage für fortwährende psychische Abarbeitung, Übertragung, Formierung wechselseitiger Sozialisation und triebabhängiger Begegnungen sowie hoher Autonomie gegenüber der Umwelt (was mit „Archaik“ der Primärgruppe umschrieben werden kann). Weiterhin zeichnet die Primärgruppe Primitivität im institutionstheoretischen Sinne aus – die Primärgruppe bleibt abhängig von den konkreten Personen und ihrer psychosozialen Identität – sie handelt irrational im Sinne der nicht berechenbaren Reaktionen durch die Eigendynamik der persönlichen Identität der Beteiligten und ihrer Beziehung; Sache und Person sind schwerlich zu trennen, was in der struktur-funktionellen Theorie als „Diffusität“ bezeichnet wurde und sie besitzt in sich widersprüchliche Anlagen zu Stabilität und Dauer der Beziehungen, weil die Triebdynamik intensiver Art auch immer Formen des „Umkippens“ beinhaltet und trotz aller selbststabilisierenden und problemabsorbierenden Fähigkeiten Zu- und Abneigung eng bei einander liegen (vgl. Schülein 1990).
Familie lässt sich nun je nach Zugehörigkeit zu ihr speziell bezeichnen. Vom Kind aus betrachtet handelt es sich um die Elternfamilie, lebt das Kind bei einem Elternteil handelt es sich um eine Ein-Elter-Familie, um die Mutterfamilie (in 86% der Fälle), wenn das Kind bei seiner alleinerziehenden Mutter lebt, um die Vaterfamilie, wenn das Kind beim Vater lebt.
Von den Eltern aus gesehen handelt es sich im Zusammenleben mit den Kindern um die Eigenfamilie. Beinhaltet diese ein Paar und Kind(er), so spricht man von der sogenannten Kernfamilie, der kulturell dominanten Familie bürgerlichen Modells. Als Mehrgenerationenfamilie wird eine Familie bezeichnet, die in der Generationentiefe vergrößert ist, während von einer erweiterten Familie die Rede ist, wenn die Familie neben dem Generationenzusammenhang weitere Personen umfasst. Betreffs der biologischen und sozialen Elternschaft gibt es weitere Familienformen mit folgenden Bezeichnungen: Handelt es sich um Stieffamilien, so wird unterschieden in eheliche und nichteheliche Stieffamilien sowie in sogenannte Zweikernfamilien, wenn nach der Auflösung der ursprüngliche Eltern-Dyade zwei neue Familien mit für das Kind doppelter Stiefelternschaft entstehen. Dabei spricht man von primärer und sekundärer Stiefelternfamilie, je nachdem in welcher Familie das Kind seinen überwiegenden Lebensmittelpunkt hat.
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