Examensarbeit, 2004
66 Seiten, Note: 1,3
Didaktik für das Fach Deutsch - Pädagogik, Sprachwissenschaft
1. Einleitung
2. Die Bedeutung des Lesens und der Lesemotivation
2.1 Zum Begriff der Lesemotivation
2.2 Funktionen des Lesens
2.3 Förderung der Lesemotivation als Aufgabe des Deutschunterrichts
3. Das Lesetagebuch als handlungs- und produktionsorientierte Methode
3.1 Zum Begriff „Lesetagebuch“
3.2 Einsatzmöglichkeiten des Lesetagebuchs
3.3 Vorteile des Lesetagebuchs
4. Lesen in meiner Lerngruppe
5. Konzept zur Förderung der Lesemotivation mit Hilfe des „Lesetagebuchs“
5.1 Legitimation der Methode „Lesetagebuch“
5.2 Schwerpunktsetzung
5.3 Zielsetzung
5.4 Planung des Konzepts
5.5 Durchführung und Reflexion des Konzeptes
5.6 Erforderliche Lehrerfunktionen
6. Evaluation
7. Ausblick
8. Literaturverzeichnis
9. Anhang
Anhang
Verzeichnis der Anhänge
Anhang 1: Fragebogen zur Bestandsaufnahme
Anhang 2: Fragebogen zur Evaluation
Anhang 3: Auswertung interessanter Fragen der Fragebögen
Voraussetzungen der Klasse 6b zu Beginn der Unterrichtsreihe
Fragen zur Veränderung der Lesemotivation nach Beendigung der Unterrichtsreihe
Anhang 4: Grafische Darstellung des Konzepts
Anhang 5: Hilfen
Formale Vorgaben
Sinn und Nutzen des Lesetagebuchs
Notationsmöglichkeiten
Anhang 6: Arbeitsvorschläge zu den einzelnen Kapiteln
Anhang 7: Verlauf der Unterrichtsreihe
Anhang 8: Seiten aus Lesetagebüchern der Klasse 6b
Das selbstvergessene, süchtige Lesen der Pubertät wird gerade heute als unterlässliche Durchgangsstufe zu einer lebenslangen Lesekarriere angesehen.[1] Leider spielt das Lesen im Leben vieler Jugendlicher aber kaum noch eine Rolle. Dies hat sich spätestens mit der PISA-Studie, die den Blick auf das Lesen als eine grundlegende Kompetenz gelenkt hat, gezeigt. Die Studie stellte heraus, dass deutsche Schüler[2] im internationalen Vergleich in Hinblick auf ihre Lesekompetenz[3] miserabel abgeschnitten haben.
Mit Hilfe der PISA-Studie wurde nicht nur deutlich, dass 42% der deutschen Schüler nicht zum Vergnügen lesen[4] ; die Ergebnisse zeigen außerdem – und dies steht in direktem Zusammenhang mit der hohen Leseunlust der Schüler – dass die getesteten deutschen 15-jährigen im Vergleich zur Lesekompetenz der Schüler anderer Länder auf dem 21. Platz landeten[5]. Es zeigte sich dabei, dass eine Gruppe von fast 23% der deutschen Schüler nur auf sehr elementarem Niveau lesen kann und den Anforderungen der Kompetenzstufe zwei nicht gewachsen sind; lediglich 9% der deutschen Schüler erreichten die höchste Kompetenzstufe fünf.[6]
In der PISA-Studie wird der Einfluss von Leseinteresse, kognitiver Grundfähigkeit, Lernstrategien und Dekodierfähigkeit auf die Lesekompetenz herausgestellt.[7] Abgesehen von der anlagebedingten Intelligenz können diese Faktoren beeinflusst werden, so dass gerade die drei übrigen Bereiche in der Schule zunehmend gefördert werden sollten. Lesefreude und Leseinteresse sowie die Etablierung von leseförderlichen Haltungen und Gewohnheiten werden als zentraler Faktor zur Förderung der Lesekompetenz bezeichnet, da diese dazu führen, dass tatsächlich und kontinuierlich gelesen wird.[8] Die Leselust, um die es mir hier vorrangig geht, hängt somit unmittelbar mit der Lesefähigkeit zusammen; beide bedingen sich gegenseitig – wird das eine gefördert, so wirkt sich dies auf das andere aus. „Lesekompetenz und Lesemotivation gehören nämlich aufs engste zusammen: Nur wer über ausreichende Lesefertigkeiten verfügt, wird auch freiwillig in der Freizeit Gefallen am Bücherlesen finden. Umgekehrt gilt aber auch: Nur wer von sich aus in der Freizeit zum Buch greift, wird über stete Übung die eigene Lesekompetenz weiterzuentwickeln vermögen.“[9]
Dass das Lesen einen geringen Stellenwert im Leben meiner Schüler einnimmt, zeigte sich auch in der Klasse 6b sehr schnell. Mein Eindruck bestätigte sich durch Gespräche mit unterschiedlichen Kollegen, so dass ich versuchen wollte, einen Weg zu finden, die Interessen und Bedürfnisse der Schüler zu berücksichtigen, das Lesen für sie attraktiver zu gestalten und sie somit zum Lesen zu motivieren. Es ergab sich für mich die Konsequenz, an der Lesemotivation der Schüler anzusetzen, sie zum Lesen zu ‚verlocken’ und somit längerfristig auch ihre Lesekompetenz zu verbessern. Doch wie bringt man Schülern nahe, dass Literatur aufregend sein kann, dass Bücher Spaß machen, man in ihre Handlung eintauchen und Geschichten ‚miterleben’ kann?
Um dies zu vermitteln eignete sich m. E. nach weniger ein analytischer Literaturunterricht, als vielmehr eine handlungs- und produktionsorienterte Auseinandersetzung mit einem Jugendbuch. Neben dieser geplanten Art des Unterrichts wollte ich den Schülern gleichzeitig einen individuellen und größtenteils selbsttätigen Umgang mit der Lektüre ermöglichen, um das Lesen möglichst so zu gestalten, dass es Ähnlichkeit mit der privaten Lektüre zu Hause hat.
Die Methode, die sich meiner Meinung nach hierfür besonders anbietet, ist das Lesetagebuch. Der Umgang mit demselben und insbesondere dessen gezielter Einsatz zur Förderung der Lesemotivation sollen in dieser Arbeit im Mittelpunkt stehen.
Bevor ich mein Konzept darstelle, möchte ich zunächst aufzeigen, warum Lesen in der heutigen Zeit überhaupt noch wichtig ist und einige Informationen zur Methode des Lesetagebuchs geben. Abschließend werde ich überprüfen, inwieweit die Anwendung meines Konzeptes in der Klasse 6b tatsächlich mein Ziel, die Lesemotivation zu fördern, erreichen konnte. Diese Feststellung des Erfolgs wird hauptsächlich auf der Grundlage eines Fragebogens geschehen.
Motivation kann man definieren als „die Bereitschaft, in einer konkreten Situation eine bestimmte Handlung mit einer bestimmten Intensität bzw. Dauerhaftigkeit auszuführen“[10]. Der momentane Lebensvollzug wird dabei aktiv auf einen positiv bewerteten Zielzustand hin ausgerichtet[11], was darüber hinaus impliziert, dass man sich anstrengt und ablenkungsfrei bei der Sache bleibt[12].
Man unterscheidet zwischen intrinsischer Motivation, bei der die Ausführung der Handlung aus sich heraus die Belohnung darstellt und diese somit um ihrer selbst willen durchgeführt und als befriedigend erlebt wird, und extrinsischer Motivation, die aufgrund von Aussicht auf Belohnung bzw. Bestrafung durch jemand anderen entsteht.[13]
Die Lesemotivation ist nach Groeben und Vorderer wiederum vom Leseinteresse zu unterscheiden: So beschreibt das Leseinteresse den ‚Ist-Zustand’, während die Lesemotivation die Entwicklung bzw. den Prozess meint, wie die verschiedenen Leseinteressen im Laufe der Persönlichkeitsentwicklung zustande gekommen sind, welche Bedingungen zu der Vorliebe geführt haben und durch welche Bedingungen sich das Interesse verändert oder entwickelt hat.[14]
Motivation ist die grundlegende Erfolgsbedingung für alle Lernprozesse. „Lesemotivation ist kulturelles Kapital […], das Eltern ihren Kindern ‚vererben’ und das eine erhebliche Chance, sich in der oberen Klasse der Gesellschaft zu etablieren, mit sich bringt. Ihr Fehlen ist der offensichtlichste Faktor des Nicht-Lesens.“[15] Schulische Leseförderung muss daher insbesondere bei der Lesemotivation ansetzen. Wenn es der Schule gelingt, Lesefreude zu wecken und das Lesen fest im Leben der Schüler zu verankern, dann wird sich auch die Lesekompetenz weiter entwickeln und verbessern.
Insbesondere, weil heute nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass Schüler eine stabile Lesemotivation mitbringen muss die Schule diese mit aufbauen und die Voraussetzungen schaffen, dass sie nicht wieder abbricht.[16]
Die Lernsituation „muß die Möglichkeit bieten, Eigenverantwortlichkeit im Umgang mit bedeutsamen Lernaufgaben zu übernehmen und selbstwertdienliche Informationen zu gewinnen“[17], um zum Lernen zu motivieren.
Warum das Lesen wichtig für die Schüler ist und im Unterricht gefördert werden sollte, wird im folgenden Abschnitt erläutert.
Lesen genießt in unserer Gesellschaft hohes Ansehen; wer liest, gilt als gebildet.[18] Doch wozu dient die Fähigkeit, lesen zu können und Texte zu verstehen?
In unserer sich stetig verändernden Gesellschaft definiert sich Wissen nicht mehr darüber, Fakten auswendig zu lernen und abzurufen. Stattdessen wird es immer wichtiger, zu wissen, wie man sich entsprechende Informationen beschaffen kann. Um einen „Zugang zu schriftlich überlieferten Kulturgütern“[19] und somit sowohl zu Büchern als auch zu anderen Medien wie dem Internet oder der CD-ROM zu erhalten ist das Lesen unerlässlich. Grzesik unterscheidet von der allgemeinen die spezielle Informationsfunktion des Lesens: allgemein ergibt sich das Interesse am Text aus der Neugier, aus dem Bedürfnis, etwas zu erfahren. Die spezielle Informationsfunktion meint darüber hinaus den Zugang zu Informationen, die ausschließlich über das Lesen erworben werden können.[20]
Aufgrund der Tatsache, dass der Leser einen Text zunächst dekodieren muss und somit stark kognitiv gefordert wird, fördert das Lesen die Konzentration und Ausdauer[21] und führt zur Erweiterung und Festigung kognitiver Strukturen, da das Denken eine Voraussetzung für das verstehende Lesen ist.[22] Neue Begriffe werden dabei mit vorhandenem Wissen verknüpft, bereits vorhandene Wissensstrukturen werden aktiviert und gegebenenfalls verändert.[23] Lesen ist somit eine konstruktive Operation.[24]
Außerdem erweitert das Lesen die Sprachkompetenz und die Gesprächsfähigkeit, indem der Leser Texte versteht und seine Fähigkeit zum eigenständigen Formulieren[25] und die Entwicklung von Sprache, Wortschatz und Stil gefördert wird.[26]
Eigene Erfahrungen können in historische und zeitgenössische Zusammenhänge eingeordnet werden, und auch „die Fähigkeit, sich in Gedanken, Vorstellungen und Wünsche anderer hineinzudenken“[27] wird begünstigt, so dass ebenso von einer emotionalen Seite des Lesens gesprochen werden kann.[28] In diesem Sinne dient das Lesen also auch der Erweiterung sozi-aler Kompetenzen durch die Entwicklung von Handlungsalternativen, Identifikation mit Figu-ren und somit einer Vertiefung der Empathiefähigkeit.[29] Insbesondere das Lesen fiktionaler Texte fördert folglich zugleich die Entwicklung von Identität und Individualität.
Lesen ist „Schlüssel zur Medienkultur“[30]. Dies zeigt sich auch in einer Studie von Bonfadelli/ Saxer, die herausstellen, dass regelmäßige Leser unter den Jugendlichen aus informativen Fernsehsendungen mehr profitieren als die gewohnheitsmäßigen Fernsehkonsumenten unter ihnen.[31]
Da das Lesen mit unterschiedlicher Akzentuierung in allen Lebensphasen von Bedeutung ist und seine Relevanz vor allem auch als Voraussetzung für schulischen und beruflichen Erfolg zu nennen ist, wird die geringe Lesefähigkeit und –bereitschaft „zunehmend als soziales und politisches Problem ernstgenommen“[32]. Um diesem entgegenzutreten bietet es sich vor allem an, an der Lesemotivation anzusetzen, da „Leseappelle im Zusammenhang mit Schulleistungen wenig erfolgreich [sind]. Motivationen werden nicht durch Leistungsdruck aufgebaut; sie entstehen nur dann, wenn Handlungen auch befriedigen.“[33]
Im Folgenden möchte ich darstellen, inwieweit die Förderung der Lesemotivation ihren Stellenwert Deutschunterricht einnimmt:
„Freude an Texten [zu] gewinnen“[34] wird im Lehrplan Deutsch für die Hauptschule im Bereich ‚Umgang mit Texten’ als ein Ziel genannt. Das Deutsche PISA-Konsortium stellt „die Förderung von Lesekompetenz im Sinne einer effektiven Informationsverarbeitung (Lesever-ständnis) und der Vermittlung von Werteinstellungen, motivationalen Orientierungen und Gewohnheiten, die einen selbstverständlichen und lustvollen Umgang mit Texten und Literatur widerspiegeln“ als Aufgabe der Sekundarstufe I heraus.[35]
Aus verschiedenen Untersuchungen geht allerdings hervor, dass vorrangig der Einfluss des Elternhauses auf die Lesesozialisation entscheidende Wirkung hat.[36] Hurrelmann hat festgestellt, dass die Mutter als zentrale Bezugsperson für die Entwicklung zum Leser bedeutsam ist[37] ; die beste Auswirkung auf das Lesen hat allerdings ein leseförderndes Verhalten beider Elternteile.[38] Gerade Hauptschüler kommen aber zumeist nicht aus lesefördernden Familienverhältnissen.[39] Daher muss insbesondere der Deutschunterricht an der Hauptschule versuchen, dieses Defizit auszugleichen und die in dieser Hinsicht von ihrer Sozialisation her benachteiligten Schüler ‚zum Lesen verlocken’.
Schullektüre wird allerdings überwiegend unlustbetont und als Zwang erlebt, und zwar sowohl in Hinblick auf die Art des Lesens, die Lesegeschwindigkeit, die Behandlung des Lesestoffes sowie die fremdbestimmte und nicht altersgemäße Auswahl der Texte.[40]
Runge stellt heraus, dass es gerade innerlich belohnende, also intrinsisch motivierende Leseerfahrungen sind, die zum Lesen führen, so dass die Schule versuchen sollte, den Schülern gerade solche Erfahrungen mit Büchern zu ermöglichen, die ihnen die Möglichkeit zu emotionalem, genießendem und identifikatorischem Lesen geben.[41] Um zum Lesen zu motivieren sollte das schulische Lesen nicht ausschließlich interpretatorischen Charakter, sondern, so wie das private Lesen, zunehmend identifikatorischen Charakter aufweisen, da Schüler an der zuerst genannten Art der Textrezeption weniger Interesse haben.[42] „Solange die Schule nur die Lesemotive, nicht aber die spezifischen Rezeptionsweisen der Schüler ernstnimmt und aufgreift, wird sie auch deren Lesewirklichkeit nicht erreichen – und schon gar nicht verändern können.“[43]
Die literarische Erziehung in der Schule hat sich im Laufe der Zeit stetig verändert. Schon Dahrendorf erkennt 1967, dass die Kinder „ klar das Lesen in der Schule von ihrem Privatlesen [trennen]. Im Hause wird gelesen, was den persönlichen Wünschen und Interessen entspricht, in der Schule, was einem aufgezwungen wird.“[44] In den 70er Jahren wird dann versucht, derartige „Literaturbarrieren“[45] abzubauen, indem vor allem privater Lesestoff in den Unterricht eingeführt wird. Seit dieser Zeit wird weniger die textorientierte und zunehmend die lese- und rezeptionsorientierte Didaktik propagiert, die das Interesse und die Bedürfnisse des jugendlichen Lesers in den Mittelpunkt stellt.[46] In der zweiten Hälfte der 70er Jahre entwickelt sich ein Trend zum handlungs- und produktionsorientierten Unterricht.[47] „Der handlungs- und produktionsorientierte Ansatz ist dem Anliegen entsprungen, die schulische Lektüre mit der privaten zu verknüpfen und so die Lust am Lesen in der Schule zu fördern.“[48] Der Lesevorgang wird dabei als „mehrperspektivisch-situationsbezogener Prozess“[49] verstanden, bei dem der Leser nicht nur rezeptiv-kognitiv verschiedene Aussagen aus dem Text entnimmt oder übernimmt, sondern sein eigenes Wissen, seine Erfahrungen, Einstellungen, Wertungen, Gefühle und Ängste mit einfließen lässt.[50] Diese Einschätzung ergibt sich vorrangig aus der Rezeptionsästhetik, die herausgearbeitet hat, dass „der Sinn eines Textes immer vom Leser mitgeschaffen wird“[51].
Zu seiner eigentlichen Entfaltung gelangt der handlungs- und produktionsorientierte Umgang mit Kinder- und Jugendliteratur erst in den 80er Jahren.[52]
Eine spezielle Form des handlungs- und produktionsorientierten Literaturunterrichts[53] ist das Lesetagebuch, das ich im Folgenden näher darstellen werde.
Das Lesetagebuch ist keine ganz neue Methode. Es wird bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts mit verschiedenen Intentionen und auf unterschiedliche Weise eingesetzt.[54]
Das Tagebuch im herkömmlichen Sinne dient in erster Linie der Kommunikation mit sich selbst und enthält zumeist in offener Form private Gedanken, Erlebnisse oder Notizen, die dem Verfasser wichtig sind. Da das Tagebuchschreiben auch Entlastung bringen und bei der Klärung von Gedanken oder Entscheidungen helfen kann, hat es gerade in der Adoleszenz eine große entwicklungsspezifische Bedeutung.[55]
Im Gegensatz dazu dient das Lesetagebuch[56] der schreibenden und gestaltenden Verarbeitung individueller Leseerlebnisse, die ausdrücklich für die Veröffentlichung bzw. für die Einsicht des Lehrers bestimmt sind, so dass man das Lesetagebuch als Sonderform des allgemeinen Tagebuchs bezeichnen kann.[57]
Das Lesetagebuch soll „den literarischen Text mit einem eigenen Text [...] begleiten oder auf ihn mit einem kritischen Text [...] antworten, um nicht in passivem Konsum und in Sprachlosigkeit zu versinken“[58]. Hintz beschreibt das Lesetagebuch als eine Methode, „die im Unterricht einsetzbar ist, um Lernprozesse zu qualifizieren und eigenaktives, selbstreguliertes Lernen zu unterstützen“[59]. Darüber hinaus ist das Lesetagebuch „ein Arbeitsmittel, das den Schülern helfen soll, individuelle Leseeindrücke festzuhalten und verfügbar zu machen“[60] und das das Lesen und Schreiben zusammenführt[61]. Für den Schüler wird es zum Ort, wo er seine Lektüren und Leseeindrücke aufbewahrt, Erzählformen und Muster aus gelesenen Büchern selbst ausprobiert und beim Zurückblättern seine Lesewege wahrnimmt.[62] Neben einem vertieften Umgang mit dem Buch und einer Stärkung der Methodenkompetenz[63] ermöglicht es zudem eine unauffällige Differenzierung[64]. „Das Lesetagebuch ist ein wichtiger Baustein für eine Unterrichtskonzeption, die das Lesen als Interaktion von Leser und Text begreift und den Schülerinnen und Schülern Möglichkeiten einer individuellen, selbsttätigen, identitätsbildenden, intensiven und aspektreichen Auseinandersetzung mit dem Gelesenen eröffnet sowie Leseerfahrungen im Sinne von Imaginationen, Identifikationen, Perspektivenübernahmen und Fremdverstehen anbahnen will.“[65] „Als Begleiter einer Buchlektüre soll das Lesetagebuch die emotionale Dimension des Lernens ebenso ansprechen wie die kognitive.“[66] Die Notationsmöglichkeiten sind dabei vielfältig: So kann der Schüler beispielsweise konkrete Szenen oder Figuren malen, einen Brief oder Tagebucheintrag aus der Sicht einer Figur schreiben, von eigenen Erfahrungen berichten, Steckbriefe anlegen, Gedichte schreiben, etc.[67]
In vielen Veröffentlichungen wird dem Lesetagebuch auch eine Förderung der Lesemotivation bzw. der ‚Freude am Lesen’ zugeschrieben.[68] „Das Lesetagebuch als didaktisches Instrument und methodisch gestütztes Vorgehen kann Leseanreize erzeugen oder intensivieren sowie einen gehörigen Motivationsschub bewirken.“[69] Ob das Lesetagebuch dies tatsächlich erreichen kann, werde ich im sechsten Kapitel untersuchen.
Formal betrachtet handelt es sich beim Lesetagebuch um ein einfaches Heft oder eine Mappe im DinA4- oder DinA5-Format[70], wobei dem Kleinformat insbesondere in Hinblick auf die Förderung der Motivation Vorrang zu geben ist, da es sich schneller füllt und die Schüler so-mit eher die Erfolge ihrer Arbeit sehen.
Wie aus der geschichtlichen Entwicklung des Lesetagebuchs hervorgeht, gibt es viele unterschiedliche Formen und Vorschläge, mit dem Lesetagebuch im Deutschunterricht zu arbeiten. In neueren Konzeptionen eines geöffneten Deutschunterrichts spielt das Lesetagebuch vor allem als Variante der produktionsorientierten Verfahren eine Rolle.[71] Der Grad der Öffnung des Unterrichts hängt dabei von der Erfahrung der Schüler mit dem Lesetagebuch oder anderen offenen Unterrichtsformen ab.
Allgemein gilt die Vorgabe, begleitend zum Lesen eines Buches Leseprozesse und –eindrücke tagebuchartig festzuhalten. Dies geschieht möglichst selbständig und individuell und soll den Schüler zum Lesen motivieren, indem er sich für bestimmte Eintragsformen entscheiden und seinen Fähigkeiten, Fertigkeiten und seinem individuellen Tempo entsprechend damit arbeiten kann. Wird das Lesetagbuch sehr frei angelegt, so notieren die Schüler zu ihrer privaten und/ oder schulischen Lektüre textartige und gestalterische Eintragungen, wobei Inhalt und Form frei gewählt werden können.[72]
[...]
[1] Vgl. Hurrelmann 1994, S. 24.
[2] Um den Lesefluss nicht zu beeinträchtigen, beschränke ich mich darauf, in dieser Arbeit nur die männliche Form zu verwenden. Dabei bedenke ich die weibliche Form aber immer mit.
[3] Lesekompetenz heißt im Sinne von PISA, „[g]eschriebene Texte zu verstehen, zu nutzen und über sie zu reflektieren, um eigene Ziele zu erreichen, das eigene Wissen und Potenzial weiterzuentwickeln und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen“ (Baumert u.a. 2001, S. 23). Nach PISA erschöpft sich Lesekompetenz bei weitem nicht in der Fähigkeit, Buchstabenkombinationen zu dekodieren, sondern wird als Konstruktionsleistung des Individuums verstanden, das nicht nur passiv rezipiert, sondern die Textbedeutung aktiv in Abhängigkeit zu Vor-, Welt- und Sprachwissen rekonstruiert (Vgl. Baumert u.a. 2001, S. 70f.).
[4] Vgl. Baumert u.a. 2001, S. 114ff.
[5] Vgl. ebd., S. 106.
[6] Vgl. ebd., S. 103.
[7] Vgl. ebd., S. 128.
[8] Vgl. ebd., S. 77, S. 133.
[9] Bonfadelli 1996, S. 65.
[10] Weber 2000.
[11] Vgl. Rheinberg 1997, S. 14.
[12] Vgl. ebd., S. 12.
[13] Vgl. Mietzel 1998, S. 343f.
[14] Vgl. Groeben/ Vorderer 1988, S. 15/16.
[15] Rosebrock 2001, S. 2.
[16] Vgl. Daubert 1999, S. 43.
[17] Vgl. Seel 2000, S. 81.
[18] Vgl. Runge 1997, S. 14.
[19] Elsholz 1995, S. 11.
[20] Vgl. Grzesik 1990, S. 18/19.
[21] Vgl. Elsholz 1995, S. 10.
[22] Vgl. Runge 1997, S. 15.
[23] Vgl. ebd, S. 16.
[24] Vgl. Hurrelmann 1994, S. 20.
[25] Vgl. Elsholz 1995, S. 10/11.
[26] Vgl. Bamberger 2000, S. 15f.
[27] Elsholz 1995, S. 11.
[28] Vgl. Hurrelmann 1994, S. 20.
[29] Vgl. Runge 1997, S. 16.
[30] Hurrelmann 1994, S. 21.
[31] Vgl. Bonfadelli/ Saxer 1986, S. 155.
[32] Baumert u.a. 2001, S. 70.
[33] Elsholz 1995, S. 16.
[34] Ministerium für Schule und Weiterbildung, S. 61; S. 80.
[35] Baumert u.a. 2001, S. 76.
[36] Vgl. Runge 1997, S. 23.
[37] Vgl. Hurrelmann u.a. 1993, S. 110f.
[38] Vgl. Runge 1997, S. 24.
[39] Vgl. Muth 1993, S. 52ff.
[40] Vgl. Köcher 1993, S.321; zit. n. Runge 1997, S. 25.
[41] Vgl. Runge 1997, S. 29.
[42] Vgl. Groeben/ Vorderer 1988, S. 177/178.
[43] Ebd., S. 178.
[44] Dahrendorf 1973, S. 46.
[45] Kirsch 1978.
[46] Vgl. Daubert 1999, S. 43.
[47] Vgl. Göttler 1993, S. 1.
[48] Spinner 2000, S. 978.
[49] Haas 1982, zit. n. Göttler 1993, S. 2.
[50] Vgl. Göttler 1993, S. 2/3.
[51] Haas, Menzel, Spinner 1994, S. 18; Spinner 1999, S. 34.
[52] Vgl. Spinner 2000, S. 982. Für weitere Informationen zum Handlungs- und Produktionsorientierten Literaturunterricht vgl. z.B. Haas 1997, Spinner 1999, Spinner 2000, S. 978-989.
[53] Vgl. Spinner 2000. S. 984.
[54] Zur Geschichte des Lesetagebuchs, dessen wechselnde Intentionen vom Einsatz als Forschungsinstrument während der Jungleseforschung über die literarische Erziehung, Differenzierung und Individualisierung bis zur Förderung der Lesemotivation reichen, vgl. Hintz 2002, S. 62-85.
[55] Vgl. Hintz 2002, S. 86f.
[56] Einzelne Didaktiker bezeichnen das ‚Lesetagebuch’ auch als ‚Lesejournal’, ‚Leseheft’ oder ‚Lesebegleitheft’.
[57] Vgl. Hintz 2002, S. 91.
[58] Haas 1984, S. 49.
[59] Hintz 2002, S. 90.
[60] Langemack 1989, S. 16.
[61] Vgl. Hintz 2002, S. 90.
[62] Vg. Bertschi-Kaufmann 1998, S. 29.
[63] Vgl. Hintz 2000, S. 35.
[64] Vgl. Dajani 2003, S. 54.
[65] Hintz 2002, S. 268.
[66] Igl 1999, S. 29.
[67] Weitere Notationsmöglichkeiten finden sich im Anhang auf Seite 15.
[68] Vgl. z.B. Dajani 2003, S. 54; Sahr/ Born 1985; S.43, Hintz 2002, S. 271; Bertschi-Kaufmann 1998, S. 89; Langemack 1989, S. 13.
[69] Wanning 1997, S. 119.
[70] Vgl. z.B. Dajani 2003, S. 52; Hintz 2000, S. 38.
[71] Vgl. Spinner 2000. S. 984.
[72] Vgl. Hintz 2000, S. 83.
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