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Bachelorarbeit, 2018
52 Seiten, Note: 1,1
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretischer Teil
2.1 Begriffserklärung
2.2 Schriftspracherwerb
2.3 Symptome
2.4 Prävalenz
2.5 Ursachen
2.6 Begleiterscheinungen
2.7 Diagnose
2.8 Fördermaßnahmen
3 Aktueller Forschungsstand
4 Grundlagen der Förderplanung
4.1 Förderpläne entwickeln und umsetzen
4.2 Der individuelle Förderplan
4.3 Kooperative Förderplanung
5 Zusammenfassung
6 Empirischer Teil
6.1 Zielsetzung und Fragestellung
7 Methodisches Vorgehen
7.1 Forschungsdesign
7.2 Forschungsinstrumente
7.3 Stichprobe
7.4 Diagnostik
7.4.1 Quantitative Auswertung
7.4.2 Qualitative Auswertung
7.5 Entwicklung eines individuellen Förderplanes
7.6 Einsatz des Fördermaterials
7.7 Förderverlauf
7.8 Exemplarische Förderstunde
7.9 Diagnostik
7.9.1 Quantitative Auswertung
7.9.2 Qualitative Auswertung
8 Ergebnisse
9 Methodendiskussion
10 Fazit
Literaturverzeichnis
Anhangsverzeichnis
Abbildung 1: Mehrebenenmodell zur Strukturierung der relevanten Faktoren und Forschungsfragen bei LRS (aus: Scheerer-Neumann, 2015, S. 13)
Abbildung 2: Vertikale bzw. horizontale Beziehung als Basis einer Förderplanung (aus: Mutzeck, 2000, S. 201)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Lese-Rechtschreib-Schwäche ist ein Begriff, der oft im Rahmen einer Entschuldigung oder Rechtfertigung für ein eingeschränktes Rechtschreibkönnen verwendet wird. Zwar ist der Betroffene nicht direkt verantwortlich für sein vermindertes Lese- und Rechtschreibkönnen. Er hat aber die Möglichkeit, dagegen vorzugehen, da es heutzutage viele effektive Fördermöglichkeiten gibt, durch die das Lese- und Rechtschreibvermögen immens gesteigert werden kann. Es gibt daher keinen Grund, diese Schwäche einfach hinzunehmen. In diesem Sinne bezeichnen Warnke, Hemminger und Plume die Lese-Rechtschreib-Schwäche als „eine Veranlagung, die bei optimaler schriftsprachlicher Förderung meist hinreichend kompensiert werden kann, bei schlechter schriftsprachlicher Unterrichtung jedoch zu gravierendem Lese-Rechtschreibversagen führt“ (Warnke, Hemminger & Plume, 2004, S. 10). Diese Definition macht deutlich, wie wichtig die Diagnose einer Lese-Rechtschreib-Schwäche für ein Kind ist, um passende Fördermaßnahmen einzuleiten, welche wiederum dazu führen können, dass ein Kind sich der Lese- und Rechtschreibfähigkeit der gleichaltrigen Klassenkameraden ohne Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten annähert. Wird die Notwendigkeit solcher Fördermaßnahmen nicht früh genug erkannt, wird das Kind vermehrt Probleme beim Lesen und Schreiben bekommen. Es ist somit nicht empfehlenswert, sich auf einer Lese-Rechtschreib-Schwäche auszuruhen, sondern es muss gehandelt werden. Deshalb ist es wichtig, dass die Lehrperson über Kenntnisse bezüglich der Symptomatik, der Ursachen und der Diagnostik einer Lese-Rechtschreib-Schwäche verfügt, um gegebenenfalls Fördermaßnahmen einzuleiten.
Auf der Grundlage der theoretischen Überlegungen hinsichtlich einer Lese-Rechtschreib-Schwäche soll die Effektivität der individuellen Förderung eines Kindes mit Lese-Rechtschreib-Schwäche in dieser Arbeit untersucht werden.
Der theoretische Teil der Arbeit beschäftigt sich zunächst mit der Begriffsklärung. Dabei werden verschiedene Definitionen einer Lese-Rechtschreib-Schwäche in den Blick genommen. Um die Symptome einer Lese-Rechtschreib-Schwäche deutlich zu machen, wird ein Einblick in den Schriftspracherwerb, wie er bei Kindern ohne Schwäche im Lesen und Rechtschreiben abläuft, gegeben. Anschließend wird auf die Prävalenz und die Ursachen eingegangen und es werden einige Begleiterscheinungen genannt, die oft mit einer Lese-Rechtschreib-Schwäche einhergehen. Es folgen Überlegungen zu der Diagnose und eine Auswahl geeigneter Fördermaßnahmen. Der aktuelle Forschungsstand und Grundlagen verschiedener Methoden der Förderplanung bilden den letzten Abschnitt des theoretischen Teils.
Der empirische Teil befasst sich mit der individuellen Förderung eines lese-rechtschreib-schwachen Kindes. Das verwendete Forschungsdesign sowie die Erhebungsinstrumente und Informationen zum Ablauf und der Stichprobe des Tests werden vorgestellt. Es folgt eine Auswertung und Interpretation der Testergebnisse vor und nach der individuellen Förderung. Der für den Schüler individuell erstellte Förderplan und verwendete Fördermaterialen werden begründet vorgestellt und es wird ein Einblick in eine exemplarische Förderstunde gegeben. Die Arbeit schließt mit der Methodendiskussion.
Legasthenie, Lese-Rechtschreib-Schwäche, Lese-Rechtschreib-Störung, Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten – all das sind Begriffe, die synonym benutzt werden, aber für eine Sache stehen: Die Beeinträchtigung der Lese- und Rechtschreibkompetenz einer Person. Mit der Zeit ist die Verwendung des Ausdrucks Legasthenie für eine „ umschriebene Beeinträchtigung im Erlernen des Lesens und des Rechtschreibens, die im Zusammenhang mit der biologischen Reifung des zentralen Nervensystems zu verstehen ist “ (Warnke, Hemminger, Roth & Schneck, 2002, S. 12) immer mehr zurückgegangen. Heutzutage wird eine solche Beeinträchtigung meist als Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS)bezeichnet. Definitionen zu den Begriffen gibt es einige. Günther fasst die Lese-Rechtschreib-Schwäche als „eine kombinierte Schwäche der Sprache, der einzelnen Wahrnehmungsbereiche, insbesondere der auditiven und visuellen Wahrnehmung, der Motorik, der Psyche und dem sozialen Kontext, in dem das Kind aufwächst“ (Günther, 2002, S. 20) zusammen. In dem Begriff Lese-Rechtschreib-Schwäche steckt demnach mehr als nur eine Schwäche im Lesen und Rechtschreiben. Nicht nur Probleme beim Lesen und Schreiben führen zu einem Rückstand in der Schule, sondern oft sind es auch Situationen im Umfeld, die das Kind beeinflussen und sich auf den verzögerten Schriftspracherwerb des Kindes auswirken.
Der Großteil der Fachliteratur orientiert sich an der Definition der aktuellen Ausgabe der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD). Die Definition einer Lese-Rechtschreib-Störung lautet nach der ICD-10 wie folgt:
[E]ine umschriebene und bedeutsame Beeinträchtigung in der Entwicklung der Lesefertigkeiten, die nicht allein durch das Entwicklungsalter, Visusprobleme oder unangemessene Beschulung erklärbar ist. Das Leseverständnis, die Fähigkeit, gelesene Worte wieder zu erkennen, vorzulesen und Leistungen, für welche Lesefähigkeit nötig ist, können sämtlich betroffen sein (http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-who/kodesuche/onlinefassungen/htmlamtl2016/block-f80-f89.htm#F80, Zugriff: 22.07.17).
Beeinträchtigungen in der Lesefähigkeit gehen nach dieser Definition oft mit einer Rechtschreibschwäche einher. Unterschieden wird die isolierte Rechtschreibstörung, die Schwierigkeiten beim Rechtschreiben, nicht aber beim Lesen bezeichnet (ebd.). Leichtere Formen hingegen werden nach der ICD-10 als Lese-Rechtschreib-Schwäche bezeichnet (Günther, 2007, S. 71). Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben treten dementsprechend nicht zwangsläufig gemeinsam auf, weshalb in der Fachliteratur auch die Begriffe Leseschwäche und Rechtschreibschwäche zu finden sind (Scheerer-Neumann, 2015, S. 30).
Klicpera et al. nennen als Definitionskriterium einer LRS „eine deutliche Abweichung des Entwicklungsstands in der Lesegenauigkeit, dem Leseverständnis und/oder im Rechtschreiben“ (Klicpera, Schabmann & Gasteiger-Klicpera, 2013, S. 128f.) von dem, was aufgrund des Alters und der allgemeinen Intelligenz zu erwarten wäre. Konkret bedeutet dies, dass die Diskrepanz mehr als zwei Standardabweichungen betragen muss, damit von einer LRS gesprochen werden kann (ebd., S. 129). Zu betonen ist, dass eine Lese-Rechtschreib-Schwäche nicht zwingend mit einer Intelligenzminderung einhergeht, wie es früher vermutet wurde. Vielmehr verfügen Kinder mit LRS in der Regel über eine durchschnittliche Intelligenz (Günther, 2002, S. 13). Der Intelligenzquotient muss für eine diagnostizierte LRS nach dieser sogenannten Diskrepanzdefinition sogar eine bis anderthalb Standardabweichungen über dem Lese-Rechtschreib-Testwert liegen (Warnke et al., 2002, S. 64). Dies wird in dem Kapitel „Diagnose“ noch genauer dargestellt.
Ein weiteres Definitionskriterium sieht Klicpera in den Anforderungen des Alltags. Sollten die Fähigkeiten im Lesen und Rechtschreiben ausreichen, um den Alltag zu meistern, spricht man seiner Meinung nach nicht von einer LRS (Klicpera et al., 2013, S. 133).
Dass es so viele verschiedene Definitionen zu dem Begriff der Lese-Rechtschreib-Schwäche gibt, hängt damit zusammen, dass es eine „Vielfalt der Erscheinungsformen“ (Günther, 2002, S. 7) von LRS gibt. Die verschiedenen Formen der LRS erfordern unterschiedliche Förderkonzepte. Für die Erstellung von Förderkonzepten ist es wichtig, die Symptome richtig einordnen zu können. Anhand des Modells des Schriftspracherwerbs kann gut verdeutlicht werden, wo innerhalb dieses Prozesses Probleme bei Kindern mit LRS auftauchen und welche Symptome auf eine LRS hinweisen können.
Der Schriftspracherwerb bezeichnet den Prozess des Schreiben- und Lesenlernens. Dieser Prozess ist als ein „Entwicklungsprozess zu verstehen, der im frühen Kindesalter einsetzt und sich bis ins Erwachsenenalter hin erstreckt“ (Günther, 2007, S. 9). Bis heute ist nicht genau geklärt, wie der Erwerb des Lesens und Schreibens im Detail abläuft. Aus diesem Grund orientiert man sich an Modellen des Schriftspracherwerbs, die die einzelnen Stufen genauer betrachten. Der Erwerbsprozess des Lesens und Schreibens verläuft bei jedem Kind individuell, jedoch lassen sich charakteristische Entwicklungsstufen benennen, die die meisten Kinder beim Schriftspracherwerb durchlaufen (ebd., S. 22). Diese Phasen erheben keinen Anspruch darauf, den Verlauf des Schriftspracherwerbs exakt abzubilden. Vielmehr sollen sie eine Orientierungshilfe darstellen, anhand derer der schriftsprachliche Entwicklungsstand eines Kindes eingeordnet werden kann. Ein bekanntes Entwicklungsmodell des Schriftspracherwerbs stammt von Günther aus dem Jahr 1986. Die fünf Phasen des Modells berücksichtigen sowohl die Prozesse des Schreibens als auch des Lesens. Dabei wird deutlich, dass beide Prozesse miteinander verwoben sind. Inwiefern jedoch Lesen- und Schreibenlernen miteinander verzahnt sind, ist umstritten. Becker gibt als Argument gegen eine enge Verzahnung von Lesen- und Schreibenlernen beispielsweise an, dass das Lesen zwar möglich ist, ohne schreiben zu können, das Schreiben jedoch das Lesen voraussetzt (Becker, 2008, S. 79). Unumstritten ist, „dass es zu Wechselwirkungen zwischen Lesen und Schreiben im Laufe des Erwerbsprozesses kommt“ (ebd.).
Günthers Modell gliedert sich in fünf Phasen, wobei die fünfte Phase oft nicht mitgezählt wird, da sie keine neuen Vorgehensweisen beinhaltet, sondern nur den Prozess des Automatisierens des Lesens und Schreibens bezeichnet. Hat das Kind die fünf Phasen erfolgreich durchlaufen, hat es „den Stand unserer Normorthographie“ (Sassenroth, 1991, S. 47) erreicht. Die erste Phase, die Günther benennt, ist die präliteral-symbolische Phase. Sie lässt sich als eine Art Vorstufe des Schriftspracherwerbs bezeichnen. Das Kind beginnt damit, etwas Gemaltem eine Bedeutung zuzuweisen (ebd.). Es orientiert sich zunächst an der Oberflächenstruktur des Schreibens und tut dabei so, als würde es schreiben (ebd., S. 48). Die anschließende Phase ist die logographemische Phase. In dieser Phase erlangt das Kind die Erkenntnis, „daß schriftsprachliches Material etwas ist, das sich von anderen graphischen Formen unterscheidet“ (ebd.). Auffällige Merkmale wie die Wortlänge oder bestimmte Buchstaben werden als Orientierungspunkt genutzt. Dadurch entstehen dann Schreibungen, wie zum Beispiel <HEKE> oder <HEEK> für <HEIKE> (ebd.). Wie in dem Beispiel deutlich wird, kommt es bei dieser Technik noch oft zu Auslassungen oder Vertauschungen von Buchstaben (ebd.). In der alphabetischen Phase werden dann die Phonem-Graphem-Korrespondenzen zunehmend erfasst. Die Kinder können auch unbekannte Wörter nach und nach entziffern und durch die Aneinanderreihung der Lautabfolge verschriftlichen (ebd., S. 50). Durch die Orientierung an der Lautsprache kommen noch viele Schreibfehler vor, beispielsweise <VATA> statt <VATER>. Die Loslösung von der Lautsprache geschieht in der orthographischen Phase. Orthographische Regeln sind den Kindern bewusst und sie verfügen über einen großen Grundwortschatz. Sassenroth beschreibt diese Phase als „integrierende[n] Zusammenschluß“ (ebd., S. 52) der logographemischen und der alphabetischen Strategie und damit den Zusammenschluss von Lese- und Schreibverfahren. Da die letzte Phase, die integrativ-automatisierte Phase, nur das automatisierte Operieren mit der Schrift beschreibt, kann der Schriftspracherwerb nach Durchlaufen der orthographischen Phase als abgeschlossen gelten (ebd.).
Das Entwicklungsmodell von Günther kann dazu beitragen „gezielte Fördermaßnahmen für schwächere Kinder zu planen, damit sie die nächsthöheren Phasen erreichen können“ (ebd., S. 67). Die Übergänge zwischen den Phasen sind fließend. Manche Kinder befinden sich zeitgleich in mehreren Phasen, Kinder mit einer LRS hingegen lassen in ihrer Schriftsprachentwicklung manche Phasen aus (Günther, 2007, S. 28). Lässt ein Kind also eine oder mehrere Phasen aus, sollte die Lehrkraft aufmerksam werden und verstärkt auf Symptome, die auf eine LRS hinweisen, achten.
Nicht bei allen Kindern mit LRS können die gleichen Symptome beobachtet werden, jedoch lassen sich Symptome benennen, die auf eine bestehende Lese-Rechtschreib-Schwäche hinweisen können. Unterschieden werden kann zwischen Symptomen der Lesestörung und Symptomen der Rechtschreibstörung. Besonders kennzeichnend für eine Lesestörung ist das Phänomen, dass ein zunächst richtig vorgelesenes Wort schon kurze Zeit später wieder falsch gelesen wird, also eine konkrete Leseübung sich nicht direkt positiv auswirkt (Warnke et al., 2002, S. 20). Auslassungen und Verdrehungen von Worten und Wortteilen sowie stockendes Lesen und „nicht sinnhaftes Betonen“ (Warnke et al., 2004, S. 3) zählt Warnke ebenfalls zu den Symptomen der Lesestörung. Auffällig ist auch die „Unfähigkeit, Gelesenes wiederzugeben, aus Gelesenem Schlüsse zu ziehen und/oder Zusammenhänge zu sehen“ (ebd.). Die Probleme zeigen sich in allen Schulfächern, beispielsweise auch beim Verstehen der Aufgaben im Fach Mathematik (Galuschka & Schulte-Körne, 2016, S. 279). Symptome der Rechtschreibstörung sind Reversionen, Reihenfolgefehler, Buchstabenauslassungen, falsche Buchstabeneinfügungen, Dehnungsfehler, Fehler bei Groß- und Kleinschreibung, Wahrnehmungsfehler und Fehlerinkonstanz (Warnke et al., 2004, S. 3). Wenn einige dieser Symptome bei einem Kind bemerkt werden, besteht die Wahrscheinlichkeit, dass eine LRS vorliegt. Um sicher zu gehen, muss die Lese- und Rechtschreibfähigkeit jedoch genau untersucht werden. Symptome geben nur Auskunft über die Unregelmäßigkeiten im Schriftspracherwerb.
Günther spricht im Zusammenhang mit Symptomen von motorischen Defiziten, Störungen der Wahrnehmung und Defiziten in der phonologischen Bewusstheit (Günther, 2002, S. 33). Auffällig bei Kindern mit LRS sind auch Schwierigkeiten „beim raschen Abruf der Aussprache von Wörtern“ (Klicpera, Schabmann & Gasteiger-Klicpera, 2007, S. 189). Liegt eine kombinierte Lese-Rechtschreib-Schwäche vor, so treten die Symptome gemeinsam auf (Galuschka & Schulte-Körne, 2016, S. 279). Symptome wie Lernunlust, Schulangst, Erziehungsschwierigkeiten und Hausaufgabenkonflikte können auch auf eine LRS hinweisen, können aber auch anders begründet sein (Warnke et al., 2002, S. 29). Zudem liegt bei 8-18% der Kinder mit diagnostizierter LRS eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) vor (Galuschka & Schulte-Körne, 2016, S. 283).
Betrachtet man die Art der Fehler, die LRS-Kindern oft unterlaufen, so fällt auf, dass sich diese nicht von den Fehlern der Kinder ohne LRS unterscheiden. Vielmehr erfolgen die Lernfortschritte, die Kinder mit Lese-Rechtschreib-Schwäche im schriftsprachlichen Bereich machen, um einiges langsamer (Warnke et al., 2004, S. 3).
Bezüglich der Prävalenzrate von LRS gibt es in der Forschungsliteratur leicht schwankende Angaben. Dies beruht darauf, dass mit unterschiedlichen Definitionskriterien einer LRS gearbeitet wird. Eine schwächer ausgeprägte Lese-Rechtschreib-Schwäche geht nach der einen Definition in die Prävalenzrate mit ein, nach der anderen nicht. Klicpera et al. beziehen sich auf Yule et al. (1974) und sprechen von einer Prävalenz in Höhe von 2-4% (Klicpera et al., 2013, S. 131). Warnke hingegen spricht von mindestens 4% der deutschen Schülerpopulation, die sogar „schwerwiegend von einer Lese-Rechtschreib-Störung betroffen“ (Warnke et al., 2002, S. 14) sind. Galuschka und Schulte-Körne sprechen von 3-11% (Galuschka & Schulte-Körne, 2016, S. 279). Mit steigenden Altersstufen sinkt die Prävalenzrate der LRS. Die Leseschwäche nimmt in höheren Klassenstufen weitaus mehr ab als die Rechtschreib-Schwäche (Günther, 2002, S. 35). Grundsätzlich ist die Lese-Rechtschreib-Schwäche in allen Bevölkerungsschichten zu finden (Warnke et al., 2004, S. 5).
Einig ist sich die Forschungsliteratur darin, dass Jungen häufiger von einer LRS betroffen sind als Mädchen. Klicpera nennt eine Relation von Jungen und Mädchen zwischen 3:2 und 3:1 in Einrichtungen für Lese-Rechtschreib-Schwäche (Klicpera et al., 2013, S. 134). Für dieses Ungleichgewicht führt er Gründe auf. Er ist davon überzeugt, dass Mädchen eine größere Motivation haben, zu lesen, da sie sich oft mit den Charakteren identifizieren. Ein unterschiedlicher Umgang zwischen Lehrern/innen und Schülern auf der einen Seite, und Lehrern/innen und Schülerinnen auf der anderen Seite, führt seiner Meinung nach dazu, dass Mädchen „größere Chancen zum Üben des Lesens und Schreibens im Unterricht“ (ebd.) haben. Zudem seien Mädchen im Lesen und Schreiben begabter.
Mädchen sind nicht nur seltener von einer Lese-Rechtschreib-Schwäche betroffen als Jungen, Mädchen mit LRS können diese auch eher anhand einer Förderung überwinden als Jungen (Warnke et al., 2004, S. 5). Für die Überwindung einer LRS spielen die Ursachen eine wichtige Rolle. Nur, wenn über die Kenntnis möglicher Ursachen verfügt wird, kann dagegen vorgegangen werden.
Ursachen der Lese-Rechtschreib-Schwäche sind schwer zu benennen, da es viele verschiedene Meinungen dazu gibt, auch bedingt durch die Menge der verschiedenen Erscheinungsformen von LRS. Günther spricht von einer „multifaktoriellen Bedingtheit der LRS“ (Günther, 2007, S. 77). Seines Erachtens setzt sich jedes menschliche Verhalten aus Person und Umwelt zusammen, was dafür spricht, dass verschiedene Faktoren – aus Person und Umwelt – zusammenspielen und die Ursache für eine LRS bilden (Günther, 2002, S. 6). Dem stimmt auch Klicpera zu, wenn er meint, dass „sowohl individuelle Faktoren (geringe Lernvoraussetzungen) als auch eine mangelnde Unterstützung in der Familie und schließlich ein für das Kind unzureichender Unterricht“ (Klicpera et al., 2007, S. 160) zusammenwirken. Passend zu dem Zusammenspiel der Faktoren nennt Günther Genetik, Gehirn, Familien und Schichtzugehörigkeit, Vorläuferfertigkeiten sowie Unterricht und Schulprofil als die Hauptursachen (Günther, 2007, S. 77-80). Die Genetik muss nicht immer eine Ursache sein, man geht jedoch in vielen Fällen von einer „vererbten genetischen Disposition“ (ebd., S. 81) aus. Die Gene wirken sich dabei – folgt man dieser Meinung – vor allem auf das Rechtschreiben, weniger auf das Lesen aus. Unter der Ursache Familie und Schichtzugehörigkeit versteht Günther Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens und Schreibens aufgrund mangelnden Umgangs mit Büchern. Dieser Punkt ist von großer Bedeutung, da die Leseentwicklung schon durch zehn Minuten täglichen Lesens stark gesteigert werden kann (Klicpera et al., 2007, S. 190). Günther ordnet solche Problematiken Kindern „aus bildungsfernen und sozial ungünstigen Familien“ (Günther, 2007, S. 79) zu. Auch die Wohnverhältnisse, wie die Möglichkeit eines ruhigen Arbeitsplatzes, oder die Familiengröße sind Faktoren, die Einfluss auf den Erwerb des Lesens und Schreibens haben (Klicpera et al., 2007, S. 190). Unabhängig von der Familie spiele die Fachkompetenz und die Unterrichtsqualität der Lehrkräfte eine große Rolle beim Erwerb des Lesens und Schreibens (ebd.).
Warnke folgt der Annahme, dass eine Lese-Rechtschreib-Schwäche durch Probleme bei der Informationsverarbeitung im zentralen Nervensystem, also wesentlich biologisch bedingt ist (Warnke et al., 2002, S. 14). Genauer gesagt sind es Besonderheiten „visueller Informationsverarbeitung“, „sprachlicher Informationsverarbeitung“ und „der Übersetzungsvorgänge zwischen visuellen und sprachlichen Informationsvorgängen“ (ebd., S. 30), die zu einer LRS führen können. Familiäre Förderung, wie zum Beispiel Hausaufgabenübungen, und die „[p]sychische Gesundheit des Kindes“ (ebd.), die häufig als Ursachen für eine LRS aufgeführt werden, ordnet er jedoch nicht als Ursache, sondern als das Ausmaß der Lese-Rechtschreib-Schwäche beeinflussende Faktoren ein. Mangelnde Unterrichtung, neurologische Erkrankungen und körperliche Störungen beim Kind können laut Warnke Ursachen einer LRS sein (Warnke et al., 2004, S. 5f.). Mangelnde Unterrichtung führt er auf Fehlzeiten oder Schulwechsel zurück, neurologische Erkrankungen können bspw. Bewegungsstörungen sein. Unter körperlichen Störungen versteht er zum Beispiel Hirnverletzungen, die zu einem Verlust der Lese- und Rechtschreibfähigkeit führen können (ebd.).
Auch Scheerer-Neumann vermutet, dass Umweltfaktoren die Entstehung einer LRS begünstigen. Allerdings betont er, dass die Umweltfaktoren bei positiver Ausprägung, beispielsweise pädagogisch sinnvoller Hausaufgabenhilfe, auch als Schutzfaktoren zur Minimierung einer genetisch wahrscheinlichen LRS dienen können (Scheerer-Neumann, 2015, S. 15). Sein Mehrebenenmodell (s. Abb. 1) veranschaulicht, wie sich die Umwelt- wie auch personale Faktoren gegenseitig bedingen und sowohl auf biologischer als auch auf psychologischer Ebene Einfluss auf die Lese- und Rechtschreibentwicklung der Kinder haben.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Mehrebenenmodell zur Strukturierung der relevanten Faktoren und Forschungsfragen bei LRS (aus: Scheerer-Neumann, 2015, S. 13)
Neben der Schwäche im Lesen und Rechtschreiben haben Kinder, die eine LRS diagnostiziert bekommen, oft Probleme in anderen Bereichen. Häufige Störungen, die zusätzlich zu der Lese-Rechtschreib-Schwäche bei betroffenen Kindern auftreten sind Sprachentwicklungsstörungen, Störungen der Visuomotorik, Hyperkinetische Störungen – also Aufmerksamkeitsschwierigkeiten –, Konzentrationsstörungen, niedrige Leistungsmotivation und Disziplinschwierigkeiten (Warnke et al., 2004, S. 7-10). Auffällig ist außerdem, dass eine LRS oft zusammen mit Rechenschwierigkeiten auftritt. Nicht nur der mathematische Bereich weist Begleiterscheinungen auf. Auch das Erlernen einer Fremdsprache fällt Kindern mit LRS oft besonders schwer (Klicpera et al., 2013, S. 130). Zudem ist die „Entwicklung der motorischen Koordination […] häufig verzögert“ (ebd., S. 135).
Lernunlust und Schulangst gehen oft mit einer LRS einher, sind somit auch Begleiterscheinungen. Sie entstehen aber auch oft erst als Folge der Lese-Rechtschreib-Schwäche (Warnke et al., 2002, S. 29). Klicpera nimmt an, dass zwischen Verhaltensstörungen und LRS im Jugendalter ein enger Zusammenhang besteht, der aber erst durch die Schwierigkeiten im Lesen und Schreiben zu einer Verstärkung der Probleme führt (Klicpera et al., 2007, S. 202). Die Verhaltensauffälligkeiten legen sich laut seiner Untersuchung wieder, während die Lese- und Rechtschreib-Schwierigkeiten auch im Erwachsenenalter bestehen bleiben (ebd., S. 203). Diesen Punkt betreffend gibt es verschiedene Meinungen. Warnke beispielsweise behauptet, dass eine Lese-Rechtschreib-Störung „bei optimaler schriftsprachlicher Förderung meist hinreichend kompensiert werden kann“ (Warnke et al., 2004, S. 10). Die Begleiterscheinungen erschweren diesen Prozess jedoch. Auch Klicpera selbst relativiert diesen Punkt in der 4. Auflage seines Buches Legasthenie – LRS. Dort schreibt er, die „Auswirkungen auf die längerfristige soziale Anpassung im Erwachsenenalter hängen […] von vielen zusätzlichen Faktoren ab“ (Klicpera et al., 2013, S. 141).
Neben Begleiterscheinungen nennt Klicpera auch Auswirkungen, die eine LRS auf das spätere Leben haben kann. Frauen, die als Kinder Schwierigkeiten beim Lesen und Rechtschreiben hatten, hätten demnach später oft Partnerschaftsprobleme, während bei Männern in verschiedenen Lebensbereichen keine Auswirkungen festgestellt worden seien (Klicpera et al., 2013, S. 139). Eine nicht behandelte bzw. nicht geförderte LRS jedoch wirkt sich im Erwachsenenalter oft negativ auf das psychische Wohlbefinden aus (Galuschka & Schulte-Körne, 2016, S. 279). Um das zu verhindern, ist eine frühzeitige Diagnose notwendig.
Bei dem Verdacht auf LRS ist es wichtig, schnell zu handeln, um gegebenenfalls möglichst früh Fördermaßnahmen in die Wege leiten zu können. Gibt es Grund zu der Annahme, dass ein Kind eine Lese-Rechtschreib-Schwäche hat, so muss diese diagnostiziert werden, damit im Anschluss daran eine individuell geeignete Fördermaßnahme gefunden und durchgeführt werden kann. Die Diagnose dient nämlich nicht nur der Feststellung von LRS, sondern liefert auch Informationen, die für die Förderung hilfreich sind. Somit hängen Diagnose und Förderung eng zusammen, wobei die diagnostischen Überlegungen die Ausgangsdaten für die Förderung bilden (Günther, 2007, S. 119).
Die Diagnose einer LRS setzt voraus, dass bestimmte Merkmale erfüllt sind. Gemessene Leistungen in der Lesegenauigkeit, dem Lesetempo, dem Leseverständnis und/oder der Rechtschreibfertigkeit müssen deutlich unter der dem Alter des betreffenden Kindes angemessenen Intelligenz und Bildung liegen (Warnke et al., 2002, S. 39). Diese Ansicht orientiert sich an der Diskrepanzdefinition (vgl. Kapitel 2.1). Stellt man die Diagnose anhand der leistungsbezogenen Definition, so macht man die Probleme beim Lesen und Rechtschreiben unabhängig von der Intelligenz und den Leistungen in anderen Schulfächern fest (Scheerer-Neumann, 2015, S. 19). Weiterhin müssen die Probleme im Lesen und Rechtschreiben das Kind bei Aktivitäten in der Schule oder der Freizeit deutlich behindern. Sie dürfen außerdem nicht auf eine Erkrankung oder Behinderung zurückzuführen sein (Warnke et al., 2002, S. 39). Eine Voraussetzung der Diagnose ist außerdem, dass die Probleme spätestens in der fünften Klasse deutlich werden (Warnke et al., 2004, S. 45).
Sind diese Merkmale und Voraussetzungen erfüllt und bestätigen sie sich durch längerfristige Beobachtungen in der Schule, gilt die Diagnose einer LRS als gesichert (Warnke et al., 2002, S. 64). Die mehrjährigen schulischen Beobachtungen beinhalten auch Elternberichte, Lehrerurteile und schulische Zeugnisse (ebd., S. 62). Hinzukommen können normierte und standardisierte Tests (Günther, 2007, S. 107). Um das Ausmaß der LRS zu operationalisieren, wird die Diskrepanz zwischen Lese- und Rechtschreibleistung mit derjenigen Leistung, die unter Berücksichtigung der Klassenstufe, des Alters und des Intelligenzniveaus zu erwarten wäre, erfasst (Schulte-Körne, 2017, S. 477). Da der Aufmerksamkeit, Konzentration, Motivation, dem Lerntempo und den individuellen Arbeitstechniken und Strategien bei der Diagnose besondere Bedeutung zugesprochen wird, spricht sich Günther für informelle Verfahren wie die Verhaltensbeobachtung statt standardisierter Tests aus, um eine Diagnose zu stellen (Günther, 2002, S. 81).
Günther beschreibt das Ziel einer Förderung als „das Hemmende und Störende [zu] beseitigen und das Starke nach vorn [zu] bringen und weiter [zu] entwickeln“ (Günther, 2002, S. 102). Das Ziel der Förderung von LRS-Kindern bezieht sich nicht nur auf die schriftsprachlichen Fähigkeiten, sondern dient auch der Stabilisierung der psychischen Entwicklung sowie der Anpassung der Anforderungen an das Kind in Bezug auf seine Fähigkeiten (Von Suchodoletz, 2006, S. 281). Die Begriffe der Förderung, Intervention und Therapie werden in der Literatur nebeneinander benutzt. Für sie alle gilt jedoch die gleiche Grundvoraussetzung: Das Ziel kann nur erlangt werden, wenn die Kooperation zwischen der Schule, den Eltern, den Lehrkräften und gegebenenfalls den Therapeuten funktioniert (Günther, 2002, S. 109). Im Folgenden wird der Begriff der Förderung verwendet.
Die Fachliteratur ist sich einig, dass eine möglichst frühzeitige Förderung bei einem lese-rechtschreib-schwachen Kind wichtig ist. Das Versäumen einer frühen Förderung führt dazu, dass das Kind einem immer größeren Rückstand hinterherläuft und sowohl in der Schule als auch außerhalb Gelegenheiten zum Üben des Lesens und Rechtschreibens verpasst (Klicpera et al., 2007, S. 230). Gasteiger-Klicpera und Klicpera unterscheiden zwischen der Förderung des Schreibens und der des Lesens. Der Leseförderung sprechen sie höhere Priorität zu, da sich Probleme beim Lesen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf das Rechtschreiben auswirken (Gasteiger-Klicpera & Klicpera, 2014, S. 62). Laut Warnke et al. ist kein Verfahren bekannt, das „in jedem Einzelfall eine Normalisierung der Lese-Rechtschreibfähigkeit“ (Warnke et al., 2004, S. 28) herbeiführt. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Förderung an die individuellen Bedürfnisse des Kindes angepasst wird. Folglich bedarf es unterschiedlicher Fördermaßnahmen für verschiedene lese-rechtschreib-schwache Kinder.
Drei Fördermaßnahmen, die bei Kindern mit Lernstörungen als effektiv angesehen werden, werden im Folgenden kurz vorgestellt. Grünke nennt als eine effektive Fördermaßnahme die direkte Instruktion. Diese Methode ist eher lehrerzentriert. Die Lehrkraft gibt die Lerninhalte, das Lerntempo und die zu dem jeweiligen Leistungsniveau passenden Materialen vor. Die direkte Instruktion unterteilt sich in drei sich ständig abwechselnde Phasen: Die „Präsentation neuer Inhalte und Demonstration der Vorgehensweise bei der Aufgabenbewältigung“, das „Üben unter Anleitung“ und „eigenständiges Üben“ (Grünke, 2006, S. 241). Zudem erfolgt eine direkte Rückmeldung zur Richtigkeit der Aufgabenbearbeitung, welche Kullik als mitunter entscheidenden Faktor der Effektivität von Fördermaßnahmen ansieht (Kullik, 2014, S. 388).
Als effektive kindzentrierte Fördermethode nennt Grünke die konstruktivistischen Unterrichtsmethoden. Solche Methoden sind dadurch gekennzeichnet, dass die Schüler/innen ihr Lerntempo, ihre Lernziele sowie die Lerninhalte weitestgehend selbst bestimmen. Das Wissen soll von den Schülern/innen „eigenständig und in Auseinandersetzung mit den persönlichen Werten und Vorerfahrungen konstruiert“ (Grünke, 2006, S. 242) werden. Die Lehrkraft unterstützt die Schüler/innen lediglich auf ihren Lernwegen.
PC-gestützte Übungsprogramme bieten sich ebenfalls als Fördermaßnahme an. Grünke ordnet eine solche computergestützte Förderung jedoch nicht den eigenständigen Methoden zu, sondern sieht sie als „spezifische Form der Umsetzung von Interventionsverfahren“ (ebd.) an. Demnach kann jede Fördermethode sowohl mit einem Menschen als auch mit dem PC realisiert werden. Kullik (2014) betont den effektiven Faktor der Motivation, die durch PC-gestützte Übungsprogramme bei den Kindern hervorgerufen wird. Seiner Meinung nach ist jedoch zu berücksichtigen, dass motivationsfördernde Elemente in Übungsprogrammen, wie zum Beispiel Spielfiguren, einen negativen Effekt auf das Lernen haben, da sie eher ablenkend wirken (Kullik, 2014, S. 388). Wirksame Programme zeichnen sich seines Erachtens durch eine Reizarmut, eine übersichtliche Gestaltung und die Eindeutigkeit der Aufgabe aus (ebd., S. 385). Neben der hohen Rückmeldungsqualität ist es wichtig, dass ein PC-gestütztes Übungsprogramm über die Möglichkeit verfügt, die Aufgabenschwierigkeit dem Leistungsniveau des Kindes anzupassen (ebd.). Als Beispiel für ein empfehlenswertes PC-gestütztes Übungsprogramm nennt Kullik das Grundschatz- und Transfertraining, das auf die Verbesserung der Rechtschreibkompetenzen abzielt.
Dieser Teil der Arbeit beschränkt sich auf Informationen aus der aktuellen Literatur und unterscheidet sich daher vom restlichen theoretischen Teil in wenigen Details.
Gut lesen und schreiben zu können ist in der heutigen Welt wichtig, insbesondere etwa für die Übergangsempfehlung in der Schule oder für das Verfassen von Bewerbungsschreiben (Scheerer-Neumann, 2015, S. 11). Ist ein Kind nicht in der Lage, gut lesen und schreiben zu können, bedarf es einer genauen und schnellen Diagnose, um gegebenenfalls Fördermaßnahmen einzuleiten. Für die Diagnose einer LRS kann entweder die Diskrepanzdefinition oder die leistungsbezogene Definition ausschlaggebend sein, wie in dem Kapitel „Diagnose“ ausgeführt wurde. Die Diskrepanzdefinition wird in der jüngeren Literatur kritisiert. Studien (bspw. Fletcher et al. (1994) und Brandenburg et al. (2013)) haben gezeigt, dass die phonologische Informationsverarbeitung von Kindern mit großer Diskrepanz zwischen Intelligenz und Lese-Rechtschreib-Kompetenz und solchen mit kleiner Diskrepanz gleich abzulaufen scheinen (Mayer, 2016, S. 46f.). Dies bezieht sich auf die Fähigkeiten der sprachlichen und visuellen motorischen Leistungen sowie die des Arbeitsgedächtnisses. Zudem wird gefordert, dass Kinder unabhängig von ihrem Intelligenzniveau das Recht auf eine optimale Lese- und Rechtschreibförderung haben sollten (Scheerer-Neumann, 2015, S. 26).
Bedenkt man den relativ hohen Anteil der von einer Lese- und /oder Rechtschreib-Schwäche betroffenen Kindern (vgl. Kapitel 2.4), stellt sich die Frage, was die Schulen für die benötigte Förderung anbieten. Für individuelle Förderungen fehlt den Lehrern/innen oft die Zeit. Folglich entlasten die Schulen Kinder mit einer LRS mit pädagogischen Mitteln wie der Gewährung von Nachteilsausgleich und Notenschutz (Schulte-Körne, 2017, S. 479). Für diese Gewährung bedarf es zunächst einer fachlichen Einschätzung, meist durch den schulpsychologischen Dienst. Liegt der Schule eine attestierte LRS-Diagnose vor, so bleibt ihr die Entscheidung überlassen, ob sie die Kriterien für die Gewährung als erfüllt ansieht. Die Regelungen bzgl. des Nachteilsausgleichs und des Notenschutzes sind von Bundesland zu Bundesland verschieden. Wird zusätzlich zum Nachteilsausgleich Notenschutz gewährt, so werden beispielsweise die Rechtschreibleistungen sowohl im Fach Deutsch als auch in Fremdsprachen und anderen Fächern weniger oder gar nicht gewichtet (ebd., S. 480). Nachteilsausgleich kann in der Verlängerung der Arbeits- bzw. Prüfungszeit, dem Einsatz spezieller Arbeitsmittel, wie z.B. Leselineal oder Laptop, der Vergrößerung der Schrift auf Aufgabenblättern oder der Ableistung von Prüfungen in ruhigerer Umgebung, angeboten werden. Zudem können schriftliche durch mündliche Prüfungsformen ersetzt werden oder die mündliche Leistung stärker gewichtet werden (ebd.).
Ist eine individuelle Förderung möglich, ist die „symptomorientierte Förderung, die direkt am Lese- und am Rechtschreibprozess ansetzt“ (ebd.) anzustreben. In die Förderung sollten komorbide Störungen wie eine ADHS einbezogen werden, da sonst die Gefahr besteht, dass die Förderung durch die zusätzliche Störung beeinträchtigt wird (ebd.). Um die Förderung möglichst effektiv zu gestalten, sollte sie von Experten im Bereich der Schriftsprachentwicklung durchgeführt werden und möglichst von langer Dauer sein (Galuschka & Schulte-Körne, 2016, S. 283). Eine solche intensive Förderung scheitert jedoch oft an der Finanzierung.
Bei all dem ist zu bedenken: Galuschka und Schulte-Körne weisen darauf hin, dass in dem Bereich der Diagnostik und der Behandlung von LRS noch großer Forschungs- und Handlungsbedarf – vor allem bezüglich standardisierter Lese- und Rechtschreibtests – besteht (ebd., S. 285).
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