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Lizentiatsarbeit, 2020
59 Seiten, Note: 1
Einleitung
1 Psycholinguistische Grundlagen für den kindlichen Spracherwerb
1.1 Spracherwerb bei Kindern
1.2 Wortschatz des Kindes
1.2.1 Verstehen und Produktion von Sprache
1.2.2 Merkmale des frühen Vokabulars
1.3 Theorien des Spracherwerbs von Kindern
1.4 Typhlopsychologie und ihr Beitrag zum besseren Verständnis sehbedingter Behinderungen
1.4.1 Allgemeine Fragen der Typhlopsychologie
1.4.2 Die Frage der Kompensation für Blinde
2 Einführung in die Audiodeskription
2.1 Grundlegende Konzepte und Definitionen
2.1.1 Definitionen
2.1.2 Polnische Terminologie
2.1.3 Begünstigte der Audiodeskription
2.1.4 Grundprinzipien
2.1.5 Rechtsvorschriften
2.1.6 Geschichte der Audiodeskription
2.2 Kinderfilme mit Audiodeskription
3 Analyse von Kinderfilmen mit Audiodeskription
3.1 Der Räuber Hotzenplotz – der Fim mit Audiodeskription, die unbegrenzte Vorstellungskraft des Empfängers unterstützt
3.1.1 Allgemeine Informationen und Inhalt des Filmes
3.1.2 Das Vorlesen der Audiodeskription und die mit ihr verbundenen Elemente
3.1.3 Pausen und Sprechtempo
3.1.4 Die Handlungsräume
3.1.5 Der Bildungsaspekt der Audiodeskription
3.1.6 Musik und Lieder in der Audiodeskription
3.1.7 Schlussfolgerungen
3.2 Komm, wir finden einen Schatz – Audiodeskription für die Jüngsten
3.2.1 Allgemeine Informationen und Inhalt des Filmes
3.2.2 Das Vorlesen der Audiodeskription und die mit ihr verbundenen Elemente
3.2.3 Pausen und Sprechtempo
3.2.4 Die Handlungsräume
3.2.5 Der Bildungsaspekt der Audiodeskription
3.2.6 Musik und Lieder in der Audiodeskription
3.2.7 Schussfolgerungen
3.3 Krabat - nicht mehr so einfach Audiodeskription für Kinder
3.3.1 Allgemeine Informationen und Inhalt des Filmes
3.3.2 Das Vorlesen der Audiodeskription und die mit ihr verbundenen Elemente
3.3.3 Pausen und Sprechtempo
3.3.4 Die Handlungsräume
3.3.5 Der Bildungsaspekt der Audiodeskription
3.2.6 Musik und Lieder in der Audiodeskription
3.3.7 Schlussfolgerungen
3.4 Drei Audiodeskriptionen im Vergleich
3.5 Abschließende Bemerkungen
Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Auch wenn wir uns glücklich schätzen können in einer Zeit zu leben, die vom technischen und medizinischen Fortschritt geprägt ist, gibt es leider immer noch Bereiche, bei denen Menschen mit gewissen Behinderungen ausgeschlossen sind oder Einschränkungen akzeptieren müssen. Zu so einem Bereich zählt auch die Medienwelt, welche sehgeschädigten Menschen viele Barrieren stellt. Das Recht auf barrierefreien Zugang zu allen Arten von Informationen und Kommunikation, sollte mittels des sorgfältigen Abbaus von Barrieren im Medienbereich vorangetrieben werden. Menschen, die mit Behinderungen leben müssen, sind sowie schon benachteiligt, also sollten sie wenigstens vom technologischen Fortschritt nicht ausgeschlossen werden. Sie sollten auch die Möglichkeit dazu bekommen, von den neuartigen technischen Entwicklungen zu profitieren und sich somit an denselben Dingen erfreuen zu können, wie Menschen mit intaktem Sehvermögen. Um allerdings alle existierenden Einschränkungen abbauen zu können, müssen diese erstmals erkannt und bewusst gemacht werden. Hierzu versucht die vorliegende Arbeit einen Beitrag zu leisten.
Ein weiteres Anliegen der Autorin, ist es den Begriff der Typhlopsychologie zu erklären, da dieser strikt mit den menschlichen Sehbehinderungen zusammenhängt, allerdings nur sehr wenig bekannt ist. Auch der Forschungsgegenstand präsentiert sich an dieser Stelle eher mager. Nach langem Suchen erwies sich nur ein Buch als hilfreich, nämlich das vom polnischen Autor Tadeusz Majewski, welches die Psychologie von Blinden und sehgestörten Menschen thematisiert. Die Autorin hofft, dass durch diesen Abschnitt und auch durch das Kapitel, in dem die Audiodeskription detailliert beschrieben wird, mehr Menschen auf das Thema der Blindheit aufmerksam werden. Menschen sollten in den meisten Fällen feinfülliger gegenüber Personen mit Behinderungen sein und sich mehr im Klaren darüber sein, mit welchen Einschränkungen sehgestörte Menschen leben müssen und dass diese Barrieren schon bei solchen, eigentlich trivialen Tätigkeiten wie das Fernsehen schauen, anfangen.
Das Ziel der Arbeit ist es durch eine Analyse von Audiodeskriptionen für Kinderfilme zu zeigen, welche Elemente besonders beachtet werden müssen, um für diese Zielgruppe, also für Kinder, Filme so gut wie möglich zu präsentieren. Es stellt sich also die Frage, wie Audiodeskriptionen durchgeführt werden müssen, damit sehgestörte Kinder beim Schauen von Filmen, eine ähnliche Freude haben, wie Kinder mit intaktem Sehvermögen. Eine Antwort soll durch eine vergleichende Analyse der Kinderfilme Der Räuber Hotzenplotz und Komm wir finden einen Schatz erfolgen . Es soll eine Untersuchung konkreter Elemente durchgeführt werden, um zum Schluss festzustellen, ob gravierende Unterschiede in den zwei Audiodeskriptionen bestehen.
Die vorliegende Arbeit gliedert sich zwei Hauptteile, nämlich den theoretischen und den praktischen. Im ersten Kapitel des theoretischen Teils, sollen die grundlegenden Begriffe in Hinblick auf die Psycholinguistik erklärt werden. Vor allem der Spracherwerb bei Kindern, wie auch die mit ihm verbundenen Sprachtheorien sollen genau erörtert werden. Des Weiteren steht die Typhlopsychologie und ihr Zusammengang mit Sehbehinderungen im Fokus.
Das zweite theoretische Kapitel widmet sich der Thematik der Audiodeskription, als akustisches Hilfsmittel für blinde und sehgestörte Rezipienten. Dabei sollen alle relevanten Begriffe und Definitionen erklärt werden, wie auch die Grundprinzipien und Vorschriften, welche bei Audiodeskriptionen zu beachten sind.
Den praktischen Teil der Arbeit stellt die schon erwähnte Vergleichsanalyse von zwei Kinderfilmen mit Audiodeskriptionen dar. Die Ergebnisse aus dieser Untersuchung, sollen in den Schlussfolgerungen der Arbeit präsentiert werden.
Linguistik ist ein wissenschaftlicher Bereich, der sich mit der Sprache, Grammatik und dem Wortschatz beschäftigt. Das Ziel der Psycholinguistik, also der Psychologie der Sprache, ist die Untersuchung von psychischen Prozessen, dank denen die Menschen eine Sprache erlernen und verwenden. Es wird angenommen, dass diese Prozesse in drei großen Teilbereichen stattfinden (Gleason/Ratner 2005:17):
1. Verstehen– wie die Menschen geschriebene und gesprochene Sprache verstehen. Es handelt sich hierbei um einen komplexen Untersuchungsbereich, welcher Prozesse des Sprachverstehens auf unterschiedlichen Ebenen analysiert:
a) auf welche Art und Weise die Sprachsignale durch die Hörer identifiziert werden;
b) wie es zur Bedeutung konkreter Wörter kommt;
c) auf welche Weise die grammatische Struktur der Sätze analysiert wird;
d) wie längere Konversationen oder Texte formuliert und interpretiert werden;
2. Sprachproduktion– wie die Menschen sprachliche Aussagen produzieren. Die Untersuchung dessen, wie Sprache zu Stande kommt, ist allerdings äußert schwierig. Die Sprachproduktion kann nicht so einfach beobachtet werdenund die verbalen Reaktionen der Menschen charakterisieren sich durch ständige Wechselhaftigkeit.
3. Spracherwerb– wie die Menschen eine Sprache lernen. In der Hinsicht stellt der wichtigste Gegenstand der Untersuchungen der Spracherwerb der Muttersprache durch die Kinder dar.
Die größte Neuerung der Psycholinguistik lag in der fundamentalen Änderung des Forschungsparadigmas, die fern vom Behaviorismus war und sich an nativistische Anschauungen, wie die von Noam Chomsky, annäherte. Manche Sprachwissenschaftler, wie Knobloch, sahen die Leitkraft für eine Neuausrichtung der Psycholinguistik auch „in dem Zusammenwirken von Kybernetik, (mathematischer) Informationstheorie, KI-Forschung, Computertechnik und Generativer Grammatik“ (Knobloch 2003:15).
Chomsky war auch der Ansicht, eine reine Beobachtung der Sprache wäre ohne größeren Sinn und gäbe keine Rückschlüsse auf die fundamentalen sprachlichen Regeln, die schließlichim Hauptfokus der linguistischen Forschung stehen sollten. Sein Ziel war es damals ein formales System von sprachlichen Regeln zu formulieren, welches den generativen Charakter der Sprache, insbesondere der Syntax erklären sollte (ebd.:2).
Die gegenwärtige Psycholinguistik geht von der Annahme aus, dass konkrete Fähigkeiten schon bei der Geburt vorhanden sind. Im linguistischen Kontext bedeutet dies allerdings nicht, dass ein Kind bereits mit einer komplett entwickelten Fähigkeit zu sprechen zur Welt kommt, sondern dass es über eine angeborene Disposition zur Sprachentwicklung verfügt, dank der es die Möglichkeit hat, jede beliebige Sprache der Welt zu erlernen (Hartig 1999:15).
Obwohl eine sehr starke Synergie zwischen Linguistik und Psychologie heute besteht und die beiden Disziplinen quasi miteinander verschmolzen sind, müssen sie als zwei eigenständige Wissenschaften verstanden werden, deren Grundziele sich voneinander unterscheiden. Psycholinguistik stellt immer noch eine psychologische Disziplin dar, deren wichtiges Interesse darin besteht, das im menschlichen Gehirn gespeicherte Wissen und die zugrunde liegenden psychischen Prozesse zu erforschen.
Um die oben genannten Ziele zu realisieren, gibt es eine Reihe von psycholinguistischen Methoden. Ein Teil von ihnen versucht die Sprachverarbeitung zu untersuchen, während sie gerade stattfindet, während der andere Teil die produzierten sprachlichen Abläufe erst im Nachhinein auswertet (Schäffer 2013:11).
Zur ersten psycholinguistischen Methode zählt das lexikalische Entscheidungsexperiment. Es ist ein Test, bei dem Probanden verschiedene Buchstabenketten präsentiert werden. Danach bekommen sie die Aufgabe, diese als Wort oder Pseudowort, welches in der Zielsprache zulässig oder unzulässig ist, zu klassifizieren. Das soll dazu führen, dass man über Vorhandensein, Fehlen oder die Stärke des getesteten Verarbeitungseffektes […] Evidenz für oder gegen die postulierten kognitiven Verarbeitungsschritte und die ihnen zugrunde liegenden grammatischen Repräsentationen [erfährt] (Penke 2006:25).
Eine besondere Form des lexikalischen Entscheidungsexperimentes stellt das Priming dar. Hierbei geht es darum, herauszufinden, inwieweit lexikalische Repräsentationen miteinander verbunden sind und somit Rückschlüsse auf die Organisation des mentalen Lexikons zu erhalten (ebd.:26). Im Rahmen des Priming, existiert das semantische, morphologische und cross-modal –Priming, die sich jeweils mit der Semantik, Morphologie oder verschiedenen Modalitäten beschäftigt (ebd.:28).
Eine weitere psycholinguistische Methode nennt man Eye-Tracking. Wie der Name schon vorhersagen lässt, geht es hierbei, die Blickbewegungen der Menschen zu beobachten, während diese aktiv eine Szene verfolgen. Diese kann entweder einen statischen oder dynamischen Charakter haben. Dank dessen soll untersucht werden, wie Menschen auf semantisch eineindeutige Sätze reagieren (ebd.: 30ff.).
Des Weiteren existieren bildgebende Verfahren, z.B. das Elektroenzephalogramm, welches immer häufiger bei der Psycholinguistik verwendet wird. Auf dem Gebiet der Semantik ist es durch diese Methode möglich, die Reaktion des menschlichen Gehirns auf sprachliche Verarbeitung von bestimmten Informationen zu erforschen (Streb/Rösler 2003:168).
Kinder lernen praktisch aus dem Nichts alles, was für ihr weiteres Leben nötig sein wird. Ein wesentliches Element stellt hierbei der Spracherwerb dar, welcher allerdings zahlreiche Voraussetzungen braucht, um sich entwickeln zu können. Damit sind vor allem biologische, kognitive und soziale Voraussetzungen gemeint (Dietrich 2002:70). Alle weiteren Faktoren illustriert die Abbildung 1.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1.: Faktoren, die den Spracherwerb des Kindes beeinflussen (Forcosanu 2013:14)
Die grundlegenden Voraussetzungen für den kindlichen Spracherwerb stellen die biologischen dar. Darunter werden diese Organe verstanden, die eine enge Verbindung mit der Spracherwerbsfähigkeit haben. Dazu gehört in erster Linie das Gehirn, da es die Denkfähigkeit und die Verarbeitung der Sprache erst möglich macht. Natürlich muss sich das Gehirn entsprechend entfalten, um diese Prozesse zu zulassen. Neben dem Gehirn haben noch andere eine große Bedeutung, nämlich die Atmungsorgane, zu denen die Lunge, der Luftweg und das Zwerchfell gehören, der Artikulationstrakt, der aus dem Kehlkopf, Mund-, Nasenraum und Rachen besteht, wie auch dem Gehör (Dietrich 2002:70).
Die zweite Gruppe bilden die sozialen Voraussetzungen, denn die Art und Weise, in der sich eine Sprache entwickelt, hängt sehr von der Sozialisation, also vom Inhalt und Komplexität der menschlichen Interaktionen ab. Für die Entwicklung der sprachlichen Fähigkeiten ist auch die Familie, vor allem die Eltern verantwortlich. Die in der Familie praktizierten Interaktionsstile und Sprache der Eltern haben direkten Einfluss auf den Spracherwerb (Apeltauer 1997:56).
Eine weitere Gruppe der wesentlichen Voraussetzungen stellen die kognitiven dar. Die kognitive Entwicklung eines Kindes ist entscheidend für die weitere Sprachentwicklung und um ein höheres sprachliches Niveau zu erreichen (ebenda).Piaget ist der Meinung, das erste Entwicklungsstadium sei die sensomotorische Phase, in der sich Kinder mit ihrer Umgebung mittels sinnlicher Wahrnehmungen und motorischen Handlungen auseinandersetzen. Kinder fangen an, etwas wahrzunehmen und wissen jetzt auch, dass etwas existiert, auch wenn es sich nicht im Raum befindet. In dieser Phase ist der Spracherwerb beim Kind mit einer Bildung von Symbolen verbunden. Diese symbolische Funktion der Sprache wird auch durch die Nachahmung, das Spiel und die sprachlichen Mechanismen sichtbar (Berk 2011:205).
Eine weitere Stufe der Entwicklung ist das anschauliche Denken, welches sich vom zweiten bis zum vierten Lebensjahr erstreckt. In dieser Phase reagiert das Kind noch relativ intuitiv. Sprache wird als etwas Selbstverständliches wahrgenommen und Wörter haben für ein Kind ihre eigene, spezifische Bedeutung (Szagun 2006:244).
Die dritte Phase, die alsanschauliches Denken bezeichnet wird, dauert bis zum 7. Lebensjahr. Die Kinder fangen an, bestimmte Objekte mit Wörtern gleichzusetzen, was bedeutet, dass sie noch nicht exakt wissen, dass es sich um zwei verschiedene Dinge handelt. Für ein Kind ist ein langes Wort mit einem langen Gegenstand gleichzusetzen. Es fängt auch an, sich auch einen konkreten, wahrnehmbaren Aspekt zu konzentrieren und Adjektive als Wörter anzuerkennen. Im Laufe dieser Zeit kann es auch zu einer Verschlechterung des Verständnisses von verbalen Aussagen kommen (ebd.:250).
Die Zeit der konkreten Operationen erstreckt sich bis zum 11. Lebensjahr. In dieser Phase fangen die Kinder an, mehreren Eigenschaften gleichzeitig Beachtung zu zeigen und die von ihnen verwendete Sprache bekommt einen höheren Schwierigkeitsgrad. Ironie, Doppeldeutigkeiten oder auch Witze werden immer besser verstanden und die Unterscheidung zwischen der Bedeutung eines Wortes und der damit bewirkenden Aussage wird immer leichter (ebd.:252).
Die fünfte und letzte Entwicklungsphase im Bereich der Kognition der Kinder stellt die formal-operationale Stufe dar. Das Kind basiert bei seinen Handlungen nicht mehr nur auf den vorgegebenen Informationen, sondern fängt an, selber über sie nachzudenken und logische Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, ohne dabei die Hilfe von einer anderen Person anzunehmen. Verbale Aussagen von anderen Personen können jetzt beurteilt werden, ohne dass ein Bezug zur Realität dabei gegeben sein muss. Für den Spracherwerb bedeutet diese Tatsache, dass sich das Verständnis von abstrakten Metaphern systematisch entwickelt. Bis zum vollständigen Verstehen kann es allerdings noch ein paar weitere Jahre dauern. Manchmal haben noch 18-jährige Personen Probleme damit (Berk 2011:519).
In unserer Kultur existiert bei Eltern die Tendenz, die Kompetenzen der Kinder als überdurchschnittlich zu bewerten. Laute, wie zum Beispiel Rülpsen, werden als Kommunikationswerkzeug interpretiert und den Kindern werden Intentionen zugeschrieben, die noch gar nicht präsent sind. Erst am Ende des ersten Lebensjahrs fangen die Kinder an, eigene Intentionen zu entwickeln und diese auch in einer außersprachlichen Weise zu demonstrieren. Sie gestikulieren oder zeigen auf einen Gegenstand, den sie gerne haben möchten und den die Eltern ihnen geben sollen. Nicht in jedem Fall sind wir im Stande zu sehen, was das Kind uns mitteilen will, doch Forscher sind der festen Überzeugung, dass diese Kommunikationsversuche sowohl über einen protodeklarativen (über etwas erzählen) als auch protoimperativen(Bitten und Forderungen des Kindes) Charakter verfügen (Gleason/Ratner 2005:387).
Der Großteil der Kinder beginnt seine ersten Wörter in seiner Muttersprache um den ersten Geburtstag zu sprechen. Zwischen dem 18. und 20. Lebensmonat können Kinder in der Regel 50 Wörter sprechen, um den zweiten Geburtstag steigt die Zahl auf 200-300. Es ist ein enormer Zuwachs an Wörtern, mit denen Kinder sogar einzelne Sätze gestalten können. Dieser radikale Zuwachs wird manchmal als „Explosion des Wortschatzes“ bezeichnet (ebd.: 387f.).
Trotz der Vielfalt an Kulturen und der Unterschiede zwischen den Gesellschaften auf der Welt sind die ersten Wörter der Kinder sehr ähnlich. Sie zeigen Ähnlichkeiten sowohl bei der Phonetik als auch Zeichentypen, die sich hinter ihnen verbergen. Die ersten Wörter verfügen nur sehr selten über Verbindungen von zwei oder mehreren Konsonanten. Dafür enthalten sie öfter offene Silben (ein Konsonant steht vor dem Vokal) als geschlossene Silben (die mit einem Konsonanten enden). Nelson (1973) erkannte, dass sich die ersten Wörter in den meisten Fällen auf Gegenstände aus dem Umfeld des Kindes beziehen und mit denen es eine direkte Interaktion hat. Diese ersten Wörter erfüllen für das Kind wichtige Funktionen, deshalb ist es nur sehr unwahrscheinlich, dass z.B. das Wort „Karton“ zum ersten Wort des Kindes wird (ebd.:388).
Kinder, die eine Gebärdensprache zuerst lernen, fangen mit dem Benutzen von Wörtern früher an, als Kinder, die eine gesprochene Sprache lernen. Das deutet darauf hin, dass die Fähigkeit Wörter auszusprechen im gewissen Grad von der Entwicklung der motorischen Koordination desArtikulationsapparats abhängen kann. In diesem Zusammenhang haben Forscher reguläre Verhaltensmuster beobachtet, die bei den Kindern seit Sprechbeginn bis zum Erlangen der vollen Sprachkompetenz auftreten. Im ersten Stadium sprechen die Kinder ein bedeutsames Wort aus, welches ein Inhaltswort darstellt und mit Sicherheit kein Funktionswort ist. Die ersten Wörter sind im Umfeld des Kindes verwurzelt und betreffen das „hier und jetzt“ (ebd.:389).
Der produktive Spracherwerb wird allgemein als ein Aneignungsprozess an die Zielsprache angesehen, in dem immer wieder neue, entwicklungstypische Übergangssysteme vorkommen (Anderka 2018:16).Beim Spracherwerb der Kinder erfolgt dieser Prozess durch die Imitation der Erwachsenensprache, wie auch nach den Prinzipien des klassischen und instrumentalen Konditionierens. Bei der Entfaltung der Sprachfähigkeiten stellen die Umwelt und primäre Bezugspersonen sowohl eine auslösende als auch stimulierende Funktion dar. Auch die Interaktion und Qualität der Beziehung zwischen dem Erwachsenen und dem Kind haben großen Einfluss auf die Art und die Schnelligkeit des Spracherwerbes (Demske/Meibauer 2007:253f.).
Was an dieser Stelle wichtig zu erwähnen ist, ist die Tatsache, dass Kinder zuerst zu verstehen anfangen und erst später zu sprechen. Das bedeutet, dass ein Kind etwa fünf Mal mehr Worte versteht, als es aussprechen kann. Diese Tendenz zeigt sich auf beim Erwerb von Begriffen, die die Syntax betreffen (Gleason/Ratner 2005:389).
Damit man sagen kann, dass ein Kind über volles Sprachverständnis verfügt, muss es Wörter oder Sätze inhaltlich verstehen und sich deren Bedeutung im Klaren sein. Das Sprachverständnis, ähnlich wie die Sprachproduktion, lässt sich in drei Etappen festhalten (Lexikon der Neurowissenschaft 2000:1):
1. Analyse der sprachlichen Mitteilung und Identifikation der einzelnen Wörter;
2. Die Anwendung von syntaktischen Regeln, um Bedeutungen aus den analysierten Wörtern zu extrahieren;
3. Verarbeitung von Informationen je nach Kontext.
Der erste Wortschatz der Kinder charakterisiert sich vor allem durch eine große Anzahl von Nomen. Sie stellen die Kategorie des Grundniveaus dar. So lernen die Kinder erstmals solche Wörter wie „Hund“ oder „Katze“ und erst später Wörter, die eine Nebenkategorie bilden, z.B. „Pudel“ oder „Jeep“ (Gleason/Ratner 2005:389f.).
Wörter aus der Basiskategorie kommen aus typischen semantischen Feldern, wie Tiere, Spielzeug, Personen, Kleidung, Körperteile, Fahrzeuge, Lebensmittel und Haushaltsgegenstände. Wenn es um die Bezeichnungen von Tieren, Gebäuden und Fahrzeugen geht, dann erlangen sie Kinder größtenteils durch Bilder oder Spielzeug. Auch soziale Interaktionen, wie Begrüßungen, treten häufig im frühen Vokabular der Kinder auf. Diese Art von Wörtern bezeichnet man als personal-soziale Wörter, die mit klassischen zwischenmenschlichen Tätigkeiten und Ereignissen in Verbindung gebracht werden (Ege 2012:28).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.2: Die am häufigsten verwendeten Wörter bei Kleinkindern(Szagun 2006:116)
Eine Untersuchung von Szagun (2016) hat ergeben, welche Wörter des kindlichen Frühvokabulars am häufigsten vorkommen. Hierbei hat der Forscher die Wortklassen Nomen, Verben, Adjektive und Funktionswörter aufgeführt. Die folgende Abbildung zeigt die häufigsten Wörter bei Kindern zwischen 1 und 4 Jahren in abnehmender Reihenfolge (s. Abb.2).
Eine weitere Eigenschaft des frühkindlichen Vokabulars ist das Nutzen von Onomatopoesien, den so genannten Lautmalereien, die besonders von Ein-bis Zweijährigen gerne verwendet werden. Beispiele dafür können „wauwau“, „miau“ oder „wrumm“ sein. Es ist schwer sie bestimmten Wortklassen zuzuordnen, da nicht ganz klar ist, ob das Kind bei „wauwau“ einen Hund meint oder eher das Geräusch, welches er produziert. Erst wenn das Kind einen Artikel hinzufügt, z.B. „der Wauwau“, ist klar, dass es sich um einen Hund, also um ein Nomen handelt.
Anhand der im vorherigen Abschnitt erläuterten Voraussetzungen des Spracherwerbs lassen sich Theorien des Spracherwerbs von Kindern entwickeln, die als Spracherwerbtheorien bezeichnet werden:
Je nach Wichtigkeit, die den biologischen, kognitiven und sozialen Bedingungen zu-gemessen wird, werden die Sprachfähigkeit des Menschen, ihre Gattungsgebundenheit und ihr Verlauf, als eher biologisch, kognitiv oder sozial verankert und erklärbar gesehen. (Dietrich, 2002:90).
Gemäß dieser Aussage existieren drei Hauptansätze, nämlich der nativistische, der kognitivistische und der interaktionistische (ebenda).
Die nativistische Spracherwerbstheorie geht von der Annahme aus, dass der Mensch über ein einzigartiges Sprachorgan und ein spezielles System an Wissen und Informationen verfügt. Dieses Wissens-und Informationssystem ist unabhängig und universal, denn es ist in der Lage, konkrete Eigenschaften und Merkmale zu erkennen und einzuteilen, die in natürlichen Sprachen vorkommen. Außerdem handelt es sich um ein modulares System, welches mit Denken und Artikulationen in Interaktion steht. Das System ist von Beginn an des Spracherwerbs verfügbar, denn man geht bei dieser Theorie von der Existenz eines universalen und von der Geburt an existierenden Sprachprogramms aus (ebd.:91).
Genauso wie Dietrich (2002), weisen jedoch auch andere Forscher darauf hin, dass ein bestimmtes Wissen schon vor Spracherwerbbeginn existieren muss, mit dessen Hilfe Kinder sprachlichen Input zu spezifischem sprachlichen Wissen verarbeiten können. Dieses Wissen beinhaltet auch das Erkennen von bestimmten grammatischen Regeln, welche unbedingt notwendig sind, um sprachliche Ausdrücke in eine entsprechende Hierarchie eingliedern zu können (ebenda).
Die zweite Theorie des Spracherwerbs ist die kognitive und basiert auf der Annahme, dass die Entwicklung der Sprache mit der Entwicklung der menschlichen Fähigkeit zu denken in einer untrennbaren Verbindung steht. Die Sprachentwicklung des Kindes wird als Prozess angesehen, der in der Entwicklung der Intelligenz fest eingebettet ist. Somit stellt die Grundvoraussetzung des Spracherwerbs die Intelligenz dar. Im Gegensatz zur nativistischen Theorie glauben die Vertreter dieser Theorie an keine Existenz von universalen sprachlichen Wissens (ebd.:95).
Der kognitivistische Ansatz wurde besonders von den Arbeiten des Entwicklungspsychologen Jean Piaget geprägt. Laut ihm stellt der Spracherwerb ein Produkt der allgemeinen kognitiven Entwicklung dar. Damit es für Kinder möglich ist zu kommunizieren, müssen sie lernen, sich als Subjekt bewusst wahrzunehmen. Diese ständige Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt gibt den Kindern die Möglichkeit sich anzupassen und soziale Beziehungen aufzubauen (ebenda).
Der Ausgangspunkt von Piagets Theorie, war die Untersuchung der Denkentwicklung von Kindern. In diesem Zusammenhang unterscheidet er folgende Stufen der kognitiven Entwicklung, die aufeinander aufbauend und voneinander abhängig sind (ebenda):
- die sensomotorische Stufe (bis ca. 2 Jahren): die Fähigkeit sich ein Objekt geistig vorzustellen, ohne es vor Augen zu haben;
- die Stufe des anschaulichen Denkens (von 2 bis ca. 6-7Jahren.): Trennung von Objekt und Vorstellung des Objekts;
- die Stufe des konkret–operativen Denkens (6-7 bis ca. 11-12Jahren): Handlungen können in Gedanken ausgeführt werden;
- die Stufe des formal-operativen Denkens (ab 11-12Jahren.): hypothetisches und spekulatives Denken, Regeln der Logik.
Der letzte der Ansätze im Hinblick auf den kindlichen Spracherwerb stellt der interaktionistische dar, dessen Grundlage die sozialen Voraussetzungen bilden. Viele Sprachforscher weisen darauf hin, dass jeder Mensch von Geburt an, über eine natürliche Lernbereitschaft verfügt, die den Erwerb von sozialen Verhaltensmustern ermöglicht. Somit seien Kinder und ihre Bezugspersonen mit unbewussten Kompetenzen ausgestattet. „Beide Seiten zusammen sind als ein System zu verstehen, dessen Teilsysteme kognitiv, affektiv und motorisch aufeinander eingestellt und eingespielt sind“ (ebd.:99).
Um die Aufmerksamkeit der Kinder auf ihr soziales Umfeld zu lenken, muss eine Interaktion mit der Umwelt stattfinden, die an dieser Stelle ausschlaggebend ist. Die Wahrnehmung von Konturen des Gesichts, das Gehör, der Tastsinn stellen alle Dinge dar, die unerlässlich sind, um bestimmte Informationen bearbeiten zu können. Aus diesem Grund ist es beim Sprechen mit Kindern sehr wichtig, Blickkontakt beizubehalten. Genauso ist die Fähigkeit der Kinder, ihr eigenes Verhalten wahrzunehmen, ein Teil der Verarbeitung. Ein Großteil der Kinder ist schon sehr früh in der Lage, Erwachsene nachzuahmen und manchmal kommen diese Nachahmungsversuche schon im Babyalter vor. Bereits mit wenigen Tagen, beginnen Babys nach und nach damit, manche der mimischen Gesten ihres Gegenübers zu imitieren. Zu diesen Gesten können z.B. Mundbewegungen, Blinzeln oder Runzeln der Stirn gehören (Butzkamm/Butzkamm 2004:64).
Typhlopsychologie leistet einen großen Beitrag für blinde und sehbehinderte Menschen und doch ist dieser Bereich der Psychologie nur den wenigsten Personen bekannt. Aus diesem Grund soll sich der folgende Abschnitt mit der Typhlopsychologie auseinandersetzen und ihre Rolle beim besseren Verständnis von Sehbehinderungen veranschaulichen. In der psychologischen Literatur nimmt die Thematik betreffend der Blindheit einen wichtigen Platz ein. Auch wenn der Anteil der Menschen, die an Blindheit leiden oder sehbehindert sind, nicht besonders groß ist, so gibt es auf dem Gebiet eine Reihe von Arbeiten und Artikel, die diesem Thema im Kontext der Psychologie, gewidmet sind (Majewski 1985:4).
Die Typhlopsychologie stellt einen immer wichtigeren Teil der allgemeinen Psychologie dar, an dem sich in den letzten Jahren ein immer größeres Interesse der Allgemeinheit zeigte. Vor allem für Personen, die in ihrem Alltag mit Blinden oder sehgestörten Menschen Kontakt haben oder im medizinischen Bereich tätig sind, sollten sich mit der Typhlopsychologie auseinandersetzen, denn sie gibt wichtige Antworten auf die psychologischen Aspekte dieser Behinderungen (ebd.:5).
Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Fähigkeit zu sehen,für einen Menschen enorm wichtig ist. Die Sehkraft spielt eine wesentliche Rolle, und das nicht nur in den Prozessen, bei denen die Realität wahrgenommen wird. Die Bedeutung des Sehens wird auch in den folgenden Bereichen geprüft:
a) kognitive Prozesse;
b) praktische Fähigkeiten;
c) Orientierungssinn;
d) emotionale Sphäre;
e) Kommunikation mit der Umwelt.
Aufgrund dessen, dass die Sehkraft so wichtig für das richtige und komplexe Funktionieren des menschlichen Körpers ist, beschäftigt sich die Typhlopsychologie intensiv mit den psychischen Eigenschaften und Unterschieden zwischen Menschen, die sehen können und zwischen denen, die an Blindheit leiden. Das ist auch der grundlegende Untersuchungsgegenstand von diesem Bereich der Psychologie. Dieses Hauptziel hat schon im Jahr 1917 die blinde Psychologin, Steinberg (1917) formuliert, in dem sie sagte:
Das Ziel der Psychologie von Blinden, ist es die typischen, spezifischen Formen des geistlichen Lebens dieser Personen zu untersuchen, die sich aus der fehlenden Sehkraft ergeben und die zusammen mit anderen, verschiedenen psychischen Faktoren, die Persönlichkeit eines Blindes bilden“ (Übersetzung der Autorin Grzegorczewska 1926:7).
Ein weiterer Forscher, der sich schon vor über hundert Jahren mit der Typhlopsychologie auseinandersetzte, war Cohn, Gründer des Blinden-Arbeitsamtes in Breslau (Grassl/Richart-Willmes 1997:23). Er erklärte, die Psychologie der Blinden solle dazu führen, eine Antwort auf die Frage zu finden, ob und in welchem Masse es möglich ist, für einen Blinden Ersatz für seine fehlende Sehkraft zu finden. Außerdem solle geklärt werden, ob es überhaupt möglich ist, das innerliche Leben eines Blinden so zu gestalten, dass er nach einem Sehverlust, sein emotionales Gleichgewicht wieder erlangt (Majewski 1985:13).
Zu einer weiteren Aufgabe der Typhlopsychologie gehört die Untersuchung, welche Unterschiede es in der emotionalen Entwicklung zwischen einem Blinden und einem Menschen, der sehen kann, existieren, um danach eine Grenze zwischen beiden zu ziehen. Wichtig ist, dass diese Untersuchung objektiv erfolgt und nur anhand von Tatsachen und Fakten stattfindet. Jegliches stereotypische Denken betreffend blinder Menschen sollte vorab abgelegt werden (ebenda).
Psychologie für Blinde soll auch das Innerste eines Blinden erforschen. Hierzu gehören auch die Charaktereigenschaften der jeweiligen Person und dessen emotionale Strukturen. Auch hierbei geht es aus Sicht des Untersuchenden, Objektivität zu bewahren und frei von Vorurteilen zu forschen (ebd.:13f.).
Typhlopsychologie begrenzt ihren Untersuchungsgegenstand allerdings nicht nur auf die Unterschiede in der Psyche der Menschen, die an einem Sehdefekt leiden, sondern umfasst auch die Problematik, welche mit der Reduktion von Sehbehinderungen oder deren Beseitigung zusammenhängen. Außerdem beschäftigt sie sich dieser Teil der Psychologie mit der psychischen Adaptation an neue Situationen und Lebensbedingungen von Menschen, die nicht von Geburt an blind sind, sondern ihre Sehkraft einst verloren (ebd.:14).
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Typhlopsychologie keine autonome psychologische Disziplin darstellt, sondern Teil der defektologischen Psychologie ist. Sie ist sowohl theoretischer Natur (sie gibt Informationen und Wissen), wie auch praktischer (man kann sie praktisch anwenden). Wenn man sich den Untersuchungsgegenstand der Typhlopsychologie genau ansieht, kann man ihn in die folgenden Problembereiche einteilen (ebd.:15f.):
- Der Bereich, welcher sich nur den blinden und sehgestörten Menschen widmet. Hierbei werden Unterschiede zwischen ihrer Psyche und der von Menschen die sehen, untersucht;
- Der Bereich, welcher sich nicht nur mit blinden und sehgestörten Menschen beschäftigt, sondern auch mit anderen Behindertengruppen. Dabei wird die Kompensation, Akzeptanz der Behinderung und die emotionalen Reaktionen daraufbehandelt, wie auch die Anwendung von psychologischen Methoden und Prozederen im Bereich der Diagnostik und Psychotherapie untersucht.
Wie schon erwähnt, stellt die Problematik der Kompensation für Blinde einen wichtigen Problembereich der Typhlopsychologie dar. Hierbei geht es darum, das fehlende oder stark geschädigte Sehvermögen durch andere Sinne zu ersetzen. Jeder Organismus verfügt nämlich über die Fähigkeit, Kompensation in einem breiten Spektrum durchzuführen und somit bestimmte kompensierende Prozesse zu betätigen, die dazu führen, dass die fehlende Sehfunktion teilweise ersetzt wird (ebd.: nowy rozdział podaj nazwisko 33).
Die erste Art der Kompensation stellt die sensorische dar. Da blinde Menschen nicht sehen können, sind sie gezwungen, ihre restlichen Sinne intensiver zu nutzen. Besonders durch das Anfassen und Ertasten von bestimmten Gegenständen, bekommen sie die Möglichkeit die Sensorik immer wieder zu trainieren und zu verbessern.
Der wichtigste Körperteil beim Ertasten ist die Hand mit ihren Fingern, aufgrund dessen, dass sie sich sehr leicht an Gegenstände anpasst. Die Hand fasst nicht nur einen Gegenstand an, sondern gleitet daran und kann somit besser alle Details erfassen. Manchmal kann nicht nur die Hand zum Ertasten dienen, sondern auch Füße oder Lippen.
In der Vergangenheit gab es unterschiedliche Theorien und Ansätze bezüglich der sensorischen Kompensation. Es existierten Forscher, die eine strikte Analogie zwischen Tastsinn und Sehsinn sahen, d.h. sie sind der Meinung, Ertasten von Dingen könne zu 100% das Sehen ersetzten. Andere und vor allem neuste Untersuchungen stellen jedoch klar, dass eine vollkommene Analogie zwischen den beiden Sinnen nicht vorhanden ist. Man kann also nicht davon ausgehen, dass das Ertasten für einen Blinden, jemals das gleiche sein wird, wie dasSehen. Besonders schwer bei dieser Art der Kompensation fällt es, folgende Dinge zu beschreiben (ebd.: 34):
- Zu große Dinge, z.B. ein Berg;
- Zu kleine Gegenstände, z.B. ein Spinnennetz oder Ameise;
- Dinge, die zu weit weg sind, z.B. die Sonne oder eine Statue auf einem Denkmal;
- Dinge, die eine ganz spezielle Gestalt oder Form haben, z.B. etwas was flüssig ist (Wasser) oder etwas was brennt (Feuer);
- Dinge, die sich bewegen, z.B. ein fliegender Vogel oder eine angeschaltete Maschine (Kettensäge).
Die zweite Art der Kompensation stellen die perzeptorischen Tätigkeiten dar. Das Sehen wird hierbei durch die Sensitivität und sensorische Empfindlichkeit ersetzt. Durch die Formung von dynamischen strukturellen Systemen im menschlichen Gehirn kommt es zur Animierung der Hirnrinde durch bestimmte Rezeptoren, die wiederum dazu führen, dass jemand zu bestimmten Assoziierungen fähig ist. Auf diese Weise kommt es zur Entstehung von bestimmten Bildern von Gegenständen oder Ereignissen, die assoziiert und in der Hirnrinde gespeichert werden (ebd.:36).
Eine weitere Art der Kompensation für Blinde ist die verbale. Immer mehr Typhlopsychologen verweisen auf die wichtige Rolle der Sprache als Ersatz für das Sehvermögen. Worte sollen einemMenschen mit Sehdefekt den gleichen kognitiven Inhalt geben wie die Augen. Blinde können also durch die Sprache sehr viele Informationen über Gegenstände oder Erscheinungen auf der umgebenden Welt erhalten. Dazu dient eine wörtliche Beschreibung, Erklärung oder Anweisung. Die verbale Kompensation beruht also auf dem größeren Nutzen der kognitiven Funktionen der Sprache (ebd.:37).
[...]