Bachelorarbeit, 2017
42 Seiten, Note: 1,7
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Problemstellung
2 Theorie der Rechnungslegungsregulierung
2.1 Rechnungslegung als ökonomisches Gut
2.2 Begründungen für Regulierung - Normative und Positive Theorie
2.3 Staatliche und private Form der Regulierung
2.4 Lobbying bei der privaten Standardsetzung
2.4.1 Chancen und Risiken von Lobbying
2.4.1.1 Aufgabenfeld von Lobbyisten
2.4.1.2 Anreize zum Lobbying - die Kosten-Nutzen-Rechnung
2.4.1.3 Teilnahme verschiedener Interessengruppen
2.4.2 Probleme bei der Delegation an private Standardsetter
2.4.3 Legitimationsproblematik
3 Entstehung und Anerkennung von Rechnungslegungsstandards in der EU
3.1 Das International Accounting Standards Board
3.1.1 Historie des IASB
3.1.2 Organisation und Funktion der IFRS Foundation
3.1.3 Standardsetzung auf Ebene des IASB, der Due Process
3.2 Übernahmeverfahren der EU, der Edorsement Mechanism
4 Kritische Analyse der europäischen Standardsetzung
4.1 Methoden zur Untersuchung der Einflussnahme von Lobbyisten
4.2 Analyse bestehender Studien und deren Ergebnisse
4.3 Kritische Würdigung der Befunde und Untersuchungsmethodik
5 Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
ARC – Accounting Regulatory Committee
DP – Diskussionspapier
DSOP – Draft statements of principles
E50 – Exposure Draft 50 (Projekt - Immaterielle Vermögenswerte)
E51 – Exposure Draft 51 (Projekt - Segmentberichterstattung)
E60 – Exposure Draft 60 (Projekt - Immaterielle Vermögenswerte
EC – European Commission
ED – Exposure Draft
EFRAG – European Financial Reporting Advisory Group
EU – Europäische Union
IAS – International Accounting Standard
IASB – International Accounting Standards Board
IASC – International Accounting Standards Committee
IASCF – International Accounting Standards Committee Foundation
IFRS – International Financial Reporting Standards
IFRSF – International Financial Reporting Standards Foundation
SARG – Standards Advice Review Group
SFAS 123 – Statement of Financial Accounting Standard 123
Abbildung 1: Multiple Prinzipal-Agent-Situation
Abbildung 2: Aufbau der IFRS Foundation
Tabelle 1: Stellungnahmen von unterschiedlichen Interessengruppen
Tabelle 2: Zeitliche Verteilung von Lobbying-Maßnahmen
In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Regulierung der europäischen Rechnungslegung fundamental verändert. Im Zuge der internationalen Harmonisierung wurde die Normsetzungsfunktion neuer Rechnungslegungsstandards von den europäischen Staaten an das International Accounting Standards Board (IASB) delegiert. Seit dem Jahr 2001 entwickelt der in London ansässige IASB als privater Verein die global anerkannten International Financial Reporting Standards (IFRS). Bevor die Standards endgültig in europäisches Recht übernommen werden, müssen sie zuvor erfolgreich ein Anerkennungsverfahren der Europäischen Kommission durchlaufen.
Mit der Delegation an einen privaten Standardsetzer ergeben sich sowohl Chancen als auch Risiken für die Regulierung der europäischen Rechnungslegung. Im Rahmen eines Due Process bindet das IASB eine große Bandbreite an Interessengruppen in die Standardsetzung ein und profitiert von deren Expertenwissen. Allein dadurch ist der private Standardsetzer in der Lage, eine hohe Qualität der Standards zu gewährleisten. Die IFRS werden damit nicht auf Basis eines neutralen Prozesses entwickelt, sondern sind das Ergebnis eines politischen Prozesses zwischen Standardsetzer und Interessengruppen.1 Der private Standardsetzer ist sowohl von den bereitgestellten Informationen als auch von den finanziellen Zuwendungen der Interessengruppen essentiell abhängig.2 Aufgrund der steigenden internationalen Anerkennung der IFRS erscheint es immer wahrscheinlicher, dass Interessengruppen diese Abhängigkeit ausnutzen und Druck auf den Standardsetzer ausüben. Die Folge wäre eine Beeinträchtigung der Integrität des IASB.3 Trotz des darauffolgenden Anerkennungsverfahrens der europäischen Kommission ist unklar, ob die Inhalte der Standards den europäischen Interessen tatsächlich gerecht werden.4 Die Frage, ob die Legitimation und Anerkennung der IFRS gerechtfertigt ist, gewinnt damit immer mehr an Bedeutung. Es gilt zu untersuchen, ob die Arbeit des IASB den Grundsätzen einer Legitimation gerecht wird.
Um Aussagen hinsichtlich der Legitimation des IASB treffen zu können, wird der Informationsaustausch zwischen Interessengruppen und privatem Standardsetzer untersucht. Lobbying spielt aufgrund der Abhängigkeit des IASB von Interessengruppen bei der privaten Standardsetzung eine entscheidende Rolle. Mittels der Analyse des Lobbying-Verhaltens von Interessengruppen können Aussagen darüber getroffen werden, ob der IASB eine pluralistische Interessenvertretung gewährleistet oder Entscheidungen zugunsten einzelner Gruppen trifft. Die vorliegende Arbeit befasst sich hierzu mit drei Fragestellungen. Die erste Fragestellung behandelt die Beteiligung von Interessengruppen am Standardsetzungsprozess. Zweitens liefert die Arbeit Erkenntnisse zu dem Zeitpunkt, den Lobbyisten für eine Einflussnahme bevorzugen. Zuletzt wird der Einfluss von Interessengruppen auf die Entscheidungen des IASB untersucht.
Die Arbeit beginnt mit einer Einführung in die Begriffe Regulierung und Rechnungslegung, um ein Grundverständnis für die Thematik zu schaffen. Anschließend wird auf die Problematiken einer privaten Regulierung eingegangen. Im Fokus steht hierbei der Informationsaustausch in Form von Lobbying. Der darauffolgende Teil beschäftigt sich mit der Standardsetzung in der EU. Teil dieses Kapitels sind der Due Process des IASB sowie das Anerkennungsverfahren der Europäischen Kommission. Das vierte Kapitel der Arbeit beginnt mit den gängigen Untersuchungsmethoden zur Einflussnahme von Lobbyisten. Im Zuge einer Sekundäranalyse werden Daten ausgewählter Untersuchungen zusammengetragen und hinsichtlich aufgestellter Hypothesen ausgewertet. Abschließend werden die präsentierten Ergebnisse sowie die gängigen Untersuchungsmethoden zum Thema Lobbying bei der Standardsetzung kritisch gewürdigt und hinterfragt. Es werden alternative Forschungsrichtungen vorgestellt, die weitere Erklärungsansätze zu der Legitimation des IASB liefern.
Nach gängiger Auffassung wird unter Rechnungslegung eine externe Finanzberichterstattung verstanden.5 Sie hat die Aufgabe, eine optimale Informationsvermittlung zwischen Marktakteuren zu gewährleisten. Informationsasymmetrien sollen dadurch abgebaut werden.6 Weiterhin können der Rechnungslegung die Ziele der Ausschüttungs- und der Zahlungsbemessungsfunktion zugeordnet werden.7 Diese Ziele werden jedoch im Weiteren vernachlässigt. Im Fokus der Arbeit stehen die IFRS, deren wesentliche Ziele die Informationsfunktion und die damit verbundene Entscheidungsunterstützung von Nutzern der Rechnungslegung sind.8 Die IFRS können als Rechnungslegungsregeln verstanden werden, welche die Ausgestaltung der Rechnungslegung festlegen. Den Nutzern von Rechnungslegungsinformationen soll damit ein optimaler Vergleich der tatsächlichen Vermögens-, Finanz- und Ertragslage von Unternehmen ermöglicht werden. Werden diese Vorschriften zusammengefasst, kann man von einem Rechnungslegungssystem sprechen.9
Die Rechnungslegungsnormen der EU entstehen aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage.10 Sie werden daher als ökonomisches Gut angesehen.11 Unternehmen, die Rechnungslegungsinformationen bereitstellen, sowie Investoren, die ein Interesse an den Informationen haben, werden der Gruppe der Nachfrager zugeordnet. Einheitliche Richtlinien ermöglichen Unternehmen das Erstellen eines einheitlichen Jahresabschlusses. Dieser ist mit geringeren Kosten verbunden als eine individuelle Bereitstellung von Informationen.12 Investoren haben das Ziel, ihre Opportunitätskosten zu minimieren. Einheitliche Jahresabschlüsse bieten den Vorteil sich in kürzerer Zeit einen genaueren Unternehmensüberblick verschaffen zu können. Die so eingesparte Zeit kann anderweitig investiert werden.13
Der Seite der Anbieter können zahlreiche Interessengruppen zugeordnet werden.14 Externen Gruppen wird die Möglichkeit eingeräumt, sich über Meinungsäußerungen in Form von Comment Letters an der Standardgestaltung zu beteiligen.15 Aufgrund der geringen Kosten, die bei der Kommentierung eines Standards anfallen, treten zahlreiche Interessengruppen als Anbieter auf.16
Unter dem Begriff der Regulierung werden häufig verhaltenssteuernde Maßnahmen verstanden. Die Maßnahmen werden entweder von einem Staat eingeleitet, oder sie ergeben sich aus der Absprache von Gruppierungen, die ähnliche Interessen verfolgen.17 Regulierende Eingriffe werden dann benötigt, wenn sich Gleichgewichte nicht von selbst einstellen. Eingriffe in die Rechnungslegung haben das Ziel, ein Informationsgleichgewicht zwischen den Marktakteuren herzustellen.18 Innerhalb der EU tritt das IASB als Hauptregulator auf.
Um eine Regulierung rechtfertigen und begründen zu können, kann auf zwei verschiedene Ansätze zurückgegriffen werden. Die normative und die positive Theorie der Regulierung. In der normativen Theorie geht es um die Bedingungen für einen regulierenden Eingriff.19 Oberste Bedingung ist die Steigerung der Gesamtwohlfahrt.20 Unter der Annahme einer Marktunvollkommenheit kann es zu einem Marktversagen kommen. Ursachen sind unter anderem externe Effekte und die Charakteristika von öffentlichen Gütern.21 Marktversagen ist mit einem Wohlfahrtsverlust verbunden, da kein Gleichgewicht am Markt vorliegt. Die normative Theorie sieht hier einen Gebrauch von regulierenden Eingriffen vor, um eine Wohlfahrtssteigerung zu erzielen. Informationsasymmetrien zwischen Marktakteuren sind für ein Marktversagen innerhalb der Rechnungslegung verantwortlich. Die Regulierung der Rechnungslegung in der EU kann nach dieser Theorie als begründet angesehen werden.22
Die positive Theorie hat das Ziel, regulierende Eingriffe zu erklären und deren Wirkung aufzuzeigen. Es werden Regeln aufgestellt, nach welchen regulierende Eingriffe in der Praxis erfolgen.23 In Kontrast zu den Inhalten der normativen Theorie setzt die positive Theorie kein Marktversagen für regulierende Maßnahmen voraus.24 Das Fundament der Theorie bilden die Capture Theory und die Theory of Regulation. Gegenstand der Capture Theory ist die Behauptung, dass regulierte Gruppen nach einer gewissen Zeit die Regulierung zu ihrem Vorteil und zu Lasten anderer beeinflussen.25 Die Folge ist eine Senkung der Gesamtwohlfahrt. Weiterhin befasst sich die positive Theorie mit den Verhaltensweisen der Interessengruppen, die von einer Regulierung betroffen sind.26 Die Ökonomen Watts und Zimmermann haben sich mit der Einflussnahme von Interessengruppen auf die Rechnungslegung befasst. Die Ergebnisse bestätigen die Thesen der Capture Theory und damit das Fundament der positiven Theorie, dass Interessengruppen Einfluss auf die Regulierung nehmen.27 Voraussetzung für die positive Theorie ist eine mögliche Beteiligung der Interessengruppen an der Regulierung.28 In der EU bietet das IASB eine solche Teilnahme am Standardsetzungsprozess in Form von Lobbying an.29
Zusammenfassend lässt sich die Aussage treffen, dass aufgrund der spezifischen Rahmenbedingungen innerhalb der EU eine Regulierung der Rechnungslegung sowohl mit der normativen als auch mit der positiven Theorie der Regulierung begründet werden kann.
Die Regulierung der Rechnungslegung kann aus verschiedenen Quellen hervorgehen. Man unterscheidet grundsätzlich zwischen einer staatlichen, privaten und kombinierten Form der Regulierung. Bei der staatlichen Regulierung ist die staatliche Gesetzgebung als Monopolist für die Einführung und Einhaltung von Rechnungslegungsnormen verantwortlich. Die Normen verfügen über einen Gesetzescharakter, wodurch die Einhaltung mittels Sanktionen erzwungen werden kann.30 Eine staatliche Form hat den Vorteil, dass im Idealfall die Interessen der gesamten Bevölkerung in der Gestaltung der Rechnungslegung berücksichtigt werden.31 Einem Wohlfahrtsverlust der Öffentlichkeit kann damit vorgebeugt werden.32
Bei der privaten Form der Regulierung übernimmt eine vom Staat unabhängige Gruppe die Standardsetzung. Normen, die aus dieser Form hervorgehen, werden als Standards bezeichnet. Im Gegensatz zu den Normen einer staatlichen Gesetzgebung sind private Standards von Unternehmen nicht verpflichtend anzuwenden.33 Vorteil einer privaten Standardsetzung ist die überlegene Fachkenntnis, auf die der Standardsetzer zurückgreifen kann. Um die Fachkenntnis zu erlangen, werden externe Gruppen, die über Expertenwissen verfügen, in den Standardsetzungsprozess integriert.34 Dadurch kann eine hohe Qualität der Standards gewährleistet werden. Weiterhin ist ein privater Standardsetzer unabhängig von politischen Abstimmungen und damit verbundenen Verzögerungen. Der Prozess der Standardsetzung benötigt dadurch weniger Zeit und kann sich flexibler an neue Umstände anpassen.35
Ein Hybrid der beiden Regulierungsformen ist die kombinierte Regulierung. Im Regelfall werden bei dieser Form die Rahmenbedingungen durch eine staatliche Gesetzgebung vorgegeben und die Standardentwicklung an einen privaten Verein delegiert.36 Die Regulierung in der EU ist ein Beispiel einer kombinierten Regulierung. Als privater Verein übernimmt das IASB die Normentwicklung während die EU als letzte Instanz über die Übernahme in Europäisches Recht entscheidet. Die Kombination ermöglicht die Wahrung staatlicher Interessen und gleichzeitig den Zugriff auf externes Fachwissen. Dabei stellt sich die Frage, inwiefern Lobbying die Neutralität des Standardsetzers gefährdet.
Unter Lobbying kann die legitime Vermittlung von Interessen verstanden werden.37 In der Rechnungslegung versuchen Interessengruppen mittels Lobbying Einfluss auf den Standardsetzer zu nehmen. Das Ziel ist die Durchsetzung konkreter Vorstellungen hinsichtlich der Gestaltung der Standards. Lobbying existiert sowohl auf staatlicher als auch auf privater Ebene der Standardsetzung.38 Grundsätzlich spricht man von einem Problem der privaten Standardsetzung, da private Standardsetzer von dem Fachwissen der Lobbyisten essentiell abhängig sind.39 Auf der einen Seite bietet Lobbying die Möglichkeit, auf umfangreiches Spezialwissen Zugriff zu haben, welches für die Standardsetzung benötigt wird. Ohne die aktive Mitarbeit der Interessengruppen würden die Standards an Qualität verlieren und der Standardsetzer liefe Gefahr, seine Anerkennung zu verlieren. Diese Abhängigkeit ist kritisch zu sehen, da die Qualität der Informationen schwer zu bestimmen ist. Es ist unwahrscheinlich, dass Interessengruppen Informationen neutral weitergeben, ohne dass sie diese zuvor an die eigenen Interessen angepasst haben.40 Dieses Problem kann mit dem Principal-Agent-Ansatz erklärt werden.41 Weiterhin besteht die Gefahr, dass mit der Abhängigkeit eine dominante Beeinflussung des Standardsetzers einhergeht.
Lobbying kann über direkte und indirekte Methoden erfolgen. Zu direktem Lobbying gehören unter anderem Stellungnahmen innerhalb des Due Process und Treffen mit Mitgliedern des IASB. Indirektes Lobbying wird zumeist über finanzielle Zuwendungen und Kommentare in den Medien betrieben.42
Die Regulierung der Rechnungslegung kann über verschiedene Wege Einfluss auf die Realwirtschaft nehmen. Zum einen dient eine Regulierung der Reduktion von Informationsasymmetrien zwischen Marktakteuren. Die Folge sind geringere Kosten für Investoren bei der Kapitalanlage. Parallel dazu können sich Kosten für Unternehmen erhöhen, die aus einer höheren Unternehmenspublizität resultieren. Höhere Kosten werden dabei unter anderem durch umfangreichere Jahresabschlüsse oder Regulierungsumgehungen verursacht.43 Die Auswirkungen können so weit reichen, dass Unternehmen den Kapitalmarkt meiden oder sich davon zurückziehen.44 Eine Regulierung kann Unternehmen aber auch Vorteile bieten.45 Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum Marktteilnehmer Interesse daran haben, mittels Lobbying Einfluss auf die Standardsetzung zu nehmen.
Die Positive Accounting Theory von Watts und Zimmermann behandelt die Frage, warum Interessengruppen an der Regulierung der Rechnungslegung teilnehmen. Grundlage der Theorie ist die Annahme des homo oeconomicus . Alle beteiligten Akteure handeln rational nach ihrem eigenen Interesse. Handlungen werden daher erst begangen, nachdem eine Abwägung von Kosten und Nutzen stattgefunden hat. 46
Das Ökonomische Modell nach Sutton greift die Annahmen von Watts und Zimmermann auf und erweitert diese um die Ideen Downs.47 Das Modell besagt, dass Individuen erst dann an einem Prozess teilnehmen, wenn deren erwarteter Nutzen die Investitionskosten übersteigt.48 Weiterhin stellt Sutton drei Thesen zu den am Normsetzungsprozess beteiligten Interessengruppen auf. Zum einen soll Lobbying für die Ersteller von Rechnungslegungsinformationen wirtschaftlich relevanter sein als für deren Nutzer. Die Begründung lautet, dass Ersteller stärker von den Auswirkungen von Rechnungslegungsstandards betroffen sind, da deren Einkommen nur aus wenigen Quellen bezogen wird. Nutzer, die in der Regel eine hohe Portfoliodiversifikation aufweisen, sind resistenter gegen die wirtschaftlichen Auswirkungen von Standards.49 Die zweite These besagt, dass große Unternehmen einfacher Lobbying betreiben können als kleine Unternehmen. Dies liegt daran, dass große Unternehmen stärker von den Auswirkungen von Regeländerungen betroffen sind und kostenintensives Lobbying einfacher finanzieren können.50 Zuletzt behauptet Sutton, dass sich die Gruppe der Ersteller aufgrund von ähnlichen Interessen leichter zusammenschließen und anfallende Kosten gemeinsam bewältigen kann. Sutton zieht aus seinen Annahmen den Schluss, dass Ersteller mehr Lobbying betreiben als die Nutzer von Jahresabschlüssen.51
Eine weitere These von Sutton behandelt den Zeitpunkt des Lobbying. Nach Sutton zeigen Interessengruppen die höchste Lobbying-Bereitschaft in den Anfangsphasen des Standardsetzungsprozesses. Lobbying sei zu diesem Zeitpunkt mit einem höheren Nutzen verbunden, da der Standardsetzer in der Anfangsphase am leichtesten zu beeinflussen sei.52
Es nehmen unterschiedliche Interessengruppen an dem Entwicklungsprozess von Rechnungslegungsstandards teil. Bei der Entwicklung der IFRS lassen sich fünf Gruppen bestimmen, die regelmäßig am Standardsetzungsprozess mitwirken. Dazu gehören Unternehmen, Wirtschaftsprüfer, Nutzer von Rechnungslegungsinformationen, Wissenschaftler und nationale Standardsetzer.53
Unternehmen sind Ersteller von Rechnungslegungsinformationen. Sie beziehen ihren Nutzen aus Standardgestaltungen, die ihnen bilanzpolitischen Spielraum bieten und Wahlrechte aufrechterhalten.54 Auch die Gruppe der Wirtschaftsprüfer erhofft sich Vorteile aus der Standardgestaltung. Es wird vermutet, dass Prüfer ein Interesse an prüfungsintensiven Regelungen haben, um damit ihr Geschäftspotenzial zu erhöhen.55 Des Weiteren wird angenommen, dass Wirtschaftsprüfer in machen Fällen die Seite ihrer Mandanten vertreten, um deren Gunst zu erlangen. Nutzer von Rechnungslegungsinformationen erhoffen sich durch die Abschaffung von Bilanzierungswahlrechten ein möglichst genaues Unternehmensbild dargestellt zu bekommen, um Unsicherheiten bei Investitionsentscheidungen minimieren zu können.56 Wissenschaftler können im Gegensatz zu den übrigen Gruppen nur geringen Nutzen aus der Standardgestaltung beziehen. Grund für die Beteiligung am Standardsetzungsprozess kann eine gewünschte Reputation sein. Seit das IASB die Aufgabe der Standardentwicklung von den nationalen Standardsetzern übernommen hat, versuchen die nationalen Standardsetzer den Prozess auch weiterhin zu beeinflussen. Als Ziel wird die Harmonisierung der internationalen Rechnungslegungsregeln mit den nationalen Regelungen vermutet.57
Mit der Delegation des Normentwicklungsprozesses an das IASB sind verschiedene Probleme verbunden. Die Kritik an der Arbeit des privaten Standardsetzers lässt sich anhand der Prinzipal-Agent-Theorie erklären.58 In der Theorie geht es um die Beziehung zwischen einem Prinzipal, der als Auftraggeber fungiert und einem Agenten der die Rolle des Auftragnehmers übernimmt. In der europäischen Standardsetzung agiert das IASB als Agent und die Rolle des Prinzipals wird von den Staaten der EU übernommen. Um die beteiligten Interessengruppen in das Modell einzubeziehen, wird die Theorie um den Prinzipal „Interessengruppen“ erweitert. Damit liegt eine Multiple Prinzipal-Agent-Situation vor.59
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Das erste Problem einer solchen Situation sind die Informationsasymmetrien. Verdeckte Informationen und Intentionen zwischen Agent und Prinzipalen lassen sich nicht vollständig identifizieren und überwachen.60 Weiterhin ergeben sich Probleme aus dem Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Akteuren. Das IASB ist als Agent abhängig von dem Expertenwissen und der Finanzierung durch Interessengruppen.61 Die Folge kann eine Bevorzugung von Gruppen innerhalb des Standardsetzungsprozesses sein, die sich nach der individuellen Abhängigkeit bemisst.62 Zuletzt ist das Problem einer mangelhaften Überwachung zu nennen. Eine Überwachung des Agenten ist für den Prinzipal mit Kosten verbunden. Mit zwei Prinzipalen im Modell besteht die Möglichkeit einer Trittbrettfahrerproblematik. Beide Prinzipale profitieren von einer Überwachung des IASB. In der Annahme, dass der jeweils andere Prinzipal die Kosten einer Überwachung übernimmt, reduzieren letztlich beide Prinzipale ihre Ausgaben für eine Überwachung des Agenten. Im Endeffekt wird die Kontrolle des privaten Standardsetzers vernachlässigt. Für den Agenten ergeben sich größere ungewollte Handlungsspielräume.63
Trotz internationaler Anerkennung und verpflichtender Anwendung der IFRS in der EU, wird die Legitimation des IASB von Kritikern als nicht gegeben angesehen.64
Auf staatlicher Ebene kann Legitimation als Begründung der Berechtigung eines Handelns verstanden werden.65 Die Handlungsberechtigung ist ein fiktiver Vertrag zwischen Individuen. Legitimation kann in eine input- und output-orientierte Dimension unterteilt werden.66 Input-orientierte Legitimation bedeutet, dass Handlungen von allen Individuen übernommen und kollektiv Entscheidungen gefällt werden. Nach der output-orientierten Dimension gelten Handlungen dann als legitim, wenn diese das Allgemeinwohl fördern.67 Beide Dimensionen müssen erfüllt sein, um eine Legitimationsbasis zu erzielen.68
Das Konzept der Legitimation ist auf privater Ebene anzupassen. Private Standardsetzer verfügen in Hinblick auf die output-orientierte Dimension über den Vorteil, auf Expertenwissen zurückgreifen zu können. Dadurch kann eine hohe Qualität der Standards sichergestellt werden. Sie sind jedoch nicht dazu berechtigt, die Standards verpflichtend einzuführen. Die Anforderungen einer input-orientierten Legitimation sind für private Standardsetzer schwieriger zu erfüllen. Das IASB ist als privater Standardsetzer von dem Expertenwissen der Interessengruppen abhängig. Es können nicht alle Individuen nach dem Demokratieprinzip in den Prozess einbezogen werden, da die Folge ein Verlust der Vorteile der privaten Standardsetzung wäre.69
Um das Problem der fehlenden Input-Legitimation zu bewältigen, muss das Legitimationskonzept angepasst werden. Es gilt Mindestanforderungen für eine Legitimation zu formulieren, die der private Standardsetzer erfüllen kann. Risiken und Chancen, die mit der privaten Standardsetzung verbunden sind, müssen objektiv beurteilt und gegeneinander abgewogen werden. Erst bei hinreichendem Verhältnis wird dem privaten Standardsetzer eine Legitimationsbasis eingeräumt.70
Der Vorgänger des IASB ist das International Accounting Standards Committee (IASC). Im Jahr 1973 wurde die private Institution vom Berufsstand der Wirtschaftsprüfer gegründet.71 Das Ziel des Zusammenschlusses war laut Verfassung die Entwicklung von Bilanzierungsregeln im öffentlichen Interesse.72 Darüber hinaus sollte eine Harmonisierung der Rechnungslegung angestrebt werden.73 In den ersten 14 Jahren nach seiner Gründung wurden überwiegend Standards mit Wahlrechten vom IASC veröffentlicht. In den darauf folgenden 13 Jahren veränderte sich die Charakteristik der International Accounting Standards (IAS). Um globale Anerkennung und Akzeptanz zu erreichen, wurden die eingeräumten Wahlrechte wieder abgeschafft. Das Ziel einer Verbesserung der Vergleichbarkeit von Jahresabschlüssen wurde in den Mittelpunkt gesetzt.74 Im Jahr 2000 wurde die Entscheidung der Europäischen Kommission getroffen, die IAS für Konzernabschlüsse europäischer kapitalmarktorientierter Unternehmen verpflichtend vorzuschreiben.75 Im Zuge einer Umstrukturierung des IASC wurde die International Accounting Standards Committee Foundation (IASCF), heute unter dem Namen International Financial Reporting Standards Foundation (IFRSF), als Dachorganisation gegründet.76 Ziel der Umstrukturierung war ein weiterer Schritt in Richtung globaler Anerkennung. Das IASB wurde 2001 mit dem Zweck gegründet, den Entwicklungsprozess neuer IFRS zu übernehmen. Die IFRS Foundation ist für die Überwachung und Finanzierung des neuen Standardsetzers verantwortlich.77
[...]
1 Vgl. Gerboth (1973), S. 481.
2 Vgl. Mattli/Büthe (2005b), S. 241-242.
3 Vgl. Zimmermann/Luthardt (2009), S. 87.
4 Kurz (2009), S. 1; „In letzter Konsequenz geht es um die Frage, ob sich das IASB vor den Karren europäischer Interessen spannen lässt oder sich als trojanisches Pferd anders gerichteter Vorstellungen entpuppt“.
5 Vgl. Busse von Colbe/Crasselt/Pellens (2011), S. 652-656.
6 Vgl. Wagenhofer/Ewert (2007), S. 326.
7 Vgl. Wagenhofer/Ewert (2007), S. 182.
8 Vgl. Ballwieser (2013), S. 12; Coenenberg et al. (2014), S. 481.
9 Vgl. Pellens et al. (2011), S.16.
10 Vgl. Hoffmann (2003), S. 7.
11 Vgl. Kurz (2009), S. 8.
12 Vgl. Ballwieser (2005), S.14-15; Ein einheitlicher Jahresabschluss ist kostengünstiger aufzustellen als bspw. 5 individuell angepasste Jahresabschlüsse für 5 unterschiedliche Gruppen von Informationsadressaten.
13 Vgl. Ballwieser (2013), S. 8-9; Weiterhin gewöhnen sich Adressaten an die Darstellung der Informationen. Reduzierung der Kosten bei der Bewertung von Investitionsalternativen.
14 Vgl. Hoffmann (2003), S. 7.
15 Vgl. Auste (2011), S. 2-3.
16 Die Kosten für Lobbying steigen, wenn die Qualität der Stellungnahmen erhöht werden soll. Beispielsweise durch Hinzuziehen von externen Experten.
17 Vgl. Ogus (2004), S. 1-3.
18 Vgl. Kurz (2009), S. 9.
19 Vgl. Schroeder/Clark (1998), S. 1.
20 Vgl. Feldhoff (1992), S. 9.
21 Vgl. Fritsch/Wein/Ewers (2007), S. 76; Zu den vier Hauptursachen zählen externe Effekte, öffentliche Güter, natürliche Monopole und Informationsasymmetrien.
22 Vgl. Kurz (2009), S. 16.
23 Vgl. Weizsäcker (1982), S. 326.
24 Vgl. Picot (2008), S. 24.
25 Vgl. Stigler (1971), S. 3.
26 Vgl. Weizsäcker (1982), S. 334.
27 Weiterführende Literatur: Watts/Zimmermann (1978), Towards a positive theory of the determination of accounting standards; Watts/Zimmermann (1986), Positive Accounting Theory.
28 Vgl. Ordelheide (1998), S. 7.
29 Vgl. IFRS Foundation – Due Process Handbook (2016), S. 7-9.
30 Vgl. Breidenbach (1997), S. 97.
31 Vgl. Achleitner (1995), S. 177-183; Demokratischer Gesetzgebungsweg.
32 Vgl. Stigler (1971), S. 3.
33 Vgl. Kurz (2009), S. 20.
34 Vgl. Achleitner (1995), S. 203; Als Beispiel seien hier die Kommentierungsphasen innerhalb des Due Process des IASB genannt, auf die in Abschnitt 3.1.3. genauer eingegangen wird.
35 Vgl. Achleitner (1995), S. 192-193.
36 Vgl. Kurz (2009), S. 21-22.
37 Vgl. Kleinfeld/Zimmer/Willems (2007), S. 7-10.
38 Vgl. Kleinfeld/Zimmer/Willems (2007), S. 14-15; Watts/Zimmermann (1978), S. 113-114.
39 Vgl. Giner/Arce (2012), S. 655.
40 Vgl. Königsgruber (2009), S. 1310-1311.
41 Vgl. Göbel (2002), S.100-105; “Hidden intention; Hidden action; Hidden characteristics; Hidden information” als verbundene Problemtypen.
42 Vgl. Georgiou (2004), S. 222.
43 Vgl. Königsgruber (2009), S. 1312; Beispiel: Unternehmen versuchen die Regulierung zu umgehen, wenn aus strategischen Gründen gewisse Informationen nicht preisgegeben werden sollen. Werden Wahlrechte in der Bilanzierung abgeschafft, so steigt der Gebrauch solcher Regulierungsumgehungen.
44 Vgl. Bushee/Leuz (2005), S. 260-261.
45 Vgl. ausführlich Abschnitt 2.1. “Kostensenkung”.
46 Vgl. Watts/Zimmermann (1978), S. 113; Watts/Zimmermann (1986), S. 3.
47 Vgl. Sutton (1984), S. 81-82; Downs (1968), S. 35-46.
48 Vgl. Tietz-Weber (2006), S. 56.
49 Vgl. Tietz-Weber (2006), S. 57.
50 Vgl. Sutton (1984), S. 85-86.
51 Vgl. Sutton (1984), S. 86.
52 Vgl. Sutton (1984), S. 88.
53 Vgl. Auste (2011), S. 20; Kenny/Larson (1993), S. 541-550.
54 Vgl. Chmielewicz (1988), S. 62.
55 Vgl. Kurz (2009), S. 29.
56 Vgl. Auste (2011), S. 25.
57 Vgl. Auste (2011), S. 26.
58 Vgl. Kurz (2009), S. 32.
59 Vgl. Mattli/Büthe (2005a), S. 403-404.
60 Vgl. Göbel (2002), S. 100-105. Weiterhin zählen verdeckte Eigenschaften und verdeckte Aktionen zu den Problemtypen einer Prinzipal-Agent-Situation.
61 Vgl. Kurz (2009), S. 35.
62 Vgl. Mattli/Büthe (2005a), S. 405; Beispiel individueller Abhängigkeit: Wirtschaftsprüfer – Bevorzugung aufgrund hoher finanzieller Zuwendungen und/oder hoher Menge an bereitgestelltem Expertenwissen?
63 Vgl. Mattli/Büthe (2005b), S. 232-233.
64 Vgl. Ballwieser (2008), S. 13.
65 Vgl. Blatter (2007), S. 271.
66 Vgl. Scharpf (1999), S. 16.
67 Vgl. Scharpf (1999), S. 17-22.
68 Vgl. Fischer (2007), S. 334-336.
69 Vgl. Michael (2005), S. 449.
70 Vgl. Risse (2006), S. 194-195.
71 Vgl. Pellens et al. (2011), S. 87.
72 Vgl. Kurz (2009), S. 70.
73 Vgl. Pellens et al. (2011), S. 87.
74 Vgl. Pellens et al. (2011), S. 88-89.
75 Vgl. Kurz (2009), S. 72.
76 Vgl. Pellens et al. (2011), S. 90.
77 Vgl. Pellens et al. (2011), S. 91.
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