Diplomarbeit, 2008
74 Seiten, Note: 1,5
1. Einleitung
2. Beratung in der Sozialen Arbeit
2.1 Ziele und Aufgaben
2.2 Unterscheidung zwischen professioneller und informeller Beratung
2.3 Rechtliche Grundlagen
2.4 Sozialpädagogische Beratung in Abgrenzung zur psychosozialen und zur Rechtsberatung
2.5 Geschichtliche Entwicklungen
2.6 Voraussetzungen und Bedingungen
3. Das Internet
3.1 Grundlagen
3.2 Entwicklungen des Internets
3.3 Technische und persönliche Voraussetzungen der Internetkommunikation
3.4 Merkmale der Internetkommunikation
3.4.1 E-Mail
3.4.2 Chat
3.4.3 Forum
3.5 Nutzung und Verbreitung
4. Sozialpädagogische Onlineberatung
4.1 Aufgaben und Besonderheiten
4.1.1 Anonymität
4.1.2 Niedrigschwelligkeit
4.1.3 Freiwilligkeit
4.2 Aufgaben des Sozialarbeiters im Unterschied zur persönlichen Beratung
4.3 Bedeutung der Onlineberatung in ausgewählten Aufgabenbereichen
5. Merkmale einer persönlichen und medialen Kommunikation
5.1 Selbst- und Fremdwahrnehmung
5.2 Kennzeichen der Internetkommunikation
5.3 Beziehungen zwischen Berater und Beratenen
5.4 Missverständnisse
6. Gesellschaftlicher Kontext
6.1 Ursachen des gestiegenen Bedarfs an Beratung
6.1.1 Gestiegener Bedarf an pädagogischer Beratung
6.1.2 Gestiegener Bedarf an rechtlicher Beratung
6.2 Rolle und Einfluss des Internets in der Gesellschaft
6.2.1 Polarisierung der Gesellschaft
6.2.2 Wertewandel
6.3 Einfluss der medialen Kommunikation auf soziale Beziehungen
7. Zielgruppen
8. Methoden und Vorgehensweisen in der Onlineberatung
9. Datenschutz und Datensicherheit
10. Schlussgedanken
11. Anlagen
11.1 Vorgehen der Untersuchung
11.2 Vorannahmen
11.3 Fragebogen
12. Literaturverzeichnis
Viele technische Geräte haben in zahlreichen Haushalten und Betrieben Einzug gehalten. Dazu gehört vor allem der Computer. Er ist aus dem Alltag der Menschen kaum noch wegzudenken. Von Nachrichten und Zeitungen über E-Mail-Austausch bis hin zur Steuererklärung ist der Computer ein ständiger Begleiter vieler Menschen. Auch in der Sozialen Arbeit wird er vielfach zur Informationsbeschaffung, zum Austausch oder zur Dokumentation genutzt. Dabei ist das elektronische Gerät ein vielseitiges Hilfsmittel. Doch ist es auch ein geeignetes Kommunikationsmedium zwischen Menschen, die eine fachliche Beratung in Anspruch nehmen wollen, und einem professionellen Berater? Dieser Eindruck wird zumindest vermittelt, wenn man in allen Bereichen des Lebens die stark wachsende Entwicklung der Onlineberatung anschaut. Das Angebot ist groß – von rechtlicher Beratung, über Finanzberatung bis hin zur Erziehungsberatung.
Im Internet und in der einschlägigen Fachliteratur werden die Onlineberatung überwiegend positiv dargestellt und ihre Vorteile hervorgehoben. Sie wird vielfach als Ergänzung zur herkömmlichen Beratung angesehen. Doch einige Autoren stehen dem Internet und speziell der Internetkommunikation auch kritisch gegenüber. Im Zusammenhang mit der Beratung warnen Sickendiek, Engel und Nestmann vor dem Einfluss des Mediums Internet. Zum Beispiel befürchten sie, dass die Beratung ausschließlich inszeniert wird und ein Konkurrenzgedanke zwischen den „Anbietern“ aufkommt (vgl. SIECKENDICK/ENGEL/NESTMANN 2002, S. 128). Damit würden die persönliche Beratung und vor allem die Onlineberatung ihrem sozialpädagogischen Auftrag kaum gerecht werden.
Das zu Beginn angeführte Zitat „Kirchen trösten online“ (SAENGER 2000, S. 14) habe ich ausgewählt, weil diese Überspitzung mein Diplomthema passend zusammenfasst. Das Thema wird zwar durch den Ausdruck der Kirche auch stark auf konfessionelle Einrichtungen begrenzt, doch besonders im sozialen Bereich ist die christliche Kirche – unabhängig von evangelisch, katholisch oder freikirchlich – ein verbreiteter Arbeitgeber und Träger vieler Einrichtungen. Ebenso sieht es bei der sozialen Beratung, speziell der medialen Beratung aus. Beispielsweise ist die Telefonseelsorge eine Beratungsstelle der katholischen und der evangelischen Kirchen Deutschlands. Außerdem sind auch vom Diakonischen Werk oder dem Caritasverband zahlreiche und vielseitige Internet-Beratungsstellen eingerichtet worden.
Auf das eben genannte Zitat werde ich später noch einmal zurückkommen.
Bevor ich die Inhalte der Kapitel vorstelle, möchte ich hier noch auf einige Formalien eingehen, die zuvor geklärt werden sollten:
Die Onlineberatung wird nicht nur von Sozialarbeitern angeboten, sondern auch von anderen Professionsgruppen wie Psychologen oder Lehrer. Daher richtet sich diese Diplomarbeit nicht ausschließlich an Sozialarbeiter, sondern an alle, die beratend tätig sind. Vielleicht kann diese Arbeit den Menschen helfen, die ihr Beratungskonzept überdenken und sich in diesem Zusammenhang mit einer Onlineberatung auseinandersetzen.
Das Thema meiner Diplomarbeit werde ich weitestgehend auf dem Paradigma der Systemtheorie aufbauen. Diese Sichtweise ist meiner Meinung nach für eine Auseinandersetzung mit dem Thema am besten geeignet, denn dabei können vielseitige Aspekte der medialen Beratung berücksichtigt und in Bezug zueinander gesetzt werden. Nach Händle und Jensen liegt dann eine systemorientierte Methode vor, wenn ein Gegenstand – hier die sozialpädagogische Onlineberatung – aus mehreren Perspektiven betrachtet und dieser Gegenstand zusammenhängend dargestellt wird (vgl. HÄNDLE/JENSEN 1974; In: HOLLSTEIN-BRINKMANN/STAUB-BERNASCONI 2005, S. 16).
In einigen Fachbüchern gibt es klare Abgrenzungen der Begriffe Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Soziale Arbeit. In Anderen werden diese Begriffe synonym eingesetzt. In Büchern über Beratung ist meistens von sozialpädagogischer Beratung die Rede, obwohl dabei eine institutionelle und damit nach Lüssi eine sozialarbeiterische Beratung (vgl. LÜSSI 1991, S. 50-51) gemeint ist. Daher verwende ich diese Begriffe ebenfalls synonym.
Im Internet lassen sich zahlreiche Beratungen finden, die von Sozialarbeitern und anderen professionellen Beratern durchgeführt werden. Ebenso wie in anderen Bereichen des Internets gibt es zahlreiche Scharlatane und Betrüger. Da ich nicht auf spezielle Beratungseinrichtungen eingehe, werde ich in meiner Arbeit nur seriöse und kostenlose Beratungsangebote thematisieren. Denn eine besondere Geldleistung schließt eine große Zahl der hilfesuchenden Menschen und der Zielgruppe der Sozialen Arbeit aus.
Der Einfachheit halber habe ich ausschließlich die männliche Bezeichnung von Personen gewählt, wie beispielsweise Beratener oder Hilfesuchender sowie Berater oder Sozialarbeiter, wobei selbstverständlich weibliche Personen einbezogen sind.
In mehreren Fachbüchern ist häufig der Begriff des Ratsuchenden zu lesen. Auch wenn dieser Begriff auf das gleiche Grundwort wie die Beratung zurückgeht, ziehe ich die Bezeichnung des Hilfesuchenden oder Beratenen vor, da es professionelle Berater häufig ablehnen, Ratschläge zu geben. Ähnlich verhält es sich mit dem in der Literatur genutzten Begriff der „face-to-face-Beratung. Stattdessen werde ich die Bezeichnungen persönliche bzw. herkömmliche Beratung verwenden.
Um einen Praxisbezug herzustellen, habe ich Fragebögen an einzelne Beratungsstellen verschickt, die Onlineberatung anbieten. Zudem habe ich ein Fachinterview mit Frau Eimesser und Frau Popp-Wilhelmy in der Jugend-, Erziehungs- und Familienberatungsstelle des Caritasverbandes für Stadt und Landkreis Hildesheim e.V. geführt. Die Ergebnisse des Fragebogens der Mobbingberatung Berlin-Brandenburg von Frau Hirsch-Sprätz und des oben genannten Gesprächs in der Beratungsstelle des Caritasverbandes werde ich im Laufe meiner Ausführungen immer wieder einfließen lassen und am Ende mein Vorgehen sowie den Fragebogen vorstellen. Der Mitschnitt des Interviews liegt im Anhang als CD bei.
Im Anschluss an diese Einleitung werde ich die Ziele und Merkmale einer Beratung, vorwiegend der sozialpädagogischen Beratung genauer erläutern und die Unterschiede zur psychosozialen bzw. Rechtsberatung hervorheben.
Mit der Entstehung und der Nutzung des Internets sowie mit den nötigen technischen und persönlichen Voraussetzungen, um über das neue Medium miteinander kommunizieren zu können, beschäftigt sich der nächste große Abschnitt. Auch die gängigen Kommunikationswege in der Onlineberatung wie E-Mail, Forum oder Chat werden darin kurz vorgestellt.
Anschließend werden die Ziele der sozialpädagogischen Onlineberatung aufgezeigt und die Anforderungen und Aufgaben des Sozialarbeiters dargestellt. Die Onlineberatung hat in den einzelnen Bereichen der Sozialen Arbeit eine unterschiedliche Bedeutung. Anhand von ausgewählten Arbeitsbereichen werde ich die Bedeutung kurz beleuchten.
Die folgenden Kapitel stellen die Merkmale einer persönlichen und einer medialen Kommunikation gegenüber. Darin liegen die Schwerpunkte auf der Reflexion und Wahrnehmung der eigenen Persönlichkeit sowie auf einer veränderten Beziehung zwischen Berater und Beratenen im Vergleich zur persönlichen Beratung.
Auf den gesellschaftlichen Kontext bezogen sollen einige Ursachen eines gestiegenen Beratungsbedarfes aufgelistet und die Auswirkungen des Internets auf die Gesellschaft – besonders auf die Werte und die zwischenmenschlichen Beziehungen – vorgestellt werden.
Im siebten und achten Kapitel werden die Zielgruppen und Vorgehensweisen der Onlineberatung aufgezeigt.
Anschließend wird der Datenschutz in der Beratung über das Internet thematisiert.
Zum Ende ziehe ich meine eigenen Schlussfolgerungen und gebe ein Fazit zu der Fragestellung, ob die Onlineberatung eine sinnvolle Form der sozialpädagogischen Beratung ist.
Um über Beratung in der Sozialen Arbeit schreiben zu können, muss nicht nur geklärt werden, was eine Beratung überhaupt ist, sondern auch, was unter Sozialer Arbeit zu verstehen ist. Staub-Bernasconi definiert diese Profession wie folgt:
„Soziale Arbeit ist eine Profession, die sozialen Wandel, Problemlösungen in menschlichen Beziehungen sowie die Ermächtigung und Befreiung von Menschen fördert, um ihr Wohlbefinden zu verbessern. Indem sie sich auf Theorien menschlichen Verhaltens sowie sozialer Systeme als Erklärungsbasis stützt, interveniert Soziale Arbeit im Schnittpunkt zwischen Individuum und Umwelt/Gesellschaft. Dabei sind die Prinzipien der Menschenrechte und sozialer Gerechtigkeit für die Soziale Arbeit von fundamentaler Bedeutung.“
(STAUB-BERNASCONI 2002, S. 256; In: THOLE 2002)
Die Soziale Arbeit dient demnach dazu, Menschen in verschiedenen Problemlagen individuell zu unterstützen und gleichzeitig gesellschaftliche Bedingungen einzubeziehen und auf diese Bedingungen einzuwirken. Damit sollen sowohl der einzelne Mensch als auch seine Umgebung das jeweilige Anliegen lösen bzw. lernen, mit diesem umzugehen.
Die sozialpädagogische Beratung ist eine Methode der Sozialen Arbeit. Die Beratung ist eine Handlungsmöglichkeit, mit deren Hilfe der Anspruch der Profession umgesetzt und erfüllt werden soll. Allgemein gesagt, ist die sozialpädagogische Beratung eine vielfältige Form der Hilfe (vgl. SICKENDIEK/ENGEL/NESTMANN 2002, S. 13). Sie dient der Orientierung, Förderung und stellt erneut oder erstmalig Bewältigungskompetenzen des Hilfesuchenden und wenn möglich seinem Umfeld her (vgl. SICKENDIEK/ENGEL/NESTMANN 2002, S. 14). Dabei ist eine direkte Problemlösung nicht zwingend notwendig, eher eine Problembewältigung. Thiersch grenzt das Ziel weiter ein. Er meint, sozialpädagogische Beratung soll eine Hilfe zur Selbsthilfe in schwierigen Zeiten des Lebens ermöglichen (vgl. THIERSCH 2005, S. 132).
Eine Beratung ist vor allem in zwei Zusammenhängen bekannt – als professionelle und als informelle Beratung. Die letztgenannte ist durch den Austausch von Hilfe, Zuneigung oder Zuwendung zwischen Menschen gekennzeichnet, die keine berufliche Grundlage dafür haben. Außerdem kann sie auch alltäglich in Form von praktischer Hilfe beispielsweise einer Autoreparatur, emotionaler oder finanzieller Unterstützung innerhalb der Familie, zwischen Bekannten, Kollegen oder Nachbarn vorkommen (vgl. SICKENDIEK/ENGEL/NESTMANN 2002, S. 22). Damit ist sie nicht an bestimmte Orte oder Einrichtungen gebunden.
In meiner Diplomarbeit soll es ausschließlich um professionelle Beratung gehen. Diese wird von dafür ausgebildeten Menschen, zum Beispiel Sozialpädagogen, durchgeführt. Sie findet häufig in spezialisierten Beratungsstellen statt. Exemplarisch sind Familien-, Schwangerschaftskonflikt- oder Drogenberatungsstellen genannt. In meinem Text beziehe ich mich ausschließlich auf die von Beratungsstellen durchgeführte Onlineberatung.
In allen Bereichen der Sozialen Arbeit findet – wenn auch im unterschiedlichen Umfang – Beratung statt. In einigen Bereichen ist sie sogar gesetzlich vorgeschrieben. Beispielsweise laut § 2 (1) des Gesetzes zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten:
„(1) Jede Frau und jeder Mann hat das Recht, sich zu den in § 1 Abs. 1 genannten Zwecken in Fragen der Sexualaufklärung, Verhütung und Familienplanung sowie in allen eine Schwangerschaft unmittelbar oder mittelbar berührenden Fragen von einer hierfür vorgesehenen Beratungsstelle informieren und beraten zu lassen. „
(vgl. BUNDESMINISTERIUM DER JUSTIZ; Stand: 21.08.1995; Online-Zugriff: 20.10.2007).
Auch in der Erziehungshilfe sind die Einrichtungen nach § 28 SGB VIII dazu verpflichtet Beratungsleistungen zu den Themen rund um Familie und Erziehung zu beraten (vgl. BECK-TEXTE 2007, S. 26). Dies sind nur zwei von mehren anderen Beispielen der Beratungsaufträge der Sozialen Arbeit, die Sozialarbeiter zu einer Beratungstätigkeit verpflichtet. Die Onlineberatung ist ein zusätzliches Angebot der konventionellen Beratungsstellen, die von den Hilfesuchenden angenommen wird. Diese Möglichkeit der Beratung hat den Vorteil, dass sie von den Beratenen ausschließlich aus freiem Willen genutzt wird und keinen gesetzlichen Auflagen beispielsweise in der Jugendhilfe unterliegt.
Um die Besonderheit der sozialpädagogischen Beratung darzustellen, werde ich sie im Folgenden kurz der psychosozialen und der Rechtsberatung gegenüberstellen. Weitere Abgrenzungen wie pädagogische, psychologische oder soziale Beratung lasse ich wegfallen, da sie als zusätzliche Unterscheidungskriterien nicht relevant sind.
Die psychosoziale Beratung dient dem Erkennen von vorhandenen Belastungen sowie Einschränkungen des Hilfesuchenden. Dazu sollen unter Berücksichtigung der jeweiligen Lebensbedingungen und Bedürfnisse Möglichkeiten gefunden werden, das individuelle Problem zu lösen. Dabei wird besonders auf Lösungsmöglichkeiten und Ressourcen des Beratenen eingegangenen. So erhält die beratene Person Einsichten auf ihr eigenes Verhalten sowie deren Wirkung auf andere. Der Schwerpunkt der psychosozialen Beratung liegt demnach auf der Reflexion des Verhaltens und der Interaktion des Beratenen mit seiner Umwelt (vgl. SICKENDIEK/ENGEL/NESTMANN 2002, S. 19-21). Sozialarbeiterische und psychosoziale Beratungen scheinen dabei dicht beieinander zu liegen, weil sie in mehreren Punkten miteinander übereinstimmen, denn beide professionenbezogenen Beratungen wollen die Selbst- und Situationserkenntnis fördern sowie nötige Kompetenzen sowie Ressourcen des Hilfesuchenden erwecken oder steigern (vgl. ebd., S.15).
Die Rechtsberatung orientiert sich ausschließlich an der deutschen Gesetzgebung und den Vorschriften. Bezieht jedoch keine weitere Möglichkeit der Problemklärung mit ein. Außerdem kann die Rechtsberatung ein Teilbereich der sozialpädagogischen Beratung sein, wenn sie von Sozialarbeitern, beispielsweise in Behörden wie dem Jugendamt angewendet wird (vgl. BARABAS 1999, S. 80). Im Umkehrschluss kann jedoch nicht gesagt werden, dass die Soziale Arbeit eine Teildisziplin des Rechts ist. Dieser mehr oder weniger undefinierte Kompetenzbereich grenzt die sozialpädagogische Beratung von anderen Professionen und Beratungsmethoden ab, weil sie sich nicht auf spezifische Schwerpunkte oder Themen festlegt bzw. begrenzt (vgl. THIERSCH 1997, S. 104). Dies hat den Vorteil, dass die meist komplexen und vielfältigen Problemlagen der Hilfesuchenden im Gegensatz zu anderen Professionen umfassend und aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden können. Damit ist die sozialpädagogische Beratung im Vergleich zur psychosozialen oder Rechtsberatung näher an der Lebenssituation des Beratenen. Dies liegt daran, dass sie zusätzlich zum sozialen Umfeld und den rechtlichen Vorgaben auch materielle, soziale, psychische und alltägliche Belastungen im Beratungsprozess berücksichtigt. Sie orientiert sich also verstärkt am Alltag des Hilfesuchenden (vgl. SICKENDIEK/ENGEL/NESTMANN 2002, S. 42-43). Barabas bezeichnet dies als „das Prinzip der Ganzheitlichkeit“. Thiersch spricht im gleichen Zusammenhang von der Allzuständigkeit der Sozialen Arbeit. Das Prinzip der Ganzheitlichkeit bzw. Allzuständigkeit zeichnet sich durch seinen interdisziplinären, also dem wissenschaftsübergreifenden Ansatz aus. Dabei werden neben psychosozialen auch rechtliche, ökonomische oder andere Problemlagen näher betrachtet (vgl. BARABAS 1999, S. 79).
Zusätzlich bezieht die Soziale Arbeit auch den gesellschaftlichen Zusammenhang und die gesellschaftlichen Bedingungen mit in den Beratungsprozess ein (vgl. THIERSCH 1997, S. 104). Aufgrund der Ganzheitlichkeit bzw. Allzuständigkeit der Sozialen Arbeit lassen sich keine speziellen Adressaten oder Angebote ableiten. Deshalb ist die sozialpädagogische Beratung auch nicht nur auf Institutionen beschränkt, sondern ebenso in anderen Arbeitsbereichen von Sozialarbeitern möglich, deren Konzept nicht ausschließlich auf der Beratung basiert (vgl. SICKENDIEK/ENGEL/NESTMANN 2002, S. 41), beispielsweise in Schulen, in Altenheimen oder in Ämtern.
Die sozialpädagogische oder psychosoziale Beratung kann meist nur Schwierigkeiten reduzieren oder mildern helfen. Genauer gesagt einen entsprechenden Umgang mit den Folgen erkennen lassen. Aber empfundene Probleme können dadurch nur selten gänzlich gelöst werden, da die Schwierigkeiten häufig vielseitig und tiefgründig sind und es daher keine eindeutige Lösungsformel gibt (vgl. SICKENDIEK/ENGEL/NESTMANN 2002, S. 13).
Die Beratung liefert noch einen weiteren Aspekt, der häufig in der Fachliteratur wenig Beachtung findet. Denn laut Sickendiek u.a. dient sie der Unterstützung des sozialen Zusammenhaltes und Vermeidung von sozialer Exklusion (vgl. SICKENDIEK/ENGEL/NESTMANN 2002, S. 221). Kronauer versteht diesen Begriff als ein gesellschaftliches Ungleichgewicht, bei dem bestimmte Menschengruppen beispielsweise durch Arbeitslosigkeit oder Armut am Rand der Gesellschaft stehen und innerhalb dieser ausgegrenzt sind (vgl. KRONAUER 2007, S. 40-41; In: BUDE/WILLISCH 2007). Eine andere Zielformulierung lautet damit:
Die sozialpädagogische Beratung dient dazu, die Faktoren zu verringern, die gesellschaftliche Zugehörigkeit und Teilhabe verhindern.
Die Entstehung von professioneller Beratung geht bis zur Jahrhundertwende zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert zurück. In dieser Zeit entstanden die ersten Beratungseinrichtungen für Auswanderer oder Rechts-, Berufs- oder Eheberatungen. In Deutschland erlebten die Beratungen während des zweiten Weltkrieges einen starken Rückschlag, denn trotz einer vorherigen wissenschaftlichen Anerkennung der Professionen Soziologie, Psychologie und Soziale Arbeit, dienten Beratungsstellen als Einrichtungen der nationalen und ethnischen Selektion (vgl. PRESTING 1991/HUNDSALZ 1995; zit. n. SICKENDICK/ENGEL/NESTMANN 1999, S. 25). In der Nachkriegszeit entstanden in der BRD vielerlei Beratungseinrichtungen, die persönliche Schwierigkeiten verringern sollten. Dazu setzte der Staat gesetzlich vorgeschriebene Beratungsstellen wie im Bundessozialhilferecht oder Kinder- und Jugendhilferecht ein. Vermehrte gesellschaftliche und berufliche Anforderungen bescherten den Einrichtungen einen großen Aufschwung (vgl. SICKENDICK/ENGEL/NESTMANN 1999, S. 25). Doch das Beratungsgespräch war nicht nur auf einen bestimmten Ort festgelegt. Neben den Angeboten in Institutionen gab es beraterische Hilfen u.a. in Einrichtungen für Jugendliche und bei kulturellen Veranstaltungen. In den 70er Jahren fand eine starke Differenzierung der Zielgruppen und Inhalte statt. Es gab nun Beratungsstellen beispielsweise für Frauen, Jugendliche oder für tabuisierte Themenbereiche (vgl. ebd., S. 27). Die Beratung hatte bis 1989 vorwiegend die Aufgabe, persönliche oder gesellschaftliche Probleme zu kompensieren. Auffallend ist, dass in dieser Zeit vorwiegend Menschen der unteren Gesellschaftsschicht von solchen Problemen betroffen waren (vgl. ebd., S. 28). Auf die Gründe für einen gestiegenen Beratungsbedarf, werde ich in einem späteren Kapitel eingehen.
Am häufigsten findet Beratung zwischen zwei Personen – dem Hilfesuchenden und dem Berater – statt. Dabei wird von einer „Einpersonenberatung“ (BELARDI 1999, S. 55) gesprochen. Zusätzlich gibt es auch noch die „Mehrpersonenberatung“ (ebd.), bei der neben dem Berater noch zwei oder drei weitere Personen dabei sind, beispielsweise bei Paaren, Familien oder Gruppen (ebd.).
Bei der Onlineberatung findet hauptsächlich eine Einzelberatung statt. Bei einer Chatberatung in Gruppen sind mehrere Menschen am Gespräch beteiligt. Wobei es einen eindeutigen Unterschied zwischen der herkömmlichen und der modernen Beratung gibt. Denn beispielsweise stehen die Beteiligten in einer Paarberatung in einer engen Verbindung zueinander. Denn ihre Beziehung zueinander steht dabei im Vordergrund. Bei der Onlineberatung kann dies zwar auch zutreffen, doch der Berater hat zusätzlich zur Funktion des Vermittlers die Funktion eines Moderators inne.
Eine professionelle Beratungssituation ist an mehrere Bedingungen gebunden. Thiersch nennt dazu drei Merkmale, die eine Beratung auszeichnen:
Das erste Merkmal besagt, dass mindestens ein Partner aus dem Gespräch nutzen ziehen kann und der andere als „Mittel der Veränderung“ (Zit. Thiersch 1997, S. 101) dient. In einem formellen Gespräch ist diese Rollenverteilung meist von Beginn bis zum Ende festgelegt und die Zeit über gleichbleibend.
Als zweites Merkmal nennt Thiersch die Sprache. Denn eine Beratung erfolgt mit Hilfe der Sprache, d.h. es findet durch Sprechen, Hören, Verstehen eine verbale Informationsübermittlung statt (vgl. ebd., S. 101).
Als drittes Merkmal formuliert er die Voraussetzung, dass der Beratene sein Anliegen an gemeinsam erarbeiteten und konkreten Lösungsansätzen umsetzen kann (vgl. ebd., S. 102-103) Wie die genannten Merkmale nach Thiersch in der medialen Beratung, speziell der Onlineberatung vorzufinden sind, werde ich später erläutern.
Sozialpädagogische Beratung ist nicht mit Ratgeben gleichzusetzen, wie dies in der Rechtsberatung vorzugsweise stattfindet. Denn vielfach kennen die Hilfesuchenden mögliche Entscheidungsmöglichkeiten bereits. Stattdessen wollen sie unterschiedliche Sichtweisen auf ihr Anliegen erlangen und die Folgen der jeweiligen Entscheidungen abwägen oder ihre persönlichen Unsicherheiten oder Ambivalenzen besprechen und ggf. reduzieren (vgl. SICKENDIEK/ENGEL/NESTMANN 2002, S. 14).
Das Internet ist nicht nur ein, sondern das Kommunikationsmedium bei einer Onlineberatung. Daher werde ich hier kurz auf die Entstehung des selbigen eingehen und die Grundlagen der computergestützten Kommunikation im Bezug auf die mediale Beratung erläutern.
Das Internet gilt als ein modernes technisches Medium. Nach Pross sind Medien:
„natürliche und technische Kommunikationsmittel:
1. ohne Geräte im engen Raum räumlicher Gleichzeitigkeit
2. mit einem Gerät, das seinem Besitzer erlaubt, sich weiterhin zu verlauten, wie Musikinstrumente es ermöglichen, Druckschriften und Bilder und
3. mit zwei Geräten, die als Sender und Empfänger von Signalen konstruiert sind.“
(PROSS, Harry: 2000, S. 33; In: SAENGER/RASCHE 2000).
Das Medium Internet gehört zum dritten Punkt, denn es dient der Kommunikation mit Hilfe von mindestens zwei Computern, die auf Befehl Signale austauschen.
Medien erfüllen mehrere Aufgaben. Medien sollen:
- Menschen miteinander in Verbindung bringen
- Menschen im Alltag Orientierung geben
- Informationen vermitteln
- Unterhalten
(vgl. ENGELHARDT/LEHMANN 1997, S. 5; In: KIRCHENAMT DER EVANGELISCHEN KIRCHE IN DEUTSCHLAND/SEKRETARIAT DER DEUTSCHEN BISCHOFSKONFERENZ 1997).
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