Bachelorarbeit, 2017
34 Seiten, Note: 1,3
1. Einleitung
2. Das Konzept der Szenischen Interpretation nach Ingo Scheller
2.1 Entstehung und Begriff der Szenischen Interpretation
2.2 Schritte der Szenischen Interpretation
3. Ausgewählte Methoden der Szenischen Interpretation
3.1 Das Rollengespräch
3.2 Das Standbildverfahren
4. Analyse des Entwicklungsprozesses der Hauptfigur als ein Aspekt von Franz Fühmanns Geschichte „Das kleine UND“
5. Die Szenische Interpretation in Bezug zu den Bildungsstandarts und zum Thüringer Lehrplan für das Fach Deutsch
5.1 Grobziele
5.2 Ausgewähltes Lernziel und formulierte Feinziele
6. Perspektiven zur Umsetzung des gewählten Aspekts anhand beider Methoden im Vergleich
6.1 Rahmenbedingungen und Lernvoraussetzungen
6.1.1 Räumliche Gegebenheiten
6.1.2 Zeit
6.1.3 Vorwissen der Schüler
6.2 Die Verdeutlichung des Entwicklungsprozesses der Hauptfigur mit Hilfe von Rollengesprächen
6.2.1 Aufgabenstellung und Skript für einen möglichen Unterrichtsablauf
6.2.2 Erläuterungen zur Umsetzung
6.3 Die Verdeutlichung des Entwicklungsprozesses der Hauptfigur mit Hilfe des Standbildverfahrens
6.3.1 Aufgabenstellung und Skript für einen möglichen Unterrichtsablauf
6.3.2 Erläuterungen zur Umsetzung
6.4 Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Umsetzung beider Methoden
7. Fazit
8. Literatur- und Quellenverzeichnis
9. Anhang
Die Auseinandersetzung mit Literatur erfolgte in meiner eigenen Schulzeit in der Regel nach einem festgelegten Schema, welches im Deutschunterricht im Laufe der verschiedenen Klassenstufen immer wiederkehrte. So wurde ein Text zunächst mehrfach gelesen, dann wurden sprachliche Besonderheiten besprochen, und anschließend war es die Aufgabe der Schüler, eine inhaltliche Interpretation oder Analyse vorzunehmen. Auch während diverser Praktika an Grundschulen machte ich die Beobachtung, dass die Arbeit an einem Text oft auf eine ähnliche Art und Weise erfolgte. Literaturunterricht bedeutete solange über einen Text zu reden, bis eine vermeintlich richtige Interpretation und Deutung der Textvorlage gefunden war. Diese Interpretationsweise förderte meinen Erfahrungen nach weder die Lust am Lesen, noch das Interesse, die möglichen Sinngehalte eines Textes zu entdecken. Vielmehr führte der Druck und Zwang auf der Suche nach der einen, richtigen Interpretation zu Langeweile unter den Schülern, sowie zu einer ablehnenden Haltung gegenüber literarischen Texten.
Der Umgang mit Literatur und Schriftsprache ist im alltäglichen Leben unabdingbar, weshalb der Erwerb von Lesefähigkeit und Lesekompetenz vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als „Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben“ (vgl. BMBF, 2007: S. 5) bezeichnet wird. Die Fähigkeit zu Lesen sei ein „universelles Kulturwerkzeug“, da durch diesen Prozess „neben Informationen und Fakten auch Ideen, Wertvorstellungen und kulturelle Inhalte“ erschlossen werden (vgl. ebd.: S. 5). Daraus lässt sich schlussfolgern, wie bedeutsam es ist, Kinder und Jugendliche zum Lesen und zu einem begeisterten Umgang mit Literatur anzuregen.
In der Literaturdidaktik der letzten Jahre hat ein produktionsorientierter Ansatz verstärkt an Bedeutung gewonnen. Dabei gehen Schüler nicht nur sehend und hörend oder analysierend-interpretierend mit Literatur um, sondern werden selbst gestaltend tätig. Texte werden ergänzt, umgeschrieben, malerisch gestaltet oder szenisch dargestellt (vgl. Spinner, 1999: S.33). Die zu Beginn geschilderte Interpretationsweise wird dabei unter anderem ergänzt durch das Verfahren der Szenischen Interpretation. Die Szenische Interpretation beinhaltet verschiedene Methoden, durch die mögliche Deutungen und Auslegungen eines Textes erkundet werden. Durch einen solchen praktischen Umgang mit Literatur wird Kindern und Jugendlichen eine Möglichkeit der Auseinandersetzung mit Literatur eröffnet, bei der sie auf ihre Weise und nach ihren Vorstellungen handeln dürfen, ohne negative Bewertungen befürchten zu müssen (vgl. Scheller, 2004: S. 255). Durch die leibliche Aneignung von Literatur, wie es bei der Szenischen Interpretation der Fall ist, werde diese auch auf eine besonders intensive Weise erfahren (vgl. Mattenklott, 2007: S. 226).
Im Folgenden möchte ich zunächst das Konzept und den Ablauf der Szenischen Interpretation erläutern und zwei ausgewählte Methoden, das Rollengespräch und das Standbildverfahren, darstellen. Anschließend werde ich darlegen, in welchem Bezug die Szenische Interpretation zu dem Thüringer Lehrplan und den Bildungsstandarts für das Fach Deutsch in der Grundschule steht. Dabei möchte ich das Lernziel, welches als Orientierung für eine perspektivische Umsetzung der Szenischen Interpretation in der Grundschule dienen soll, besonders hervorheben. Der Ausgangstext „Das kleine UND“ von Franz Fühmann bietet zahlreiche inhaltliche und sprachliche Aspekte, die sich mit Hilfe einer Szenischen Interpretation umsetzen ließen. Einen Aspekt möchte ich in dieser Arbeit herausgreifen und näher erklären, um diesen anschließend für die Umsetzung in der Grundschule anhand beider Methoden zu vergleichen. Dazu führe ich auch ein Skript für einen möglichen Unterrichtsablauf mit an. Zuletzt werde ich die Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei der Umsetzung beider Methoden zusammenfasen und anschließend ein Fazit aus meinen gewonnenen Erkenntnissen ziehen.
Mit der Forderung nach einem handlungsorientierten Unterricht in den achtziger Jahren sollte Schülern auch ein erfahrungs- und handlungsbezogener Zugang zu literarischen Texten ermöglicht werden (vgl. Scheller, 2014: S. 1). Angeregt durch seine zahlreichen Erfahrungen beim Umgang mit Literatur entwickelte Ingo Scheller mit Hilfe verschiedener Versuche, Ansätze und Verfahren um 1990 die Methode der Szenischen Interpretation (vgl. Scheller, 2004: S. 14-17). Dabei experimentierte er mit Lehrstücken von Brecht und führte Spielversuche durch, bei denen die szenische Darstellung der Texte in den Hintergrund, und die Beobachtung der Haltungen der Spieler in den Mittelpunkt rückte. Im Laufe seiner Untersuchungen erkannte Scheller, dass sich sein Konzept nicht nur für die Interpretation von Dramen, sondern auch für den Umgang mit Romanen und Kurzgeschichten eignete. Inzwischen ist die Szenische Interpretation Bestandteil des Unterrichts an verschiedenen Schulformen und wird auch an Universitäten und Ausbildungsseminaren realisiert. Bewährt hat sich Schellers Methode nicht nur im Fach Deutsch, sondern auch in den Fächern Kunst, Musik, Politik, Religion und Geschichte. Auch bei dem Lernen von Fremdsprachen und im Bereich der interkulturellen Bildung wird die Szenische Interpretation erfolgreich praktiziert (vgl. Scheller, 2004: S. 17-18).
Um Schülern einen literarischen Text zugänglich zu machen, müsse ihnen nach Scheller eine Möglichkeit gegeben werden, eigene Vorstellungen von den sprachlich geschaffenen Figuren und Szenen zu entwickeln (vgl. Scheller, 2004: S. 48). Demnach solle den Kindern und Jugendlichen eine Situation im Schulalltag geschaffen werden, in der sie die Chance haben, mit allen Sinnen zu handeln. Somit werde nicht nur das Verständnis eines literarischen Textes unterstützt, sondern auch ein Kennenlernen der eigenen Persönlichkeit gefördert. Diesen Anforderungen versucht die Szenische Interpretation nachzukommen. Das Konzept versteht literarische Texte als „sprachliche Entwürfe von Szenen“ und fasst sie als „Metakommentare zu sozialen Ereignissen und Themen“ auf (Scheller, 2004: S. 48). Neben einer Analyse und Diskussion der im Text vorkommenden Ereignisse erfolgt bei der Szenischen Interpretation auch eine über szenische Handlungen erreichte Umsetzung der Textgeschehnisse. Des Weiteren werden Inhalte im Text in Beziehung gesetzt zu Erfahrungen und Vorkenntnissen der Schülerinnen und Schüler (vgl. ebd.: S. 48). Scheller definiert die Szenische Interpretation als „Handeln in den vom Text vorgegebenen oder angedeuteten Rollen und Situationen“ (Scheller, 2004: S. 48). So werde ein Text als Vorlage für Szenen genutzt, welche mit Hilfe der Vorstellungskraft realisiert, und durch Spielhandlungen dargestellt und interpretiert werden. Diese Art der Interpretation, so Scheller, ist stark an die einzelnen Vorstellungen der Teilnehmer gebunden, da diese ein Verständnis des Textes und damit eine eigene Auffassung der Inhalte entwickeln und verkörpern müssen. Der Einzelne interpretiert und repräsentiert eine Figur aus eigener Perspektive (vgl. ebd.: S. 48). Nicht professionelle Schauspieler oder Regisseure inszenieren eine Textpassage, sondern Schüler nutzen ihre Fantasie und die eigenen sprachlichen Fähigkeiten, um Figuren darzustellen und Situationen nachzubilden. Dabei haben sie die Chance, am eigenen Leib zu erleben, wie die entworfenen Figuren in konkreten Situationen handeln und interagieren. Dagmar Grenz beschreibt dies als das Erkunden eines literarischen Textes aus der Binnenperspektive, da jeder Schüler sich in eine Figur einfühle und aus deren Perspektive szenisch agiere, wodurch „ein Umgang mit Literatur auf kognitiver, emotionaler, imaginativer und sinnlich-körperlicher Ebene“ ermöglicht werde (Grenz, 1999: S. 157). Leerstellen im Text werden gefüllt durch den Einfluss der individuellen Erfahrungen, Vorstellungen und Einstellungen der Leser. Mögliche Gedanken der Figur werden ausgesprochen, Beziehungen und Haltungen zu anderen Figuren werden verdeutlicht, und das Textgeschehen wird aus der Perspektive der Rolle interpretiert. Schüler beziehen Erlebnisse aus ihrer Alltagswelt mit in die szenische Umsetzung eines Textes ein, wobei die Medien und andere kulturelle Einflüsse eine Rolle für die Gestaltung der Figur spielen (vgl. Scheller, 2014: S. 2). „Die Auseinandersetzung mit dem Text kann so auch zur Auseinandersetzung mit sich selbst und damit zur Erfahrung werden“ (Scheller, 2004: S. 18). Im Mittelpunkt steht dabei jedoch immer der Ausgangstext. Die Gruppe sorgt für die Möglichkeit der Interaktion zwischen Spielern und steht als Instanz für eine außenstehende Beobachtung, Beschreibung und eventuelle Bewertung der Geschehnisse zur Verfügung (vgl. ebd., 2004: S. 48).
Scheller (vgl. 2004: S. 49-58) beschreibt mehrere aufeinanderfolgende Schritte, in denen eine Szenische Interpretation abläuft. Zunächst wird ein Text abschnittsweise gelesen, entweder still von jedem Einzelnen, oder laut in der Gruppe. Wenn der erste Teil des Textes gelesen ist, werden die Schüler aufgefordert, spontan auf die Handlung und beschriebene Figuren zu reagieren. Dies kann mit Hilfe von Standbildern, Statuen oder Improvisationen geschehen. Die verschiedenen Vorstellungen, Ideen, Bilder und Projektionen der Teilnehmer, die dabei entstehen, werden untersucht. Wie die Schüler dem im Text Dargestellten begegnen hängt davon ab, welche Erfahrungen und Lebensstile sie mitbringen. Ersichtlich wird dabei laut Scheller, welche unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten und Zugänge ein Text bietet. Als nächsten Schritt nennt Scheller (vgl. 2004: S. 50) das Einfühlen in Figuren und Szenen. Erst nachdem sich die Schüler für neue Perspektiven und Haltungen geöffnet haben, lassen sich die Handlungsmotive der Figuren ergründen. Es muss erforscht werden, welche Erwartungen, Absichten und Wünsche die Figuren im Text mitbringen. Auch das Verstehen der Figurenkonstellationen und der einzelnen Beziehungen zwischen den Figuren im Text ist maßgeblich für die szenische Interpretation des Abschnitts, erklärt Scheller (vgl. ebd.: S. 51). Um in den vorgegebenen Rollen zu handeln, müssen Schüler ebenso den Handlungsort und die Handlungszeit einer Szene untersucht haben. Als nächsten Schritt erklärt Scheller (vgl. ebd.: S. 56) die Reflexion der szenischen Darstellung, welche von unterschiedlichen Standpunkten aus erfolgen kann. Zuschauer klären und interpretieren als unbeteiligte Beobachter das Dargestellte, indem sie die Handlung unterbrechen oder einzelne Aspekte deuten. Dabei geben die Beobachter wieder, was die Mimik und Gestik der dargestellten Figuren beschreibt, welche Einstellungen der Figuren deutlich werden oder in welchen Beziehungen sie zueinander stehen. Die Beobachter können ihre Eindrücke auch mit Hilfe von szenischen Mitteln verdeutlichen und demonstrieren. Ebenso kann aus Sicht der Figuren mithilfe von Gedankenstopps das dargestellte Geschehen reflektiert werden. So können Schüler zu ihrem Handeln innerhalb der Rolle als Figur Stellung beziehen. Letztlich haben die Teilnehmer selbst die Möglichkeit, ihre Empfindungen und Wahrnehmungen, die sie während des Spiels erlebt haben, zu reflektieren. Dies bietet den Schülern die Chance, sich von der Rolle zu distanzieren und eigene Erlebnisse zu bewältigen. Scheller (vgl. Scheller, 2004: S. 57) legt als letzten Schritt der Szenischen Interpretation die Auswertung des Prozesses dar. Um die erfolgte Deutung eines Textes nachvollziehen zu können, muss rückblickend der Sinn und die zentrale Aussage beleuchtet und diskutiert werden. Ein Spielleiter behält während allen Schritten den Überblick über das Geschehen und lenkt die Teilnehmer der Szenischen Interpretation gegebenen falls in gewünschte Richtungen (vgl. ebd.: S. 56-58).
Für die Szenische Interpretation gibt es nicht nur ein Verfahren, sondern vielmehr eine Anzahl verschiedener Methoden, welche im Hinblick auf zu erreichende Lernziele ausgewählt und umgesetzt werden können. Im Folgenden werde ich zwei Methoden näher erläutern und diese später anhand eines ausgesuchten Aspektes an Franz Fühmanns Geschichte „Das kleine UND“ darstellen.
Bei Rollengesprächen füllen die Schüler sprachliche und gedankliche Leerstellen der Figuren im Text aus. Eine Orientierung bieten dabei die Sprech- und Kommunikationsweisen der Figuren selbst (vgl. Scheller, 2004: S. 67). Es können Gefühle und Gedanken geäußert, Erlebnisse ausgesprochen und dabei verarbeitet, sowie Beziehungen und Einstellungen einer Figur zu anderen Figuren des Textes verdeutlicht werden. Mögliche Rollengespräche sind nach Scheller beispielsweise Monologe, in denen Gedanken und Emotionen einer Figur laut ausgesprochen werden. Hier sollen die Spieler Dinge aussprechen, die sie in ihrer Rolle in dem konkreten Moment beschäftigen. Erreicht wird dadurch, dass sich die Figur über ihr Inneres klar wird (vgl. Scheller, 2004: S. 70). Auch Rolleninterviews und Rollenbefragungen sind laut Scheller möglich. Dabei entstehen Gespräche mit anderen Figuren, dem Spielleiter oder Beobachtern. Der Befragte antwortet auf sämtliche Fragen, die an ihn gerichtet werden, und handelt dabei spontan aus der Rolle heraus. Dabei kann er sich nach und nach in die Figur hineinfühlen. Solche Rollengespräche lassen sich entweder in Partnerarbeit, in Kleingruppen oder vor der ganzen Klasse durchführen (vgl. ebd: S. 68). Eine letzte Form des Rollengesprächs stellt die Situationsbezogene Rollenbefragung dar. Herausgegriffen wird eine einzelne Situation aus dem Text und die dort vorkommende Figur wird von Beobachtern zu ihrem Verhalten, ihren Motiven und ihren Empfindungen befragt. Nur die momentane Befindlichkeit der Figur steht dabei im Mittelpunkt (vgl. ebd: S. 71).
Durch Standbilder werden soziale Situationen, Personen, Konstellationen, Beziehungsstrukturen oder Begriffe bildlich dargestellt (vgl. Scheller, 2002: S. 59). Mit Hilfe von Standbildern können laut Scheller bestimmte Textausschnitte hervorgehoben, Haltungen von Figuren und deren Beziehungen untereinander sichtbar gemacht, und Ereignisse dargestellt werden. Eine zentrale Rolle nimmt die Betrachtung und Deutung eines dargestellten Standbildes ein, wie Scheller im Folgenden bemerkt.
„Interpretiert werden dabei Situationen, Haltungen und Beziehungen nicht nur durch den Ausschnitt, das bildliche Arrangement und die Perspektive, sondern vor allem auch durch die Bedeutungen, die dem Bild und den Haltungen, Gesten und der Mimik der Personen zugeschrieben werden.“ (Scheller, 2002: S. 59)
Wenn Szenen an bestimmten Stellen unterbrochen und angehalten werden, erstarren die Spieler und lassen so eine Situation einfrieren. Es entsteht ein Standbild, welches sowohl aus Sicht der Figuren, als auch aus dem Blickwinkel der Beobachter gedeutet werden kann (vgl. Scheller, 2004: S. 72). Werden die Schüler selbst tätig und bauen ein Standbild nach ihren Vorstellungen von bestimmten Momenten auf, spricht man von situationsbezogenen Standbildern. Ein Schüler übernimmt dabei die Aufgabe des Erbauers, indem er sich Mitschüler aussucht und diese nach seinen Ideen formt. Der Erbauer gibt die Haltung, Mimik und Gestik vor, während die Schülerinnen und Schüler die geformt werden passiv bleiben. Auch die Perspektive, aus welcher das Standbild betrachtet werden soll, legt der Erbauer fest. Die Aufgabe der Beobachter ist es anschließend, Vermutungen darüber anzustellen, welche Situation dargestellt ist. Zuletzt deutet der Erbauer das Standbild. Er erläutert die gezeigte Szene und spricht über die Haltung der beteiligten Figuren und deren Gefühle, die diese bei ihm auslösen. Dabei stellt er sich hinter die gebauten Figuren und spricht aus, was diese gerade denken. Die Beobachter dürfen abschließend mutmaßen, warum der Erbauer gerade diese Szene ausgewählt hat und haben die Möglichkeit, abweichende Vorstellungen darzulegen (vgl. ebd.: S. 72-73).
Franz Fühmanns Geschichte „Das kleine UND“ dreht sich um ein Wort, dass seine Position als Konjunktion in einem langen Satz aufgibt und allein weiter zieht. Dabei begegnet das kleine UND verschiedenen anderen Buchstaben, Wörtern und Sprichwörtern, die ihm anbieten, es aufzunehmen oder zusammen weiterzugehen. Doch alle Angebote, wieder Wortbestandteil oder Verbindungswort zu werden, lehnt das kleine UND mit diversen Begründungen ab. Am Ende der Geschichte ist das kleine UND immer noch allein und in seiner Verzweiflung ruft es schließlich das Pronomen WER herbei. Begeistert lässt sich das kleine UND vom WER in die Mitte nehmen, sodass ein Wunder aus den beiden entsteht.
Fühmann personifiziert in seiner Geschichte die Konjunktion und, indem er dem Wort menschliche Eigenschaften wie laufen und sprechen, sowie Emotionen und Gefühle, zuschreibt. Zusätzlich stellt er dem und das Adjektiv klein voran, was eine Anspielung darauf sein könnte, das es nur aus drei Buchstaben besteht. Denkbar wäre auch, dass Fühmann auf das häufige Vorkommen der Konjunktion und in Sätzen verweisen will, wodurch das Wort unscheinbar, unbedeutend oder eben klein wirkt.
Die Entwicklung der Hauptfigur lässt sich in vier Phasen gliedern. In der ersten Phase ist das kleine UND Bestandteil eines langen Satzes und erfüllt seine Funktion als Bindewort. Das kleine UND ist nur eins von vielen weiteren unds im Satz, und es verbindet die zwei Substantive Dunkel und Finsternis. Die Hauptfigur fühlt sich jedoch unwohl in seiner Position zwischen diesen beiden „finsteren Worten“ (Zeile 4) und verlässt deshalb den Satz, um ein Sonnenbad zu nehmen. In der Sonne schläft das kleine UND ein, der Satz geht in der Zeit weiter und so wacht es „mutterseelenallein in der Welt“ (Zeile 6) auf. Damit schließt sich die zweite Entwicklungsphase des kleinen UNDs an. Die Einsamkeit empfindet es als noch schlimmer, als die ungeliebte Stellung im Satz. Das kleine UND ist nun isoliert aus seinem gewohnten Umfeld, dem Satz. Seine Funktion als Verbindungswort oder Wort zur Kennzeichnung von Aufzählungen, Beiordnungen oder Anreihungen (vgl. Dudenredaktion, 2017: S. 264-265) entfällt somit. Mit dieser Feststellung beginnt das kleine UND auch seine Existenz in Frage zu stellen. Es weiß nicht wie es weitergehen und welchen Sinn es seinem Leben geben soll. „Was fang ich ganz allein auf der Welt an, ich kleines UND!“ (Zeile 8-9), fragt es sich. An diesem Punkt scheint die Hauptfigur zu bemerken, dass sie von anderen Satzbestandteilen abhängig ist, um eine Aufgabe erfüllen zu können. Daran schließt sich die nächste Phase der Entwicklung, die Suche der Hauptfigur nach einer neuen Identität, an. Nacheinander kommen die Buchstaben H, M und r auf das kleine UND zu und bieten ihm an, sich an dessen Spitze zu stellen, um neue Wörter zu bilden. Arrogant lehnt die Hauptfigur jedoch diese Angebote ab. Das kleine UND will weder bellen, noch quatschen und schon gar nicht fortrollen. Die drei Buchstaben schließen sich derweil anderen Wörtern an und die Hauptfigur bleibt weiter allein. Die Stimmungen des kleinen UNDs schwanken in dieser Zeit zwischen Traurigkeit und Heiterkeit. Es ist traurig und weint über seine Einsamkeit, während es auf der anderen Seite über die neu entstandenen Wörter lacht. In den folgenden Zeilen begegnet die Hauptfigur weiteren Substantiven und Adjektiven, die in Verbindung miteinander zu Sprichwörtern werden. Das kleine UND hat die Chance mit Mann und Maus unterzugehen, alles kurz und klein zu schlagen oder faul und gefräßig zu werden. Auch diese Angebote lehnt es jedoch ab. Das kleine UND scheint sich selbst nicht mehr in der Rolle als Verbindungswort zwischen Substantiven zu sehen und sucht weiter nach einer erfüllenden Funktion. Langsam verzweifelt es jedoch in seiner ungewohnten Einsamkeit und so ruft es aus: „Ach, WER soll kommen, mir endlich zu helfen?“ (Zeile 56-57). Das Pronomen erscheint daraufhin und schlägt dem kleinen UND vor, sich zusammenzutun. Dieses Mal nimmt das kleine UND den Vorschlag an. In der letzten Entwicklungsphase hat die Hauptfigur ihre Bestimmung gefunden. Als Teil des Substantives Wunder fühlt sich das kleine UND wohl. Fühmann resümiert „[…] und wenn zwei sich umarmen, die sich mögen, wird das immer wieder ein Wunder sein.“ (Zeile 62-63). Somit hat die Geschichte des kleinen UNDs ein glückliches Ende genommen.
Die Entwicklung der Hauptfigur lässt sich als Suche nach sich selbst betiteln. Während die Hauptfigur in ihrer ersten Entwicklungsphase eine festen Platz und eine Aufgabe hat, steht sie im nächsten Teil allein da. Anschließend muss sich das kleine UND mit den Fragen Wer bin ich? und Wer möchte ich sein? beschäftigen. Diese Phase der Identitätsfindung ist ein Prozess, in dem die Hauptfigur gezwungen ist, eigenständig zu handeln und sich selbst zu helfen. Das kleine UND wirkt arrogant und wählerisch auf den Leser, da es zunächst keine Gesellschaft als gut genug ansieht. Von der anderen Seite aus ließe sich argumentieren, dass die Hauptfigur klare Vorstellungen von ihrer Zukunft hat und bei diesen auch keine Kompromisse eingeht. Sehr selbstbewusst geht das kleine UND seinen Weg und lässt sich von niemandem beirren. In der vierten Phase hat die Hauptfigur schließlich sich selbst und seinen Platz in der Welt gefunden. Das kleine UND ist nicht mehr allein, sondern sieht sich als Teil einer Partnerschaft an.
Der Begriff der Szenischen Interpretation taucht als solcher weder in den Bildungsstandarts, noch im Lehrplan für das Fach Deutsch auf. Vielmehr ist allgemein die Rede vom „szenischen spielen“ (Kultusministerium, 2005: S. 10), „szenischen umsetzen“ (Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, 2010: S. 10) und „szenischen darstellen“ (ebd. S. 13).
Unter dem Punkt „Lesen- mit Texten und Medien umgehen“ steht der Kompetenz „über Lesefähigkeiten verfügen“ in den Bildungsstandarts die Entwicklung von „lebendigen Vorstellungen beim Lesen und Hören von literarischen Texten“ zugeordnet (ebd. S. 11). Die Vorstellungskraft kann mit Hilfe der Szenischen Interpretation geschult werden, da die Teilnehmer aktiv Figuren eines Textes nachstellen, beschriebene Situationen nachspielen oder Handlungen nachvollziehen. Auch die Kompetenz „Texte erschließen“ lässt sich auf die Szenische Interpretation beziehen. Dabei soll erreicht werden, dass Schüler „bei der Beschäftigung mit literarischen Texten Sensibilität und Verständnis für Gedanken und Gefühle und zwischenmenschliche Beziehungen zeigen“ (ebd. S. 12). Das Handeln in einer Rolle ermöglicht den Teilnehmern einen anderen Blickwinkel einzunehmen als den eigenen, wobei fremde Einstellungen erkundet und möglicherweise auch neue Verhaltungsweisen entwickelt werden. Scheller bezeichnet diesen Lernprozess als „haltungsbezogenes Lernen“ und behauptet, dass eine Person neue Haltungen und Perspektiven erprobt indem sie sich selbst in verschiedenen Rollen und Situationen zeigt (vgl. Scheller, 2004: S. 76).
Auch für den Lehrplan des Faches Deutsch möchte ich nur ein Grobziel darlegen. Bereits in der Einführung zum Thema „Kompetenzentwicklung im Deutschunterricht der Thüringer Grundschule“ wird eine aktive und entdeckende Auseinandersetzung mit der Schriftsprache gefordert (vgl. Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, 2010: S.5). Diese kann durch die Methode der Szenischen Interpretation gewährleistet werden. Schüler haben hier die Möglichkeit an einem Text zu forschen, sich auszuprobieren, und dabei ihre Sinne und die Körpersprache mit einzubeziehen. Im Lernbereich des Leseverstehens wird im Lehrplan die Wichtigkeit des „sinnverstehenden Lesens literarischer und nicht literarischer Texte“ (ebd. S. 11) betont. Die Methoden der Szenischen Interpretation können ein sinnverstehendes Lesen unterstützen, da Textmaterial durch diese nicht nur mündlich besprochen, sondern auch praktisch verarbeitet wird. Als Methodenkompetenz ist explizit die Erschließung von Texten durch verschiedene Methoden wie unter anderem „Texte spielen“ und „Texte szenisch darstellen“ genannt (ebd. S. 13), womit sich die Umsetzung der Szenischen Interpretation rechtfertigen lässt.
Für die Umsetzung einer Szenischen Interpretation von Franz Fühmanns Geschichte „Das kleine UND“ sehe ich Kinder der Klassenstufe 4 als Zielgruppe an, da diese über die Fertigkeit zu Lesen verfügen sollten. Unter Lesefertigkeit versteht man dabei nur die Fähigkeit, Grapheme in Phoneme umzusetzen und damit dekodieren zu können (vgl. BMBF, 2007: S. 11). Ist das Erkennen und Bilden von Wörtern und Wortfolgen sowie die Herstellung von Satzstrukturen gewährleistet, beginnt sich der Prozess des Lesens zu automatisieren. Dann wird der Fähigkeit des sinnentnehmenden Lesens und des Textverständnisses eine größere Rolle im Unterricht zuteil. Lernziel für die Umsetzung der Szenischen Interpretation in Klasse 4 soll die Förderung der Sachkompetenz des sinnverstehenden Lesens altersgemäßer literarischer- und nicht literarischer Texte (vgl. Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, 2010: S. 12) sein. Daran anschließen möchte ich auch die Methodenkompetenz „Der Schüler kann verschiedene Methoden der Texterschließung nutzen, d.h […] Texte szenisch darstellen […].“ (Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, 2010: S. 13). Aus diesen beiden vom Lehrplan vorgegebenen Grobzielen leite ich die folgenden konkreten Feinziele für die nachfolgende Unterrichtsplanung ab: Die Schüler identifizieren die vier Entwicklungsphasen des kleinen UNDs und stellen diese auf Grundlage des Textes mit Hilfe von Standbildern/Rollengesprächen innerhalb von 90 Minuten dar. Die Schüler zeigen durch verschiedene Formen von Standbildern/Rollengesprächen im Klassenverband die verschiedenen Haltungen des kleinen UNDs zu anderen Figuren im Text auf.
Das Thema Entwicklung als ein Aspekt der vorliegenden Geschichte bietet sich für eine vierte Klasse an, da die Kinder hier selbst vor einer neuen Entwicklungsphase stehen. Der Übertritt in eine weiterführende Schule stellt für die Kinder einen neuen Lebensabschnitt dar. Mögliche Aufregungen und Herausforderungen dieses Übergangs können mit Hilfe der szenischen Umsetzung der Geschichte thematisiert werden.
Die Umsetzung einer Szenischen Interpretation kann prinzipiell in jedem Klassenraum erfolgen, sofern dieser groß genug ist. Tische und Stühle sollten beweglich sein, um eine Spielfläche zu schaffen und einen Raum für Beobachter bereitstellen zu können. Um die Unterrichtsstunde vorzubereiten, können Tische und Stühle bereits zur Seite geräumt werden. Aus den Stühlen kann ein Sitzkreis oder ein Halbkreis geformt werden, der als Platz für die Beobachter und auch als Gesprächsrunde im Anschluss an die Szenische Interpretation dienen kann. In der Mitte des Stuhlkreises befindet sich die Spielfläche. Die Lernsituation ist somit durch die veränderte Sitzordnung von vorn herein sichtbar, was sowohl zu Neugier, als auch zu Ablehnung unter den Schülern führen kann. Es ist deshalb wichtig gleich zu Beginn die Funktion der verschiedenen Sitzpositionen zu erklären (vgl. Seifert, 2006: S. 22).
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