Diplomarbeit, 2017
50 Seiten, Note: 1
Einleitung
1. Allgemeine Situation der bürgerlichen Familie im 19. Jahrhundert
1.1 Erziehung, Kinderstube und Ausbildung
1.2 Ideal des Mädchens
1.3 Ehe und Eheschließung
1.4 Rolle der Frau und des Mannes
2. Mädchenliteratur
2.1 Der Trotzkopf
3. Ilse und ihre Anfänge in der Pension
3.1 Ilses Wendepunkte
3.2 Personen, die zur Ilses Entwicklung beigetragen haben
3.3 Ilse nach ihrem Aufenthalt in der Pension
3.4 Ilses Vorstellung der Liebe und ihre Verwirklichung in der Ehe
Zusammenfassung
Bibliographie
Literatur wird sehr oft als „Teil der Sprach- und Kulturvermittlung“ definiert.1 In ihr spiegeln sich jedoch nicht nur die Kultur und die Sprache selbst, sondern auch der Charakter der dargestellten Personen wider. Die Literatur kann uns Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung stellen, damit wir jede einzigartige Erscheinung zum Ausdruck bringen können, was die vorliegende Arbeit bestätigt.
Die Diplomarbeit beschäftigt sich mit dem Roman „Der Trotzkopf. Die Geschichte für junge Mädchen.“ von der deutschen Schriftstellerin Emmy von Rhoden und hat zum Ziel aufgrund des Hauptprotagonistin des Romans, Ilse Macket, Ideal des Märchens zu präsentieren. Der Roman wurde seit seiner ersten Veröffentlichung in 1885 zu „Bestseller“ und in viele Sprachen übersetzt. Wichtig zu erwähnen ist dabei auch die Tatsache, dass der Roman, der den Kernpunkt der vorliedenden Arbeit ist einen Durchbruch in der deutschsprachigen Mädchenliteratur bedeutet. Von Bedeutung ist dabei auch das, dass die Ilse, also Hauptprotagonistin, ermöglichten den Leserinnen sich mit ihr zu identizifieren und mit ihr die glücklichen und unglücklichen Momente zu erleben.
Die Arbeit besteht aus drei Kapiteln. Im ersten wird allgemeine Situation der bürgerlichen Familie im 19. Jahrhundert geschildert. Das zweite Kapitel wir der sogenannten Mädchenliteratur gewidmet. Das dritte und zugleich das letzte Kapitel der Arbeit konzentriert sich auf der Analyse des Romans von Emmy von Rhoden, wobei es solche Aspekte wie Ilses Entwicklung und Wendepunkte sowie Ilses Vorstellung der Liebe und ihre Verwirklichung in der Ehe geschildert und analysiert werden. Danach folgt Zusammenfassung.
Das 19. Jahrhundert brachte frischen Wind in alle Bereiche des Lebens: von der Politik, durch die Technik hindurch, bis zur Änderung der sozialen Beziehungen. Eine rapide Veränderung konnte man im Bereich der Arbeit, Familiengründung, Erziehung, Ausbildung, Eheschließung und Geschlechterverhältnisse bemerken. Vor allem änderte sich die Situation der Frauen , wobei der Ausbruch der französischen und industriellen Revolution den größten Einfluss auf die Veränderungen in der Behandlung der Frauen hatte. Die industrielle Revolution trug zu dem Übergang von der traditionellen Handarbeit zur Errichtung von Fabriken und Werkhallen mit Maschinen bei. Aus diesem Grund entstand eine neue Arbeitsorganisation und Lebensform, die eine Trennung von Arbeitsbereich und Wohnbereich verursachte. Dies war auch Grund für Geburt der modernen Familie.2
Aufgrund der finanziellen Lage, beschränkte sich nach 1880 die Durchschnittskinderzahl von 6-7 auf 3-4 Kinder. Die Eltern wollten eine gute Ausbildung für ihre Söhne und eine entsprechende Mitgift für ihre Töchter. Mit der neuen Familienstruktur änderten sich auch die Kriterien, die die Partnerwahl und Eheschließung betrafen. Ein großer Faktor der zur einer Eheschließung führte, war die finanzielle Situation des Mannes. Je wohlhabender er war, desto größeres Interesse seitens der Frauen und deren Familien genoss er. Zwischen Eheleuten gab es auch einen großen Altersunterschied. Die Pflichten der Ehegatten waren verteilt. Der Mann war das Familienoberhaupt, dessen wichtigste Pflicht, die Versorgung der ganzen Familie darstellte. Die Rolle der Frau beschränkte sich auf die Pflichten der Mutter und Hausfrau. Sie übernahm auch die repräsentative Rolle der Familie.3
Vor allem die bürgerlichen Frauen waren gezwungen, sich einer neuen Rolle anzupassen. Waren sie noch vorher in die täglichen Arbeitsabläufe integriert, konnten sie jetzt nur noch den drei großen K nachgehen: Kirche-Küche- Kindern.4 Sie wurden vollkommen vom politischen und beruflichen Leben ausgeschlossen. Während die Frau durch Bescheidenheit, Liebe, Güte und Fügsamkeit glänzen sollten, mussten den Man ‚harte‘ Eigenschaften auszeichnen: Kraft, Gewalt, Vernunft und Kühnheit.
An der Wende des 18. und 19. Jahrhundert entstand ein öffentliches Verantwortungsgefühl, das nicht nur auf der Erziehung und Kinderstube beruhte, sondern sich auch auf die Ausbildung der Kinder bezog.5 Die Elternrechte wurden sehr stark betont, trotzdem spielte die Beachtung des Wohls und der Menschenwürde des Kindes eine große Rolle. Das Kind musste sich der Autorität der Eltern unterstellen – insbesondere war die Gestalt des Vaters von größter Bedeutung. Die Autorität des Vaters trug zur patriarchalischen Struktur bei. Zu den Aufgaben der Mutter gehörte die Förderung der geistigen, emotionalen, moralischen und sozialen Entwicklung des Kindes.6
Der Tag begann für die Kinder um fünf Uhr. Auf diese Weise lernten sie Disziplin und Pünktlichkeit. Zu den Söhnen gehörten Pflichten, wie z.B. Gartenarbeiten, Botengänge zu tätigen oder Fleißaufgaben zu erledigen. Die Töchter mussten häufig bereits im frühen Alter schon Pflichten im Haushalt übernehmen. Die Bürgerkinder bekamen noch regelmäßig Unterweisungen von Familienangehörigen oder Privatlehrern. Desto älter sie wurden, erhielten sie Nachhilfeunterricht, die den erworbenen Wissenstand absichern, auffrischen und ergänzen sollten.7
Das Zusammentreffen sämtlicher Familienmitglieder war sehr schwierig, was auch die gemeinsamen Mahlzeiten beeinflusst hat. Das gemeinsame Essen erforderte Pünktlichkeit, Ordnung und Kinderstube, wie z.B. Reihenfolge der Speisenverteilung, Gesprächsstoff und Redeverbot, Etikette der Tischsitten (Standard der Eßtechnik). Die Mahlzeiten hatten einen zeremoniellen Charakter. Es herrschte auch eine spezifische Atmosphäre. Dies waren einmalige Situationen, wo der Vater die Gelegenheit hatte seine Kinder zu sehen. Während der Mahlzeiten konnte das Familienoberhaupt entscheiden, welche Themen besprochen werden konnten. Durch unmittelbare Teilnahme an den Diskussionen, war dies eine Form des Lernens für Kinder. Der Vater interessierte sich auch für die Ausbildung der Kinder.8 Diese war ein sehr wichtiger Teil des Lebens, die der Schlüssel zum besseren Leben sein sollte. Vor allem für Mädchen sollte eine gute Ausbildung zur erfolgreichen Eheschließung führen. Darum schickten die Eltern ihre jungen Töchter in kostspielige Pensionen. Solche Schulen dauerten von zwei bis sechs Jahren. Mit dem Wissen, das in diesen maximal sechs Jahren erreicht hatten, mussten die Frauen auskommen. Das Reglement der weiblichen Schulen schrieb vor, dass der Unterricht für die Mädchen nur in diesem Masse stattfand, der notwendig für das künftige Eheleben war, und nicht zum Erweitern des allgemeinen Wissens diente. Die Mädchen lernten die Schönschrift, das Nähen und Klavier spielen. Sie erlangten auch Wissen über Maße, Gewichte, Gesundheit, kostspielige Geräte, Tischgedeck und den Lohn für die Dienerschaft. All das, um sich in der Ehe mit Geld und Einkäufen zurecht zu finden. Dabei ging es allerding nur um einfache Rechenaufgaben, auf Bruchzahlen oder kompliziertere Rechenoperationen legte man keinen Wert. Auch bei der Chemie galt der Leitsatz, die Frau sollte nur wissen wie man das Essen gar kocht, nichts weiter. Fächer wie Geschichte, Geographie und Biologie lehrte man nur auf dem Grundniveau. Sehr wichtig dagegen war Französisch, das von den höheren Sphären sehr gern und oft genutzt wurde.9
Es gab auch spezielle Unterrichtsstunden, die der Etikette gewidmet waren. Diese spielte nämlich eine enorme Rolle. Die entsprechenden Umgangsformen waren ausschlaggebend bei der Partnersuche. Sowohl die Frau als auch der Mann bemühten sich, den allerbesten Eindruck auf den zukünftigen Ehepartner zu machen.
Das Ziel der schulischen Edukation der Frau war die Entwicklung ihrer Talente, die ihr verholfen sollten einen Ehemann zu finden und den dann glücklich zu machen. Auch zu Hause erzog man die Mädchen im Hinblick auf die Ehe. Man lehrte sie still und gehorsam zu sein. Eigenständiges Denken und Reden in Anwesenheit von Gästen war nicht erlaubt. Auch Kirche trichterte den Menschen ein, dass ein junges Mädchen gottesfürchtig und rechtartig sein sollte, damit sie der Familie Glück sichern konnte. Bei jungen Männern sah das ein bisschen anders aus. Sie hatten größere Bewegungsfreiheit und konkrete Heiratspläne wurden erst dann geschmiedet, wenn eine sichere berufliche Position erreicht wurde. Erst wenn sie am Ziel ihrer beruflichen Wünsche angekommen waren, fingen sie an, Ausschau nach einer passenden Braut zu machen.
Nicht nur der Tagesablauf, aber auch die Sonntage und Ferientage unterlagen einem ritualisierten Rhythmus. Die Kinder wussten immer wie ihr Tag aussehen würde. Abweichungen von Tagesprogramm waren eigentlich undenklich. Immer öfters wurden wöchentliche Spaziergänge praktiziert, wie auch Kirchenbesuch oder jährliche Verwandtenreisen. Zu damaligen Zeiten wurde Familie als etwas sehr wichtiges angesehen, darum waren solche Reisen eine wunderbare Möglichkeit den Kindern ihren Stammbaum näher zu zeigen und Loyalität und Familienzusammenhalt zu lehren.10
Von Bedeutung waren auch die Wochenendausflüge, wo historische und architektonische Sehenswürdigkeiten bewundert wurden. Sie hatten eine erzieherische und weiterbildende Funktion. Nach jeder Reise mussten die Kinder ihre Eindrücke beschreiben, damit der Vater das erworbene Wissen und Sprache prüfen konnte. Bei diesem Anlass konnte das Familienoberhaupt sein Wissen übergeben und die Fehler seiner Kinder korigieren.11
Die Eltern erklärten den Kindern, dass es im Leben nicht nur die finanzielle Lage wichtig ist, sondern auch der Fleiß.12 Sie lehrten ihren Nachwuchs das ohne Arbeit, kein Erfolg oder normales Leben möglich sein würde. Die Bürgerkinder mussten hart sein, sie durften keine Schwächen zeigen. Vor allem an die Söhne wurden in diesem Bereich sehr hohe Erwartungen gestellt.13 Es galt das Motto: Ohne Fleiß keinen Preis. Wegen der hohen Erwartungen der Eltern, begingen vor allem Bürgersöhne Selbstmord zu begehen.14
Im 19. Jahrhundert herrschten bestimmte Eigenschaften, die ein Ideal des Mädchens darstellten. Diese waren strikt mit dem Ziel verbunden, einen entsprechenden Mann zu finden und ihn zu heiraten. Das Lebensszenario jeder Frau war das selbe- heiraten und Kinder bekommen. Das war ihr wichtigstes und eigentlich einziges Lebensziel. Junge Mädchen stellten sich keinen anderen Weg vor, was auch nicht verwunderlich war, denn andere Wege gab es nicht. Die einzige Kariere die sie machen konnten, war es einen guten Mann zu heiraten, um danach mit seinem Namen, Reichtum und Position in der Gesellschaft zu brillieren. Frauen träumten davon eine Beziehung einzugehen. Die Angst eine alte Jungfer zu werden, war ein ständiger Begleiter. In diesen Zeiten tolerierte man keine Andersartigkeiten oder Verschiedenheiten, also spottete man über diese Menschen, die ledig waren. Man fand solche Personen komisch, bösartig und mit einer Anfälligkeit für Scheinheiligkeit.15 All das führte dazu, dass sie sich an ein bestimmtes Verhaltensmuster halten mussten, um in der Gesellschaft als eine gute Partie zu gelten.
Als eine Art Verhaltensmuster galt das Buch Le savoir, dass uns heute ein tristes Alltagsbild der damaligen Mädchen und Frauen zeichnet. Mädchen war es zum Beispiel nicht erlaubt allein auf den Straßen spazieren zu gehen, sondern nur in Begleitung von jemandem aus der Dienerschaft, Familie oder Freundeskreis. Spaziergänge allein wurden als provokativ empfunden. Somit erweckten sie den Eindruck sie wollen sich mit Jungen treffen, was verboten war.16
Die wichtigsten Eigenschaften mit denen sich ideale Mädchen in damaligen Zeiten auszeichnen mussten, waren vor allem Bescheidenheit und Gottesfürchtigkeit. Junge Frauen mussten wissen, wann es ihnen erlaubt war zu sprechen, und das es nicht zum guten Ton gehörte bei Gespräch mit einem Mann, mit Intelligenz oder anderen Qualitäten zu brillieren, auch wenn sie tatsächlich mit dem Mann mitreden konnten. Immer zu lächeln und nicht viel von sich Preis zu geben-das war der Schlüssel zum erfolgreichen Gesellschaftsleben.17 Zusätzlich mussten die Mädchen kultiviert und fleißig sein, wenn es um die um solche Hausarbeiten wie Nähen, Stricken oder andere manuelle Arbeiten, ging. Sie sollten auch häuslich, reinlich, sanft, fügsam, nachgiebig und freundlich sein.18
Ein anderer Faktor, der für eine gelungene Eheschließung wichtig war, war das Aussehen der Frauen. Sie mussten mit ihrem Erscheinungsbild glänzen. Das perfekte Mädchen im 19. Jahrhundert musste sich stehst bemühen sein Äußeres zu pflegen. Ungepflegt aus dem Haus zu gehen war nicht vorstellbar. Junge Frauen durften nicht zu dick sein, denn Fett verband man mit Trägheit und Faulheit. Außerdem kauften Eltern Ballkleider, die manchmal so eng waren, dass sie die inneren Organe einquetschten. Das Korsett sollte einen geraden Rücken zaubern und die weiblichen Attribute unterstreichen. Nach ein paar Jahren des Tragens einer solchen Korsage, verloren die Frauen jegliche Muskeln und mussten gebückt gehen. Es kam sehr oft vor, dass schon zwölf jährige Mädchen von ihren Müttern Korsetts bekamen, ob es ihnen gefiel oder nicht. Die Mode war so wie so ein sehr wichtiger Aspekt des Lebens einer Frau im 19. Jahrhundert. Die Lust zu glänzen und Anfälligkeit für Eitelkeit waren wie eine genetische Krankheit, die von Mutter zur Tochter übersprang.19
Ein weiterer Aspekt der bei einem gut erzogenen Mädchen im 19. Jahrhundert zu beachten war, war ihr Zustand der Unmündigkeit, der die höchste Aufgabe der weiblichen Erziehung darstellte.20 Fernab intellektueller und sexueller Aufklärung, sollten sie unschuldig und „sanft wie eine Blume“ sein. Bis zur Eheschließung sollte die seelische Reinheit und der kindliche Charakter bewahrt werden.21
Durch die Gedanken des Naturrechts und der Französischen Revolution, veränderte sich der Gedanke der Eheschließung. Diese wurde wieder zu einem Akt des weltlichen bürgerlichen Rechtes, was in der Praxis bedeutete, dass sich nicht mehr eine Rechtshandlung und Kaufvertrag zwischen zwei Familien darstellte, sondern einen Rechtsvertrag zwischen zwei Personen, der Frau und dem Mann. Um eine Ehe einzugehen, reichte das Einverständnis der zwei Personen. Solche Faktoren wie Ebenbürtigkeit, Standesgleichheit, Glaubensidentität oder Sippeneinverständnis waren nicht mehr ausschlaggebend.22
Die Hochzeit war ein entscheidender Punkt, nach dem sich schlagartig das Leben der Frauen änderte. Von nun an war ihr Mann der Mittelpunkt ihres Lebens. Er war das Haupt der Familie und Herrscher über das Schicksal der Frau. In vielen Häusern beruhten die Beziehungen der Eheleute auf der Unterwürfigkeit der Frau und deren Angst vor dem Mann. Für die meisten Frauen war das nichts neues, denn schon bei den Eltern mussten sie meist blind gehorchen. Eine zu große Entschlossenheit der Frau wurde damals als streitsüchtig und falsch angesehen. Die dominierende Position des Mannes war fest fundiert und sogar gesetzlich geregelt. Zum Beispiel hatte der Mann das Recht die Frau in den Grenzen der Mäßigung zu züchtigen.
Wie schon gesagt, hatten Frauen in der Ehe nichts zu sagen. Sie hatten keine Möglichkeit rechtliche Angelegenheiten zu regeln, konnten also keine Verträge abschließen, oder irgendwelche Dokumente ohne das Einverständnis des Ehemanns unterzeichnen. Sie konnten nicht das Geld verwalten oder vor Gericht gehen. Das Gesetz sah es vor, dass die Frau überall dem Mann folgt, egal wo der auch geht. Der Mann hatte das Recht im Falle eines Ehebruchs durch die Frau, die Scheidung zu fordern, die Frau jedoch nur dann, wenn der Mann seine Geliebte unter sein Dach nahm. Die Macht des Ehemanns wirkte sich auch auf das gesellschaftliche Leben der Frau aus. Ohne ihn konnte sie keine Freunde treffen und wenn er die Einsamkeit mochte, musste die Frau das mit ihm teilen.23
Frauen kannten keine anderes Leben, also lehrten sie ihre Töchter wie sie gute Ehefrauen sein würden. Hier kann man sehr gut ein einen Ratgeber aus dem 19. Jahrhundert übersetzen, der vorschrieb wie man sich am besten als Frau verhalten sollte:
„Lerne seine feinsten Angewohnheiten und Geschmacke kennen, verwöhne ihn, zeige ihm deine Gunst, kümmere dich stets um ihn. Das ist die beste Art einen Mann bei sich zu behalten. Wenn du andauernd dafür sorgen wirst, dass er sich wohl fühlt, wird er es nirgendwo anderes so gut haben, wie bei dir“24
Sinn der Ehe war es Kinder zu bekommen. Für die Erziehung der Nachkommen war natürlich die Frau verantwortlich. Wenn ein Kind falsch erzogen worden war, konnte man ganz alleine dafür die Frau beschuldigen Kochen, Putzen, Kinderbetreuung und Handarbeit sollten die einzig wichtigen Beschäftigungen der Frau im 19. Jahrhundert darstellen. Auch wenn die gut situierten bürgerlichen Frauen Dienstboten für die grobe Arbeit hatten, so mussten sie die anderen Aufgaben selbst erledigen, wie zum Beispiel die Waschtage, die meistens einmal im Monat stattfanden und eine sehr große Anstrengung für die Frauen darstellte.
Im Leben der Frau entstand (…) eine unüberbrückbare Kluft zwischen Wirklichkeit und Wunschwelt. Unausgefülltheut und Langeweile nährten eine ständige, oft vage Sehnsucht nach einem erfüllteren Leben, die dem Frauentyp der Zeit etwas Melancholisches gab (…)25
Der Mann dagegen war der Ernährer der Familie. Seine (meist einzige) Aufgabe war es zu arbeiten, Geld nach Hause zu bringen und seiner Familie ein würdiges Leben zu ermöglichen. Der Mann war die Person, dank der sich eine Frau definierte. Vor allem in Kreisen der höheren Gesellschaft konnte man das bemerken, wo sich Frauen dank dem Beruf ihres Mannes definierten. So gab es also Doktorinnen, Richterinnen, Rechtsanwältinnen und sogar Frauen des Obersten. Sogar auf den Grabstätten stand die Information geschrieben, welchen Beruf der Mann der verstorbenen ausübte. Einfach gesagt- eine Frau war dank den Titeln und der Position ihres Mannes mehr wert, als dank ihres eigenen Wissens oder Position. Ein eloquenter Mann war die beste Universität für seine unerfahrene Frau. Er half ihr die Welt kennenzulernen und Ansichten zu entwickeln die mit seinem überein waren. In der Konsequenz sagte die Frau das alles, was der Mann dachte, wollte das alles was auch ihr Mann begehrte und war nur der intellektuelle Schatten ihres Gattens. Allgemein galt, dass Geld verdienen für eine Frau nicht angemessen war, die zur Demoralisation führte.26
Die Rolle des Mannes und der Frau waren im 19. Jahrhundert strikt festgelegt. Der Mann war die wichtigste Person innerhalb einer Familie, die Frau dagegen war nur zweitrangig.27 Die Position des Mannes und des Vaters wurden durch die Politik, Philosophie und Recht des 19. Jahrhunderts gestärkt.28 Er repräsentierte die Familie in der Öffentlichkeit, ging seinem Beruf nach und ermöglichte seiner Familie ein standesgemäßes Leben. Seiner Autorität mussten sich alle fügen- Dienstboten, Gehilfen, Frau und Kinder. Die Würde der Frau hingegen war mit der Unterordnung unter dem Mann verbunden.29
Die gleichspezifische Einteilung der Rollen war gleich mit den protestantischen Glaubensvorstellungen. Das zeitgenössische Frauenbild entsprach einer gottgefälligen Lebensform, die eine untergeordnete Rolle spielte. Das wiederum wurde mit der Bibel begründet. Indem Eva für den Verlust des Paradieses verantwortlich war, sei es von nun an die Pflicht der Frau, das Paradies durch ihre fraulichen Eigenarten wieder zu schaffen.30
Die Lebenserwartung der Frauen im 19. Jahrhundert waren leider in den meisten Fällen, aufgrund der miserablen hygienischen Verhältnisse, nicht besonders hoch. Zahlreiche Frauen starben an Tuberkulose, Kindbettfieber oder durch Schwächeanfälle, hervorgerufen durch die engen Korsetten. In den typischen Familien gab es daher oft Stiefkinder und Halbgeschwister, da der Mann nach dem Tod seiner Frau, meist schnell wieder heiratete, denn schließlich gehörte es sich nicht alleinerziehender Vater zu sein.
Beim Thema der Sexualität, gab es auch enorme Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Der Mann hatte die Möglichkeit diesen Bereich seines Lebens voll auszuschöpfen. Seine Lust und Triebe waren wichtig, die Frau musste sich daran gewöhnen und ihren Mann zu jeder Zeit zufrieden stellen. Sie hatte keine Chance ihre Sexualität auszuleben. Alles was mit der körperlichen Liebe verbunden war, galt als schmutzig. Sogar der Anblick einer schwangeren Frau wurde als unanständig empfunden.31
In der Gesellschaft verbreitete sich damals ein krankhaftes Misstrauen, wenn es um Ehebetrug, Affären und anstößiges Verhalten der Frauen ging. Als Konsequenz dieses Phänomens, mussten die Frauen ständig verschiedene Gerüchte dementieren, die mit ihrem unanständigen Verhalten verbunden sein sollten. Um ihre Anständigkeit zu beweisen, war es einer Frau nicht gestatten alleine ins Theater, in ein Café oder in den Park zu gehen. Es war eine Katastrophe sie mit einem anderen Mann, als ihrem Ehemann, zu sehen.32
Während also die Frauen treu sein mussten und man fand, dass eine „gesunde“ Frau keinen sexuellen Trieb empfinden oder gar ausleben durfte, konnte der Mann außereheliche Beziehungen führen, ohne großartige Konsequenzen davon zu tragen. Es galt damals die Theorie von Richard von Kraft-Ebing, die übersetz so klang :
„Ist [das Weib] geistig normal entwickelt und wohlerzogen, so ist sein sinnliches Verlangen ein geringes. Wäre dem nicht so, müsste die ganze Welt ein Bordell und Ehe und Familie undenkbar sein. Jedenfalls sind der Mann, welcher das Weib flieht, und das Weib, welches dem Geschlechtsgenuss nachgeht, abnorme Erscheinungen“33
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stellten die fiktionale Literatur und die sentimental-religiösen Prüfungsromane den Hauptanteil in der Mädchenliteratur dar. Beim Inhalt konnte man eine starke Psychologisierung der Figuren und Handlungen erkennen, wobei die Erzähltypen der „Vorbild-, Abschreck- und Umkehr-oder Wandlungsgeschichte erhalten“ blieben.34
Unter dem Einfluss des Biedermeier weiteten sich die moralischen Erzählungen aus und es entwickelte in der Zeitspanne zwischen 1850 und 1950 ein spezielles Teilgebiet der Literatur, das für Mädchen zwischen 12 und 16 Jahren bestimmt war. Dieser nannte sich Backfischliteratur. Der Schwerpunkt dieser Literatur lag auf der Hauptfigur, ihren Fehlern und positiven Eigenschaften. Es wurden die Empfindungen und Einstellungen der Protagonistin geschildert, wobei ihre Perspektive partiell zur Perspektive der Erzählung wird. So werden oft Tagebucheinträge oder Briefe verwendet und die Icherzählung kommt zum Vorschein.35
Äußerst wichtig in der Backfischliteratur, ist die Wahl der Heldin. Die Protagonistin musste ein junges Mädchen, um die vierzehn Jahre sein, das aus einem gutbürgerlichen oder adligen Haus entstammte. Ihre Geschichte musste spätestens mit der Verlobung oder einem konkreten Ausblick auf die Ehe beginnen. Die Ehe selbst wird aber nicht dargestellt. Einzig wichtig war es das junge Mädchen innerhalb ihrer spezifischen Welt darzustellen. Diese Darstellung basierte auf einer konkreten Vorstellung vom idealen Mädchen, fast schon als ein Noch-Kind.36
Zwei Erzählungen von R. Koch, sind ein wunderbares Beispiel für Bücher, die sich in der Mitte zwischen der moralischen Erzählung vom Typ der biedermeierlich beeinflussten Umkehrgeschichte und einer Backfischgeschichte befanden. Die erste nannte sich Das Pfarrhaus und erzählte über ein junges Mädchen, das mit ihrer erworbenen Bildung in der Gesellschaft glänzen wollte und sich im Laufe der Handlung in eine einfache und zurückgezogene Frau umwandelt. Statt ein glamouröses Leben zu führen, wählt sie ein Leben als Hausfrau auf dem Land. Die Wandlung, die in ihr stattfindet, wird durch die Einfügung von Tagebucheintragungen noch besser dargestellt. Diese ermöglichen die Gefühle und Empfindungen des Mädchens stärker zu unterstreichen.37
Die zweite Geschichte von R. Koch unter dem Titel Angelika, stellt eine Wandlungsgeschichte eines jungen Mädchens dar, dessen Lieblingsbeschäftigung die geistliche und musische Bildung darstellt. Häusliche Arbeiten ignoriert sie, bis sie nach der plötzlichen Verarmung ihrer Pflegemutter lernt, den Haushalt zu führen. Die Arbeiten die sie im Haus verrichten muss, geben ihr erstaunlicherweise große Befriedigung. Es stellt sich heraus, dass nicht die Bildung, sondern die neuen haushälterischen Fähigkeiten, ermöglichen ihr eine befriedigende Existenz. Durch gesellschaftliche Treffen, kennt die Frau schließlich ihren zukünftigen Ehemann kennen. Dieser lässt sie wieder in ihren alten Stand aufsteigen.38
Anhand dieser Erzählungen sieht man, dass vor allem die Wandlung der jungen Frauen im Vordergrund steht. Vor allem bei Angelika wird das noch nicht tugendhafte Verhalten immer weniger als moralisches Problem gesehen, viel mehr als eine entwicklungspsychologisch bedingte Phase der Mädchenzeit, geprägt durch das romantische Mädchenbild. Auf der einen Seite muss das kindliche und unreife Mädchen lernen erwachsen zu werden und die nötigen Tugenden einer Frau zu erwerben. Auf der anderen Seite hat das Mädchen einen gewissen Schonraum, im Rahmen dessen sie solche Eigenschaften, wie Leichtsinnigkeit, Mutigkeit, Neigung zur Schwärmerei, Verwöhntheit, Anspruchslosigkeit oder gesellschaftliche Ungelenke ausleben kann.39
Der Grund für diese liberale Haltung gegenüber dem Mädchen, war das neue Verständnis der weibliche Adoleszenz, geprägt durch den Spätromantiker Ernst Moritz Arndt. Laut ihm sind die Geschlechtscharaktere von Mädchen und Jungen bis zu der Jugendzeit nicht festgelegt und können sich verändern. Im Gegensatz zum Mann gehört gerade das Kindlich-Verspielte zum Wesen einer Frau.40
Immer mag man auch die Eitelkeiten schelten, wie denn viele Spieler der Weiblichkeit von gewissen Männern so gescholten werden; nur soll man sie nicht züchtigen und regeln. Ein Weib soll ja dem Kinde gleich sein und auch so gehalten werden; so lasse man ihr denn auch die kleinen Torheiten und Kinderspiele, die kleinen Etwas und Nichts, welche unsere groben Hände nicht fassen können, wodurch sie aber unsere gerunzelten Stirnen oft unbeschreiblich geschwind glätten und unsere zürnenden Augen lächelnd machen.41
Das was, bei der Mädchenliteratur damaliger Zeiten auch auffällt, ist die Infantilisierung des jungen Mädchens. Ihre Probleme, die durch Konflikte mit der Gesellschaft und ihren Erwartungen an die Mädchen entstanden, wurden verharmlost und verniedlicht. Sie wurden als entwicklungspsychologische Eigenheiten angesehen. Der Infantilisierungsprozess zeigt sich auch sehr deutlich in der Reduktion der ihm zugeschriebenen Untugenden auf einen sehr enge und begrenzte Skala nicht ernstzunehmender Verstöße gegen Normen und Regeln.42
Ein wunderbares Beispiel für die Liberalisierungen und Infantilisierungen ist das Buch von Emmy von Rhodens Trotzkopf, eines der bis heute erfolgreichsten Märchenbücher. Es entsteht hier eine sehr starke Psychologisierung der Hauptfigur und eine noch größere Liberalität gegenüber dem noch nicht an die Rolle der Frau angepasstem Mädchen.43
Bei Der Trotzkopf handelt es sich um eine Verwandlungsgeschichte der Protagonistin, Ilse Macket, die sich vom ‘Wildfang’ zu einer sittsamen Dame voller Tugenden entwickelt. Die Hauptheldin der Geschichte ist ein junges Mädchen, die als Einzelkind auf einem pommerschen Landgut aufwächst. Mit nur vierzehn Jahren, verliert sie ihre Mutter und muss von dort an alleine mit ihrem Vater leben. Da er aber nicht ohne eine Frau an seiner Seite leben möchte, heiratet er ein zweites Mal und Ilse bekommt eine Stiefmutter.
Am Anfang des Buchs wird Ilse als ein junges, schlankes Mädchen mit wirrem Lockenhaar und fröhlichen braunen Augen beschrieben. Sie ist nur wenig daran interessiert, ihre weibliche Seite zu zeigen oder zu unterstreichen, denn auf Äußerlichkeiten legt sie gar keinen Wert. Das Mädchen ist voller Energie und Temperament und liebt es auf der frischen Luft herumzutollen.44
Ilses verwaschenes, dunkelblaues Kattunkleid, blusenartig gemacht und mit einem Ledergürtel gehalten, mochte recht bequem sein, aber kleidsam war es nicht und einige Flecken darin dienten ebenfalls nicht dazu, die Eleganz desselben zu heben. Die hohen, plumpen Lederstiefel, die unter dem kurzen Kleide hervorblicken, waren tüchtig bestaubt und sahen eher grau als schwarz aus.45
Ilse ist es egal, was die Mitmenschen über sie denken. Sie macht das, worauf sie Lust hat, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Sie sieht keine Gründe, ihr Verhalten zu ändern, denn schließlich approbiert Vaters Ilse alle ihre Handlungen und sieht in ihnen kein Problem. Für ihn ist die Tochter das einzig wichtige auf der Welt und erinnert ihn an seine verstorbene Ehefrau:
Als Ilses Mutter starb, legte sie ihm das kleine, hilflose Mädchen in den Arm. Ilse hatte die schönen frohen Augen der früh Dahingeschiedenen, und blickte sie den Vater an, dann war es ihm, als ob die Gattin, die er sosehr geliebt, ihn anlächelte.46
Anhand dieser Beschreibung wundert es kaum, dass Ilse vom Vater idealisiert wird und als lebende Erinnerung seiner verstorbenen Frau lebt. Der Vater liebt seine Tochter bedingungslos und verzichtet auf, die zur damaligen Zeit traditionelle, Erzieherstrenge. Ilse genießt die enorme Aufmerksamkeit die ihr geschenkt wird, lebt sorgenlos und kann ihrer jugendhaften Entwicklung freien Lauf lassen. Jegliche Unzulänglichkeiten von Ilse werden nicht ernst genommen, denn der Vater schafft es nicht, sich mit Strenge durchzusetzen. Fast immer wird er am Ende nachgiebig.47
Es hat fast den Anschein, als ob Ilse genau weiß, wie sie ihren Vater manipulieren kann. Sie nutzt ihre Liebe und bezirzt ihn, wann immer es ihr nötig erscheint. Sie liebt ihn, doch empfindet ihn als keine Autoritätsperson. Er versucht immer wieder in ernstem Ton mit ihr zu sprechen, doch die Tochter ist davon nur wenig beindruckt und findet das sehr amüsant, lacht sogar darüber:
Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass der Vater in so bestimmter Weise zu ihr sprach. In höchster Weise verwundert blickte sie ihn an. Sie schlug die Arme ineinander und fing an herzlich zu lachen48
Dieses gelassene Leben endet, als Ilse Vater eine neue Frau heiratet. Die Wiederverheiratung mit Frau Anne stört die harmonische Zweisamkeit zwischen Vater und Tochter. In der natürlichen Umgebung des Landguts hatte Ilse nur wenig Möglichkeiten zu lernen, wie man häusliche Pflichten auszuführen hat. Mit dem Eintreffen einer neuer Frau hatte sich das geändert. Nicht nur eine potenzielle Rivalin zog ins Haus ein, sondern auch eine vollkommen neue Erziehungsinstanz, die das jungenhafte Verhalten nicht länger billigen wollte. Aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen, weiß die Frau, dass ein hohes Maß an Disziplin und Unterordnung bei der Erziehung sehr wichtig ist. Sie versucht die Entwicklung von Ilse in eine weibliche Richtung zu lenken und die meisten ihrer Freiheiten zu kürzen. Zuvor konnte Ilse niemand irgendwelche Vorschriften machen oder sie von Dummheiten abbringen. Auf die Aufstandsregeln, die Ilses Stiefmutter aufstellt, passen dem Mädchen gar nicht. Sie reagiert mit Zorn, und Trotz. Sie versteht nicht, warum sie nach fast fünfzehn Jahren ihrer Freiheit beraubt wird. Ilse ist zu tiefst empört, dass ihr Vater sich eine neue Frau gesucht hat. Sie weint und schluchzt, will keine Dame werden und über Sitte und Anstand lernen. Ihrer Meinung nach, war es nur mit ihrem Papa so richtig schön.49
Die neue Familienkonstellation führt dazu, dass in Ilse Verlustängste entstehen. Jahrelang war sie die Nummer Eins im Haus, hat konkurrenzlos an der Seite des Vaters gelebt und musste mit niemanden dessen Aufmerksamkeit teilen. Die Protagonistin, aufgewachsen ohne Mutter hat keine Erfahrungen mit den manchmal auftretenden Rivalitäten zwischen Mutter und Tochter.
In der ersten Phantasie ist der Vater ein wunderbarer Mann, der eigentlich ein besseres Schicksal verdient hätte, denn er ist das Opfer seiner Frau. Und obwohl sich das Mädchen als das geeignetere Liebesobjekt für den Vater empfindet, da es ihn wirklich liebt, muss der Vater schmerzlich auf diese Liebe zu Gunsten der Mutter verzichten. Die zweite Phantasie beinhaltet die Vorstellung, dass der Vater die Mutter zwar als Sexualobjekt liebt, dass sein besseres, ideales Ich jedoch der Tochter zugewandt ist. Sie ist diejenige, die ihn wirklich versteht und eine Seele besitzt.50
Das Mädchen sieht ihre Stiefmutter als Nebenbuhlerin und würde sie am liebsten aus dem Haus haben. Ilses negative Einstellung zu Frau Anne erreicht ihren Höhepunkt, als diese ihrem Mann vorschlägt, das Mädchen in ein Pensionat zu schicken. Dort solle man aus ihr ein gescheites und gebildetes Fräulein machen. Die Stiefmutter findet, dass es zu Hause für Ilse unmöglich sei, Benehmen zu lernen, da diese keinen Respekt vor ihr zeigt. In einem Pensionat könne man am besten Ilses Temperament kürzen und sie in eine Dame verwandeln. Herr Macket reagiert am Anfang zögernd und ist gegen den Vorschlag. Er sieht in seiner Tochter nur die positiven Eigenschaften. Ihn hat bisher die Unbekümmertheit seiner Tochter nicht gestört. Auch der Pastor der Gemeinde findet, dass ein Pensionat für Ilse genau richtig wäre. Dieser beschreibt Ilse als schwererziehbar und erklärt dem Vater, dass sie endlich den Willen und Lust am Lernen entwickeln muss, um nicht als eine langweilige und ungebildete Ehefrau für einen Mann zu enden.51
Freunde und Bekannten der Familie Macket bewerten das Verhalten von Ilse unterschiedlich. Je nachdem, ob es sich bei der Beurteilung um einen Mann oder eine Frau handelt, wird der Charakter der Protagonistin entweder als Ausdruck ihrer Individualität oder Unweiblichkeit empfunden. So zum Beispiel behauptete Herr Schäfer, dass „die Kleine (…) Temperament [habe] und [dass] es schade [sei], dass sie kein Junge sei. Seine Frau vermochte ihm jedoch nicht beizustimmen, sie fand das wilde Mädchen geradezu entsetzlich“.52
Herr Macket beginnt nach den Gesprächen mit seiner Frau und dem Pastor, tiefgründiger über seine Tochter und ihr wildes Verhalten nachzudenken. Er beginnt sie genauer zu beobachten und sieht nun, dass Ilse gar nicht auf seine Frau hört und die meisten Regeln missachtet. Sie verstößt gegen Anstandsregeln und macht sich nichts daraus, sich wie ein Junge zu verhalten. Ein gutes Beispiel für so ein Verhalten, ist die Beschreibung von Ilses Reitversuchen. Wie ein Junge sitzt sie auf dem Pferd und lässt die Füße an beiden Seiten locker herunterhängen. Sie schert sich nicht um ihr Kleid, man kann sogar ihre unordentlichen und bunten Strumpfe erblicken, wie auch ihre schmutzigen Lederstiefeln:
Herrn Macket fielen die Worte seiner Frau vom gestrigen Abend ein. Ilse sah in diesem Augenblick kaum wie ein Mädchen aus, eher glich sie einem wilden Buben. Wie ein richtiger Junge saß sie auf dem Pferd und ließ die Füße an beiden Seiten herunterhängen. Das kurze Kleid ließ die unordentlichen, bunten Strümpfe sehen, und die hohen plumpen Lederstiefel waren sichtlich seit Tagen nicht gereinigt. Das Mädchen bot kein anmutiges Bild.53
[...]
1 Esselborn, Karl: Interkulturelle Literaturdidaktik, in: Alois Wierlacher, Andrea Bogner (Hg.), Interkulturelle Germanistik. Handbuch, Stuttgart – Weimar 2003, S. 480.
2 Weber-Kellermann, Ingeborg: Die deutsche Familie. Versuch einer Sozialgeschichte, Frankfurt am Main 1997, S. 98-100.
3 Budde, Gunilla-Friederike: Auf dem Weg ins Bürgerleben. Kindheit und Erziehung in deutsche und englischen Bürgertum 1840-1914, Göttingen 1994, S.34.
4 Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1800-1866,Band 1, München 1983, S. 120.
5 Weber-Kellermann, Ingeborg: Die deutsche Familie. Versuch einer Sozialgeschichte, Frankfurt 1974, S. 112.
6 Georg, Dietrich: Erziehungsvorstellungen von Eltern. Ein Beitrag zur Aufklärung der subjektiven Theorie der Erziehung, Göttingen 1985, S. 88.
7 Budde, Gunilla-Friederike: Auf dem Weg ins Bürgerleben. Kindheit und Erziehung in deutsche und englischen Bürgertum 1840-1914, Göttingen, 1994, S. 116-117.
8 Ebd., S. 82-83.
9 Lisak, Agnieszka: Miłość, kobieta i małżeństwo w XIX wieku, Warszawa 2009, S. 21-23.
10 Budde, Gunilla-Friederike: Auf dem Weg ins Bürgerleben. Kindheit und Erziehung in deutsche und englischen Bürgertum 1840-1914, Göttingen 1994, S. 91.
11 Ebd.
12 Ebd., S. 113.
13 Ebd., S 123.
14 Ebd., S. 119.
15 Lisak, Agnieszka: Miłość, kobieta i małżeństwo w XIX wieku, Warszawa 2009, S. 10.
16 de Rieupeyroux, Louise: Zwyczaje towarzyskie w ważniejszych okolicznościach życia przyjęte, według dzieł francuskich spisane, Kraków 1968, S. 174.
17 Frevert, Ute: Mann und Weib, und Weib und Mann, Geschlechterdifferenzen in der Moderne, München 1995, S. 39.
18 Ebd.
19 Lisak, Agnieszka: Miłość, kobieta i małżeństwo w XIX wieku, Warszawa 2009, S. 33-36.
20 Börner, Mareike: Mädchenknospe - Spiegelkindlein: die Kindfrau im Werk Theodor Storms, Würzburg 2009, S. 48.
21 Ebd.
22 Frevert, Ute: Bürgerinnen und Bürger. Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert, Göttingen 1988, S. 98-99.
23 Górnicka-Boratyńska, Aneta: Stańmy się sobą. Cztery projekty emancypacji. Świat literacki, Kraków 2001, S. 69.
24 Hoffmanowa, Klementyna: Pamiątka po dobrej matce, Kraków 1898, S. 162.
25 Grawe, Christian: Grundlagen zum Verständnis erzählender Literatur, Berlin 1985, S. 96.
26 Lisak, Agnieszka: Miłość, kobieta i małżeństwo w XIX wieku, Warszawa 2009, S. 273-279.
27 Budde, Gunilla-Friederike: Auf dem Weg ins Bürgerleben. Kindheit und Erziehung in deutsche und englischen Bürgertum 1840-1914,, Göttingen 1994, S. 83.
28 Eiszner, Petra: Die Rolle der bürgerlichen Ehefrau und Mutter in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Wien 1992, S. 18 .
29 Perrot, Michelle: Triumph der Familie. In: Duby, Georges: Geschichte des privaten Lebens, Band 4, Frankfurt am Main 1992, S. 104.
30 Baumann, Ursula: Protestantismus und Frauenemanzipation in Deutschland, Frankfurt amMain 1992, S. 56-59.
31 Lisak, Agnieszka: Miłość, kobieta i małżeństwo w XIX wieku, Warszawa 2009, S. 208.
32 Ebd., S. 209.
33 von Kraft-Ebing, Richard: Psychopatia sexualis, Berlin 2012, S. 14.
34 Grenz, Dagmar , Zur Geschichte der Mädchenliteratur vom 18. Jahrhundert bis 1945. In: Havekost, Hermann, Mädchenbücher aus drei Jahrhunderten. Ausstellungskatalog, Oldenburg 1983, S. 24.
35 Grenz, Dagmar , Mädchenliteratur. Von den moralisch-belehrenden Schriften im 18. Jahrhundert bis zur Herausbildung der Backfischliteratur im 19. Jahrhundert. Germanistische Abhandlungen, Band 52, Stuttgart 1981, S. 214.
36 Ebd.
37 Grenz, Dagmar , Mädchenliteratur. Von den moralisch-belehrenden Schriften im 18. Jahrhundert bis zur Herausbildung der Backfischliteratur im 19. Jahrhundert. Germanistische Abhandlungen, Band 52, Stuttgart 1981, S. 216.
38 Ebd.
39 Ebd., S. 216-217.
40 Arndt, Ernst Moritz, Fragmente über Menschenbildung. In: Münch, Wilhelm/ Meisner, Heinrich (Hrsg.): Friedrich Mann’s Bibliothek Pädagogischer Klassiker. Band 42, Langensalza 1904, S. 219.
41 Arndt, Ernst Moritz, Fragmente über Menschenbildung. In: Münch, Wilhelm/ Meisner, Heinrich (Hrsg.): Friedrich Mann’s Bibliothek Pädagogischer Klassiker. Band 42, Langensalza 1904, S. 219.
42 Grenz, Dagmar , Mädchenliteratur. Von den moralisch-belehrenden Schriften im 18. Jahrhundert bis zur Herausbildung der Backfischliteratur im 19. Jahrhundert. Germanistische Abhandlungen, Band 52, Stuttgart 1981, S. 217-218.
43 Ebd.
44 Rhoden, Emmy von, Der Trotzkopf, Berlin 2015 , S. 3.
45 Ebd.
46 Ebd., S. 5.
47 Ebd., S. 5-6.
48 Rhoden, Emmy von, Der Trotzkopf, Berlin 2015, S. 9.
49 Ebd., S. 6.
50 Happel, Frieka, Der Einfluss des Vaters auf die Tochter. Zur Psychoanalyse weiblicher Identitätsbildung, Frankfurt am Main 1996, S. 239.
51 Rhoden, Emmy von, Der Trotzkopf, Berlin 2015, S. 7.
52 Ebd., S. 6.
53 Rhoden, Emmy von, Der Trotzkopf, Berlin 2015, S. 8.
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