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Bachelorarbeit, 2018
41 Seiten, Note: 1,7
1. Einführung
2 Allgemeines
2.1 Schutzgüter
3 Gesetzgebungsgeschichte & Kriminal-politische Bedeutung
4. Tatbestand des Abs. 1.. Nr. 1
4.1 Objektiver Tatbestand
4.2 Subjektiver Tatbestand
4.3 „Nicht erlaubt“ i.R.d. Rechtswidrigkeit
5. Tatbestand des Abs. 1 Nr. 2
5.1 Objektiver Tatbestand
5.2 Subjektiver Tatbestand
5.3 „Nicht erlaubt“ i.R.d. Rechtswidrigkeit
6. Tatbestand des Abs. 1.. Nr. 3
6.1 Objektiver Tatbestand
6.2 Subjektiver Tatbestand
7. Qualifikationen und Fahrlässigkeit
7.1 Abs. 2
7.2 Abs. 4
7.3 Abs. 5
8 Maßnahmen zur Beweissicherung
8.1 Einziehung
8.2 Einziehung der Fahrerlaubnis
8.3 Exkurs: Bildaufzeichnungen von Dash-Cams als Beweismittel
9 Fazit
Literaturverzeichnis
Internetquellen
Im Jahre 2017 konnten in Nordrhein-Westfalen 335 Raser, welche mit illegalen Autorennen (verbotenen Kraftfahrzeugrennen) in Verbindung stehen, ermittelt werden. 32 Verkehrsunfälle sind dabei ursächlich in Erscheinung getreten.1
Einer der medienwirksamsten Fälle in diesem Zusammenhang ereilte sich am 14. April 2015. Zwei junge Männer befuhren mit ihren hochmotorisierten Kraftfahrzeugen eine Straße im Zentrum Kölns in Richtung der Rheinterrassen. Dabei motivierten sich die beiden Kraftfahrzeugführer gegenseitig mit Konkurrenzverhalten, indem sie ihre Motoren immer wieder aufheulen ließen. Im Zuge des Rennens, welches sich über einige hundert Meter erstreckte, kam es zu einem Manöver, in dessen Folge einer der Kraftfahrzeugführer die Kontrolle über sein mit ca. 95 km/h schnell fahrendes Kraftfahrzeug verlor. Er „driftete“ unkontrolliert in einem Kurvenbereich in den Gegenverkehr und erfasste dort eine 19-jährige, fahrradfahrende Studentin mit der vollen Breitseite seines Kraftfahrzeuges. Die 19-jährige wurde in ein Krankenhaus verbracht und verstarb dort nach kurzer Zeit an der Schwere ihrer erlittenen Verletzungen. Dieser Fall landete vor Gericht und durchlief die Instanzen bis zum Bundesgerichtshof. Der BGH hat jedoch ein entsprechendes Urteil des Landgerichts Köln in dem lediglich Freiheitsstrafen zur Bewährung verhängt wurden aufgehoben und an eine andere Kammer des Landgerichts Köln zurückverwiesen. Die Täter wurden in dieser Verhandlung wegen fahrlässiger Tötung zu geringen Freiheitsstrafen verurteilt.2
Jedoch wurde nur das erste vom Landgericht Köln ausgesprochene Bewährungsurteil Medienpräsent und sorgte für Verwunderung der Bevölkerung über die milde des Urteils. Daher könnte das allgemeine Rechtsempfinden beeinträchtigt worden sein. Soll doch Strafe unter anderem in ihrem Zweck der positiven Generalprävention das Vertrauen der Gesellschaft in die Rechtsordnung stärken, ist anhand dieses Beispiels wohl eher ein gewisser Vertrauensverlust der Bevölkerung gegenüber der Justiz die logische Konsequenz. Daher mussten neue juristische Handlungsspielräume und Vorschriften geschaffen werden, um einem Vertrauensverlust in die geltende Rechtsordnung entgegenzuwirken.3 Eine dieser Neuerungen ist der § 315d Strafgesetzbuch mit dem Titel „Verbotene Kraftfahrzeugrennen“.
In dieser Arbeit sollen zum einen die politischen Aspekte mit einem Fokus auf die Gesetzgebungsgeschichte nähergebracht und zum anderen im Hauptteil dieser Arbeit die juristischen Faktoren, welche vor allem für die polizeiliche Ermittlungsarbeit wichtig sind, definiert werden.
Im zweiten Kapitel wird ein Allgemeiner Teil präsentiert.
Das dritte Kapitel befasst sich hauptsächlich mit der Gesetzgebungsgeschichte und der kriminalpolitischen Bedeutung des § 315d StGB.
Im vierten Abschnitt wird der Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 1 mit der Unterteilung in objektiven und subjektiven Tatbestand sowie dem Tatbestandsmerkmal „nicht erlaubt“ beleuchtet. Kapitel fünf und sechs befassen sich wie in Kapitel vier mit den Tatbeständen der Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3.
In Kapitel sieben werden die Qualifikationstatbestände des § 315d StGB präsentiert.
Kapitel acht befasst sich mit einigen ausgewählten polizeilichen Maßnahmen.
Am Schluss steht ein abschließendes Fazit.
Am 30.09.2017 wurden im Rahmen des Sechsundfünfzigsten Strafänderungsgesetzes mit dem Titel „Strafbarkeit nicht genehmigter Kraftfahrzeugrennen im Straßenverkehr“ erstmalig Handlungen im Kontext mit unerlaubten Kraftfahrzeugrennen unter Strafe gestellt.4
Die neu geschaffene strafrechtliche Norm im Strafgesetzbuch, § 315d StGB, trägt den schlichten, aber dennoch prägnanten Titel „Verbotene Kraftfahrzeugrennen“ und ist seit dem 13.10.2017 gültig.5
Die Vorschrift stellt ein abstraktes Gefährdungsdelikt dar. Dies sind solche Delikte, bei denen eine abstrakte Rechtsgutsgefährdung zur Erfüllung des objektiven und subjektiven Tatbestandes ausreicht. In diesem Zusammenhang stellt eine abstrakte Gefahr eine Gefahrenlage dar, welche bei ungehindertem Verlauf typischerweise zu einem Schaden für ein Rechtsgut führt.6
Mitunter nimmt § 315d Abs. 1 StGB die Form eines schlichten Tätigkeitsdeliktes an. Dabei handelt es sich im Gegensatz zu den Erfolgsdelikten um Delikte bei denen gerade die Handlung den Tatbestand erfüllt, ohne einen konkreten Erfolg herbeiführen zu müssen.7 Damit soll eine Wirkung entgegen der entstehenden Risiken, welche ein Kraftfahrzeugrennen geprägt durch hohe Geschwindigkeiten und rasanten Fahrmanövern, typischerweise mit sich bringen, erzielt werden. Es entsteht Kontrollverlust, welche im Sinne der Norm noch nicht tatsächlich eingetreten sein noch unmittelbar bevorstehen muss.8 //Unterteilt wurde Abs. 1 in drei Nummern. Nummer 1 regelt den Grundtatbestand der Veranstaltung eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens, wohingegen Nr. 2 die Teilnahme eines Kraftfahrzeugführers umfasst. Abs. 1 Nr. 3 lässt sich als Auffangtatbestand beschreiben und regelt solche Fälle, in denen ein einzelnes Kraftfahrzeug in objektiver und subjektiver Betrachtungsweise ein Kraftfahrzeugrennen nach- ahmt.9
Die Abs. 2, 4 und 5 der insgesamt fünf Absätze beinhalten Qualifikationen für die Fälle eines tatsächlichen Eintretens des Abs. 1.10 Auf die Einzelheiten und Besonderheiten der (Erfolgs-) Qualifikationstatbestände wird später genauer eingegangen.
Der Schutzbereich des § 315d StGB wird im Weiteren erläutert.
Zu den geschützten Rechtsgütern bei Verbotenen Kraftfahrzeugrennen zählen in erster Linie die Sicherheit des Straßenverkehrs sowie die körperliche Integrität der Verkehrsteilnehmer.11 Der Schutz umfasst somit Kollektiv- und Individualrechtsgüter.
Die körperliche Integrität, auch körperliche Unversehrtheit genannt, ist das Recht auf physische, als auch psychische Gesundheit und ist in Art. 2 Abs. 2 GG verankert.12 Geschützt ist somit die Gesundheit aller Verkehrsteilnehmer. Dazu zählen Radfahrer, Fahrer von Kraftfahrzeugen, Fußgänger und viele mehr. Des Weiteren zählt in diesem Zusammenhang das Eigentum der beteiligten Verkehrsteilnehmer dazu.13
Ein Überblick über die Notwendigkeit des Schutzes dieser Rechtsgüter wird im nächsten Kapitel behandelt.
Gemäß § 29 Abs. 1 StVO a.F. galt die Teilnahme an einem Kraftfahrzeugrennen als verboten und wurden gem. § 29 Abs. 1, § 49 StVO; § 24, § 25 StVG, 248 BKat mit einem Bußgeld in Höhe von 400€, zwei Punkten in der Verkehrssünderkartei und einem Fahrverbot von einem Monat geahndet. Für die Veranstaltung von Kraftfahrzeugrennen galt § 29 Abs. 2 StVO a.F. und wurde mit einem Bußgeld in Höhe von 500€ geahndet.
Im Jahr 2015 und 2016 kam es zu einigen „prominenten“ Fällen von Kraftfahrzeugrennen mit meist tödlichem Ende. Es begann eine öffentliche Diskussion über ein lückenhaftes Strafrecht, da Tötungsdelikte in diesem Bezug eine Erneuerung bedürfen. Kraftfahrzeugrennen könnten viel zu mild bestraft worden sein, nämlich als Ordnungswid- rigkeit.14
Aufgrund der vor dem 30.09.2017 geltenden Rechtslage konnten Kraftfahrzeugrennen, welche mit mindestens einer verletzten oder gar getöteten Person zur Folge hatten ausschließlich nach den §§ 222, 229 StGB bestraft werden. Eine Strafbarkeit i.S.d. §§ 211, 212 StGB ist in solchen Fällen schwer festzustellen, da zur Konkretisierung des Vorsatzes der Tötung auch ein gewisses voluntatives Element vorliegen müsse (Hemmschwellentheorie BGH). Von der objektiven Gefährlichkeit einer Handlung könne jedoch nicht immer auf den Vorsatz geschlossen werden.15 Gerade in Zweifelsfällen sei dann nach dem Grundsatz des Strafrechts „in dubio pro reo“ zugunsten des Angeklagten zu entscheiden, weil die Schwelle der Fahrlässigkeit zum bedingten Vorsatz meistens zugunsten der Täter, also der fahrlässigen Körperverletzung oder der fahrlässigen Tötung ausfiel. Ein bedingter Vorsatz, also das billigende in Kauf nehmen einer Verletzung oder Tötung eines anderen Menschen würde im Falle eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens eine Art „Selbsttötungsvorsatz“ des Täters implizieren, da dieser sich in der Regel bei der schwere eines so konstruierten Unfalles selbst (schwer) verletzen würde.16
Gewiss könnte der Eindruck erweckt werden, dass sich diese Systematik als unzureichend anfühlen könnte. Denkt man nur an Begriffe wie „Opferschutz“ oder „Strafbarkeitslücken“.
Durch ein Kraftfahrzeugrennen entstehen erhebliche Gefahren für Leib und Leben von unbeteiligten Dritten. Allein die Tatsache, dass ein Kraftfahrzeugrennen mehr als nur ein bloßer ordnungswidriger Verstoß gegen die StVO darstellt, weil die Teilnehmer sich gegenseitig „aufstacheln“ und von ihrer Umgebung ablenken, lässt als Folge nur eine Kategorisierung als eine Straftat zu. Ein bedingter Vorsatz, also ein billigendes in Kauf nehmen für Gefahren für Leib oder Leben oder bedeutende Sachwerte lässt sich indes leichter begründen.17 „Jeder Fahrer sei durch die typischen Risiken in gleicher Weise betroffen; ob er bei dem Rennen durch das Verhalten anderer Wettbewerber zu Schaden kommt oder anderen selbst einen Schaden zufügt, hinge mehr oder weniger vom Zufall ab.“18 Diese Gefahren werden wegen des Spaßfaktors und des Wettbewerbs billigend in Kauf genommen.19 Eine fahrlässige Begehungsweise mit der Folge eines Schadens für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder ein Schaden an einer fremden Sache von bedeutendem Wert gem. § 315d Abs. 2 StGB (dazu unten mehr) wird nach der Novellierung dieser Straftat mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe bestraft. Eine Bewährungsstrafe, so wie sie in einigen medienwirksamen Fällen verhängt wurde, steht im Konflikt mit dem Rechtsempfinden und wirkt sich auf die Öffentlichkeit unbefriedigend aus.20
Die Länder Nordrhein-Westfalen und Hessen haben per Gesetzesantrag (BT-Drs. 362/16) ihre Forderung nach der Einführung eines eigenen Tatbestandes zur Sanktionierung solcher Kraftfahrzeugrennen, bei denen unbeteiligte Dritte verletzt oder getötet werden, eingereicht. In BT-Drs. 18/10145 wurde durch den Bundesrat ein entsprechender Entwurf editiert und im weiteren Verlauf am 28.06.2017 als Beschlussempfehlung abgegeben. Sodann wurde die neu geschaffene Norm zum 13.10.2017 endgültig verabschiedet.21
Die Tatbestandsmerkmale werden in den nächsten Kapiteln genauer betrachtet.
Wie auch bei so gut wie allen anderen Straftatbeständen erfordert § 315d Abs. 1 ff. StGB einen objektiven und einen subjektiven Tatbestand. Zudem wird noch der Punkt „nicht erlaubt“, welcher einen Rechtfertigungsgrund darstellen kann, dargestellt.
Im Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 1 StGB ist objektiv zunächst das Vorliegen von öffentlichem Verkehrsraum gefordert. Im Normtext ist dies durch den Begriff „Straßenverkehr“ beschrieben. Dabei wird jede Art des Fortbewegens im fließenden und ruhenden Verkehr umfasst. Nicht mitumfasst sind Arten der Fortbewegung im Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr.22
Öffentlicher Verkehrsraum sind alle Straßen, Wege und Plätze, die jedermann oder allgemein bestimmten Gruppen von Verkehrsteilnehmern dauernd oder vorübergehend zu Benutzung offenstehen. Es weder auf die Eigentumsverhältnisse an, noch auf eine tatsächliche Nutzungsmöglichkeit der jeweiligen Verkehrsfläche.23 In einer negativen Betrachtungsweise bedeutet das, dass Verkehrsflächen, welche nur einem bestimmbaren Personenkreis offensteht und dies auch äußerlich erkennbar gemacht wurde, nicht zum öffentlichen Verkehrsraum zählen.24 Eine öffentliche, gewidmete Verkehrsfläche fällt auch dann unter den Begriff des öffentlichen Verkehrsraumes, wenn einer der in Abs. 1 genannten Subjekte die Straße zwecks Durchführung oder Teilnahme eines Verbotenen Kraftfahrzeugrennens sperrt.25 Zudem hat das OLG Hamm festgelegt, dass private Verkehrsflächen, wie z.B. Parkplätze genauestens auf Berechtigung zum Verkehr für jedermann ausdrücklich oder stillschweigend zur Verfügung gestellt wurden.26
Ein Fokus der polizeilichen Ermittlungsarbeit liegt also darauf, die genauen Gegebenheiten der Tatörtlichkeit festzuhalten und ggf. Rück- sprache mit Eigentümern von Verkehrsflächen zu halten, um o.g. Feststellungen bezüglich des öffentlichen Verkehrsraumes treffen zu können.
Das folgende objektive Tatbestandsmerkmal des Abs. 1 Nr. 1 ist das Vorliegen eines Kraftfahrzeugrennens.
Nach § 29 Abs. 1 VwV-StVO a.F. sind Rennen Wettbewerbe oder Teile eines Wettbewerbes (z.B. Sonderprüfung mit Renncharakter) sowie Veranstaltungen zur Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten oder höchsten Durchschnittsgeschwindigkeiten mit Kraftfahrzeugen (z.B. Rekordversuch). Auf die Art des Starts (gemeinsamer Start, Gruppen- oder Einzelstart) kommt es nicht an. Diese Legaldefinition findet ihre Gültigkeit auch in den einschlägigen Gesetzesentwürfen des Deutschen Bundesrates.
Bei der Ausrichtung eines solchen Wettbewerbes oder einer Veranstaltung ohne ein gewisses Rennattribut läge ein Rennen nicht vor, selbst wenn eine überdurchschnittliche Straßennutzung in Anspruch genommen wird, ohne jedoch signifikante Geschwindigkeiten zu errei- chen.27
Eine andere Ansicht dazu lässt sich in BT-Drs. 362/1/16, 12 finden: „Als Kraftfahrzeugrennen werden dabei nicht nur Geschwindigkeitsrennen erfasst, sondern auch Geschicklichkeits-, Zuverlässigkeits-, Leistungsprüfungs- und Orientierungsfahrten. Hervorzuheben ist, dass das erhöhte Gefahrenpotential bei der Vornahme eines illegalen Straßenrennens nicht nur durch die erzielte Höchstgeschwindigkeit geprägt ist, sondern - insbes. im innerstädtischen Bereich - auch durch eine möglichst rücksichtslose, riskante und risikoreiche Fahrweise (zB sog. ,Wheelies‘, ,Stoppies‘ oder ,Donuts‘) dieser weiteren Arten von Kraftfahrzeugrennen.“28
Durch diese anderweitige Perspektive werden weitergehende Ermittlungsansätze für Strafverfolgungsbehörden geschaffen. Dies stellt einen immensen Vorteil in der Ermittlungsarbeit dar.
Um den Tatbestand des § 315d StGB zu erfüllen sei es nicht erforderlich, dass aus dem Rennen einer der Teilnehmer als Gewinner hervorgeht. So sei die Ausrichtung oder Durchführung des Rennens als solches die „Vollendung“ der Strafbarkeit.29
Durch die Einführung der aus § 315c StGB bekannten Tatbestandsmerkmale „grob verkehrswidrig“ und „rücksichtslos“ sei zudem noch einmal klargestellt worden, dass die Charakteristiken eines Rennens an sich eine Strafbarkeit nach sich ziehen müssen. So sei durch ein Rennen an sich ein eigensinniges Verhalten gegeben, da der Drang nach Geschwindigkeit und Wettbewerb zumeist größer sei, als der Gedanke an die allgemeine Verkehrssicherheit. Die Ausnahme stelle der unwahrscheinliche und vor allem unrealistische Fall dar, dass ein Teilnehmer eines Kraftfahrzeugrennens sich an alle Verkehrsregeln hält. In diesen Fällen müsse eine teleologische Reduktion stattfinden, da der Vorsatz darauf vor einer anderen Person zu fahren und sich dabei an die Verkehrsregeln zu halten nicht strafbar sein könne.30
Als weiteres Tatbestandsmerkmal ist der Begriff des Kraftfahrzeuges zu klären. Nach § 1 Abs. 2 StVG ist ein Kraftfahrzeug ein Landfahrzeug, welches durch Maschinenkraft bewegt werden kann, ohne an Bahngleise gebunden zu sein.
Davon abzugrenzen sind gem. § 1 Abs. 3 StVG Landfahrzeuge, die durch Muskelkraft fortbewegt werden und mit einem elektromotorischen Hilfsantrieb mit einer Nennleistung von höchstens 0,25 kW ausgestattet sind. So sind Missverständnisse in Bezug auf Elektrofahrräder ausgeschlossen.31
Es sind insbesondere nur Personenkraftwagen, Krafträder und Lastkraftwagen umfasst.32
Im Tathandlungskomplex gibt es weitere Begriffe, welche es zu erläutern gilt.
Ein Kraftfahrzeugrennen muss mit einem Kraftfahrzeug laut Normtext des § 315 Abs. 1 Nr. 1 StGB ausgerichtet oder durchgeführt werden. Demnach ist zu klären, wie diese Begriffe definiert sind.
„Ausrichter eines Rennens ist, wer als geistiger und praktischer Urheber, Planer und Veranlasser die Veranstaltung in ihrem äußeren Rahmen vorbereitet, organisiert und eigenverantwortlich ins Werk setzt.“33 Der Unterschied zur der ersten von zwei Alternativen des Abs. 1 Nr. 1 namentlich „Durchführung“ liegt also in der Vortatphase. Beim „ausrichten“ müssen Vorbereitungshandlungen stattfinden. Dies kann auch im Hintergrund geschehen. Der Organisator muss ebenfalls am eigentlichen Renngeschehen nicht teilnehmen.34
Um eine Vollendung des Abs. 1 Nr. 1 zu realisieren reicht die reine Vorbereitungshandlung nicht aus. Es muss sich ein konkretes Renngeschehen ablichten.35 Die Schwelle zum „jetzt geht es los“ muss deutlich überschritten werden und ein Rennen muss in der Praxis kurz bevor stehen.
Der Begriff „ausrichten“ ist nicht ganz ohne Bedacht gewählt worden. Die vorherige Fassung in § 29 StVO bediente sich dem Begriff „veranstaltet“. Dieser Begriff lässt eine Versuchsstrafbarkeit dem Wortlaut nach nur schwer zu.36
In der Praxis erscheinen diese Versuchsstrafbarkeiten als kaum realisierbar. Vorstellbar wären Fälle, in denen über soziale Medien eine Veranstaltung zu einem Rennen mit konkreten zeitlichen und örtlichen Angaben erstellt werden. Eine Strafbarkeit wäre in diesem Fall erforderlich. Im Rahmen der Strafverfolgung müsste ansonsten auf die Durchführung des Rennens gewartet werden. Insofern ist eine Versuchsstrafbarkeit, wie sie in Abs. 3 geschaffen wurde, sinnvoll, um Strafbarkeitslücken vorzubeugen.37
Die zweite Alternative des Abs. 1 Nr. 1 ist das „durchführen“ eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens.
Im Gegensatz zu der ersten Alternative „ausrichtet“ kommt es bei der Verwirklichung dieser Alternative des Tatbestandes nur darauf an, dass ein Fahrer an einem bereits ohne seine Mithilfe organisierten Rennens teilnimmt. Die Strafbarkeitsschwelle liegt also in der eigentlichen Haupttatphase, genauer in dem Rennen an sich.38 Das Tatbestandsmerkmal „Durchführen“ schließt eine Lücke, wonach auf ein bei einem Kraftfahrzeugrennen Anwesender eine Straftat i.S.d. Abs. 1 Nr. 2 begehen könne.39 Dies ist eine Kernaussage, welche das Tatbestandsmerkmal „durchführt“ auf den Punkt umfasst.
Die polizeiliche Ermittlungsarbeit in punkto „Durchführung“ eines Kraftfahrzeugrennens dürfte in der Praxis keine besonderen Schwierigkeiten ergeben. Die Tatsache, dass ein Rennen stattfindet und es mindestens einen Teilnehmer geben muss, kann für klare Ermittlungsrichtungen bezüglich Verdächtigen oder Beschuldigten sorgen.
Es muss jedoch noch die subjektive Komponente einer Strafbarkeit erläutert werden.
Nach § 15 StGB ist nur vorsätzliches Handeln strafbar, wenn das Gesetz nicht fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht.
Laut Rechtsprechung sind alle Grade des Vorsatzes i.S.d. § 15 StGB aufgenommen worden. Das bedeutet, dass bedingter Vorsatz, auch dolus eventualis genannt, mit Bezug auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale ausreicht.40
Dolus eventualis liegt vor, wenn der Täter den Taterfolg ernsthaft für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat.41
In der Praxis könnten Indizien zur Bekräftigung eines vorliegenden Vorsatzes bereits gezeichnete Start- und Ziellinien sowie Fahrverhaltensweisen der Teilnehmer des Kraftfahrzeugrennens. Typischerweise würden dazu rasante Anfahrmanöver, unübliche Fahrbahnbenutzung und sonstige, immer wiederholende Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung zählen.42
Als Zusatzinformation hat der BGH in seiner Pressemitteilung Nr. 45/2018 vom 01.03.2018 veröffentlicht, dass das Verabreden zu einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen allein nicht für den Verdacht eines Totschlages in Mittäterschaft ausreicht.43
Ein weiteres Tatbestandsmerkmal, welches geprüft werden muss, ist der Begriff „nicht erlaubt“. Dieses Merkmal ist im Rahmen der Rechtswidrigkeit zu prüfen.
Es gibt Kraftfahrzeugrennen, welche nach einer erteilten Genehmigung nicht zu den unter Strafe gestellten Varianten des § 315d StGB und damit zu den verbotenen Kraftfahrzeugrennen gehören.
Nach § 29 Abs. 2 StVO bedürfen Veranstaltungen, für die Straßen mehr als verkehrsüblich in Anspruch genommen werden, darunter insbesondere Kraftfahrzeugrennen, der Erlaubnis. Es handelt sich bei dieser Vorschrift um ein sogenanntes „repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt“44:
Genehmigungen der Erlaubnis können gem. § 46 Abs. 2 Satz 1 StVO mittels einer Ermessensentscheidung der zuständigen Behörde eingeholt werden. Es gibt bei der Prüfung der o.g. Norm kein zu prüfendes objektives Tatbestandsmerkmal. Es werden vor allem Interesses des öffentlichen und privaten Bereiches gegeneinander abgewogen.45 Vor der Ermessensentscheidung ist zu prüfen, ob ein besonderer Ausnahmefall vorliegt.46
Maßgeblich für einen Rechtfertigungsgrund und damit einer Strafausschließung des § 315d StGB ist somit das Vorliegen einer Ausnahmegenehmigung. Diese muss selbst nicht rechtmäßig sein.47
Es kommt zudem ein Erlaubnistatbestandsirrtum bezüglich einer solchen Genehmigung in Betracht.48 Ein Erlaubnistatbestandsirrtum, auch Erlaubnistatumstandsirrtum genannt, stellt einen Rechtfertigungsgrund dar. Ein solches liegt vor, wenn der Täter um die Erfüllung des Tatbestandes weiß, aber in dem Glauben ist, dass sein Handeln gerechtfertigt ist. Im Falle des Erlaubnistatbestandsirrtums liegt eine „Fehlvorstellung“ über den tatsächliches Stand des Rechtfertigungsgrundes vor.49
Es könnte in der Praxis insbesondere auf die Prüfung einer solch vermeintlich vorliegenden Genehmigung ankommen. Im Zweifel an der Richtigkeit könnte der Verdächtige als Beschuldigter behandelt werden, bis der Sachverhalt, insbesondere mit Bezug zu einem mutmaßlich vorliegenden Rechtfertigungsgrund, geklärt sein könnte.
§ 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB stellt unter Strafe, wer im Straßenverkehr als Kraftfahrzeugführer an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen teilnimmt. Es kristallisieren sich zwei objektive Tatbestandsmerkmale heraus. Die wären zum einen der Begriff „Teilnahme“ an einem Kraftfahrzeugrennen und zum anderen der Begriff des „Kraftfahrzeugführers“. Nach der Prüfung des objektiven Tatbestandes gilt es wie bei Nr.1 den subjektiven Tatbestand sowie den möglichen Rechtfertigungsgrund „nicht erlaubt“ zu erläutern und zu prüfen.
Die Tathandlung des § 315d Abs. 1 Nr. 2 ist das „Teilnehmen“ an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen. Zu den Ausführungen des Begriffes „Kraftfahrzeugrennen“ wird nach oben verwiesen.
[...]
1 Mirko Wolf 2018
2 BGH, Urteil vom 06. Juli 2017 - 4 StR 415/16 -, juris
3 Kölner Raser. (2018, 12. März). Abgerufen 5. Mai, 2018, von https://www.welt.de/vermischtes/article174485101/Prozess-gegen-Raser-wegen-il- legaler-Autorennen-in-Koeln.html
4 vgl. Freymann und Wellner 2016, Rn. 1
5 vgl. Freymann und Wellner 2016, Rn. 1
6 vgl. Nimtz 2014, Bd. 1 S. 53
7 vgl. Nimtz 2014, Bd. 1 S. 53
8 vgl. BeckOK StGB: § 315d 2017, Rn. 1
9 vgl. Freymann und Wellner 2016, Rn. 1
10 vgl. BeckOK StGB: § 315d 2017, Rn. 2
11 vgl. BeckOK StGB: § 315d 2017, Rn. 7
12 Körperliche Unversehrtheit: Definition, Grundgesetz, Grundrecht & Einschränkung. (o.D.). Abgerufen 5. Mai, 2018, von https://www.ju- raforum.de/lexikon/koerperliche-unversehrtheit
13 vgl. BeckOK StGB: § 315d 2017, Rn. 7
14 vgl. Mitsch 2017, S. 70
15 vgl. Verrel NStZ 2004, 309
16 vgl. Mitsch 2017, S. 70
17 vgl. BeckOK StGB: § 315d 2017, Rn. 4
18 BeckOK StGB: § 315d 2017, Rn. 4.1
19 vgl. BGHZ 154, 316
20 vgl. BeckOK StGB: § 315d 2017, Rn. 5.3
21 vgl. BeckOK StGB: § 315d 2017, Rn. 6
22 vgl. Freymann und Wellner 2016, Rn. 16
23 BGHSt 16, 7
24 vgl. BeckOK StGB: § 315d 2017, Rn. 10
25 Zieschang JA 2016, 721
26 BeckOK StGB: § 315d 2017, Rn. 10
27 vgl. BeckOK StGB: § 315d 2017, Rn. 11
28 BT-Drs. 362/1/16, 12
29 vgl. BeckOK StGB: § 315d 2017, Rn. 13.6
30 vgl. BeckOK StGB: § 315d 2017, Rn. 14
31 vgl. BeckOK StGB: § 315d 2017, Rn. 15
32 vgl. Freymann und Wellner 2016, Rn. 22
33 BeckOK StGB: § 315d 2017, Rn. 16
34 vgl. BeckOK StGB: § 315d 2017, Rn. 16
35 vgl. BeckOK StGB: § 315d 2017, Rn. 16.1
36 vgl. BeckOK StGB: § 315d 2017, Rn. 16.1
37 vgl. BeckOK StGB: § 315d 2017, Rn. 16.3
38 vgl. Freymann und Wellner 2016, Rn. 34, 35
39 BeckOK StGB: § 315d 2017, Rn. 17
40 vgl. BeckOK StGB: § 315d 2017, Rn. 18
41 Nimtz 2014, S. 63
42 vgl. BeckOK StGB: § 315d 2017, Rn. 18
43 vgl. Freymann und Wellner 2016, Rn. 49.1
44 vgl. BeckOK StGB: § 315d 2017, Rn. 20
45 vgl. NZV 1997, 372, 11 m.w.N.
46 vgl. NZV 1997, 372, 13 m.w.N.
47 vgl. Zieschang JA 2016, 721 (724) 2016
48 vgl. BeckOK StGB: § 315d 2017, Rn. 23
49 vgl. Nimtz 2014, S. 165