Bachelorarbeit, 2018
45 Seiten, Note: 1.3
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Relevanz des Themas
3. Forschungsstand
4. Definitionserklärung
5. Theoretische Ansätze zur Friedenskonsolidierung
6. Forschungsdesign
7. KonzeptionelleRahmenbedingungen
8. EU-UkraineBeziehungen
9 Ukraine Kontext
9.1. „Euromaidan“ und Gründe für den Ausbruch der Krise
9.2. Konflikt in der Ost-Ukraine - Phasen und Akteure im Überblick
9.3. DieNotwendigkeitderReformen
10. EUMaßnahmenzurKonfliktbeilegunginderUkraine
11. Schlussfolgerung
Literaturverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Europäische Union (EU) strebt danach, eine wichtige Rolle als Krisenvermittler bei den Konfliktlösungen weltweit einzunehmen, die in den Kerndokumenten der Union festgelegt wurden. Die Europäische Gemeinschaft wurde seit ihrer Entstehung als der Prototyp der Verwirklichung des liberalen Friedenskonzepts angesehen (Haas, 1961; Doyle & Sambanis, 2006). Die Sicherheit der europäischen Länder und Bürger ist eine der grundlegenden Imperative der EU und dies fordert von Brüssel mehr strategisches und geopolitisches Handeln. In Anbetracht der ungelösten Konflikte als Hauptursachen von Bedrohungen und Instabilität hat die EU seit fast einem Vierteljahrhundert eine institutionelle und instrumentelle Grundlage für Konfliktbewältigung und die Verhütung neuer Konfliktsituationen entwickelt. Konflikttransformation im Sinne einer institutionalisierten regionalen Zusammenarbeit und Kooperation war eine eigenständige europäische Idee (Diez & Tocci, 2017, S. 249) mit dem Ziel, einen „Ring“ eng verbundener stabiler „Freunde“ an den Grenzen der EU zu haben (Prodi, 2002). Tatsächlich gibt es mehrere Forschungsstudien über Integrationsbemühungen der EU, die belegen, dass die EU in der Lage ist, ihre Nachbarn durch Integration positiv zu beeinflussen und Konflikte in ihrer Nachbarschaft zu transformieren bzw. beizulegen (Gromes, 2009). Durch die Regionalisierung werden Konfliktparteien in den allermeisten Fällen dazu gebracht, Streitigkeiten über institutionelle Kanäle zu bewältigen und so deren akutesten Manifestationen zu verbreiten oder zu beseitigen, um den Konflikt vollständig überwinden oder transformieren zu können. Mit ihrer umfassenden Erfahrung in der regionalen Integration im Rahmen der Europäisierung bietet die EU einen vielversprechenden Weg zu einem erfolgreichen Konfliktmanager.
Trotz einer beträchtlichen Anzahl von Dokumenten, Instrumenten und Mechanismen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ist die EU aber nicht zu einem effektiven Manager bei der Krisen- und Konfliktlösung geworden (Wolff & Whitman, 2012, S. 253). Dennoch ist die Nutzung des Potenzials der EU für die Ukraine äußerst wichtig. Angesichts der einzigartigen Transformationskräfte der EU in der Ukraine können die EU-Instrumente im Bereich der Konfliktverhütung generell zu einem bedeutenden Ergebnis führen, wenn die EU bereit ist, die notwendigen Ressourcen vollständig zu nutzen und bereitzustellen (Litra, Medynskyi, & Zarembo, 2017). Politische und wirtschaftliche Unterstützung von Brüssel wird dazu beitragen, eine sozioökonomische Plattform für die Lösung der Konflikte und die Stabilisierung der Situation in der Ukraine zu schaffen. Der theoretische Rahmen dieser Arbeit basiert auf einem Konflikttransformationsansatz und soll zu dem wenig erforschten Thema der Evaluation der Wirksamkeit der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) am Beispiel der Ukraine beitragen. Aufbauend auf den aktuellen Fallstudien auf dem Gebiet des ukrainischen bewaffneten Konflikts in von Wolff und Whitman (2012) zum Verständnis der Wirksamkeit der GSVP entwickelten theoretischen Rahmenbedingungen, analysiert diese Arbeit zwei Missionen in der Ukraine: eine eigene GSVP (EU-Beratungsmission) und eine „hybride“ Mission (EU- Grenzschutzmission). Außerdem versucht diese Arbeit, den Kontext der Ukraine-Krise zu analysieren, um herauszufinden, inwieweit die EU Maßnahmen zur Transformation des ukrainischen Konflikts beigetragen haben.
„In Europa, haben die gewalttätigenAuseinandersetzungen in der Ostukraine und die russischeAnnexion derKrim 2014 die Grundfesten der europäischen Friedensordnung seit 1945 in Frage gestellt“ (Bundesregierung, 2018, S. 12).
Die „ukrainische Frage“ ist wieder im Spannungsfeld der europäischen Diplomatie (Milow, 2002). Die Verschärfung des bewaffneten Konflikts auf dem europäischen Kontinent ist eine Herausforderung sowohl für die Länder, die an der Lösung des ukrainischen Konflikts beteiligt sind, als auch für die internationalen Institutionen. Die Ukraine ist seit 1991 ein unabhängiges Land, dessen territoriale Integrität und staatliche Souveränität von den Vereinigten Staaten, Frankreich, Großbritannien und der Russischen Föderation garantiert wurde (Budapest Memorandum, 1994). Infolge der russischen Annexion der Krim und der „bis dato andauernden politischen, wirtschaftlichen und militärischen Unterstützung der prorussischen Separatisten im Osten der Ukraine“ (Puglierin, 2018) wurde das System der internationalen Verträge des Sicherheitssystems der Nachkriegszeit verletzt. Sowohl das Problem der unerkannten Territorien - Transistrien, Abchasien, Südossetien, Donetzk und Lugansk - die so genannte „Novorossija“, als auch Trennungslinien in der EU selbst sind seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise sichtbarer geworden. Die Positionierung der Länder zur ukrainischen Frage hat die Welt in zwei entgegengesetzte Gruppen geteilt: Russland und der Westen, die wieder eine militärische Rhetorik verwenden. Der ukrainische Konflikt ist ein Präzedenzfall der „hybriden Kriegsführung“ (Tamminga, 2015), der seine „brandgefährliche“ vernichtende Wirkung bestätigt hat (Ehrhart, 2015). Der oben genannte ukrainische Präzedenzfall kann als eine spezielle Operation zur Zerstörung der Staatlichkeit repliziert werden, in der die Unordnung durch die Eskalation interner politischer und wirtschaftlicher Widersprüche - Länder, Regionen, internationale Blöcke - erfolgt (Analytical Center, 2015). Die Korruption von Spitzenbeamten, die Abhängigkeit von systemischer Korruption in institutionell schwachen Staaten, die Diskreditierung bereits schwacher staatlicher Institutionen stellen eine potenzielle Bedrohung für den Verlust von Staatlichkeit in der Epoche der hybriden Kriegsführung dar. Die Ukraine riskiert heute, ein Platz für eine neue geopolitische Spaltung im Zentrum des Kontinents zu werden. Die weitere Eskalation des Konflikts und die Unfähigkeit der an der Konfliktverhütung beteiligten Staaten, eine politische Lösung sicherzustellen, werden die „Situation auf dem Kontinent während des Kalten Krieges“ wiederherstellen (Pradetto, 2018). Die Risiken eines groß angelegten bewaffneten Konflikts in der Region unter Beteiligung von „Atommächten“ nehmen erheblich zu. Der Konservatismus internationaler Sicherheitsinstitutionen bedroht die Sicherheit Europas und der Welt.
Bis heute ist die Rolle der EU bei der Transformation der Ukraine-Krise ein relativ neues akademisches Phänomen, was den Stand der wissenschaftlichen Literatur erheblich einschränkt. Trotzdem gibt es bereits eine wachsende Menge an Literatur über die Analyse der EU- Konfliktmanagementstrategien, die speziell die Rolle der EU während der Ukraine-Krise untersuchen. Um einen systematischen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu verschaffen und die Ukraine-Krise in einen vielfältigen Themenkomplex der wissenschaftlichen Forschung einzuordnen, werde ich die Literatur über die Rolle der EU als globaler Akteur in den Theorien der Internationalen Beziehungen in realistischen und konstruktivistischen Ansichten vorstellen.
Die Fragen der Entstehung und Entwicklung der Gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GESVP) werden von vielen Wissenschaftlern, insbesondere Tonra und Christiansen (2004), Hill, Smith und Vanhoonacker (2017) sowie Niemann und Bretherthon (2013) untersucht. Die institutionelle Grundlage der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) wird von Peterson und Shackleton (2012) ausführlich analysiert. Kupferschmidt (2007) und Kuhn (2009) widmen sich der Untersuchung des Systems des EU-Krisenmanagements durch kombinierte Anstrengungen mit zivilen und militärischen Mitteln. Gatev (2008) beschäftigt sich mit der externen Dimension der EU-Politik und ihren Auswirkungen auf die aktuellen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen den östlichen Nachbarn der Union: Russland, Ukraine und Belarus. Seine qualitativen Untersuchungen der europäischen Transformationsaktivitäten in der Ukraine belegen, dass im Hinblick auf strategische Implikationen der EU technische Aspekte der EU-Diplomatie eine wesentliche Wirkung auf die regionale Ordnung im postsowjetischen Raum haben (Gatev, 2009).
Die realistischen und liberalen Ansätze unterscheiden sich voneinander in konkreten Politikinstrumenten1, mit denen politische Entscheidungsträger in ihrem täglichen Umgang mit den Außenbeziehungen ausgestattet sind (Beriker, Conflict resolution: The missing link between liberal international relations theory and realistic practive, 2009, S. 257). Eine detaillierte Debatte über die Relevanz und den Nutzen der Theorien in den internationalen Beziehungen leisteten Raymond und Ullman (1972) für die Politikgestaltung, Walt (2005) für die Diagnose von Ereignissen, die Erklärung ihrer Ursachen und die Bewertung der Auswirkungen verschiedener politischer Richtlinien sowie Palmer und Morgan (2006), die eine Erklärung der Außenpolitik unter Verwendung einer mikroökonomischen Analogie bieten, mit einem Verweis auf einen Portfolioansatz, bei dem der Staat sowohl als Produzent als auch als Konsument zweier außenpolitischer Güter: „Change“ und „Maintenance“ dargestellt wird.
Der erste Ansatz betrachtet die EU als Akteur des Konfliktmanagements in Bezug auf die Wirkungsmechanismen. Auf internationaler Ebene beschränken sich die Wirksamkeitsstudien der Zusammenarbeit durch eingeleitete Streitbeilegungsverfahren im Allgemeinen auf eine Prüfung der substantiellen Ergebnissvariablen; Gartner und Bercovitch (2006) haben in ihrer Studie Mediationsmaßnahmen hinsichtlich der Dauerhaftigkeit von Waffenstillstandsvereinbarungen untersucht. In einer anderen Studie (Bercovitch & Schneider, Who Mediates? The Political Economy of International Conflict Management, 2000) wurde die internationale Vermittlung in Bezug auf einen von mehreren Akteuren dominierten Markt analysiert, nämlich die Bedingungen, die die Wahl der Mediatoren bestimmen. Eine etwas umfassendere Folgenabschätzung der verwendeten Mediationsinstrumente liefern Jonathan Wilkenfeld und seine Kollegen (2005) in ihrer Studie über Vermittlungsbemühungen in internationalen Krisen, in der die abhängigen Variablen im Zusammenhang mit folgenden Kriterien untersucht werden: in der Form des Ergebnisses („agreement reached“ vs. „no agreement among adversaries“) wird der positive Zusammenhang zwischen Einigung und keine Einigung dargelegt, allerdings nicht so stark wie es sich bei der Eskalation und Verringerung von Spannungen zeigt („reduction of tensions“ vs. „escalation of tentions“), zugleich hatte Mediation keinen wesentlichen Einfluss auf den Inhalt des Ergebnisses („victory“, „defeat“, „stalemate“ vs. „compromise“) sowie die Zufriedenheit der Parteien mit dem Ergebnis (Wilkenfeld, Young, Quinn, & Asal, 2005, S. 56-57).
Die Wissenschaftler, die sich trotz unterschiedlicher regionaler Schwerpunkte und Erkenntnistheorien im breiten rationalen Ansatz einordnen lassen, konzentrieren sich auf die aktive Rolle der EU im Konfliktmanagement, die besonders durch zwischenstaatliche Beziehungen geprägt ist (Wagner, 2003). Sie betrachten die EU als einen rationalen Akteur, der daran interessiert ist, den Frieden in der eigenen Nachbarschaft sowie im Ausland zu sichern. Die Förderung von Wohlstand, Stabilität und Zusammenarbeit an den EU-Grenzen liegt im stärksten Eigeninteresse der EU, indem „Sicherheit zu den Nachbarschaftsländern exportiert wird, anstatt Unsicherheit von ihnen zu importieren“ (Wallace, 2003, S. 18). Dieser Ansatz verweistjedoch auf Mängel in der Effizienz der EU-Außenpolitik. Rationalistische Kritiker der EU-Außenpolitik behaupten, dass die EU-Mitglieder im Allgemeinen ihre eigenen nationalen Interessen vor eine gemeinsame EU-Außenpolitik stellen (Smith, 2008). Als Folge einer unsicheren US-Außenpolitik in Zeiten der Unipolarität sehen Jünemann und Schörnig (2002) das Hauptziel der ESVP im Ausbau ihrer zivilen sowie militärischen Handlungsfähigkeiten, um die Konflikte „vor der eigenen Haustür“ autonom und unabhängig von der NATO zu bewältigen.
Die zweite Auffassung der EU in ihrem auswärtigen Handeln ist der konstruktivistische Ansatz, bei dem Wissenschaftler explizit Prinzipien und Werte in der Außenpolitikbetrachtung einbeziehen. Die wichtigste konstruktivistische Annahme hinsichtlich europäischer Außenpolitik ist, dass die EU über ihre Normen Einfluss auf andere politische Akteure in internationalen Beziehungen, auf ihre eigene Identität sowie auf ihr Verhalten nimmt (Diez & Manners, Reflecting on normative power Europe, 2007). Zu den häufig genannten Normen, die die EU-Identität ausmachen, gehören langfristiger Frieden, persönliche Freiheit und Sicherheit, Einhaltung der Menschenrechte sowie Herrschaft der Demokratie, die auf mehreren EU-Verträgen und Dokumenten beruhen (Manners, 2002, S. 242). Das Konzept der EU als "Zivilmacht" wurde von Francois Duchene (1972, S. 43) vorgeschlagen, mit dem Argument, dass die EU sich nicht als militärische Macht entwickeln muss, um eine Weltmacht zu sein, sondern dass ihre wirtschaftliche Macht und Attraktivität für andere Staaten, insbesondere auf dem europäischen Kontinent, die Notwendigkeit einer militärischen Superpriorität verringere. Neben zivilen oder militärischen Konzepten sollte die EU laut Ian Manners als normative Macht angesehen werden, die nicht nur auf einer normativen Grundlage aufgebaut ist, sondern vor allem dadurch prädisponiert, dass die EU normativ in der Weltpolitik agiert (2002, S. 252). Im Hinblick aufKonfliktmanagement wirkt die Selbstdarstellung der EU als „forceforgood“, die „die EU-Akteure kontinuierlich validieren, produzieren und reproduzieren“ (Pace, 2008), auf die Konfliktparteien insbesondere in ihrer Nachbarschaft durch Assoziierung und Integration. Albert, Diez und Stetter (2008) argumentieren in ihrer Studie über transformative Kraft der Integration in Grenzkonflikten, dass die EU aktiv oder passiv zur Konfliktlösung beitragen könne. Das Konzept der zivilen Macht in der EU erfreute sich einer regen wissenschaftlichen Debatte durch mehrere Politikwissenschaftler wir Hyde-Price (2006), Zielonka (1998) und Whitman (1998). Im Einklang damit stehen Publikationen über die Notwendigkeit, „eine militärisch handlungsfähige ESVP zu entwickeln“, die schon „seit der Balkan-Krise im Mittelpunkt des integrationspolitischen Diskurses“ steht, wobei die „zivile Dimension zunehmend in den Hintergrund rückt“ (Jünemann & Schörnig, 2002, S. 16). Im Vordergrund stehen allerdings die Förderung eines wirksamen internationalen Überwachungsmechanismus, umfassender Informationsaustausch und soziales Lernen (Tocci, 2008), einschließlich des Prinzips der Verantwortung für den Schutz (Responsibility to Protect) der EU, was darauf hindeutet, dass „normative Maßnahmen nicht unbedingt eine militärische Intervention bei der Transformation von Grenzkonflikten ausschließen“ (Davis, 2014, S. 14), dabei wird der konstruktivistische Ansatz noch stärker in den akademischen Diskurs gestellt.
Der Begriff „Konflikte“ ist nicht eindeutig und wird oft in unterschiedlichen Zusammenhängen getroffen. Konflikte „als soziale Phänomene“ sind ein notwendiger und oft unvermeidbarer Bestandteil des Zusammenlebens in allen Gesellschaften (Austin, Giessmann, Jäger, & Romund, 2012, S. 23). Sie sind Ausdruck von unterschiedlichen Wertvorstellungen, Interessengegensätzen und daraus resultierenden Spannungen, die für die menschliche Entwicklung und den sozialen Wandel unabdingbar sind (Galtung J. , 1976). Problematisch sind nicht die Konflikte selbst, sondern die Art und Weise ihrer Austragung. Zu Krisen bzw. Gewaltkonflikten kommt es, wenn bestehende Konflikte eskaliert sind, sodass Gewalt zum Einsatz kommt, die „zu menschlichem Leid von erheblichem Ausmaß führt und Frieden und Sicherheit akut gefährdet“ (Die Bundesregierung, 2018, S. 18). Jegliche Maßnahme, die versucht Gewalt als Austragungsform von Konflikten zu verhindern bzw. zu überwinden, dient der Prävention.
Es ist zu untersuchen, was sich unter dem Begriff „Mediation“ verbirgt, da diese heutzutage immer noch eine hohe praktische Relevanz besitzt. Bei der Mediation handelt es sich um einen friedlichen, zwangsfreien und unverbindlichen Ansatz im Konfliktmanagement, bei dem der Mediator oder eine andere unvoreingenommene Drittpartei darauf abzielt, eine für beide Seiten akzeptable Verhandlungslösung zu ermöglichen, während gleichzeitig die Kontrolle über den Inhalt der Vereinbarung behalten wird, um zu einer einvernehmlichen Vereinbarung zu gelangen (Fisher R. J., 2011, S. 159). Daher war die Mediation über viele Jahrzehnte hinweg der wichtigste und dominanteste Ansatz für die Friedenskonsolidierung, aber ab Mitte der 1990er Jahre wurde deutlich, dass die Friedenskonsolidierung zusätzliche Ansätze erforderte (Paffenholz & Spurk, 2006, S. 20).
Der Bereich der Konfliktlösung kann verwirrend sein, weil es so viele Begriffe2 gibt, die oft synonym verwendet werden, um zu beschreiben, was Konfliktlösung eigentlich ist. In dieser Arbeit wird der Begriff Konfliktlösung (conflict resolution) verwendet, um Aktivitäten zu beschreiben, die „von Gerichtsvermittlung und Schiedsverfahren über Problemlösungsworkshops und Versöhnungsarbeit bis zum Einsatz militärischer Gewalt reichen“ (Notter & Diamond, 1993). Interventionen, die darauf abzielen, die öffentliche Feindseligkeiten zu beenden, in dem für explizite bzw. sichtbare Aspekte des Konfliktes mit diplomatischen, politischen und militärischen Mitteln für eine Lösungsfindung angestrebt wird, werden als Friedensschaffung (peacemaking) genannt. Es können drei grundsätzlichen Instrumenten bei der Friedensschaffung unterschiedenen werden: Peacemaking durch Recht (z.B. durch den Internationalen Strafgerichtshof), durch Verhandlungen (oft Internationale Organisationen und Drittstaaten miteinbezogen) und durch die Erzwingung einer Einigung durch Macht und Gewalt (mittels z.B. Zwangsdiplomatie) durch externen Parteien (Schweitzer, 2009, S. 7-8). Bei dem Begriff Friedenssicherung (peacekeeping) handelt es sich im traditionellen Sinne um die „Stationierung von bewaffneten Truppen“ im Rahmen der militärischen3 Friedensmissionen, die eine „Pufferzone zwischen gegnerischen Parteien zur Durchsetzung einer Einigung wie z.B. eines vereinbarten Waffenstillstandes bilden“ (Austin, Giessmann, Jäger, & Romund, 2012, S. 31). Die erste offizielle Definition von „Friedenskonsolidierung“ wurde in dem weltbekannten Bericht4 des UNO-Generalsekretärs Boutros Boutros-Ghali „Agenda für den Frieden“ festgelegt. Gemäß dieser Definition handelt es bei der Friedenskonsolidierung (Peacebuilding) um „Maßnahmen zur Identifizierung und Unterstützung von Aktionsprogrammen, die zur Stärkung und Festigung des Friedens beitragen, um einen Rückfall in Konflikte zu bewahren“ (United Nations, 1992). Unter Maßnahmen wird „ein Konglomerat von verschiedenen Aktivitäten, die darauf ausgerichtet sind, Ursachen des gewaltsamen Konfliktes abzubauen, seinen destruktiven Folgen entgegenzuwirken und politischen Wandel herbeizuführen“ verstanden (Schweitzer, 2009, S. 9). Mit kurzfristigen Stabilisierungsmaßnahmen wird ein sicheres Umfeld für politische Prozesse (wie z.B. Festigung legitimer politischer Autoritäten) geschaffen, indem die „Friedensdividenden“ als Impulse zur Einstellung der Gewalt vorgestellt werden (Die Bundesregierung, 2018, S. 68-69). Die im Anschluss folgende langfristige Unterstützung struktureller und gesellschaftlicher Veränderungsprozesse soll die Grundlagen für nachhaltige Stabilisierung, wirtschaftliche Entwicklung und soziale Gerechtigkeit legen.
In diesem Sinne wurden die strukturellen Aspekte von Frieden zu einem integralen Bestandteil der Friedensforschungstradition (Beriker, Conflict resolution: The missing link between liberal international relations theory and realistic practive, 2009, S. 267). Im Jahr 1967 formulierte John Galtung den Friedensbegriff noch präziser und unterscheidet zwischen positivem und negativem Frieden. Die Idee von Frieden als Abwesenheit von organisierter, physischer Gewalt bezeichnet er als negativen Frieden (Galtung J. , 1967, S. 12). Zum positiven Frieden gehört außerdem die Abwesenheit von struktureller Gewalt - auch das eigentlich nicht beabsichtigte langsame, massive menschliche Leid, verursacht durch wirtschaftliche und politische Strukturen in Form von massiver Ausbeutung und massiven Repressionen (Galtung & Fischer, 2013, S. 173). Der positive Frieden herrscht in gerechten und freien Gesellschaft auf allen Ebenen, insbesondere in der Kooperation und Integration, und ermöglicht somit die wirtschaftliche und soziale Verwirklichung des Menschen (Werkner, 2017, S. 22).
Burton und Dukes haben über Konfliktlösungsprozesse Folgendes geschrieben: „Bedürfnisse und Optionen sollen untersucht und Vereinbarungen erreicht werden, die nicht nur diese Bedürfnisse befriedigen, sondern auch Veränderungen in bestehenden Systemen und Mustern bewirken können, die in erster Linie zu Konflikten führen“ (Burton & Dukes, 1990).
Im etablierten Bereich der Friedenskonsolidierung gibt es drei Denkschulen: Konfliktmanagement (The Conflict Management School), Konfliktlösung (The Conflict Resolution School) und Konflikttransformation (The Conflict Transformation School), die unterschiedliche Terminologie, Akteure und konzeptionelle Ansätze zur Mediation zwischen Konfliktparteien vorlegen (Paffenholz, 2009). In den letzten Jahren ist eine weit verbreitete Herangehensweise im Bereich der Friedens- und Konfliktforschung zu bemerken, wenn die Prozesse, die zur Konflikttransformation und solche, die zur Konfliktlösung führen sollen, im Gegensatz zueinanderstehen mit der starken Implikation, dass es große Unterschiede zwischen beiden Prozessen und ihren jeweiligen Ergebnissen gibt (Mitchell, 2002). Ziel dieses Kapitels ist es, die Unterschiede zwischen diesen Ansätzen zu klären, sowie die Vorteile bei der Wahl des Konzepts der Konflikttransformation als theoretischen Rahmen für die Untersuchung der EU- Friedensförderung in der Ukraine zu erläutern.
- Konfliktmanagement, das einen gewaltsamen Konflikt als Folge von unvermeidbaren Interessen- und Werteunterschieden versteht, versucht die Gewalt gelegentlich einzugrenzen bzw. zu „minimisieren“, so dass konstruktive Funktionen der Politik wieder aufgenommen werden (Rahim, 2002). Dieser Ansatz wurde kritisiert, weil die Ursachen von Konflikten übersehen werden, wobei Mediatoren sich eher auf die Spitzenpositionen der Konfliktparteien konzentrieren(Lederach, 1997).
- Konfliktlösung ist sowohl an strukturellen als auch an wahrnehmungsbezogenen Faktoren interessiert, die die Konfliktsysteme als subjektive Phänomene beeinflussen. Aber Konflikte können transzendiert werden, wenn es gelingt, Positionen und Interesse zu analysieren und Konfliktsituationen neu zu gestalten, in denen „für beide Seiten annehmbare kreative Lösungen erreicht werden“ (Beriker, Conflict resolution: The missing link between liberal international relations theory and realistic practive, 2009, S. 266). Mediation durch dritte Parteien hilft dabei, das Vertrauen zwischen den Parteien zu stärken, Vorurteile und Stereotypen, die problemlösende Prozesse behindern, zu überwinden. Dieser Ansatz wurde aus der Perspektive des Konfliktmanagements kritisiert, da die Verbesserung der Kommunikation und der Aufbau von Beziehungen zwischen Konfliktparteien nicht notwendigerweise zu einem Kriegsende bzw. einer Konfliktlösung führen würden (Bercovitch, 1986).
- Konflikttransformation beinhaltet Konfliktlösung und Konfliktmanagement, geht aber über diese Ansätze hinaus. Während die Konfliktlösung hauptsächlich auf die Veränderung von Einstellungen und die Verbesserung der Beziehungen zwischen Konfliktgruppen abzielt, konzentriert sich die Konflikttransformation auch darauf, den weitergehenden Kontext zu verändern (Sprecht, 2008, S. 6). Das Berghof-Handbuch definiert den Begriff Konflikttransformation als einen „komplexen Prozess, der die Beziehungen, Einstellungen, Verhaltensweisen, Interessen und Diskurse in gewaltanfälligen politischen und gesellschaftlichen Konflikten konstruktiv verändern will, indem auch die grundlegenden Strukturen, Kulturen und Institutionen berücksichtigt werden“ (Berghof Handbuch, 2012). Der oft als die tiefste Ebene der Konfliktlösung angesehene Begriff wird seit den 90er Jahren bei einer Reihe von Theoretikern, nämlich Curie (1990), Väyrynen (1991), Galtung (1995), Rupersinghe (1995), als separates Unterfangen definiert. Kriesberg unterscheidet zwischen der Konfliktlösung als unmittelbare Lösung der Probleme, die zu dem Konflikt geführt hatten, und Konflikttransformation als Methode, die „Veränderung der Beziehungen zwischen den Konfliktparteien induziert, indem das gegenseitige Verständnis verbessert wird“ (Kriesberg, 1997). Diamond definiert Konfliktlösung als Aktivitäten, die „versuchen, die zugrunde liegenden Ursachen des Konflikts zu entdecken, zu identifizieren und zu lösen“, und Konflikttransformation als Bemühungen, „die Bedingungen zu verändern, die zu den zugrunde liegenden Ursachen des Konflikts führen“. Unter anderem soll der Mediator nicht nur die internen Akteure direkt unterstützen, sondern auch die breitere friedensbildende Dimension berücksichtigen und sich auch für die Friedenskonsolidierung gegenüber anderen Akteuren wie regionalen oder internationalen Organisationen einsetzen (Pfaffenholz, Kew, & Wanis-St. John, 2006). Dieser Ansatz wurde keiner grundlegenden Kritik unterzogen und ist zur führenden Denkschule in diesem Bereich geworden (Paffenholz, 2009, S. 5).
Die meisten Theorien konzentrieren sich entweder auf die Ursachen und die Entwicklung von Konflikten oder auf die Schaffung und Erhaltung einer friedensfördernden Kapazität und versäumen es, ein ausreichendes Verständnis dafür zu entwickeln, wie die Präventivfaktoren und Ursachen von Konflikten interagieren (Miall, 2004, S. 17). Es ist allerdings möglich, den Hintergrund, der den Konfliktparteien charakterisiert, noch klarer darzustellen, indem er auf die drei Dimensionen der Konflikttransformation in Galtungs Konfliktformulierung aufgebaut ist:
- Die zugrunde liegenden Wahrnehmungen und Einstellungen von Menschen (Attitude) prägen ihr Verhalten, auch im Hinblick auf die Anwendung oder Befürwortung von Gewalt. Beispiele sind Misstrauen, Überlegenheitsgefühle (negative Beispiele) oder Vertrauen und Sicherheit (positive Beispiele).
- Der Kontext, in dem Menschen leben (Context), der die Lebensumstände von Menschen betrifft, z.B. ob Menschen gleichen Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, gleiche wirtschaftliche Chancen haben, oder ob sie im politischen System teilnehmen können. Der Kontext umfasst sowohl die Gesellschaft eines Staates als auch die weitere internationale und regionale Ebene.
- Das Verhalten (Behaviour), das Menschen annehmen, ist nicht rein reaktiv, sondern beruht auf gesellschaftliche Erinnerung (z.B. kommunistische Zeit in ehemaligen sowjetischen Staaten) und Erwartungen, die sie an die Zukunft setzen („es wird niemals in diesem Land etwas ändern“). Das Verhalten ist sowohl auf menschliche Einstellungen als auch auf den Kontext zurückzuführen ist. Beispiele sind Gewalt, Korruption (negative Beispiele) oder friedliche Koexistenz und Dialog (positive Beispiele).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Abbildung 1 impliziert, dass Verhalten, Kontext und Einstellungen miteinander eng verbunden sind, weil der Konflikttransformation diese drei Dimensionen gleichzeitig ansprechen muss (Fisher, et al., 2000). Somit wird es festgestellt, dassjede Aktion, die darauf abzielt, gewalttätiges Verhalten zu reduzieren, muss durch Maßnahmen ergänzt werden, die sowohl auf den Kontext als auch auf die Einstellungen ausgerichtet sind, wenn echter oder positiver Frieden erreicht werden soll. Der Kontext, in dem Menschen leben, beeinflussten ihre Wahrnehmung und Haltung sowie ihr Verhalten. Wie der „Whole of Society”- Ansatz andeutet, bestimmt die kontextspezifische Analyse den Erfolg von externen Eingriffen für die Schaffung von Sicherheitsumgebungen (Smits, 2017, S. 4). Eine kontextspezifische Untersuchung bestimmter Konfliktumfelder ermöglicht es, die Ursachen zu identifizieren, „warum einige Konflikte relativ einfach gelöst werden können, während andere sich als langwierig und scheinbar unlösbar erweisen“, d. h. welche Probleme angegangen werden müssen, um ein effektiveres Konfliktmanagement zu betreiben (Wolff & Whitman, 2012, S. 18).
Die Arbeit basiert auf der Analyse der vorhandenen Dokumentation aus primären und sekundären EU-Quellen (EU-Rechtsdokumente, politische Erklärungen der EU-Staats- und Regierungschefs, offizielle EU-Dokumente aus dem Europäischen Parlament, der Europäischen Kommission, dem Europäischen Rat, der Europäischen Verteidigungsagentur und dem Europäischen Auswärtigen Dienst) sowie Quellen, die die Analyse der Reaktion der EU auf die Ukraine-Krise enthalten, wie z. B. Dokumentation von Aktivitäten zur Kapazitätsentwicklung, Bewertungsberichte, Geberberichte und andere Nachweise. Diese werden sorgfältig nach ihrer Relevanz in Bezug auf Thema, Chronologie und Kontext ausgewählt. Da ich sowohl die ukrainische als auch die russische Sprache beherrsche, beschränkt sich die Auswahl der Literatur nicht nur auf englische und deutsche Meinungsansichten. Auch werde ich die spezifische ukrainische Perspektive miteinschließen, die es ermöglicht, die potentielle Gefahr einer voreingenommenen Ansicht zu eliminieren.
Die Arbeit begrenzt sich auf einen zeitlichen Rahmen zwischen 2014 seit der „Euromaidan“- Protesten und Anfang 2018, als die Ukraine ein umstrittenes Gesetz über die „Reintegration des Donbas“ angenommen und die antiterroristische Operation beendet hat. Daher möchte ich die Lücke in der modernen europäischen Konfliktforschungstheorie untersuchen, die nicht erklären kann, unter welchen Umständen europäische zivile friedensfördernde Maßnahmen zur Konflikttransformation in der Ukraine am effektivsten beitragen können.
Der Zweck dieser Arbeit besteht darin, die Rolle der EU als regionaler friedensfördernder Akteur zu untersuchen sowie die Art und Weise, wie die EU-Maßnahmen die Konflikttransformation in der Ostukraine beeinflusst haben. Im Rahmen eines x-zentrierten Forschungsdesigns, das sich auf eine bestimmte erklärende Variable fokussiert, möchte ich den kausalen Effekt einschätzen, den diese Variable auf eine bestimmte abhängige Variable ausübt (Ganghof, 2016). Dabei nehme ich an, dass die Instrumente der europäischen Außenpolitik zur Konfliktbeilegung die explanans oder unabhängige Variable darstellen. Als explanandum wird die abhängige Variable angesehen, die sich auf die Entwicklung der Konflikttransformation in der Ukraine bezieht. Infolgedessen ergibt sich die Nullhypothese: Es ist kein Einfluss der EU-Maßnahmen auf die Förderung der Konfliktlösung in der Ukraine zu erkennen. Die Alternativhypothese lautet daraus folgend, dass es einen feststellbar positiven Einfluss der von der EU finanzierten Maßnahmen zur Konfliktbeilegung in der Ukraine gibt. Im Allgemeinen nehme ich an, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen den beiden Phänomenen gibt.
Das Kongruenzverfahren ermöglicht eine Identifizierung der von der Theorie postulierten kausalen Beziehungen zwischen Anfangsbedingungen und angenommenen Ergebnissen. Wenn Kongruenz zwischen Erwartungen und Beobachtungen besteht, wird dies als Indikator dafür angesehen, dass die von der Theorie postulierten kausalen Beziehungen tatsächlich funktionieren können. Allerdings kann der mögliche kausale Zusammenhang zwischen abhängigen und unabhängigen Variablen auf andere Faktoren zurückgeführt werden. Ein statistisches Mediationsmodell schlägt vor, dass die unabhängige Variable die (nicht beobachtbare) intervenierende Variable beeinflusst, was sich wiederum auf die abhängige Variable auswirkt (MacKinnon, Cheong, & Pirlott, 2012). Diese intervenierende Variable, die sogenannte Mediatorvariable, kann die Kausalität der beobachteten Beziehung verstärken oder konterkarieren (Hicks, 2018), wobei die Identifizierung kausaler Mechanismen als Zerlegung eines totalen kausalen Effekts in direkte und indirekte Effekte formuliert werden kann (Imai, Keele, Tingley, & Yamamoto, 2011). Somit fallen bei der Betrachtung der Konflikttransformation in der Ukraine mehreren sowohl externen (Russland, die Vereinigten Staaten, UN) als auch internen (ob die neuen Vorschriften bzw. Politikempfehlungen bei der ukrainischen Regierung eingehalten werden) Einflussfaktoren ins Gewicht. Daher werden die Kongruenzergebnisse vorläufig bleiben. Bevor eine Schlussfolgerung gezogen wird, muss überprüft werden, ob andere Faktoren die Analyse verfälscht haben könnten. Im Falle einer kontextbasierten Konfliktanalyse erlaubt das Kongruenzverfahren insbesondere festzustellen, ob die Politik gut an die äußeren und internen Umstände angepasst wurde. Zu diesem Zweck wird ein konzeptioneller Rahmen benötigt, der den Einfluss der EU-Außenpolitik in der Ukraine unter besonderer Berücksichtigung der Konflikttransformation messen kann.
Seit Mitte der 1990er Jahre wurden mehrere konzeptionelle Rahmenbedingungen entwickelt, um innovative Konfliktlösungsstrategien in einer sich beschleunigt wandelnden Welt zu veranschaulichen. Militärische und nicht-militärische Ansätze sowie Entwicklungs- und Governance-Ansätze sind wichtige Konzepte, in denen unterschiedliche politische Optionen entwickelt werden. Präventive Diplomatie wird von Michael Lund (1996) als eine bestimmte Phase im Lebenszyklus eines Konflikts definiert, die unter anderem durch den Ausschluss von Zwang oder militärbezogenen Instrumenten gekennzeichnet ist. In ähnlicher Weise lieferte Bruce W. Jentleson (1996) einen Rahmen für eine Präventivdiplomatie, die hauptsächlich auf die Begrenzung oder Beendigung von Gewalt ausgerichtet sein soll. Albert (2008) hat einen Analyserahmen vorgeschlagen, die eine nachhaltige Versöhnung in Grenzkonflikten mit Fokus auf entweder politische oder gesellschaftliche Dimensionen und akteursorientierte oder integrationsgetriebene Handlungen ermöglicht. Dieser Ansatz berücksichtigt die Konditionalität der EU gegenüber ihren Nachbarpartnern als einen wichtigen Aspekt. Darüber hinaus betont er dabei den normativen Einfluss der EU-Politik in ihren Nachbarstaaten.
Ich bin der Ansicht, dass der konzeptionelle Rahmen von Whitman und Wolff (2012) in meinem Untersuchungsdesign sinnvoll angewendet werden kann. Der wichtigste Vorteil dieses Frameworks ergibt sich aus der Möglichkeit, sich auf die EU als einen der Hauptakteure innerhalb des Konfliktes zu konzentrieren und konkrete Faktoren zu nennen, die die EU-Politik bestimmten (ebd., S. 12). Indem Whitman und Wolff die Lücke zwischen den außenpolitischen Zielen der EU und dem tatsächlichen Zustand von Konflikten schließen, entwickeln sie eine schematische Analyse des EU-Verhaltens gegenüber dem Nachbarstaat auf der Grundlage von drei Mechanismen, anhand deren untersucht werden kann, inwieweit die vorhandenen Fähigkeiten zu den gewünschten Ergebnissen führen können. Unter anderem ermöglicht dies, zu verstehen, warum die EU bei spezifischen Konfliktinterventionen erfolgreich sein oder scheitern könnte. Mithilfe dieser konzeptionellen Rahmenbedingung wird in der Arbeit eine umfassende Analyse von EU-Konfliktbewältigungsfähigkeiten in der Ukraine durchgeführt. Whitman und Wolff behaupten: „Jede dritte Partei, die im Konfliktmanagement involviert ist, muss über drei Sätze relevanter Faktoren“ bzw. Fähigkeiten verfügen, um bei ihren Bemühungen Erfolg zu haben:
- Die Handlungsfähigkeit der EU (capability to ad) ist ein wichtiger Maßstab. In diesem Zusammenhang ist der politische Wille ein entscheidender Faktor für das Konfliktmanagement, während die Staats- und Regierungschefs sich darauf einigen müssen, als Mediatoren und Manager in einem Konflikt involviert zu sein sowie über ein geeignetes politisches Instrumentarium zu verfügen und in der Lage zu sein, es rechtzeitig einzusetzen. Da der Erfolg im Konfliktmanagement nicht nur von den Bemühungen der dritten Partei abhängt, ist es wichtig zu analysieren, ob sich die Durchführung einer einzelnen Konfliktbewältigungsoperation tatsächlich positiv auf den Konflikt insgesamt ausgewirkt hat.
- In Bezug auf die Finanzierungsfähigkeit (capability tofund) ist eine Bereitstellung kurz- und langfristiger Finanzierung aus EU-spezifischen und aus den Mitgliedstaaten stammenden Quellen gemeint.
- Die Fähigkeit der EU, ihre internen Entscheidungsprozesse innerhalb ihrer eigenen Organisationsstrukturen zu koordinieren (capabilty to coordinate) und ihnen Fokus und Kohärenz zu geben, wird vorausgesetzt. Die damit verbundene Fähigkeit, bei konkreten Konfliktbewältigungsoperationen auch mit anderen externen Akteuren zusammenzuarbeiten (capabilty to cooperate), stellt somit eine entscheidende Verbindung zwischen einer auf EU- Fähigkeiten ausgerichteten Analyse und einer Analyse kontextspezifischer Faktoren in Bezug auf einen bestimmten Konflikt bei der Erklärung von Erfolg oder Misserfolg bestimmterKonflikteinsätze dar (ebd., S. 10).
Die gemeinsame Analyse der EU-Maßnahmen und des Kontexts externer Konflikte bestimmt die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Konfliktmanagements. Daraus ergibt sich ein Instrument für die Beurteilung, „in welchen Situationen die Union erfolgreich sein könnte“ und „was von der EU als Konfliktmanager erwartet werden kann“ (Whitman & Wolff, 2010).
Vor diesem Hintergrund soll im Rahmen dieser Bachelorarbeit auf Basis des Ansatzes zur Konflikttransformation untersucht werden, inwieweit es der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union tatsächlich gelungen ist, deeskalierend und stabilisierend auf die Krise in der Ukraine einzuwirken? Wie effektiv war die Friedens- und Entwicklungszusammenarbeit der EU bei den Bemühungen zur langfristigen Veränderung des Konfliktkontexts? Um es konkret in dem Wortlaut der Forschungsfrage dieser Bachelorarbeit zu sagen: Inwiefern haben die Maßnahmen der zivilen Krisenbewältigung der Europäischen Union zurKonflikttransformation in der Ukraine geführt bzw. beigetragen?
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1 Während die abstrakte realistische Theorie in den Internationalen Beziehungen die unmittelbaren „konkreten Werkzeuge“ bietet, um tägliche Außenpolitik in Form von Drohung, Verpflichtung, Ultimatum, strategischer Allianz und Sanktionen auszuführen, scheint das liberale Paradigma eine andere Reihe von "abstrakten Rahmen" zu bieten, nämlich Multilateralismus, wirtschaftliche Interdependenz, relative Gewinne, sanfte Macht, demokratischer Frieden und Sicherheitsgemeinschaften, die nur in Form einer mittel- oder langfristigen Politik umgesetzt werden können (Beriker, 2009).
2 z.B. solche Begriffe wie Konfliktmanagement (conflict management), Konfliktlösung (conflict settlement), Konfliktbeendigung (conflict termination), Konfliktminimierung (conflict mitigation), Konfliktverbesserung (conflict amelioration) und Streitbeilegung (dispute resolution)
3 „Als Gegenkonzept zu militärischer Friedenssicherung werden auch unbewaffnete bzw. zivile Peacekeeping- Einsätze praktiziert, indem zivilgesellschaftliche Organisationen als Beobachter Waffenstillstände überwachen oder Schutzbegleitung anbieten“ (Austin, Giessmann, Jäger, & Romund, 2012, S. 31).
4 UN Secretary General (1992): An Agenda for Peace: Preventive Diplomacy, Peacemaking and Peacekeeping”, available under: < http://www.un-documents.net/a47-277.htm> August 2018.
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