Masterarbeit, 2018
99 Seiten, Note: 2,1
1. Einleitung
2. Forschungsstand zur interkulturellen Jugendbegegnung
3. Aktualität und Relevanz des Themas
4. Internationale Jugendbegegnung als institutionelles Handlungsfeld
4.1 Definition einer funktional-pragmatischen Institution
4.2 Kommunikation in Institutionen
4.3 Einordnung des Eurocamps als Institution
4.4 Interkulturelle Kommunikation in Institutionen
5. Methodische Verfahrensweisen
5.1 Funktional-pragmatische Diskursanalyse als Methodik
5.2 Arbeitsablauf der Diskursanalyse
6. Empirische Datenerhebung
6.1 Zugang zum Feld
6.2 Beschreibung des Feldes
6.3 Beschreibung der Teilnehmergruppe
6.4 Diskursaufzeichnungen zur Datenerhebung
6.5 Beobachtungen, Tagebücher und informelle Gespräche
7. Korpusanalyse
7.1 Sprachwechsel und Sprachmischungen
7.2 Gesprächspartizipation
7.3 Konfliktvermeidung
7.4 Kommunikationserfolge
7.5 Erkenntnisse aus Beobachtungen und Tagebüchern
7.6 Zusammenfassung der Korpusanalyse
8. Evaluation des Eurocamps
8.1 Motivationsschreiben als Teil des Bewerbungsprozesses
8.2 Interkulturelle Training, Simulationen und Aktivitäten
8.2.1 Simulationsspiel Bafa Bafa
8.2.2 Aktivitäten zum Kennenlernen und zur Kommunikationsförderung
9. Resümee
Literaturverzeichnis
Abbildungs- und Transkriptverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Anhang: Persönlicher Fragebogen
Anhang: Arbeitsanweisung Tagebuch
Anhang: Mustervorlage Tagebuch
Anhang: Aktivität „Abigale“ - Kurzgeschichte
Die vorliegende Masterarbeit thematisiert die interkulturelle Kommuni-kation in internationalen Jugendbegegnungsmaßnahmen. Hierfür wurde exemplarisch das Eurocamp 2017 in Formigine, initiiert durch den Städteverbund Verden (Aller) und Havelberg (Deutschland), Warwick (England), Saumur (Frankreich) und Formigine (Italien), untersucht. Grundlage der Analyse ist eine Diskursanalyse des vor Ort aufgenommen Datenmaterials in Zusammenhang mit weiterführenden empirischen Metho-diken. Ziel der Arbeit war es, eine Evaluation über Potenziale und Grenzen des Eurocamps vorzunehmen und gleichzeitig geeignete Vor-schläge zur Verbesserung zu unterbreiten.
Die theoretische Aufarbeitung des Themas beschäftigt sich mit der Beschreibung von Institutionen und ihrer (interkulturellen) Kommunikation, sowie die Einordnung des Eurocamps als institutionelles Handlungsfeld.
Weiterhin werden die Arbeitsweise und das Setting der Feldforschung beschrieben. Als linguistische Theorie zur Diskursanalyse wird die Funktionale Pragmatik nach Ehlich und Rehbein herangezogen und in ihren Grundzügen beschrieben. Die kommunikativen Phänomene werden anhand von Transkripten anschaulich besprochen.
Zu den wichtigsten Erkenntnissen gehört die Tatsache, dass die Jugendlichen besondere Schwierigkeiten in der Kommunikation mit Englisch als Lingua Franca aufweisen. Code-Switching, mangelnde Gesprächspartizipation sowie Konfliktvermeidung sind dabei die größten Schwachstellen. Es zeigt sich jedoch auch, dass die Jugendlichen eigene Lösungsstrategien entwickelt haben, um diesen sprachlichen Problemen entgegenzuwirken.
„There are no strangers here; Only friends you haven’t met yet.”
„Es gibt keine Fremden hier; nur Freunde, die du noch nicht getroffen hast.“
„Non c’è estranieri; solo amici che non hai ancora incontrato.”
„Il n’y pas d’estrangers ici; Seulement des amis que vous n’avez pas encore rencontrés.”
Dieses Zitat, dass seinen Weg mittlerweile in viele Sprachen gefunden hat, soll aus der Feder des irischen Dichters und Schriftstellers William Butler Yeats stammen. Auch wenn die Zuweisung in Frage gestellt wird und die Herkunft sich nicht mehr rekonstruieren lässt, so ändert dies nichts an der Aussagekraft des Zitates. Und diese liegt auf der Hand: Aus jedem Menschen, den wir treffen, kann ein Freund werden.
Für das Eurocamp 2017, einem internationalen Jugendcamp der Städte Verden (Niedersachsen), Havelberg (Sachsen-Anhalt), Warwick (England), Saumur (Frankreich) und Formigine (Italien), nahm dieses Zitat eine ganz besondere Bedeutung an. Es wurde zum inoffiziellen Motto, welches die 25 Jugendlichen im Alter von 15 bis 21 über zwei Wochen lang begleitete. Jugendliche, von denen einige das erste Mal im Ausland interkulturelle Erfahrungen sammelten und andere, die wiederum schon mehrmals die Möglichkeit dazu hatten. Jugendliche, die als Fremde zusammenkamen, als Freunde auseinandergingen und auch ein Jahr später noch in Kontakt stehen, sich mittels Social Media austauschen, aber auch gegenseitig in ihren Heimatländern besuchen.
Was sich durchaus harmonisch und wünschenswert anhört, ist jedoch das Ergebnis eines Entwicklungsprozesses. Denn wo Menschen mit verschiedenen Biografien, kulturellen Hintergründen und mit unterschiedlichen Sprachkompetenzen aufeinandertreffen, dort entsteht auch immer ein gewisses Konfliktpotenzial. Kulturschocks, Sprachbarrieren oder sogenannte critical incidents, also kritische Situationen im interkulturellen Handeln, können die gemeinsame Interaktion negativ beeinflussen, stören oder gar verhindern.
Besonders gut lässt sich interkulturelles Handeln und interkulturelle Kompetenz an der Kommunikation der Interaktanten nachvollziehen. Die Analyse von interkultureller Kommunikation ermöglicht es, zu beschreiben, wie die konstruktive Zusammenarbeit von internationalen Teams zustande kommt, aber auch, wie sie womöglich verhindert wird.
An diesem Punkt soll die vorliegende Arbeit ansetzen. Im Rahmen einer, auf Interkulturalität bezogenen, kommunikativen Analyse, soll das sprachliche Handeln des Eurocamps 2017 untersucht werden. Übergeordnetes Ziel ist eine Evaluierung, welche die Potenziale und Grenzen des interkulturellen Diskurses zwischen den Jugendlichen herausarbeitet. Im Detail lauten die Forschungsfragen dabei: Welche Schwachstellen, aber auch gelungenen Kommunikationsformen werden sichtbar? Wie lassen sich diese erklären? Im weiteren Verlauf soll dann der Frage nachgegangen werden, wie sich diese Schwachstellen für zukünftige Eurocamps verbessern lassen. Grundlage hierfür bietet die Untersuchung des beim Eurocamp 2017 in Formigine erhobenen Datenmaterials, das neben Diskursaufzeichnungen und Beobachtungen auf der Seite der Forschenden, auch die subjektiven Auffassungen und Erlebnisse der Jugendlichen in Form von Steckbriefen, Tagebüchern und informellen Gesprächen mit einbezieht. Die Diskursaufzeichnungen werden, dort wo es sich anbietet, im Sinne der Funktionalen Pragmatik nach Konrad Ehlich und Jochen Rehbein analysiert. Ergänzend werden die weiteren Datenmaterialien herangezogen.
Die Arbeit ist im Wesentlichen in drei thematische Teile gegliedert, die jeweils einzelne, spezifische Aspekte behandeln: Theoretische Grundlagen, Korpusanalyse sowie die Evaluierung. Nachdem eingangs der Forschungsstand zur Thematik der interkulturellen bzw. inter-nationalen Jugendbegegnungen, sowie die Aktualität des Themas dargestellt werden, folgt die Institutionsanalyse des Eurocamps. Der Begriff der Institution nimmt in der Theorie der Funktionalen Pragmatik einen zentralen Stellenwert ein. Da es bisher keine ähnlichen funktional-pragmatische Arbeiten zu dem Thema dieser Arbeit gibt und somit auch keine Institutionsanalyse vorliegt, erscheint dieser Schritt notwendig. Auch die komplexe Organisationsstruktur des Eurocamps rechtfertigt eine eingehende institutionsspezifische Betrachtung. Hierbei werden neben der allgemeinen Definition einer funktional-pragmatischen Institution auch die Spezifika (interkultureller) institutioneller Kommunikation dargestellt, sowie schließlich das Eurocamp in jenes institutionelle Handlungsfeld eingeordnet (Kapitel 4). Im nachfolgenden Kapitel 5 wird näher auf die methodische Herangehensweise eingegangen. Die Funktionale Pragmatik wird dabei in ihren grundlegenden Zügen erläutert. Weiterhin wird die Arbeitsweise einer Diskursanalyse skizziert. Das Kapitel 6 beschäftigt sich mit der Beschreibung der Datenerhebung im Feld. Neben der allgemeinen Beschreibung und dem Zugang zum Feld, werden Beschreibungen zur Teilnehmergruppe, sowie der einzelnen angewandten Forschungsmethoden (Diskurs-aufzeichnungen, Beobachtung, Tagebücher, informelle Gespräche) vorgenommen. Die Ergebnisse der Korpusanalyse werden in Kapitel 7 vorgestellt. Dabei werden anhand von Transkripten sowohl positive als auch negative Phänomene in der Kommunikation zwischen den Jugendlichen dargestellt und erläutert. Es wird sich dabei jedoch nur auf signifikante Merkmale bezogen, die vermehrt im Korpus erscheinen. Die verwendeten Transkripte sollen dabei als Beispiel dienen. Nicht alle Kommunikationssituationen werden betrachtet, da dies der Umfang der Arbeit nicht hergeben könnte. In einem Unterkapitel werden zudem die Aufzeichnungen der Teilnehmer besprochen, die nicht anhand des sprachlichen Materials bestätigt werden können. Im achten Kapitel wird schließlich die Evaluierung auf Grundlage der Korpusanalyse vorgenommen. Hierbei werden gleichzeitig mögliche Verbesserungsvorschläge für künftige Eurocamps aufgezeigt. In Kapitel 9 folgt das Fazit, in welchem die wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit komprimiert wiedergegeben werden. Der Anhang setzt sich aus Literatur-, Abbildungs-, Transkript- und Abkürzungsverzeichnis, sowie den an die Teilnehmer ausgegebenen Dokumenten (Fragebogen, Arbeitsanweisung Tagebuch, Vorlage Tagebuch) und der Eigenständigkeitserklärung zusammen.
Abschließend sei noch angemerkt: Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird auf die Verwendung einer geschlechterneutralen Sprache verzichtet. Der Gebrauch des generischen Maskulinums bezieht alle Geschlechter ein.
Die Thematik der interkulturellen oder auch internationalen Jugendbegegnung ist keines, das erst in den letzten Jahren in das Blickfeld verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen rückte. Wie bereits eingangs in der Einleitung erwähnt, existieren derzeit keine veröffentlichten Untersuchungen oder Beiträge zur Kommunikation von interkulturellen Jugendbegegnungen im Sinne der Funktionalen Pragmatik. Auch gibt es bisher keinen systematischen Überblick über wissenschaftlichen Publikationen zu diesem Thema, außer jenen Aufzeichnungen von Austauschorganisationen. Nach Alexander Thomas liegt dies nicht in einem Desinteresse am Forschungsgebiet begründet, sondern vielmehr in den fehlenden finanziellen Ressourcen, um solche Untersuchungen zu finanzieren (vgl. Thomas 2007: 659). Jedoch wurde das Themengebiet vereinzelt etwa aus psychologischer oder soziologischer Perspektive betrachtet. Jene Ergebnisse sollen daher grob skizziert werden, um einen ersten Einstieg in die Thematik zu finden. Eine der ersten umfassenden Studien in diesem Bereich stammt von Diether Breitenbach und wurde Ende der 1970er- bzw. Anfang der 1980er-Jahre im Auftrag des Bundesmin-isteriums für Jugend, Familie und Gesundheit in Westdeutschland in Auftrag gegeben. In dem Forschungsprojekt, das fünf Bände umfasst, beschäftigt sich Breitenbach et al. mit Kommunikationsbarrieren, die in der internationalen Jugendarbeit sichtbar werden. Breitenbach (1980) kommt unter anderem zu dem Schluss, dass soziokulturelle Lernziele eine Voraussetzung für interkulturelles Lernen seien. In Bezug auf die Probleme sprachlicher Kommunikation kommt der Autor zu folgendem Ergebnis: Sprachbarrieren wurden besonders in solchen Situationen beobachtet, in denen eine sprachliche Kommunikation essentiell für die Lösung einer Aufgabe war. Je geringer die Bedeutung der sprachlichen Kommunikation, desto geringer war auch das Auftreten von Kommunikationsproblemen. Sprachbarrieren hängen besonders von fünf Faktoren ab: (1) dem Grad der Gruppenintegration, (2) dem Grad der emotionalen Spannungs-bewältigung, (3) Grad der situativen Komplexität, (4) der Bedeutung der Situation und der Bedeutung anderskultureller Teilnehmer und (5) dem Selbstkonzept des einzelnen Teilnehmers, vor allem in sprachlicher Hinsicht. Zudem konnte eine Entwicklung der sprachlichen Kompetenz mit andauerndem Verlauf der Begegnungsmaßnahme festgestellt werden. Zum Ende der Maßnahme war jedoch eine Rückbesinnung auf die Mitglieder der eignen Sprachgruppe und eine Vernachlässigung der fremdsprachlichen Kommunikation festzustellen. Breitenbach identifiziert im selben Zusammenhang fünf Barrieren, welche die Kommunikation beeinflussten: Situationskomplexität, soziale Einstellung, Informationskomplexität und technisch-organisatorische Barrieren.
Abseits der linguistischen und kommunikationswissenschaftlichen Perspektive liefert Thimmel (2001) einen Systematisierungsversuch über Konzepte, die für die Jugendbegegnung belangreich wurden: (1) länderspezifische Kontaktkonzepte, (2) interkulturelle Lernkonzepte, (3) Austauschtheoretische- und Kulturstandardkonzepte, (3) Hermeneutisch-ethnomethodologische Verstehenskonzepte, (4) Identitätsbildungs- und Interkulturalitätskonzepte, (5) interaktionistische Konzepte des interkulturellen Lernens, (6) Kontrast- und Diskrepanzerfahrungskonzepte, sowie (7) Empathie- und Reflexionskonzepte im Kontext der Völkerverständigung.
Welche Langzweitwirkungen solche Jugendbegegnungsmaßnahmen auf die Teilnehmer haben, stellte Alexander Thomas (2007) in einer Studie dar, die zwischen 2002 und 2005 an der Universität Regensburg durchgeführt wurde. Es konnte so bestätigt werden, dass die Erfahrungen während einer Teilnahme an einer internationalen Jugend-austauschmaßnahme auch noch zehn Jahre später nachhaltige Auswirkungen auf die Teilnehmer haben. Nicht nur, dass die Erlebnisse eine Dekade später noch detailliert und präzise wiedergegeben werden konnten – aus entwicklungspsychologischer Sicht stehen jene Erlebnisse und Erfahrungen in enger Beziehung zu den altersspezifischen Ent-wicklungsaufgaben. Besonders die Identitätsentwicklung und die Befähigung zur Eigenständigkeit sind hierbei zu nennen. Als, nach zehn Jahren noch andauernde, Wirkung haben die Teilnehmer unter anderem selbstbezogene Eigenschaften und Kompe-tenzen, interkulturelles Lernen, Beziehungen zum Gastland bzw. Gastregion, Fremdsprache sowie Offenheit und soziale Kompetenz genannt. Fast 75 Prozent der Probanden empfanden die Austauscherfahrung als wichtig für den weiteren Lebensweg.
Nicht zuletzt werden interkulturelle Jugendbegegnungen vor einen politischen oder gesellschaftlichen Hintergrund gesehen. Bildungseinrichtungen und Austauschorga-nisationen haben zu dieser Thematik diverse Publikationen hervorgebracht. In Otten und Lauritzen (2004) thematisieren verschiedene Beiträge die gesellschaftlichen Veränderungen in Europa und diskutieren die Auswirkungen auf die Jugend und die damit einhergehenden Aufgaben einer Jugendpolitik im Sinne einer europäischen Gemeinschaft. Es wird dabei unter anderem auf die Aspekte interkultureller Bildung und Erziehung, einer europäischen Zukunftsgesellschaft für Jugendlichen, Identitätsfragen und die Bedeutung der interkulturellen Jugendbegegnung thematisiert.
Eine Zusammenstellung wichtiger theoretischer Grundlagen der internationalen Jugendarbeit bieten Friesenhahn und Thimmel (2005). Es werden zentrale Forschungsergebnisse und Ansätze zur internationalen Jugendarbeit besprochen, welche in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts veröffentlicht wurden. Diese Ergebnisse werden durch die Autoren kommentiert und aus der Perspektive der Nullerjahre des 21. Jahrhunderts eingeordnet. Seit 1996 wird von der Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V. (IJAB) die Fachreihe Forum Jugendarbeit International herausgegeben, das über Schwerpunkte, Arbeits- und Diskussionsergebnisse, Konzepte und Erfahrungen im Bereich der internationalen Jugendarbeit und Jugendpolitik berichtet. So befasst sich beispielsweise die letzte Ausgabe der Reihe, erschienen 2015, mit ihrem Schwerpunktthema „Kinder- und Jugendhilfe transnational gestalten“ mit dem Potenzial der internationalen Jugendarbeit und dem grenzüberschreitenden Voneinanderlernen für die fachliche Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene (IJAB 2015). Weitere frühere Schwerpunktthemen waren bspw. „Interkulturelle Kompetenz EU-Erweiterung“ (IJAB 2003), „Jugendmobilität in Europa“ (IJAB 2005) oder „Internationale Jugendarbeit und ihre Bildungswirkungen“ (IJAB 2012).
Die Ausführungen zur Forschungsliteratur geben bereits erste Hinweise auf die Aktualität bzw. auch die Relevanz der Jugendbegegnungsmaßnahmen als wissenschaftliches Forschungsthema. Wie Thomas in seiner Studie nachweisen konnte, tragen interkulturelle Begegnungen in der Adoleszenz wesentlich zur Persönlichkeits- und Identitätsbildung herbei. Dabei werden Kompetenzen und Fähigkeiten erworben, die auch im weiteren Lebensverlauf von großer Bedeutung sein können, wie etwa Toleranz und Weltaufgeschlossenheit oder die Überwindung von Stereotypen und Ethnozentrismus.
Im Zuge einer stetig anwachsenden Mobilisierung und Pluralität sehen sich Gesellschaften immer vielfältigeren Fremdkulturen ausgesetzt. Für Heranwachsende finden die ersten interkulturellen Erfahrungen daher bereits im Kindergarten oder in der Schule statt. Schülerinnen und Schüler verschiedener ethnischer Herkunft und Nationen treffen im Klassenzimmer aufeinander. Somit ist „der Aufbau interkultureller Bildung [ist] eine Entwicklungsaufgabe von klein auf“ (Spanhel o.J.: 2), welcher sich Kinder und Jugendliche stellen müssen.
Für die berufliche Zukunft von jungen Menschen nehmen interkulturelle Erfahrungen einen größer werdenden Raum ein. Nicht nur, dass Unternehmen ins Ausland exportieren und expandieren – globale Netzwerke und die Zusammenarbeit mit fremdkulturellen Fachkräften machen die Berufswelt internationaler. Das hat unweigerlich zur Folge, dass es in der beruflichen Praxis zu kulturell bedingten Differenzen kommen kann: Verhand-lungen können scheitern, Kunden oder Geschäftspartner können die Zusammenarbeit beenden – mit fatalen Folgen. Daher sind Fremdsprachenkenntnisse, interkulturelle Erfahrung und das Erlernen entsprechender Kompetenzen ein gern gesehener Softskill bei Bewerbungen und eröffnen eine Vielzahl an potenzielle Berufsfeldern und Arbeitsmöglichkeiten.
Ebenso beeinflussen aktuelle globalgesellschaftliche und politische Tendenzen die Förderung von Jugendbegegnungen. In einem Europa, dass durch divergierende poli-tische Kräfte gekennzeichnet ist, nehmen Jugendbegegnungen eine zukunftsweisende Rolle ein. Dies gilt nicht nur auf globaler oder internationaler Ebene, sondern auch im kommunalen Bereich, wie etwa durch Städte- oder Vereinspartnerschaften: „Beseelt sind solche Programminitiativen von der Hoffnung, dass der künftigen Generation ein fried-liches Zusammenleben […] und ein partnerschaftliches Miteinander gelingt, […]“ (Thomas 2007: 658). Grundgedanke ist das Erhalten und Fördern eines globalen Friedens.
Die Kommunikation in internationalen bzw. interkulturellen Jugendbegegnungen und Jugendaustauschen sind durch ihre spezifische Institutionalität und dem damit verbundenen Handlungsfeld gekennzeichnet. Die funktional-pragmatische Diskurs-analyse, die als Methodik in dieser Arbeit angewandt wird, hat eine eigene Definition hervorgebracht, die zugleich Voraussetzung zum Verständnis des kommunikativen Handelns ist. Da bisher keine ähnlichen Arbeiten zum Bereich der internationalen Jugendbegegnung vorliegen ist es notwendig, dieses als institutionelles Handlungsfeld zu rekonstruieren. Daher wird in diesem Kapitel zuerst die Bestimmung des Begriffes Institution in einem funktional-pragmatischen Sinne referiert, ehe die konkrete Einordnung der internationalen Jugendbegegnung, mit besonderem Blick auf das Eurocamp, vorgenommen wird. Im Anschluss wird auf die (interkulturellen) kommunikativen Praktiken jener Institution eingegangen.
Bereits in den 1970er-Jahren erkannten Ehlich und Rehbein, dass sich der Begriff der Institution als gesellschaftswissenschaftliche Grundkategorie in fünf wissenschafts-systematischen Kontexten entwickelt hat (Ehlich und Rehbein 1979/1994: 297ff.): Soziologisch, Juristisch, Anthropologisch, Kulturanthropologisch und National-ökonomisch. Auch wenn sich diese Kategorisierungen in mancher Hinsicht unterscheiden, so sehen Ehlich und Rehbein als wichtiges Merkmal unterschiedlicher Institutionsauffassungen, „daß ‚Institution‘ zur Bezeichnung von gesellschaftlich verbindlichen ‚Sachverhalten‘ verwendet wird. Nach diesem Verständnis kann der Ausdruck für einen sehr weiten Bereich gesellschaftlicher Erscheinungen verwendet werden.“ (Ehlich und Rehbein 1979/1994: 307) Da auch die Sprache aus dieser Perspektive als soziale Institution angesehen werden kann (ebd.: 307), ist es notwendig, den Gegenstandsbereich der Sprache eigenständig zu erfassen und den Terminus Institution „als ‚Formen gesellschaftlicher Vermittlung‘ zu verstehen und die Rolle der Sprache in ihnen spezifisch zu untersuchen“ (ebd.: 308).
Eine deutlich präzisere Definition liefern Ehlich und Rehbein 1980. Sie beschreiben Institutionen als gesellschaftliche Teilbereiche, die spezifische Strukturen, Verbind-lichkeiten und Konventionen innehaben. Sie „sind Formen des gesellschaftlichen Ver-kehrs zur Bearbeitung gesellschaftlicher Zwecke“ (1980: 338). Jene Teilbereiche sind gekennzeichnet durch ein Ensemble spezifischer mentaler, aktionaler und interaktionaler Handlungen (Rehbein 1998: 661). Somit können Institutionen als „gesellschaftliche Apparate“ bezeichnet werden (Ehlich und Rehbein 1979/1994: 318). Weiterhin führen Ehlich und Rehbein an, dass Institutionen unterschiedliche Reichweiten besitzen und daher unterschiedliche Mitglieder innerhalb der Gesellschaft in unterschiedlicher Weise ansprechen (ebd.: 319). Jene Mitglieder können auf verschiedene Arten durch die Institution betroffen sein: es wird zwischen Agenten und Klienten unterschieden. Als spezifisches Personal einer Institution führen die Agenten die Handlungen im Sinne jener Institution aus. Dem gegenüber stehen die Klienten als zweite Aktantengruppe, welche den Gegenstand der institutionellen Handlungen durch die Agenten bilden (ebd.: 319). Je nach Institution werden den Aktanten bestimmte Handlungsräume und -möglichkeiten zugewiesen, die entweder ausgesprochen oder unausgesprochen bestimmt sind. Hieraus ergeben sich eindeutige Wissensbestände: das Agenten- und Klientenwissen. Sie sind nicht ident, sondern stehen in Relation zueinander (ebd.: 320). Seit den ersten Definitionsversuchen des Begriffes Institution wurden diverse For-schungsarbeiten zu verschiedenen Institutionen innerhalb der Gesellschaft veröffentlicht. Bereits 1980 haben Ehlich und Rehbein unterschiedliche Institutionen identifizieren können: Institutionen der Produktion und Zirkulation (Betrieb, Handel), Institutionen der individuellen Reproduktion und der Ausbildung (bspw. Familie, Schule und Universität, Gesundheitswesen), juristische und politische Institutionen (Gerichte, Verwaltung und Behörde, Polizei, Militär) sowie kulturelle und religiöse Institutionen (Theater, Rundfunk und Presse, Kirche), die für sich jeweils Bearbeitungsformen gesellschaftlich bedingter Zwecke sind (vgl. Ehlich und Rehbein 1980).
Institutionen sind durch Formen der Kommunikation bestimmt. Wie bereits angedeutet, plädieren Ehlich und Rehbein dafür, Institution und Sprache in ihrer Relation zueinander detailliert zu untersuchen. Innerhalb einer Gesellschaft kommt der Sprache eine tragende Rolle zu. Nicht nur, dass Sprache „Ausdruck und Medium des Verhältnisses von Menschen zueinander [ist]. Als praktisches Bewusstsein dient sie Zwecken der Menschen“ (Ehlich und Rehbein 1979/1994: 315).
Somit ist das institutionelle Handeln abhängig von der Kommunikation der Aktanten, um deren Zwecke gemeinsam zu bearbeiten. Die Relation zwischen Agenten und Klienten ist aus diesem Grund für die institutionelle Kommunikation charakteristisch. Daher erfüllt die Sprache innerhalb von Institutionen zwei integrale Funktionen:
„Die Notwendigkeit sprachlichen Handelns als wesentlicher Teil institutionellem Handelns liegt darin begründet, daß die Zwecke, die mittels der Institutionen prozessiert werden, sich nicht in der unmittelbaren produktiven und konsumtiven Bearbeitung der Natur erschöpfen, sondern aus den komplexen Organisationsformen des gemeinschaftlichen Handelns ihrerseits hervorgehen.“ (Ehlich und Rehbein 1979/1994: 320f.)
Als eine Funktion führen Ehlich und Rehbein die durch die Institution zu bearbeitenden Zwecke an, die aufgrund ihrer Komplexität sich nur durch sprachliches Handeln effektiv lösen lassen können. Die zweite bedeutsame Funktion liegt der Fähigkeit zu Grunde, dass Sprache Wissen übermitteln kann: „Denn nur durch sie ist es möglich, die komplexen Strukturformen von Institutionen repetitiv auszubilden und aktuell zu reproduzieren“ (ebd.: 321). Je nach Institution kann die Sprache innerhalb derer unterschiedlich große Ausmaße annehmen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass in Institutionen keine non-verbale Kommunikation existiert. Auch jene Formen der Kommunikation können für das Handeln in der Institution wichtig sein (ebd.: 320).
Gemeinsam ist jeder institutionellen Kommunikation, unabhängig ihrer Bedeutungs-zwecke, die spezifische Nutzung Lexik und eigenen sprachlichen Handlungsformen, die zur (erfolgreichen) Bearbeitung der institutionellen Zwecke führen. Zudem können bereits existierende Handlungsmuster entsprechend verändert und ihrer Intention an den Zweck angepasst werden.
Eine Schwierigkeit, die sich bei der Institutionsanalyse des Eurocamps als Form der internationalen Jugendbegegnung zeigt, ist eine bisher fehlende Einordnung desselbigen als Institution im Sinne von Ehlich und Rehbein. In einer spezifischen Erscheinungsform ist das Eurocamp hochgradig komplex und lässt sich, aufgrund ihrer Verkettungen, keiner politischen, behördlichen oder sozialen Institution vollumfänglich zuordnen. In Abbildung 1 soll die komplexe Organisationsstruktur veranschaulicht werden. Wie sich erkennen lässt, sind mehrere Akteure an der Realisierung des Eurocamps beteiligt. Die treibende Kraft ist hierbei der Verbund der fünf Partner- bzw. Freundschaftsstädte (Verden, Havelberg, Warwick, Formigine, Saumur).
Um die Beziehungen untereinander zu stärken und den Jugendlichen die Möglichkeit zur interkulturellen Erfahrung und Entfaltung zu bieten, initiierten die Städte vor einigen Jahren gemeinsam das Projekt. Involviert sind dabei in allen Städten der Bürgermeister als Stadtoberhaupt sowie die Fachbereiche für kulturelle Angelegenheiten bzw. Jugendarbeit. Die Aufteilung hierbei kann von Stadt zu Stadt variieren. Bevor ein erstes gemeinsames Camp veranstaltet werden kann, bedarf es der Klärung der finanziellen Aspekte. Hierfür stellte der Städteverbund gemeinsam einen Antrag auf Förderung als Erasmus+-Programm, initiiert durch die Europäische Union. Bereits an dieser Stelle zeigt sich ein institutionsspezifisches Handeln. Sowohl die Kommunen als auch die Europäische Union agieren als Akteure in einer verwaltungs-orientierten und zeitgleich politischen Institution. Zweck von Verwaltungsinstitutionen bzw. Behörden ist es „arbeitsteiliges Handeln verschiedener Akteure innerhalb eines bestimmten Raums zu koordinieren, zu kontrollieren und Wissen zu bewahren“. (Rehbein 1998: 661). Becker-Mrotzek (2001: 1506) kategorisiert Behörden dabei in Leistungs- und Eingriffsbehörden. Leistungsbehörden verfolgen den Zweck Leistungen zu gewähren oder einzufordern (z.B. Sozialleistungen), aber auch Infrastruktureinrichtungen (Schulen, Straßenbau) zu errichten und zu unterhalten. Zur Aufgabe von Eingriffsbehörden hingegen gehört es, Erlaubnisse zu gewähren oder zu verweigern, sowie gesellschaftlich relevante Tätigkeiten (bspw. Polizei, Ordnungsamt) zu überwachen. Zur Erfüllung dieser Zwecke müssen die Behörden nach gesetzlich festgelegten Grundlagen handeln, die überprüfbar und legal sein müssen (ebd.: 1508). Zudem müssen alle Einzelfälle, die der Behörde vorliegen, gleichbehandelt und arbeitsteilig erledigt werden. Gegenüber der Öffentlichkeit müssen die Behörden weiterhin eine einheitliche Meinung vertreten (ebd.). Ein weiteres Kennzeichen für Verwaltungen bzw. Behörden ist die Dominanz der Schriftlichkeit gegenüber des Mündlichen, da sie „es im erheblichen Ausmaß mit der Verarbeitung von Wissen zu tun [haben], das wegen der Massenhaftigkeit in großen Mengen erhoben, gespeichert und ausgetauscht werden muss.“ (ebd.: 1509)
Die Interaktion des Städteverbundes und der EU folgt institutionellen Regeln. Die EU tritt hierbei als Leistungsbehörde auf, die über den Förderantrag des Städteverbundes entscheidet. Das Auftreten als Eingriffsbehörde kann insofern negiert werden, als das eine Initiierung des Eurocamps auch ohne eine finanzielle Förderung seitens der EU denkbar wäre und ein abgelehnter Antrag nicht zwingend die Aufgabe des Eurocamps bedeute. Die Antragsstellung, sowie die weitere Kommunikation (etwa die Antragsbewilligung) erfolgt in schriftlicher Form. Zudem liegen den Entscheidungsträgern die Grundlagen vor, nach welchem ein beantragtes Projekt förderfähig ist oder nicht. Während der Städteverbund somit als Klient gegenüber der EU bzw. Erasmus+, in der Rolle des Agenten, gegenübersteht, zeichnen sich die selben Interaktions- und Handlungsmuster innerhalb einer Verwaltungsinstitution ab, wie sie auch im kleineren Rahmen in Institutionen, bspw. Ausländerbehörde oder Arbeitsagentur, zu finden sind. Der Antrags-prozess findet dabei einmalig statt und gewährt eine Förderung für einen bestimmten Zeitraum. Im Anschluss kann der Städteverbund einen weiteren Förderantrag stellen.
Für jedes Jahr bestimmen die teilnehmenden Kommunen eine Stadt, in welcher die Jugendlichen während des Camps gastieren. Im weiteren Verlauf schreiben die ent-sprechenden Fachbereiche der Kommunen die offenen Plätze in Schulen, Zeitungen und über weitere vorhandene Kommunikationswege aus, worauf hin sich interessierte Jugendliche für die Teilnahme bewerben können. Aus den eingegangenen Bewerbungen wählt die Stadt schließlich die teilnehmenden Jugendlichen aus. Stadt und Teilnehmer stehen in einer reziproken Relation zueinander.
In diesem Fall agieren die Kommunen für sich und nicht als Städtegemeinschaft. Gleichzeitig handeln sie nicht als reine Verwaltungsinstitutionen wie zuvor beschrieben. Vielmehr treten die Städte hierbei als politische Institution auf, die „der Verwirklichung von Interessen Einzelner und von gesellschaftlichen Gruppen [dienen] und mit Hilfe von Macht und Herrschaft durchgesetzt [werden]“ (Massing 2015). Weiterhin:
„konstituieren und legitimieren sie [die politischen Institutionen – Anm. d. Verf.] administrative Akteure, indem sie ihnen zur Erfüllung bestimmter Aufgaben notwendige Autorität, Deutungsmuster, Verhaltensregeln und soziale Bindungen zuweisen, von denen wiederum das zweckgerichtete, auch informelle politische Handeln geprägt wird.“ (Czada 2002: 354f.)
Auch wenn die Interessen Einzelner und gesellschaftlicher Gruppen bereits in der ersten Interaktion zwischen Städteverbund und EU eine Rolle spielten, wird diese Funktion mit der Teilnahmeausschreibung nun auch in der Öffentlichkeit kundgetan. Es sollen Jugendliche angesprochen werden, die Interesse an interkulturellen Erfahrungen, internationalen Begegnungen und der Anwendung gelernter Fremdsprachen besitzen. Auf der anderen Seite stärken die Kommunen gleichzeitig ihre eigenen Interessen: das Vertiefen ihrer gegenseitigen Beziehung.
Städtepartnerschaften sind keine Erscheinungen der Neuzeit, auch wenn sie nach Ende des Zweiten Weltkrieges eine regelrechte Hochphase erlebten: „Sie waren Teil der Friedens- und Verständigungsbemühungen in einem neuen Europa. Völkerverständigung von unten.“ (Statz und Wohlfahrt 2010: 7) Besonders die Bundesrepublik Deutschland sah vor diesem Hintergrund die Notwendigkeit, die Distanzen, welche sich während und nach dem Zweiten Weltkrieg verhärtet hatten, durch Partnerschaften mit anderen (europäischen) Städten zu überwinden. Auch wenn die Erfahrungen des zweiten Welt-krieges heute nicht mehr der primäre Grund für das Aufrechterhalten von internationalen Beziehungen sind, soll hieran, nicht nur aus Gründen der Erinnerungskultur, sondern in Hinblick auf derzeitige politische Entwicklungen, wie etwa den Austritt Großbritanniens aus der EU im Jahr 2017, festgehalten und künftige Generationen an den Gedanken einer internationalen Gemeinschaft herangeführt werden. Ein weiteres Interaktionsverhältnis, dass durch seine Institutionalität gekennzeichnet ist, zeigt sich durch die gastgebende Stadt und dem Staff bzw. den Betreuern, die das Eurocamp begleiten. Die Betreuer werden nicht von den teilnehmenden Städten gestellt, sondern sind Mitglieder im Children International Summer Village (kurz: CISV). Es handelt sich dabei um eine nichtpolitische, nichtreligiöse Non-Profit-Organisation, die ihre Aufgaben in der Friedensbewahrung, sowie der interkulturellen Freundschaft, Verständigung und Kooperation bei Kindern und Jugendlichen sieht (CISV International o.J.).
In dieser Organisationsstufe des Eurocamps stehen die gastgebende Stadt (in diesem Fall die Stadt Formigine) und die drei Betreuer in einem reziproken Interaktionsverhältnis. Die Vertreter der Kommune agieren dabei als Agenten, die aufgrund ihres Expertenwissens, das Programm des Camps planen und organisieren. Dabei haben die Betreuer begrenztes Mitspracherecht und werden von den entsprechenden Stadtvertretern instruiert. Somit zeichnen sich auch hier wieder die bereits genannten Merkmale von Leistungsbehörden ab, auch wenn diese nicht vollumfänglich mit anderen leistungs-behördlichen Interaktionen vergleichbar sind. Das Handeln zwischen Betreuern und Teilnehmern stellt den eigentlichen Kern der Interaktion des Eurocamps dar. Die Betreuer haben für die Dauer des Camps die völlige Verantwortung für die Teilnehmer. Sie sind für die Einhaltung des vorher festgelegten Programms, in welchem Arbeits-, Ausflugs- und Essenszeiten festgelegt sind, und der Verhaltensregeln zuständig. Gleichzeitig bilden sie die Schnittstelle zwischen Teilnehmern und der gastgebenden Stadt. Mit ihrem Expertenwissen, dass sich nicht nur auf das Verhalten in der (gastgebenden) italienischen Kultur beschränkt, sondern auch auf die im Vorfeld gesammelten Erfahrungen der internationalen Jugendbegegnung (sowohl als Teilnehmer und auch Betreuer) agieren sie als Agenten. Im Gegensatz dazu handeln die Teilnehmer, die teilweise noch keine oder nur sehr wenig Erfahrungen mit internationalen Jugendbegegnungen oder Fremdkulturen haben, als Klienten.
Auf dieser Ebene sollen die, durch den Städteverbund formulierten, Ziele erreicht werden, die sich in erster Linie als Wissenserwerb darstellen. Konkret lauten diese Ziele:
- Develop awareness if active citizenship on young people coming from small/medium size areas, where local authorities have a strong focus on the community and on citizens’ needs;
- Educate the participants of the programme at taking care of common goods, because a park is a beautiful place where everyone can play or relax, and it improves our quality of life, fighting urban degradation;
- Increase the deal of initiative and creativity of youngster by involving them in a material activity that starts and ends during the exchange;
- Promote friendship in people with different social, cultural and linguistic backgrounds through mutual knowing and exchanges of the participants. (Comune di Formigine 2017)
Den teilnehmenden Jugendlichen soll während des Eurocamps soziale Kompetenzen vermittelt werden. Diese beziehen sich nicht nur auf die Bewusstwerdung der eigenen Rolle innerhalb einer klein- oder mittelstädtischen Gesellschaft, sondern auch auf den respektvollen Umgang mit gemeinsamen Gütern sowie die Förderung von Freund-schaften mit Jugendlichen, die einen anderen sozialen, kulturellen und sprachlichen Hintergrund besitzen. Als individuelle Kompetenzen sollen die Einsatzbereitschaft und Kreativität auf- und ausgebaut werden.
Somit weißt diese Ebene des Eurocamps Merkmale auf, die kennzeichnend für soziale Institutionen sind. Diese lassen sich charakterisieren als „kollektiv-kulturell vererbte komplexe ‚Handlungsprogramme‘ von Routinen, Regeln und Normen sowie wechselseitige Erwartungen, die für große Verflechtungszusammenhänge […] bestimmte Lebensbereiche strukturieren und soziale Identität, Integration und Stabilität stiften.“ (Pries 2010:119)
Noch konkreter lässt sich in dieser Stufe das Eurocamp als erzieherische Institution beschreiben, welche die Aufgabe hat „[…], besonders das produktive und ideologische Wissen an die nächste Generation weiterzugeben“ (Ehlich und Rehbein 1980: 340). Laut Ehlich und Rehbein sind für die „Weitergabe des gesellschaftlichen Wissens“ (ebd.) besondere „Vermittlungsinstanzen, wie Schule oder Hochschule“, dafür notwendig (ebd.). Auch wenn sich noch eine fünfte Interaktionsebene in der Abbildung 1 darstellt, nämlich diese zwischen dem CISV und den Betreuern, so wird auf die entsprechende Analyse an dieser Stelle verzichtet. Das CISV agiert in der abgebildeten Organisationsstruktur nicht als Hauptakteur, sondern stellt lediglich die Betreuer. Für die eigentliche Institutions-analyse ist der CISV somit unerheblich.
An dieser Stelle sei nochmals zusammengefasst: Das Eurocamp als internationale Jugendbegegnung lässt sich, wie eingangs dargestellt, nicht auf eine einzige Institution reduzieren. Durch ihre komplexe Organisationsstruktur, die diverse Aktanten auf unter-schiedliche Weisen fordert, bewegt sich das Eurocamp in seiner Gesamtheit teils im Bereich der Verwaltungsinstitution, der politischen Institution und einer Institution der Erziehung bzw. soziale Institution.
Der Aspekt der Interkulturalität innerhalb des Eurocamps als Geflecht unterschiedlicher Institutionen bezieht sich zum größten Teil auf die Begegnung der jugendlichen Teilnehmer während des zweiwöchigen Camps. Auch wenn Formen der interkulturellen Kommunikation auch auf anderen Organisationsebenen auftreten, werden diese im vorliegenden Kapitel vernachlässigt. Der Schwerpunkt der nachfolgenden Korpusanalyse liegt auf der Kommunikation zwischen den Jugendlichen.
Der Begriff Interkultur bzw. Interkulturalität lässt großen Raum für Interpretationen. Viele Deutungsversuche wie die von ten Thije, Müller-Jacquier und Bolten bewerten die Interkultur aus linguistischer bzw. interaktionistischer Sicht. Gemeint ist eine Zwischenkultur, die sich aus dem Kontakt verschiedener Kulturen herausbildet (Lüsebrink 2016: 51). Nach Bolten fokussiere die Interkulturalität auch Interaktions-prozesse, die sich nicht immer kulturvergleichend oder kulturkontrastiv anwenden ließen (Bolten 1995: 29).
In diesem Zusammenhang sei Folgendes angemerkt: Wird im allgemeinen Sprach-gebrauch der Terminus Kultur verwendet, so sind in aller Regel meist Nationalkulturen bezeichnet. Weidemann und Straub (2000) merken jedoch an, dass der Begriff Kultur ebenso „partiale, regionale oder lokale und flüchtigere kulturelle oder subkulturelle Lebenszusammenhänge kleinerer Gruppen“ umfasst (Weidemann und Straub 2000: 835). In anderen Worten bedeutet dies, dass sich eine Kultur nicht nur an geographischen, territorialen oder linguistischen Grenzen festmachen lassen kann. Genauso können innerhalb einer solchen auch weitere Kulturen bzw. Subkulturen existieren, die sich hinsichtlich bestimmter Merkmale von der gemeinsamen Nationalkultur unterscheiden. Ein solches Beispiel wäre in diesem Zusammenhang die Jugendkultur, die sich innerhalb einer Gesellschaft herausformt.
In Bezug auf die Kommunikation innerhalb des Eurocamp lässt sich sagen, dass hierbei Vertreter bzw. Aktanten verschiedener Gesellschaften, die unterschiedliche linguistische Hintergründe aufweisen, aufeinandertreffen. Redder und Rehbein (1984) bezeichnen eine solche Konstellationen als „interkulturelle Kommunikation im weiteren Sinn“. Im Gegensatz dazu steht die „interkulturelle Kommunikation im engeren Sinn“, welches die Interaktion zwischen Aktanten aus einer Gesellschaft bzw. Sprache bezeichnet (Reder und Rehbein 1987: 17f.).
In der Forschung zur interkulturellen Kommunikation unterscheidet Clyne (2004) zwischen drei Hauptströmungen:
- der kontrastive Ansatz, der muttersprachlichen Diskurs zwischen Kulturen vergleicht;
- der intersprachliche Ansatz, der den Diskurs von Nicht-Muttersprachlern in einer Fremdsprache untersucht;
- der interaktive interkulturelle Ansatz, der den Diskurs zwischen Sprechern mit unterschiedlichen kulturellen und linguistischen Hintergründen, entweder in einer Lingua Franca oder einer der Sprachen der Gesprächspartner, analysiert; (vgl. Clyne 2004: 3f.)
Nach Clyne fehle es in Bezug zum interaktiven interkulturellen Ansatz, zum damaligen Zeitpunkt, an aussagekräftiger Forschung: „[…], there is a need for a dynamic interactive model which takes us well beyond the necessarily limited conditions of the contrastive approach“ (Clyne 1994: 4).
Seit Beginn der Forschung zur interkulturellen Kommunikation stellen Kommunikations-probleme und -störungen einen zentralen Schwerpunkt dar: „It seems as if misunder-standings are an inherent thus unavoidable part of intercultural communication“ (Hartog 2006: 175). Für ten Thije stellen solche Missverständnisse den Startpunkt für die Analyse von interkulturellen Diskursen dar (ten Thije 1997: 128). Auf dieser Grundlage basiert das von ten Thije und Koole (1994) eingeführte Modell des cultural transfer. Abbildung 2 ist eine grafische Darstellung des Modells. I und II stehen dabei stellvertretend für unterschiedliche Kulturen. A und B sind Kommunikationssituationen innerhalb der jeweiligen Kultur. Das culture-tranfer -Modell sagt nun aus, dass ein Sprecher der Kultur I in der Kommunikationssituation B, seinen Sprechakt auf Kultur I beziehen wird, während ein Sprecher der Kultur II sich in der selben Kommunikations-situation Kultur II zugetan ist (vgl. Koole und ten Thije 1994: 62). Koole und ten Thije sehen hierbei jedoch zwei Probleme:
„The first problem within this approach is that it treats structural culture contact as we know it in the industrialized countries in the same way as incidental culture contact. […] The second problem is that this approach uses a static concept of culture. A cultural transfer approach of the communication in our advisory teams would imply an investigation of certain discourse structures in the countries of origin of the immigrant team members.” (ebd. :62f.)
Kommunikative Brüche zeigen sich besonders in fremdsprachlichen Handeln, dass durch ein „Auseinanderklaffen der sprecher- und hörerseitigen Handlungspläne“ gekenn-zeichnet ist (Liedke 1997: 160). Häufig treffen in der interkulturellen Kommunikation Gesprächspartner mit unterschiedlichen Sprachkompetenzen und Wissensbeständen aufeinander, die in der Konstellation zwischen Muttersprachler und Nichtmuttersprachler zu Verständigungsproblemen führen können (Roth-Rost 1998: 220). Sprachen unterscheiden sich hinsichtlich ihres sogenannten kulturellen Apparates (Redder und Rehbein 1987). Dieser Apparat umfasst die Mittel und Zwecke derer sich die Sprache bedient, sowie mit den einhergehenden Denkformen, Vorstellungen und Handlungs-mustern. Eine bestehende Kommunikationssituation kann durch die Akteure nicht richtig interpretiert und verarbeitet werden. In diesem Zusammenhang können zwei Typen von Brüchen, sowohl in der Position des Hörers als auch des Sprechers, identifiziert werden: Auf der Hörerseite die Fehleinschätzung der Handlung des anderen durch Differenzen im Wahrnehmungs- oder Glaubensmechanismus und auf Sprecherseite die Irritationen des anderen durch eigene unerklärliche Handlungen (Liedke 1997: 160).
Mögliche Probleme sind dabei auf der Ebene des Äußerungsaktes, der Proposition und der Illokution denkbar: Rekonstruktion und Produktion des Äußerungsaktes können misslingen. In Bezug auf die Proposition können bestimmte Elemente des kollektiven Wissens, das mit der Sprache verbunden ist, unzugänglich sein. Auf Ebene der Illokution können „die Zweck-Mittel-Setzungen einzelner sprachlicher Handlungen und Prozeduren ebenso wie die spezifischen Handlungsmuster, Diskurs- oder Textarten falsch oder gar nicht erkannt bzw. realisiert werden“ (ebd.: 161). Störungen in Handlungsmustern lassen sich dahingehend so diagnostizieren, als dass einzelne Musterpositionen mehrfach durchlaufen werden. Dabei spielt die Rekonstruktion von (divergierenden) Wissens-beständen eine Rolle (Roth-Rost 1998: 222). Im ungünstigsten Fall können Kommuni-kationsstörungen in ihrer Gesamtheit nicht nur zur Beeinträchtigung der kommunikativen Interaktion führen, sondern auch gravierende Nachteile für die Akteure haben.
Treffen Gesprächspartner in interkulturellen Kommunikationssituationen aufeinander, müssen diese aber nicht ausschließlich durch Störungen oder Probleme der (non)-verbalen Interaktion gekennzeichnet sein. Andauernde Kulturkontakte können zur Eta-blierung spezifischer Handlungsstrukturen für diese Form der interkulturellen Kom-munikation führen. Koole und ten Thije bezeichnen diese Entwicklung als diskursive Interkultur (ten Thije 2002: 67):
„Eine diskursive Interkultur verschafft einem multikulturellen Kollektiv einen common ground, eine gemeinsame Basis, die ihre interkulturelle Kommunikation ermöglicht und letztendlich auch fördert. Auf Dauer können sich diese gruppenspezifischen Interkulturen so weit ausbreiten, daß sie die nationale Kultur bestimmen und ändern können. Das Potential zur Entwicklung von Interkulturen kann als Beleg für die Dynamik von Kultur allgemein gelten.“
Merkmal der diskursiven Interkultur ist es, die Problematik einer Kollaboration in einem Rahmen interkultureller Kommunikation zu lösen und so die Zusammenarbeit der Aktanten zu ermöglichen (Koole und ten Thije 1994: 69). Gleichzeitig charakterisiert die diskursive Interkultur die Orientierung der Teilnehmer an gemeinsame Handlungs-praktiken und betont die kognitiven Aspekte dieses Interaktionsprozesses (Koole und ten Thije 2001: 575). Weiterhin führen Koole und ten Thije an, dass eine Interkultur gekennzeichnet ist durch „the properties of culture that recur in the major definitions of culture […], namely (1) it is human-made and can be learned, (2) it is related to human groups, and (3) it can be attributed a locus with respect to a human activity […]” (ebd.).
Der Sprachkontakt, in dem eine diskursive Interkultur entsteht, ist von institutioneller Natur. Die geführten Diskurse sind durch die Zwecke der Institution bestimmt. Diskursive Interkulturen können nicht in einem einmaligen Kontakt entstehen. Sie besitzen eine bestimmte Dauer, die jedoch nicht unbefristet ist. Eine weitere Voraussetzung zur Etablierung einer derartigen Interkultur ist die Sprachkompetenz der Gesprächspartner. Sie sind nicht einsprachig, sondern sie besitzen ein allgemeines Wissen über die Funktion von Kommunikation (Bührig 2004).
Anhand einer diskursanalytischen Untersuchung, welche die Kommunikation zwischen europäischen und surinamischen Niederländern betrachtet, versuchen Koole und ten Thije das Konzept der diskursiven Interkultur beispielhaft zu verdeutlichen (Koole und ten Thije 2001). So kommen sie etwa zu dem Schluss, dass der „process of the construction of shared word meaning“ (ebd.: 583) ein Konstrukt der diskursiven Interkultur in der untersuchten Sprechergemeinschaft ist.
Relevant sind für die Kommunikation im Eurocamp als Institution mehrere Aspekte. Englisch als vorgeschriebene Lingua Franca ist für die Mehrheit der Teilnehmer eine Fremdsprache1, die in aller Regel im schulischen Kontext erworben wurde.
Dementsprechend ist bei den Wenigsten eine muttersprachliche Kompetenz zu erwarten. Gleiches gilt für die anderen Sprachen, wie etwa Französisch, Deutsch oder Italienisch, die im Verlaufe des Eurocamps angewandt wurden. Mit ELF (Englisch als Lingua Franca) spiegelt das Eurocamp eine aktuelle Tendenz wieder, die sich auch im gesamten europäischen Kontext darstellt: „Inoffiziell hat sich Englisch jedoch schon längst zur faktischen Lingua franca Europas entwickelt und findet nicht nur Anwendung in interkulturellen Begegnungssituationen, sondern wird in der Regel auch als erste Fremdsprache in den verschiedenen EU-Mitgliedsländern gelernt“ (Gnutzmann et al. 2012: 64).
Von Bedeutung der Kommunikation im Europacamp sind ebenfalls die Vorerfahrungen, welche die Jugendlichen mit in die Begegnungssituation bringen. Durch erste interkulturelle bzw. internationale Erfahrungen in Schüleraustauschen, können die Vorannahmen über die Kulturzugehörigkeit der anderen Teilnehmer oder auch über die Kommunikationssituationen an sich treffen, die zu bestimmten Handlungspraktiken führen. Negative Erlebnisse oder Stereotype können die Kommunikation hingegen belasten, ebenso wie fehlende Erfahrungen im Bereich der internationalen Jugendbegegnung oder Unsicherheiten im Gebrauch der Fremdsprache bzw. ELF. Diese Unsicherheiten können bis zu einer vollständigen Verweigerung der interkulturellen Begegnungssituation bzw. language anxiety 2 führen. Als Konsequenz hierbei droht der vollständige Rückzug zur gleichsprachigen Peergroup. Somit werden in der interkulturellen Kommunikationssituation mehrere psychische Prozesse gleichzeitig aktiviert (vgl. Jordan-Ecker 2002: 97):
- Auseinandersetzung mit dem Gefühl der Fremdheit bzw. Vertrautheit;
- Anforderung an die kognitive und emotionale Umstrukturierung in der Wahrnehmung und Bewertung von Personen, Situationen und Symbolen;
- Bedürfnis nach interpersonaler Konsistenz, reflektiert durch Festlegung kultureller Identität, sozialer Sicherheit und raum-zeitlicher Stabilität;
- Erfahrungen und Bewertungen bezüglich der eigenen sprachlichen Kompetenz, Verhaltensroutine und Gewohnheit;
- Differenzierung der Variabilitätserfahrung, die sich in anderskulturellen Arten und Weisen der Lebensbewältigung zeigt;
- Konfrontation mit ungewohnten und neuartigen Kategorisierungen und Etikettierungen der Austauschpartner;
- Reflexionserfahrung im Umgang mit der eigenen kulturellen Identität und der kulturellen Identität des Partners.
All diese aktivierten Prozesse spiegeln sich im fremdsprachlichen bzw. interkulturellen Handeln wieder. Für die jungen Menschen, die ihre soziale und kulturelle Identität erst noch herausbilden müssen, ist dies eine komplexe Aufgabe.
Wie sich im vorherigen Kapitel umfangreich dargestellt hat, liegt dieser empirischen Arbeit die interkulturelle Kommunikation in einer äußerst komplexen Institutionsstruktur zugrunde. Nach der eingehenden Institutionsanalyse mit angegliederter Beschreibung der (interkulturellen) Kommunikationsformen, stellt sich demnach die Frage nach einer geeigneten methodischen Herangehensweise. Diese sollte sich dabei an den sprachlichen Mittel und Formen konzentrieren, genauso wie an der Institutionalität und Inter-kulturalität.
Eine geeignete Methode zur Untersuchung stellt daher die Angewandte Diskursanalyse dar. Diese vereint verschiedene wissenschaftlichen Disziplinen wie etwa die Sprachwissenschaft, Anthropologie und Soziologie (ten Thije 2002: 63). Im Mittelpunkt steht die Sprache als Handlung, die zwischen Sprecher und Hörer stattfindet. Damit unterscheidet sich die Diskursanalyse von anderen Kommunikationsmodellen und Kommunikationsanalysen, wie etwa die Konversationsanalyse. Forschungsgegenstand für die Diskursanalyse sind somit authentische Daten, deren Strukturen und sprachlichen Interaktionen erst noch bestimmt und interpretiert werden müssen. Innerhalb des Begriffes der Diskursanalyse finden sich verschiedene Formen der Untersuchung von sprachlichen Interaktionen. Der vorliegenden Arbeit liegt daher die Forschungstradition der Funktionalen Pragmatik (kurz: FP) nach Ehlich und Rehbein zugrunde. Die funktional-pragmatische Analyse bietet sich besonders zur Erforschung von institutioneller und interkultureller Kommunikation, wie das folgende Teilkapitel darstellen soll.
Mit der Funktionalen Pragmatik, haben Konrad Ehlich und Jochen Rehbein in den 1970er Jahren eine damals neuartige linguistische Theorie entwickelt. Die FP versteht sich als eine Theorie, die Sprache im Zusammenhang mit ihrer sozialen Funktion erfasst und sich dabei auch andere linguistische Aspekte wie Grammatik, Syntax oder Mündlichkeit und Schriftlichkeit erfasst. Seit der Entwicklung der Funktionalen Pragmatik war es daher Ehlich und Rehbein, aber auch anderen Sprachwissenschaftlern möglich, das sprachliche Handeln in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen, institutionellen Kontexten und im Rahmen einer interkulturellen Kommunikation zu analysieren. Die FP sieht dabei die Sprache als Form von sozialem Handeln und sozialer Praxis. Mit anderen Worten: „Functional Pragmatics attempts to reconstruct language as an – abstract – social action form […]“ (Redder 2008: 134).
Die ersten wissenschaftlichen Ansätze erfolgten von Ehlich und Rehbein im Rahmen der schulischen Kommunikation. Im Laufe der Zeit wurde weiterhin die Kommunikation in anderen Institutionen, wie beispielsweise Gerichts- oder Arzt-Patienten-Kommunikation erforscht. Man kam zu der Erkenntnis, dass ein Zusammenhang zwischen dem sprachlichen Handeln und der Institution, in der es auftritt, vorliegt. Im Wesentlichen begründet sich die Funktionale Pragmatik aus mehreren Forschungsansätzen, nämlich der Sprechakttheorie nach Austin und Searle, sowie der Bühler’schen Sprachtheorie, die an dieser Stelle jedoch nicht näher vertieft werden können. Mit der Einführung der Funk-tionalen Pragmatik in die Sprachwissenschaft, war es mitunter auch notwendig, neue Begrifflichkeiten zu entwickeln bzw. vorhandene Termini umzudeuten, welche die Funktionen der Sprache beschreiben.
Sprachliche Handlungen realisieren die Zwecke der Akteure. Sie sind mentale Repräsentationen von Bedürfnissen der Handelnden zur Veränderung von standard-isierten Konstellationen (vgl. Ehlich und Rehbein 1979: 249f.). Nach Ehlich erfordert die zentrale Bedeutung des Zweckes für die sprachliche Handlung, seinen Stellenwert analytisch angemessen aufzunehmen und bei der Rekonstruktion eine zentrale Bedeutung zukommen zu lassen (Ehlich 1991: 132).
Dies geschieht durch Muster, den Formen in denen sprachliches Handeln organisiert ist. Als gesellschaftliche Strukturen dienen sie der Bearbeitung gesellschaftlicher Konstruktionen und sind Abbildungen gesellschaftlicher Verhältnisse (ebd.). Muster basieren auf dem Musterwissen der Aktanten. Dieses Musterwissen wird bereits im Kindesalter, mit dem Prozess des Spracherwerbs, erlernt. Ehlich schreibt hierzu: „Die Aneignung des Musterwissens ist kompliziert, da viele Aneignungsschritte dem Wissen vorausgehen, in denen einzelne Elemente des Musters probeweise und spielerisch realisiert werden.“ (ebd.: 133). Musterwissen und Handlungsmuster sind kulturell bedingt, und können damit innerhalb verschiedener Kulturen variieren.
Muster können sprachlich oder nicht-sprachlich in Erscheinung treten. Dabei sind die sprachlichen Handlungsmuster ein zentrales Element der Funktionalen Pragmatik. „Der Zweck des sprachlichen Handlungsmusters ist in der Kategorie des illokutiven Aktes erfaßt. Darin wird die Handlungsqualität spezifisch benannt, also etwa die Handlungsqualität des Versprechens oder der Warnung oder der Inaussichtstellung, der Verheißung, – oder auch, als eine unter diesen konkreten illokutiven Strukturen, die Handlungsqualität der Assertion […].“ (Ehlich 2010: 218; Hervorhebungen im Original).
Ferner charakterisieren Ehlich und Rehbein die Handlungsmuster, als Funktion „für den Eingriff in die Wirklichkeit“ (Ehlich und Rehbein 1979: 249), die immer zweckgebunden sind. Der Ausgangspunkt, der jedem sprachlichen Handeln zu Grunde liegt, ist eine Defizienz (Bedürfnis). Jedes Individuum verfolgt mit seiner Handlung das Ziel, das jeweilige Bedürfnis zu befriedigen. Diese Suffizienz lässt sich dabei auf unterschiedliche Arten realisieren. Tritt eine Defizienz wiederkehrend auf, entwickelt die Gesellschaft für dieses Bedürfnis eine Standardlösung. Sprachliche Handlungsmuster sind demnach immer problemlösungsorientiert. Manche Handlungsmuster können auch typisch für eine Institution sein, wie etwa das Frage-Antwort-Muster in der Arzt-Patienten-Kommunikation. Mittlerweile sind eine Reihe an sprachlichen Handlungsmuster beschrieben worden. Gleichzeitig sind jedoch viele Handlungsmuster noch nicht funktional-pragmatisch erfasst.
Muster realisieren sich aus Abfolgen sprachlicher und mentaler Handlungen. Eine sprach-liche Handlung findet dabei in einer „spezifischen Kombinatorik von Sprechsituationen“ (Ehlich 1991: 134) statt, die sich in zwei Kategorien einteilen lassen. Bei der Sprechhandlungssequenz bestimmt die Musterstruktur den Turn einer Gesprächsphase. Geschieht ein solcher Turn nicht, spricht man von einer Sprechhandlungsverkettung (ebd.: 135).
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Abbildung 3 Die sprachlichen Felder und ihre Prozeduren
Sprechhandlungsmuster lassen sich nach einem top-down-Prinzip in weitere, kleinere Einheiten aufschlüsseln. Den Handlungsmustern direkt untergeordnet sind die sogenannten Illokutionen. Die Sprechakte bzw. Illokutionen, wie sie in der Sprechakttheorie von Austin und Searle zu finden sind, lassen sich in sechs Typen klassifizieren, die sich auf vier Zweckbereiche verteilen: Assertiv und Quaestiv (Wissenstransfer), Direktiv und Kommissiv (Handlungskoordination), Deklarativ (Wissenskoordination) und Expressiv (Ausdruck von Empfindungen). Die einzelnen Illokutionen können noch weiter spezifiziert werden. So gibt es unterschiedliche Formen des Quaestivs. Der Transfer von Wissen, der dadurch vollzogen werden soll, kann durch verschiedene Fragetypen, wie etwa Ergänzungsfrage, deliberative Frage, Alternativfrage oder Entscheidungsfrage realisiert werden (vgl. Zifonun, et al. 1997: 103ff.). Im Bereich der Assertive lässt sich zwischen Assertion, Behauptung, Bericht, Erzählung oder Begründung entscheiden. Zum Teil ist ihr Auftreten auch an bestimmte Institutionen gebunden. Zifonun, Hoffmann und Strecker bieten in der Grammatik der deutschen Sprache eine umfassende Auflistung und Beschreibung der verschiedenen Realisierungen von Illokutionen.
Als Prozedur wird in der Funktionalen Pragmatik die kleinste sprachliche Einheit definiert. Ehlich beschreibt die Funktion der Prozeduren folgendermaßen: „[…] bei der Analyse der Prozeduren kommt es nach meinem Verständnis entscheidend darauf an, herauszufinden, was der jeweilige spezifische Zweck dieser sprachlichen Handlungs-mittel ist, […]“ (Ehlich 2010: 219). Weiterhin bestehe ihre Funktion in der gemeinsamen und synchronen Ordnung der Interaktion zwischen Sprecher und Hörer. Ohne die Prozeduren sei ein Verstehen bzw. gegenseitiges Verständnis nicht möglich (Bühler 1934/2010: 220). Die Prozeduren knüpfen an Bühlers Bestimmungen zur Feldcharakteristik an. Im Einzelnen sind fünf Formen der Prozeduren identifiziert, wie Abbildung 3 anschaulich darstellt. Die einzelnen Prozeduren treten in unterschiedlichen Realisierungsformen auf (siehe Abbildung 4).
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Abbildung 4 Die sprachlichen Prozeduren und ihre Realisierungsformen. (Darstellung nach Ehlich 1991: 139)
Wie bereits in Kapitel 4.1 ausführlich beschrieben, findet sprachliches Handeln überwiegend in Institutionen statt. Das Handeln ist an institutionsspezifische Zwecke gebunden und kann daher auch bestimmte Modifikationen, die dem Erreichen eben jener Zwecke dienen, erfahren. Die Verknüpfung von funktional-pragmatischer Diskursanalyse und Analyse des institutionellen Feldes ist daher unabdingbar, möchte man den Zusammenhang zwischen sprachlichem Handeln und gesellschaftlichen Zwecken erforschen. Daher erscheint die Rolle der Ethnographie zur Untersuchung von interkultureller bzw. institutioneller Kommunikation von besonderer Bedeutung. Koole (1997) argumentiert, dass es für Forschende unabdingbar ist, den selben Wissensbestand mit den Akteuren zur teilen: „Participants in institutional interaction presuppose the mutuality of certain knowledge domains. Only the analyst who shares this knowledge with the participants is able to interpret these verbal orientations to context features for what they are” (Koole 1997: 72). Die Aktanten gehen in der Interaktion untereinander davon aus, dass sie den gleichen Wissensbestand teilen. Für eine erfolgreiche Inter-pretation des (sprachlichen) Handelns müssen die Forschenden daher ebenfalls diesen vorangenommenen Wissensstand der Aktanten teilen. Für eine umfassende Analyse der institutionellen Kommunikation ist daher nicht allein die Untersuchung anhand von Audio- oder Videomaterialien ausreichend, die in jedem Falle authentisch und nicht für den Zweck der Beobachtung konstruiert werden soll (Becker-Mrotzek und Meier 1999: 23). Schriftliche Materialien, Interaktanten- und Play Back-Interviews, Beobachtungen sowie die eigenen Erfahrungen und Wissensbestände sollten zur einer aussagekräftigen Analyse hinzugezogen werden (vgl. ten Thije 2002: 74f.).
Zum Nutzen bzw. der Anwendung der Angewandten Diskursanalyse lässt sich festhalten, dass die Ergebnisse vielfältig nutzbar sind: „Sie reicht von der Beschreibung der kommunikativen Praxis bis hin zur Entwicklung und Umsetzung von Lösungs-vorschlägen […]“ (Becker-Mrotzek und Meier 1999: 35).
Wird die Diskursanalyse im Rahmen einer Problemanalyse angewandt, kann diese zwei Perspektiven verfolgen: die Analyse der Funktionalität und die Analyse der Qualität. Bei der Analyse der Funktionalität stehen die „konkreten Erscheinungsformen der Widersprüchlichkeit in der Praxis“ im Mittelpunkt (ebd.: 38). Problematiken in der (kommunikativen) Funktionalität von Institutionen und Organisationen werden somit sichtbar gemacht. Die Analyse der Qualität hingegen setzt ihren Schwerpunkt darauf, „wie sich die Beteiligten der Muster in ihrem konkreten sprachlich-kommunikativen Handeln bedienen“ (ebd.: 39). Ziel ist eine Evaluation, ob die Interaktanten die Muster entsprechend den Aufgaben angemessen einsetzen (ebd.).
Vor der Datenerhebung, welche die Grundlage der noch folgenden Analyse darstellt, mussten einige Vorüberlegungen getroffen werden. Wie erwähnt, stellt eine aussage-kräftige Diskursanalyse den Anspruch der Authentizität an das zu verwendende Daten-material. Eine Erhebung im Feld, wie sie für die vorliegende Arbeit vorgenommen wurde, sichert die Authentizität der Daten.
Ten Thije (2002) merkt an, dass sich mit den beteiligten Interaktanten im Rahmen des Datenschutzes auf die Verwendung und Inhalte sowie wohlmöglich auch auf die Verbreitung des erhobenen Tonmaterials einigen müsse (2002: 71). Aus diesem Grund wurden im Vorfeld Einverständniserklärungen zur Datenerhebung an die Teilnehmer verschickt, die von ihnen oder den Eltern bzw. Erziehungsberechtigten unterschrieben werden mussten.
Wichtig ist dabei die Frage nach der Größe des Korpus. Lalouschek und Menz (1999) sprechen hierbei von einem bestimmten „Sättigungsgrad“, also einer Datenmenge die keine neuen Erkenntnisse mehr bringt bzw. in der Ereignisse nur noch wiederkehren. Eine pauschale Zeitangabe oder andere Messung des Umfanges ist nicht möglich und hängt immer vom Forschungsziel ab.
Nach der Datenerhebung empfiehlt ten Thije (2002) das Zusammenfassen des erhobenen Materials, um auf dieser Basis einen Überblick über Verlauf und Inhalte der Diskurse zu erhalten. Im Anschluss werden die Daten auf „Schlüsselereignisse“ oder „ key incidents “ hin überprüft (ten Thije 2002: 71). Im Anschluss werden die ausgewählten Diskursausschnitte mithilfe eines geeigneten Konventionssystems transkribiert (ebd.: 72). Für die Diskursanalyse im Sinne der Funktionalen Pragmatik hat sich das Konventionssystem HIAT (Halbinterpretative Arbeitstranskription) als bewährt erwiesen. Von Ehlich und Rehbein speziell für die FP entwickelt, ermöglicht das Transkriptionssystem die gleichzeitige Darstellung von Sprechhandlungen auf unterschiedlichen Zeilen – ähnlich einer Musikpartitur. Dabei werden bestimmte Transkriptionskonventionen angewendet. Zur computerbasierten Transkription wird die Software EXMARaLDA eingesetzt, dass im Juli 2002 im Teilprojekt Zb „Mehrsprachige Datenbank“ des Sonderforschungsbereich 538 „Mehrsprachigkeit“ an der Universität Hamburg entwickelt wurde (Schmidt und Wörner 2005: 172).
Im Allgemeinen lässt sich die Transkriptarbeit wie folgt gliedern (vgl. Becker-Mrotzek und Meier 1999): (1) Aufteilung des Transkripts in Phasen durch Themenwechsel, Gliederungssignalen etc., (2) Detailanalyse bspw. nach Sequenzen, (3) Bestimmung des kommunikativen Zwecks des Diskurses und die Rekonstruktion der hierfür eingesetzten sprachlichen Mittel, (4) Rekonstruktion und Analyse des Wissens und der mentalen Prozesse der Aktanten, (5) erste Rekonstruktion des Musters unter Berücksichtigung bedeutsamer Musterelemente, (6) Überprüfen des Musters anhand weiterer Beispiele.
In den folgenden Teilkapiteln soll auf die empirische Datenerhebung im Feld näher eingegangen werden. Thematisiert werden hierbei der Zugang zum Feld, die demografische Beschreibung der Teilnehmergruppe sowie die Gesprächsaufzeichnungen und zusätzliche Maßnahmen zur Datenerhebung.
Das Forschungsvorhaben zur kommunikationsbasierten Evaluation über Potenziale und Grenzen des Eurocamps 2017 in Formigine wurde erstmals im Juni 2017 thematisiert. Aufgrund ihrer Tätigkeiten als Journalistin, hatte die Autorin die Möglichkeit im Juni 2017 für einige Tage beruflich nach Saumur in Frankreich zu reisen. Anlass war die 50-jährige Partnerschaft der Städte Verden (Niedersachsen) und Saumur (Pays de la Loire, Frankreich). Als Korrespondentin sollte die Autorin vor Ort über die Feierlichkeiten für eine Verdener Tageszeitung zu berichten. Neben den Städten Verden/Aller und Saumur, waren auch Vertreter der Städte Havelberg (Sachsen-Anhalt), Warwick (Grafschaft Warwickshire, England), Formigine (Emilia Romagna, Italien) und Veszprém (Közép-Dunántúl, Ungarn), die ebenfalls dem Städteverbund angehören, eingeladen.
Seit einigen Jahren veranstalten die Partner- und Freundschaftsstädte, ausgenommen Veszprém, gemeinsam das Eurocamp. Das Zusammentreffen in Saumur sollte daher unter anderem auch der gemeinsamen Besprechung des anstehenden Eurocamps in Formigine ermöglichen. Im Gespräch zwischen dem Verdener Bürgermeister und der Autorin entwickelte sich die Idee, das diesjährige Eurocamp wissenschaftlich zu begleiten und auf Grundlage einer interkulturellen Kommunikationsanalyse die Evaluation vor-zunehmen. Während einer Arbeitsbesprechung, an der alle Delegationen teilnahmen, wurde die Idee von der Autorin vorgestellt und von den Stadtvertretern begrüßt. Formigine als gastgebende Stadt des Eurocamps sagte, genauso wie die Stadt Verden, ihre volle Unterstützung in Bezug auf das Forschungsvorhaben zu. Auch aus universitärer Sicht wurde dem geplanten Forschungsvorhaben zugestimmt.
Da die finanzielle Förderung des Eurocamps durch die EU bzw. Erasmus+ in einigen Jahren ausläuft, erhoffen sich die teilnehmenden Städte von den Resultaten der wissenschaftlichen Forschung, ein positives Ergebnis mit dem eine erneute Bewilligung von finanziellen Mitteln angestrebt werden kann.
Da das Eurocamp bereits einen Monat später, vom 20. Juli bis 2. August 2017, stattfinden sollte, mussten in den folgenden Wochen einige Vorbereitungen getroffen werden. In Zusammenarbeit mit den verantwortlichen Mitarbeitern der Stadt Verden wurden die Teilnehmer in allen fünf Städten über das Forschungsvorhaben informiert. Gleichzeitig waren sie aufgefordert, eine unterschriebene Einverständniserklärung (entweder selbst unterschrieben oder durch die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten) mit nach Formigine zu bringen. Hierin wurden auch die Bedingungen zur Verwendung des erhobenen Materials festgehalten. Die Autorin hat sich gegenüber den Teilnehmern dazu verpflichtet, alle Informationen, die einen Rückschluss auf die betreffende Person zulassen könnten, zu anonymisieren. Weiterhin versicherte die Autorin, alle erhobenen Daten nur im Rahmen der vorliegenden Arbeit zu verwenden. Zudem stand die Autorin auch in engem Kontakt mit den verantwortlichen Mitarbeitern der Stadt Formigine, die sie über das Programm und weiteren Einzelheiten informierten und die Unterbringung der Autorin während der gesamte Campdauer organisierten.
Schließlich stellte die Autorin den Stadtvertretern und auch Teilnehmern die Möglichkeit offen, nach Beendigung der Masterarbeit die Ergebnisse der Untersuchung zu präsentieren, sowie Einsicht in die Arbeit zu gewähren.
Wie bereits erwähnt, begann das Eurocamp mit der Anreise der Jugendlichen am 20. Juli 2017 und dauerte bis zum 2. August 2017 an. Damit hatte das Eurocamp eine Dauer von zwei Wochen, ebenso wie die Feldforschung.
Im Vorfeld wurde den Teilnehmern durch die Stadt Formigine einige Informations-materialien zur Verfügung gestellt. Diese beinhielten unter anderem genauere Infor-mationen zum eigentlichen Projekt, eine Empfehlung für Gegenstände und Kleidung, die mitgebracht werden sollte, sowie dem Programmplan für die gesamten zwei Wochen.
Formigine ist eine kleine Stadt in Norditalien, zehn Kilometer von der Stadt Modena entfernt. Sehr ländlich gelegen, besitzt Formigine eine reichhaltige historische, architektonische und künstlerische Vergangenheit. Neben dem Schloss, welches sich in der Innenstadt befindet und einen wichtigen kulturellen Wert für die Stadt besitzt, gehört auch der Parco della Resistenza, in welchem das Projekt des Eurocamps stattfindet, zu den wichtigsten Plätzen in Formigine.
Während der gesamten Dauer des Camps wurden die Teilnehmer, die Betreuer und die Autorin in der Grundschule „Ferrari“ in Formigine untergebracht. Fünf Minuten Fußweg vom Parco della Resistenza und zehn Minuten Fußweg bis in die Innenstadt, lag die Unterkunft sehr zentral. Zum Zeitpunkt des Eurocamps fanden die Sommerferien statt, so dass in der Grundschule kein Betrieb herrschte.
Den Teilnehmern wurden, nach Geschlechtern getrennt, die Klassenräume zugeteilt, die als Schlafräume dienten. Die Einteilung nahmen die Betreuer vor, die darauf achteten, dass in jedem Klassen- bzw. Schlafraum Mitglieder aus unterschiedlichen Delegationen untergebracht waren. Die Betreuer bezogen selbst einen eigenen Schlafraum, während die Autorin gemeinsam mit den Jugendlichen untergebracht wurde. Die sanitären Anlagen und die Turnhalle, welche direkt an die Schule angeschlossen sind, konnten ohne Einschränkungen von den Teilnehmern genutzt werden. Auch die Aula der Schule wurde für einige Aktivitäten genutzt.
Die Mahlzeitenversorgung übernahm der heimische Rugby Club „Highlanders Formigine“, der direkt neben der Grundschule liegt. Im Vereinsheim bereiteten die Mitglieder des Sportvereins jeden Tag die drei Mahlzeiten (Frühstück, Mittag- und Abendessen) vor. Abwechselnd beteiligten sich pro Tag jeweils eine Delegation an den Vorbereitungen der Mahlzeiten.
Während die Grundschule meist abends für gemeinsame Aktivitäten genutzt wurde, fand das eigentliche Projekt größtenteils im Parco della Resistenza und dem dort ansässigen Hub in Villa statt. Dabei handelt es sich um einen öffentlichen Arbeitsplatz, der am Rande des Parco della Resistenza liegt. Freiberufler, Kreative und Jugendverbände haben hier die Möglichkeiten, sich zu treffen und gemeinsam zu arbeiten. Neben den großen Arbeitsräumen stehen auch Computerplätze und ein kleiner Entspannungsbereich bereit. Hub in Villa ist in der Regel zu bestimmten Zeiten geöffnet, an denen auch ein Mitarbeiter anwesend ist. Im Rahmen des Eurocamps fanden hier vor allem die Planungen und Teambesprechungen zum Projekt statt.
Der Parco della Resistenza ist einer der wichtigsten Standorte der Stadt Formigine. Rund um die Uhr zugänglich, ist der Park nicht nur eine Lokalität für kulturelle Veran-staltungen, sondern auch ein öffentlicher Treffpunkt zum Spazieren, Spielen und Sport-treiben. Herzstück des Parks ist die Villa Gandini, welche die neoklassizistische Architektur Modenas widerspiegelt. Heute ist dort die Stadtbibliothek Formigine unter-gebracht. Im Parco della Resistenza fanden die praktischen Arbeiten des Projektes, genauer gesagt die Restaurierung der Parkbänke, statt.
Bereits im Vorfeld hatten die Organisatoren der Stadt Formigine und die Betreuer das Programm des Eurocamps ausgearbeitet, das jeden Tag einem nahezu identischen Schema folgt. Der Tag begann um acht Uhr mit dem gemeinsamen Frühstück im Vereinsheim des Rugbyclubs. Die erste Aktivität startete um neun Uhr und dauert bis zum Mittagessen, das etwa gegen 12.30 oder 13 Uhr stattfand. Es folgte eine Mittagspause, die in der Schule verbracht wurde und etwa 90 bis 120 Minuten dauerte. Im Anschluss begann die zweite Aktivität, die bis zum Abend dauerte. Gegen 19.30 bis 20 Uhr wurde das Abendessen eingenommen und im Anschluss folgt die dritte gemeinsame Aktivität, die wieder in der Grundschule stattfand. Nicht jede Aktivität hatte dabei direkt mit dem Projekt „Passion Park“ zu tun. Schwimmbadbesuch und Besichtigung von Sehenswürdigkeiten wurden hierbei auch einbezogen. Eine besondere Aktivitätenreihe, die an vier Abenden stattfand, war die „cultural night“. Hierbei sollten die Jugendlichen in ihren Delegationen bzw. Nationen einen Abend gestalten, der typisch für die heimische Kultur ist. Die Art und Weise wie dieser besondere Abend gestaltet wurde, lag den Jugendlichen völlig frei. So wurden unter anderem Spiele und Musik sowie kulinarische Erfahrungen präsentiert. Zum Programm gehörten ebenso Tagesausflüge nach Ravenna, Bologna, Modena und an die Adriaküste.
Zur Erfassung personenbezogener Merkmale, wie Sprachkenntnisse, Schulbildung und interkulturelle Erfahrungen sollten die Jugendlichen während des Camps einen Fragebogen zur eigenen Person ausfüllen. Die Befunde der Auswertung werden im Folgenden dargestellt. Die Vorlage des Fragebogens findet sich am Anhang.
Insgesamt nahmen am Eurocamp 25 Jugendliche (fünf Teilnehmer pro Delegation bzw. Stadt) am Eurocamp teil. Davon waren 16 weiblichen und neun männlichen Geschlechts. Die Alterspanne der Jugendlichen reichte von 15 bis 21 Jahren, wobei der Durchschnitt bei ca. 17 Jahren lag.
Die am häufigsten gesprochene Muttersprache, die von zehn Teilnehmern gesprochen wurde war Deutsch. Englisch, Französisch und Italienisch wurden jeweils von fünf Teilnehmern als Muttersprache gesprochen. Da Englisch als Lingua Franca genutzt wurde, war es auch die am meisten gesprochene Fremdsprache unter den Teilnehmern, wobei das Niveau stark variierte und nach eigenen Einschätzungen der Teilnehmer von Niveau A1 bis B2 nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen reichte. Weitere Fremdsprachen, die von den Teilnehmern beherrscht wurden, waren nach eigener Aussage: Französisch, Italienisch, Deutsch, Spanisch, Japanisch, Norwegisch, Schwe-disch und Arabisch. Die Anzahl der beherrschten Fremdsprachen reichte dabei von keiner bis hin zu fünf gelernten Fremdsprachen.
In Bezug auf die Schulbildung lässt sich sagen, dass alle Teilnehmer eine höhere Schulbildung verfolgen. Während die Jugendlichen aus Deutschland ein Gymnasium bzw. Fachgymnasium besuchten, gaben die Teilnehmer aus Frankreich und Italien an, ein Lycée bzw. Liceo zu besuchen. Auch die Jugendlichen aus England besuchen die secondary school bzw. ein sixth form college. Die Mehrheit der Teilnehmer stand zum Zeitpunkt der Erhebung kurz vor dem Schulabschluss und beabsichtigten in naher Zukunft ein Universitätsstudium aufzunehmen.
Bezüglich der Motivation am Eurocamp teilzunehmen, kristallisierten sich zwei Beweggründe besonders hervor: neue Menschen und fremde Kulturen kennenzulernen sowie die Fremdsprachkompetenz (besonders im Englischen) zu verbessern. Nahezu alle Jugendlichen gaben diese als primäre Motivationen an. Hierbei gab eine Teilnehmerin aus England an, dass sie sich besonders auf den Kontakt zu den deutschen Delegationen freue, da sie in der Vergangenheit bereits in Deutschland gelebt habe. Eine andere Engländerin merkte an, dass sie vorher die Chance, interkulturelle Erfahrungen zu sammeln, noch nicht hatte. Weitere Intentionen waren das Sammeln von neuen Erfahrungen, Italien und seine Kultur entdecken, kostenloser Urlaub, der Wunsch einfach zu verreisen sowie den Lebenslauf mit der Teilnahme am Eurocamp aufzubessern.
Weiterhin wurde die Jugendlichen gefragt, ob sie in der Vergangenheit bereits an ähnlichen Veranstaltungen wie dem Eurocamp teilgenommen haben. Die Mehrheit verneinte diese Frage. Zwei Jugendliche aus Havelberg gaben hingegen an, dass sie bereits im Jahr 2016 als Betreuer am Eurocamp, welches ebenfalls in Havelberg stattfand, teilgenommen haben. Eine Italienerin antwortete, dass sie im Jahr 2016 ein sogenanntes „study try“ in Cambridge, England, absolviert hatte. Keiner der Teilnehmer hatte sich im Vorfeld gezielt auf das Eurocamp vorbereitet, etwa durch Sprachunterricht oder interkulturelle Trainings.
Insgesamt haben zwei der 25 Teilnehmer in ihrem Leben bereits an einem interkulturellen Training teilgenommen. Dabei handelt es sich um zwei Teilnehmerinnen der fran-zösischen Delegation, die im Rahmen der Vorbereitung von Schüleraustausch-programmen mit verschiedenen Ländern, darunter Deutschland, Slowakei und Tschech-ien ein solches Training absolviert haben.
Eine weitere Frage, welche die Jugendlichen beantworten sollen, thematisierte die anfänglichen Gedanken und Gefühle die das Eurocamp bei ihnen auslöst. Die Mehrheit der Campteilnehmer gab hierbei an, dass Sprachbarrieren die größte Besorgnis auslösen und dass die Kommunikation in ELF oder einer anderen Sprache fehlschlüge. Weiterhin bestanden Unsicherheiten gegenüber der Akzeptanz untereinander. So gab eine Teil-nehmerin an, dass sie gemischte Gefühle gegenüber dem Eurocamp hat, da sie dort niemanden kenne. Eine andere Teilnehmerin sagte aus, dass sie befürchte, von den an-deren Jugendlichen nicht akzeptiert zu werden und somit auch keinen Anschluss finden könnte. Angst vor kulturellen Missverständnissen gab lediglich ein Teilnehmer an. Einige Jugendlichen berichteten im Gegensatz dazu auch von sehr positiven Gefühlen, die sie im Vorfeld das Eurocamps empfänden. Dies bezog sich in erster Linie auf die Vorfreude, neue Menschen und Kulturen kennenzulernen, sowie sich dem „Abenteuer“ zu stellen. Zum Ende des Eurocamps hatten die Teilnehmer die Möglichkeit zu beschreiben, welche Aspekte sie am Camp als positiv und negativ empfanden. An dieser Stelle ziehen die Jugendlichen ein überwiegend positives Fazit. Die Mehrheit bewerteten die Erfahrungen, die sie im Laufe der zwei Wochen gemacht haben als „schön“ oder „gut“. Auch die Bereit-schaft untereinander Englisch zu sprechen, ermutigte auch die etwas unsicheren Teilneh-mer, ihre Fremdsprachenkenntnisse anzuwenden. Auch das Entdecken weniger bekannter Kulturen, das Schließen neuer Freundschaften und die Überwindung von reziproken Interaktionshindernissen bzw. -schwierigkeiten wurde als angenehm empfunden. Hierzu sagte eine französische Teilnehmerin aus, dass das Eurocamp eine gute Möglichkeit sei, dem Euroskeptizismus auf eine sinnvolle und lehrreiche Art entgegenzutreten. Trotz aller Offenheit und dem intensiven, gemeinsamen Austausch wurden einige Aspekte des Camps kritisiert. Auch wenn es sich weniger auf die Interkulturalität bezieht, so empfand die Mehrheit der Jugendlichen die strikten Regelungen, die von der Kommune und den Betreuern aufgestellt wurden, als wenig alterskonform. Gerade die volljährigen Teilnehmer kritisierten hierbei die eingeschränkte Selbstständigkeit, wie etwa das eigenständige Erkunden der Stadt oder das Aufsuchen eines Supermarktes. Weitere Aspekte, die bemängelt wurden, waren zudem die starke Fokussierung auf die eigene bzw. gleichsprachige Peergroup, der häufige Rückzug in die Schlafräume während der Freizeitphasen, zu wenig Freizeit, sowie die eine stellenweise schlechte Organisation des Camps. Zum Abschluss konnten die Jugendlichen am Ende des Fragebogens noch eigene Vorschläge, wie aus ihrer Sicht das Eurocamp verbessert werden könnte, nennen. Auch wenn die Frage nicht von allen genutzt wurde, so wurde von einigen Jugendlichen angeregt, zu Beginn des Camps mehr gemeinsame Spiele anzubieten. So könne die Stimmung verbessert, sowie die gemeinsame Interkation besser vorangetrieben werden. Ein weiterer Vorschlag, der mehrfach angeführt wurde, bezieht sich auf die Ermutigung mehr auf Englisch zu kommunizieren. Trotz der überwiegenden Bereitschaft merkte eine englische Teilnehmerin an, dass vereinzelte Teilnehmer nicht bereit sind, in einer Fremdsprache zu kommunizieren. Zudem wurden mehr eigenständige Handlungs-möglichkeiten und größere Freizeitphasen gefordert. In vielen Bereichen liefert die Auswertung der personenbezogenen Fragebögen schon erste Anhaltspunkte, die für die weitere Analyse von Bedeutung sein können.
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1 Zu den genauen Angaben über Sprachkompetenzen und weitere demografische Daten der Campteilnehmer siehe Kapitel 6.3.
2 Als language anxiety kann das Gefühl von Spannung und Besorgnis definiert werden, das spezifisch für Zweisprach-/Fremdsprachkontexte wie Sprechen, Hören oder Lernen verbunden ist (vgl. MacIntyre und Gardner 1994: 284).
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