Bachelorarbeit, 2020
32 Seiten, Note: 2,0
Geowissenschaften / Geographie - Bevölkerungsgeographie, Stadt- u. Raumplanung
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Ernährungssystem in Städten
3 Urbane und städtische Landwirtschaft
3.1 Begriffseinführung
3.2 Typologie
3.3 Vorteile und Motive
3.4 Barrieren und Herausforderungen
3.5. Erscheinungsformen
3.5.1 Traditionelle Ausprägungsformen
3.5.2 Moderne Ausprägungsform
3.5.3 Gebäudegebundene Ausprägungsformen
4 Beispielstadt Wien
4.1 Städtische Landwirtschaft in Wien
4.2 Selbstversorgungspotential von Gemüse
5 Fazit
Literaturverzeichnis
Abbildung 1: Urban Foodsystem
Abbildung 2: Modell des Ernährungssystems
Abbildung 3: Typologien urbaner und städtischer Landwirtschaft
Abbildung 4: Nachbarschaftsgarten Arenbergpark
Abbildung 5: MyAcker Aktivitäten
Abbildung 6: Sky Greens Farm Singapur
Abbildung 7: Flakturm Augarten
Abbildung 8: Vertikale Farm Augarten
Abbildung 9: Karls Garten
Abbildung 10: Hängender Kräutergarten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Urban Foodsystem (BOHN & VILJOEN 2002: 9)
„Those who control our food control our lives, and when we take that control back into our own hands, we empower ourselves toward autonomy, self-reliance, and true freedom.” (FLORES 2006: 2). Mit diesen aussagekräftigen Worten wird die starke, einseitige Dependenz der Konsumenten in der Nahrungsmittelversorgung verdeutlicht. Die Urbanisierung und die Industrialisierung wurden von einer Revolution des Ernährungssystems begleitet, wodurch die Nähe und die Transparenz der Lebensmittelproduktion verloren gingen. Ein aktuelles Thema, welches dieser Abhängigkeit entgegenwirkt, ist die urbane Landwirtschaft. Obwohl es Landwirtschaft in den Städten schon so lange gibt, wie die Städte selbst, wurde diese in der letzten Zeit aus den Augen verloren. Allgemein steht die weltweite Landwirtschaft vor einer enormen Herausforderung, denn mit weniger Energie und immer knapper werdenden Ressourcen, wie Wasser und Böden, soll die kontinuierlich wachsende Weltbevölkerung ausreichend ernährt werden. Zusätzlich dazu steigt auch die Produktion von Energiepflanzen und Biomasse. Gleichzeitig ist es notwendig, die agrarwirtschaftliche Umweltbelastung zu reduzieren, um nicht die eigene ökologische Grundlage zu zerstören. Dabei wird die Landwirtschaft innerhalb von Städten als eine mögliche Idee gesehen, um die Stadtbevölkerung ressourceneffizienter zu versorgen und zusätzlich deren globalen Fußabdruck zu verringern.
Urbane Landwirtschaft kann aufgrund seiner Vielseitigkeit aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Allgemein und vereinfacht erklärt, kann die städtische Agrarwirtschaft als ein Überbegriff für alle in urbanen Gebieten produzierten Lebensmittel gesehen werden. Dies impliziert sowohl die Viehzucht, als auch den Gemüse-, und Obstbau. Das Größenausmaß der Praxis reicht dabei von kleinen, begrünten Flächen in privaten Gärten, bis nahezu industriellen Anbauarealen in Hochhäusern oder Brachflächen. Auch der Kreativität ist kein Maß gesetzt. Die bepflanzten Flächen sind sehr unterschiedlich. Von vertikal angelegten Beeten, bis zu begrünten Dachterrassen oder zu ganz neuen Technologien und Innovationen. Dabei bietet das Konzept erheblichen Mehrwert für viele Bereiche. In Abbildung 1 werden die Einflüsse in soziale, umweltbezogene, ökonomische und räumliche Wirkungsbereiche und Beispiele unterschieden. Infolgedessen wird auch die Komplexität und Relevanz eines integrativen Ansatzes, welcher die Ernährungsthematik aktiv in die Stadtentwicklung miteinbezieht verdeutlicht.
Während dieser Trend in den Großstädten der Industrienationen oftmals als eine hippe Freizeittätigkeit wahrgenommen wird, spielt es für die rasant wachsenden Städte in den Entwicklungsländern eine überlebensnotwendige Rolle. Aktuell leben bereits 55% der Weltbevölkerung in Städten und laut Prognosen der United Nations (vgl. 2019: 5) wird die Zahl bis 2050 auf 68% ansteigen. Aus diesem Grund wird das 21. Jahrhundert als das Zeitalter der Städte bezeichnet, da erstmals in der Geschichte mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Städten sesshaft ist (vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 2014: 2). Die rapide Urbanisierung und damit die erwartete Weltbevölkerung von 9 Milliarden Menschen bringt erhebliche Herausforderungen für die weltweite Ernährungssicherung mit sich. Aufgrund des Anstiegs ist es notwendig zu planen, auf welche Art und Weise Städte sich entwickeln werden und wie die Stadtbewohner zukünftig versorgt werden sollen. Schon seit Jahrtausenden beeinflussen die Ernährungsgewohnheiten die Raumplanung. Zusätzlich dazu spielt auch der Klimawandel, die Landverfügbarkeit, Bioenergie und Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten eine essentielle Rolle. Somit muss schon jetzt über eine nachhaltige Sicherstellung der Ernährungssituation im Zusammenhang mit diesen zukünftigen Entwicklungen nachgedacht werden.
Die vorliegende Arbeit basiert auf einer ausführlichen Literaturrecherche und ist in drei Teilbereiche untergliedert. Der Fokus liegt dabei überwiegend auf Industriestaaten, welche im Vergleich zu Entwicklungsländern einen anderen Zugang zum Ernährungssystem aufweisen und so urbane Landwirtschaft aus unterschiedlichen Gründen fördern und ausüben. Dabei wird im ersten Abschnitt allgemein das Nahrungsmittelversorgungssystem von Städten genauer erörtert. Da Städte schon seit geraumer Zeit vom Umland ernährt werden, soll hier der genaue Prozess des Systems und die Funktionen erklärt werden. Zusätzlich wird auf Aspekte wie Transparenz, Regionalität und die allgemeinen Veränderungen der Anforderungen an das Ernährungssystem eingegangen. Es wird der Frage nachgegangen, inwiefern sich das gesamte System verändert hat, als auch dessen Anforderungen. Anschließend wird auf das Konzept der urbanen Landwirtschaft eingegangen. Es wird untersucht, welche Vorteile durch die verschiedenen Ausprägungsformen generiert werden können, sowie welche Barrieren und Hindernisse möglicherweise infolge entstehen. Auf einer genauen Begriffseinführung und Klassifikation, folgen die Vorteile und Motive, als auch mögliche Barrieren und Herausforderungen. Nachfolgend werden die unterschiedlichen Ausprägungsformen genauer beschrieben und diese anhand von Beispielen nochmals verdeutlicht. Abschließend wird noch detailliert auf die österreichische Hauptstadt eingegangen. Dabei werden aktuelle Projekte und Planungsinstrumente der Stadt vorgestellt. Außerdem wird auf eine im Jahr 2017 veröffentlichte Studie des Umweltbundesamtes, über die Möglichkeit der Selbstversorgung von Gemüse der Stadtbewohner eingegangen.
Zusätzlich muss erwähnt werden, dass die vorliegende Arbeit aus Gründen der besseren Lesbarkeit, das generische Maskulin verwendet. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mitgemeint, soweit es für die Aussage erforderlich ist.
Das Ernährungssystem kann als ein Teilsystem des gesamten Versorgungssystems angesehen werden. Im allgemeinem dienen Versorgungssysteme dazu, menschliche Grundbedürfnisse, wie den Bedarf nach Wasser, Lebensmittel, Energie, Bildung, Kommunikation, Wohnraum, etc., zu stillen. In ihnen werden die verschiedenen politischen, sozialen, ökonomischen und technischen Prozesse auf komplexe Art und Weise miteinander verbunden. Das Versorgungssystem kann als Integrationskomponente zwischen der Gesellschaft und Natur gesehen werden und ist dementsprechend variabel hinsichtlich Zeit, Raum und Kultur (vgl. HUMMEL et al. 2004: 16).
Es existiert eine Reihe von verschiedenen Synonymen für die Bezeichnung des Ernährungssystems, wie beispielsweise Wertschöpfungskette (vgl. SCHÄFER 2007: 16), Nahrungsmittelkette (vgl. Institut für Raumplanung 2008: 31), oder Produktkette der Ernährung (vgl. SCHNEIDER et al. 2011: 38). In der Literatur sind verschieden Definitions-, und Betrachtungsweisen auffindbar. Laut der Definition von DAHLBERG (1999: 41) versorgen Ernährungssysteme Räume mit Lebensmitteln. Sie existieren auf allen Ebenen, vom Haushalt, Stadtviertel, Stadt, Region bis zum globalen Ernährungssystem und greifen über diese Ebenen hinweg ineinander. Im Kern beinhalten Ernährungssysteme alle Prozesse, die Lebensmittel in einem Raum durchlaufen“. Demnach ist das Ernährungsversorgungssystem ein vielseitiges komplexes System, wo Prozesse, Produkte, Akteure und Institutionen zusammenwirken. Das gesamte System lässt sich nach STIERAND (2008: 16) in 5 Subsysteme untergliedern. Diese lauten wie folgt:
- die Lebensmittelproduktion und damit die landwirtschaftliche Erzeugung von Lebensmitteln und Rohstoffen
- die Lebensmittelverarbeitung und die Lebensmittelkonservierung beschreiben die Aufbereitungsprozesse der gelieferten Güter bis sie verzehrfertig den Konsumenten erreichen
- die Lebensmittelverteilung durch den Handel und Vertrieb, sowohl im Lebensmitteleinzelhandel, als auch in der Gastronomie
- der Lebensmittelkonsum der Haushalte
- die Entsorgung, Verwertung und Recycling der Lebensmittelabfälle
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Modell des Ernährungssystems (eigene Darstellung nach STIERAND 2008: 16)
Der in Abbildung 2 dargestellte Kreislauf zeigt ein idealtypisches Ernährungssystem, welches sich aus den 5 Subsystemen zusammensetzt. Alle genannten Teilstrukturen werden schrittweise durchlaufen und die Restprodukte werden wieder in den Herstellungsprozess integriert. Das System gliedert sich aus sozialen, kulturellen, ökologischen, ökonomischen, politischen und technischen Prozessen und wird durch andere Systeme direkt und indirekt beeinflusst. Beispielsweise wirken Agrarsubventionen direkt auf das System, während das Transportwesen als indirekte Unterstützung fungiert. Dabei können zwei verschiedene Ausprägungsweisen auftreten. Einerseits ein lokales Ernährungssystem und andererseits ein delokalisiertes bzw. globales Ernährungssystem. Während im lokalen System die Beziehungen zwischen den Akteuren vor Ort verankert und transparent sind, scheinen die globalen Verbindungen nur schwer nachvollziehbar (vgl. GALDA 2017: 15).
Vor der Industrialisierung war die lokale Organisation von Städten essentiell für die Versorgung und die Entwicklung. Der Großteil der Nahrungsmittel wurde in der Stadt oder in der unmittelbaren Umgebung produziert, konsumiert, vermarktet und wiederverwertet. Im Zuge der Industrialisierung und technischer Innovation konnte die Lagerung, Kühlung und der Transport von Nahrungsmittel räumlich und zeitlich unabhängiger gestaltet werden. Die Qualität und Ausprägung der Nahrungsmittelversorgung liegt aktuell zu einem großen Teil außerhalb des Einflussbereiches der Städte. Für die Akteure in einem globalen System ist die einzelne Stadt als Konsum-, und Produktionsstandort ersetzbar und das primäre Ziel ist die wirtschaftliche Effizienz aller Teilstrukturen. Die Lebensmittel stammen überwiegend aus der ganzen Welt und das gesamte Ernährungssystem ist delokalisiert und global. (vgl. GALDA 2017: 15f, STIERAND 2016: 117). MONTANARI (vgl. 1993: 189) beschreibt die Delokalisation als Auflösung der räumlichen Verbindungen zwischen Herstellungs- und Konsumort von Nahrungsmittel.
In den Städten der westlichen Industrieländer haben sich die Anforderungen an die Ernährungspolitik in den vergangenen Jahren stark verändert. Während es davor primär um die ausreichende Verfügbarkeit von Nahrungsmittel ging, haben sich die Problemstellungen im 21. Jahrhundert verschoben. Aufgrund der Folgen des Klimawandels, der rasant fortschreitenden Urbanisierung und Schwankungen der Lebensmittepreise, haben sich die Rahmenbedingungen verändert und neue Anforderungen an das System wurden gestellt (vgl. STIERAND 2016: 118). „Die nicht mehr hungrige Gesellschaft hinterfragt die Wirkungen des Ernährungssystems auf Umwelt, Gesundheit und auf die lokale wie globale Ökonomie.“ (ebd.: 118).
Da die Versorgung mit ausreichenden und bezahlbaren Nahrungsmittel als versichert scheint, beziehen sich die neuen Bedürfnisse auf Vertrauen, Gesundheit, Nachhaltigkeit und Fairness. Der Aspekt des Vertrauens konzentriert sich darauf, dass die bislang anonymisierten Produktions-, und Lieferketten transparenter gestaltet werden sollen, um eine gewisse Nähe und Bewusstsein im Ernährungssystem zu erzeugen. Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit steigt und die Konsumenten haben realisiert, dass die Lebensmittelproduktion und bestimmte Ernährungsweisen negative Auswirkungen auf die Umwelt, als auch auf ihre Gesundheit, haben (vgl. ebd.: 126). Obwohl die Beziehungen der Wertschöpfungsketten anonymisiert scheinen, steigt das Interesse für faire Arbeitsbedingungen und Bezahlungen. Dafür können steigende Umsätze von Fairtrade- und Bioprodukten als Indikator verwendet werden. Schrittweise steigt auch das Bewusstsein der lokalen Organisationen, sowie von der Stadtverwaltung für diese neuen Ernährungsbedürfnisse und es werden multifunktionale Projekte und Strategien entwickelt (vgl. STIERAND 2012: 69).
Es muss eingeschränkt werden, dass die Begriffe „lokal“ und „regional“ nicht immer gleichbedeutend mit „besser“ sind. Es scheint oftmals so, als würden alle positiven Eigenschaften von Lebensmittel, wie gesund, frisch, tierfreundlich, nachhaltig, transparent und fair, auf die Region projiziert werden. Doch in der Realität hängt keine dieser Eigenschaften mit dem räumlichen Maßstab der Region zusammen. Verbraucher entwickeln im Zusammenhang mit dem Begriff der Region jedoch gewisse Erwartungen und nehmen diese als ein Zeichen von Sicherheit und Qualität wahr. Beispielsweise scheint ein weit entfernter Ursprungsort als ein Indikator für Umweltschädlichkeit zu sein. Vergleicht man aber die ausgestoßenen Treibhausgase der Bereiche entlang der Wertschöpfungskette, so erkennt man, dass auf das Transportwesen ein vergleichsweiser geringer Anteil entfällt. Somit kann eine effiziente Produktion, angepasst an die klimatischen Bedingungen des Standortes und/oder Skalenvorteile, weit aus umweltschonender sein, als die lokale Herstellung. Oftmals fungiert das Kennzeichen „Regionalität“ nur als ein Marketinginstrument. Nichtsdestotrotz ermöglichen regionale Ernährungssysteme ein gewisses Ausmaß an Einflussnahme, stärken die lokale (Land-) Wirtschaft, geben den Verbrauchern Sicherheit und fördern Diversität und kleine Strukturen (vgl. STIERAND 2014: 107ff).
Zukünftige Entwicklungen, wie die rasante Urbanisierung, der Klimawandel, das weltweite Bevölkerungswachstum, veränderte Konsumgewohnheiten, die Bodenerosion, etc., bringen einige Herausforderungen mit sich. Im Zuge dieser Dynamik wird auch die Ernährungssituation hinterfragt. Obwohl Stadt- und Landwirtschaft oftmals in unterschiedliche Bereiche eingeordnet werden, spielt in diesem Zusammenhang die Verbindung mit der urbanen und städtischen Landwirtschaft eine essentielle Rolle. So vielfältig wie die Ausprägungsformen, sind auch die Definitionen und Sichtweisen der Autoren. Eine oft zitierte Definition stammt von Luc Mougeot, welcher am International Development Research Center in Ottawa tätig ist und bei Forschungen urbaner Landwirtschaft in Ost-Afrika mitwirkte.
MOUGEOT (2000: 11) definiert die urbane und städtische Landwirtschaft wie folgt:
Urban agriculture is located within (intra-urban) or on the fringe (peri-urban) of a town, a city or a metropolis, and grows or raises, processes and distributes a diversity of food and non-food products, (re-)uses largely human and material resources, products and services found in and around that urban area, and in turn supplies human and material resources, products and services largely to that urban area.
Auf Basis von MOUGEOT (2000:10f) ist dementsprechend nicht der Standort das hinreichende Kriterium für urbane und städtische Landwirtschaft, sondern viel mehr die Integration in das Wirtschafts-, Sozial-, und Ökosystem der Stadt. Es werden städtische Ressourcen, wie Land, Arbeit, organische Abfälle, Wasser, etc. genutzt und ausschließlich für die Stadtbewohner produziert. Des Weiteren wird das Konzept stark durch städtische Verhältnisse, wie Verwaltung, Verfügbarkeit von Land, Preise und Märkte, beeinflusst. Umgekehrt besitzt die urbane und städtische Landwirtschaft auch erwähnenswerten Einfluss auf das System. Während sich der Begriff „intra-urban“ auf kleinere Flächen innerhalb der Stadtgrenzen bezieht, befinden sich die Flächen im „peri-urbanen“ Bereich eher in den Randgebieten der Stadt. In der Definition wird nicht erwähnt, ob es sich um Einzelpersonen, Gruppen oder Organisationen handelt.
Es muss eingeschränkt werden, dass die Begriffe „urbane Landwirtschaft“ und „städtische oder stadtnahe Landwirtschaft“ somit nicht als Synonyme zu verstehen sind. Die Differenzierung basiert weitgehend auf MOUGEOT (2000: 10f) und unterscheidet die städtische und ländliche Landwirtschaft ebenfalls auf Basis der Integrationsebenen in die Stadtsysteme. Die urbane Landwirtschaft hat nur einen begrenzten Zugang zum Naturraum und ist über das Stadtgebiet verteilt. Sie beschreibt die Nutzung von einzelnen Personen oder Gruppen in Ballungsräumen für den gezielten Anbau von Nahrungsmittel, welche primär dem Eigenbedarf dienen. Es werden bewusst urbane Flächen gesucht und eine gewisse Flexibilität ist notwendig. Die sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Kreisläufe der Stadt sind eng mit der urbanen Landwirtschaft verbunden. Dazu zählen Kleingärten und diverse Formen von Gemeinschaftsgärten (vgl. LOHRBERG 2001: 163, STIERAND 2008: 74). Die städtische und stadtnahe Landwirtschaft bezieht sich auf die Bewirtschaftung durch landwirtschaftliche Betriebe in Ballungsräumen. Die Anbau-, und Vermarktungsmethoden gleichen dem Prinzip der ländlichen Landwirtschaft. Zur stadtnahen Landwirtschaft zählt beispielsweise der Getreide-, und Ackerbau oder die Viehzucht in städtischen Regionen (vgl. STIERAND 2008: 74f). Um nochmals auf die Theorien von Mougeot zu verweisen, erkennt man, dass Gemeinschaftsgärten, als Beispiel urbaner Landwirtschaft, eine wesentlich engere Integration in die Stadtsysteme aufweisen als der herkömmliche Getreideanbau.
Eine andere Sichtweise stammt von David Hanson und Edwin Marty, welche vor allem die sozialen Aspekte des Konzepts hervorhebt. Beide Autoren stammen aus den USA und haben im Jahr 2010 festgestellt, dass es zu wenig Publikationen zum Thema „Urban Farming“ gibt und beschlossen, die verschiedenen Ausprägungsformen literarisch festzuhalten. Im Zuge dieser Erkenntnis entstand das Buch „Breaking Through Concrete: Building an Urban Farm Revival”. In ihrem Buch wird festgestellt, dass die Grenzen der Umsetzungsformen sehr schwammig und die Formate und Akteure sich stark voneinander unterscheiden. Trotzdem haben alle ähnliche Intentionen, nämlich der vereinfachte Zugang zu gesunden Lebensmitteln und eine enge Gemeinschaft. Auf Basis der Gespräche mit Farmern, Gärtnern, Organisationsmitgliedern und anderen Beteiligten sind HANSON & MARTY (2012: 5) zur folgenden Definition gekommen:
An urban farm is an intentional effort by an individual or a community to grow its capacity for self-sufficiency and well-being through the cultivation of plants and/or animals.
Die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen versucht sich ebenfalls an einer Definition. Im Projekt „Zukunftsforum Urbane Landwirtschaft“ wird der Agrarsektor der Ruhrmetropole analysiert und die Professionalität der Akteure betont. Es wird streng zwischen urbaner Landwirtschaft und den urbanen Gärtnern unterschieden und dafür der Oberbegriff urbane Agrikultur verwendet. Die Definition spiegelt vor allem das marktorientierte Interesse der Städte an der Landwirtschaft wider. BORN & PÖLLING (2014: 9) definieren wie folgt:
Urbanes Gärtnern fasst die gärtnerischen Aktivitäten der Stadtbewohner zusammen, die zumeist soziokulturell geprägt sind. […] urbane Landwirtschaft umfasst die professionelle landwirtschaftliche und gärtnerische Produktion in und am Rande städtischer Ballungsräume.
Die angeführten Beispiele zeigen, dass eine genaue Abgrenzung kaum möglich ist und jede Instanz, auf Basis der individuellen Erfahrungen, eine eigene Betrachtungsweise und Definition entwickelt. Zusätzlich muss beachtet werden, dass sich das Konzept kontinuierlich verändert und weiterentwickelt. Im Zuge der Entstehung neuer Ausprägungsformen ist es unabdingbar, Definitionen flexibel anzupassen, weswegen eine genaue Abgrenzung und eine einzige Definition unvorteilhaft wären.
Aufgrund der ausgeprägten Vielfalt der urbanen und städtischen Landwirtschaftsinitiativen, sind diese mit sehr unterschiedlichen Zielsetzungen, Akteuren, Grad der Professionalität und Rahmenbedingungen verbunden. Es reicht von privaten Gemüsebeeten und professionellen Dachfarmen, zu kommerziell orientierten Betrieben. Diese Diversität der Erscheinungsformen erschwert vor allem den politischen Entscheidungsträgern der Stadt die Einschätzungen, welche Initiativen mit den langfristigen Zielen, wie eine nachhaltige Stadtentwicklung, soziale Inklusion, Ernährungssicherheit, etc., vereinbar sind. Eine Klassifikation bietet aus strategischer Hinsicht die Möglichkeit, die Potentiale der urbanen und städtischen Landwirtschaft abzuschätzen und im Zuge dessen, in die Konzepte miteinzubeziehen und zu fördern. Im Rahmen des Forschungsvorhabens Innovationsanalyse Urbane Landwirtschaft (INNSULA) wurden die verschiedenen Typen durch das Zentrum für Agrarlandschaftsforschung Leibnitz erarbeitet. (vgl. BERGES et al. 2014: 10f).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Typologien urbaner und städtischer Landwirtschaft (BERGES et al. 2014: 12)
Die dargestellte Abbildung 3 unterscheidet die Typologien urbaner und städtischer Landwirtschaft auf Basis der Akteure, der Interessen und der Ernteverteilungsebene. Die jeweiligen Kategorien lassen sich ebenfalls auf drei weitere Ebenen aufspalten. Die Klassifikation der Akteure lässt sich in Individuen und Privathaushalte, Vereine und Start-ups und Unternehmen aufspalten. Dabei unterscheiden sich die Interessen und Ziele der Akteure. Individuen und Privathaushalte führen gärtnerische Aktivitäten primär zum Ziel der Selbstversorgung aus. Sie ermöglichen sich dadurch den Zugang zu (Bio-)Lebensmitteln, sparen Kosten, fördern ihre Gesundheit und nehmen die körperlichen Tätigkeiten an der frischen Luft als Erholung wahr. Vereine, Start-ups oder Gemeinschaften verfolgen im Gegenteil dazu andere Ziele, wie Bildung, kultureller Austausch, Förderung des Gemeinschaftslebens, soziale Inklusion und/oder sind politisch motiviert. Unternehmen hingegen richten ihr Handeln kommerziell aus. Ihre Tätigkeiten werden durch Einkommensgenerierung, Profit, Schaffung von Arbeitsplätzen und neuen Märkten getrieben. Auf Grundlage dieser Abgrenzungen können im Zusammenhang mit der Frage, für wen die Ernte produziert wird, drei Verteilungsebenen voneinander unterschieden werden, nämlich die Mikro-, Meso-, und Makroebene. Während in der Mikroebene die Produkte vorwiegend innerhalb des Haushalts konsumiert werden, zirkulieren die Erzeugnisse auf der Meso-, und Makroebene auch außerhalb dieses Kreises. Auf der Mesoebene wird die Ernte in einer definierbaren Gemeinschaft verteilt und auf der Makroebene stehen Konsument und Produzent in keiner definierten Beziehung zueinander und Erzeugnisse werden nicht innerhalb einer speziellen Gruppe konsumiert (vgl. BERGES et al. 2014: 12).
Basierend auf den Beziehungen zwischen den abgegrenzten Klassifikationen können verschiedene Typen der urbanen Landwirtschaft dargestellt werden. Der Idealtyp ist eindeutig zuordenbar. Als Beispiel für einen Idealtyp der Kategorie Subsistenz wäre ein Hausgarten, für die soziokulturelle Ausrichtung ein Schulgarten und für die Kategorie kommerziell, ein für den Vertrieb bestimmter Obstgarten. In der Realität lassen sich aber nicht alle Ausprägungsformen der Initiativen exakt klassifizieren. Zu den Sub- und Mischtypen zählen beispielsweise Selbsterntegärten und Nachbarschaftsgärten. Selbsterntegärten können nicht eindeutig zugeordnet werden, da Mitglieder der Mesoebene entstammen, das Handeln jedoch von Unternehmen aus kommerzieller Sicht gesteuert wird.
Das Konzept der urbanen und städtischen Landwirtschaft gewinnt immer mehr an Interesse und Aufmerksamkeit. Dieses Interesse entstand nicht zuletzt dadurch, dass das Konzept als Problemlöser einiger innerstädtischer Umweltherausforderungen dient und dienen könnte. Obwohl das Konzept der urbanen Agrikultur nicht neu ist, scheint es als würde das Interesse erst in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen sein und die Vorteile erst jetzt erkannt werden. In dem Buch „City Beautiful: a century of community gardening in America” versucht Lawson Laura dieses schwankende Interesse, bezüglich der urbanen Gärten zu dokumentieren. In der Vergangenheit wurde die wachsende Anteilnahme in den meisten Fällen von Krieg oder Krisen verschiedener Art begleitet. Jede Popularitätsphase der städtischen Gärten, egal ob Schulgärten, Verschönerungsgärten, Kriegsgärten, etc., wurde von eigenen sozialen, politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Kontext geprägt. Ein Beispiel dafür sind die sogenannten „Kriegsgärten“. Während dem ersten Weltkrieg wurde die Strategie verfolgt, seinen Feind auszuhungern und damit zur Unterwerfung zu bringen. Im Zuge dessen forderten die Teilnehmerstaaten ihre Bürger auf, jede verfügbare Fläche für das Bewirtschaften von Nahrungsmitteln zu nutzen (vgl. MALTZ 2015: 392f). Für Unterstützer und Akteure der unterschiedlichen Phasen fungierten die Gärten primär als Möglichkeit Nahrungsmittel anzubauen und es wurde kaum über größere Auswirkungen nachgedacht. In der Vergangenheit wurden Initiativen als temporäre Lösung für die Nahrungsmittelproduktion angesehen und mit jeder Krise engagierten sich neue Organisationen und Institutionen. Obwohl diese jedes Mal ähnliche Ansätze verfolgten, konnte sich das städtische Gärtnern bei der breiten Masse nicht durchsetzen (vgl. LAWSON 2005: 287 f). Der letzte Interessenaufschwung steht im Zusammenhang mit dem steigenden Umweltbewusstsein und dem Bedürfnis nach einem lokalen Ernährungssystem. Die städtischen Farmen und Gärten profitieren direkt von der gestiegenen Anteilnahme. Diese sind aber nicht die einzigen, welche einen Mehrwert durch die Verbreitung von städtischer Landwirtschaft abschöpfen können. Die Vorteile wirken sich auf drei Ebenen der Nachhaltigkeit aus, nämlich auf der sozialen, ökonomischen und umweltbetreffenden Ebene. Historisch gesehen, als auch heute, zählen die Entwicklung der Gemeinschaft, die Ernährungssicherung und ökonomische Aspekte als drei der Hauptmotive, um urbane und stadtnahe Landwirtschaft auszuüben (vgl. ACKERMAN et al. 2014: 190f).
Allgemein muss erwähnt werden, dass die Motive der urbanen Landwirtschaftsbetreibenden in Industrie-, und Entwicklungsländern stark variieren. Der Aspekt der Ernährungssicherung ist vor allem für den globalen Süden von großer Bedeutung und es wird auf möglichst geringem Platz mit innovativen Methoden gearbeitet. Das primäre Ziel ist, die Familie zu ernähren, beziehungsweise eine adäquate Ernährung für eine gesunde Entwicklung zu ermöglichen (vgl. TAGUCHI & SANTINI 2019: 17). Der Beitrag zur Ernährungssicherung wird als die Hauptstärke in den Entwicklungsstaaten wahrgenommen. Die Food and Agriculture Organization (FAO) (FAO 1996) definiert Ernährungssicherheit als gegeben, wenn alle Menschen zu jederzeit physischen und ökonomischen Zugang zu ausreichenden und sicheren Nahrungsmittel haben, um ein aktives und gesundes Leben zu führen.
Die Definition bezieht sich auf die folgenden vier Dimensionen der Ernährungssicherheit:
- Die Verfügbarkeit von Nahrungsmittel: es muss eine ausreichende Menge an qualitativ hochwertigen Lebensmittel vorhanden sein
- Ökonomischer und physischer Zugang zu Nahrungsmittel: bezieht sich auf ausreichendes Einkommen, stabile Märkte und erschwingbare Preise
- Verwendung der Nahrungsmittel: im Zusammenhang mit adäquater Ernährung, Trinkwasser, Abwasser und Gesundheitsversorgung
- Stabilität: betrifft die kontinuierliche Sicherstellung des Zuganges, sodass dieser durch kurzfristige politische, ökonomische oder klimatische Krisen nicht gefährdet wird
Im Gegensatz dazu wird im globalen Norden die urbane und städtische Landwirtschaft als Möglichkeit für eine nachhaltigere Ernährungsweise und vereinfachter Zugang zu vitaminreicheren Lebensmittel wahrgenommen. Durch das Eigenengagement der Stadtbewohner wird eine visuelle und emotionale Verbindung zwischen Produktion und Konsum hergestellt, welche in den letzten Jahren kontinuierlich verschwunden ist. Darüber hinaus führt die Beteiligung in dem Produktionsprozess der Nahrungsmittel zu einem veränderten Ess-, und Konsumverhalten und erhöhen körperliche Aktivitäten (vgl. BOHN & VILJOEN 2012: 156). Trotzdem muss erwähnt werden, dass auch in den entwickelten Staaten der Zugang zu Nahrungsmittel nicht immer gewährleistet ist. In manchen Regionen bietet die urbane Landwirtschaft eine Möglichkeit zur Beseitigung der sogenannten „Food Deserts“. Der Begriff der „Nahrungsmittelwüsten“ beschreibt vorwiegend einkommensschwache Stadteile oder auch Dörfer, welche nur einen sehr begrenzten Zugang zu gesunden und frischen Lebensmitteln haben. Lebensmittelkonzerne sind oftmals nur am Stadtrand angesiedelt und aufgrund oft schwacher Verkehrsanbindung dieser Gebiete, nur schwer für die Bewohner zu erreichen (vgl. CROWE et al. 2018: 2).
Über die Ernährungssicherung hinaus, können durch die innerstädtische Landwirtschaft zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. Beispielsweise können laut der FAO (2011: 7) bei Kleinbetrieben durch intensives Gärtnern von 10 bis zu 40 Arbeitsplätze pro Hektar geschaffen werden. Diese Zahl bezieht sich auf alle direkten sowie indirekt geschaffenen Arbeitsplätze entlang der Wertschöpfungskette. Zusätzlich kann durch die urbane und städtische Landwirtschaft das Haushaltsbudget erweitert werden und die Ausgaben für Lebensmittel verringert. In Österreich wurden im Jahr 2015 rund 10,5% des Haushaltsbudgets für Nahrungsmittel ausgegeben (vgl. Stadt Wien 2018). Vergleichsweise bilden die USA das Minimum der Ausgaben mit 6,3 % und Entwicklungsstaaten wie Nigeria (58,9%) und Kenia (52,2%) stehen an der Spitze (vgl. Neue Zürcher Zeitung 2017). Somit kann vor allem in Entwicklungsstaaten der Eigenanbau von Nahrung erheblich zum Haushaltsbudget beitragen. Besonders wichtig ist urbane Agrikultur auch für die Innovation und Forschung. Viele städtische High-Tech Farmen profitieren nicht nur durch den Verkauf der Nahrungsmittel, sondern ebenfalls durch das Verkaufen der angewandten Technologien. Daher haben viele Farmen auch Forschungslabore vor Ort und sind so untereinander verbunden, um Fortschritte generieren zu können (vgl. VAN TUIJL et al. 2018: 16).
Oftmals wird urbane und städtische Landwirtschaft aus sozial-kulturellen Motiven ausgeübt. Gärtnerische Aktivitäten können die Gemeinschaft stärken und Beziehungen zwischen den verschiedensten sozialen Gruppen fördern. Durch die Offenheit des Konzeptes können Menschen verschiedenster Hintergründe teilnehmen und so Integration, Zusammenhalt und die Beteiligung am öffentlichen und politischen Leben fördern. Besonders in Kombination mit Obst-, und Gemüseanbau gibt es spezielle Programme für Kinder, welche sowohl innerhalb der schulischen Aktivitäten, als auch außerhalb stattfinden. Ein Beispiel dafür ist die 2011 gegründete Initiative City Farm Schönbrunn bzw. Augarten in Wien. Die City Farm stellt einen städtischen Erlebnisgarten dar und ist der erste und größte Garten speziell für Kinder mitten im Zentrum der Hauptstadt. Ganzjährig wird ein breites Spektrum an gartenpädagogischen Programmen, Workshops und Veranstaltungen angeboten. Diese richten sich speziell an Schul-, und Kindergartengruppen, vereinzelt werden auch Workshops für Erwachsene oder sogar Team-Buildings organisiert. Auf mehr als 4000m² werden verschiedene Kinder-, und Themenbeete bewirtschaftet und im Pfad der Gemüsevielfalt wachsen Arten und Sorten, welche man in keinem Supermarkt finden würde. In der mit solarbetriebenen Gartenküche wird die Ernte verarbeitet und durch den Kompostplatz der Nährstoffkreislauf wieder geschlossen. Ziel der Initiative ist es, die Kinder in den gesamten Nahrungskreislauf praktisch einzugliedern, ihnen einen verantwortungsvollen Umgang mit Lebensmitteln zu vermitteln und ihnen wertvolles Wissen für den Eigenanbau weiterzugeben (vgl. City Farm o.J.).
Neben speziellen Programmen für Kinder, nutzt die Österreichische Gartenbau Gesellschaft den Umgang mit der Natur und Pflanzen als eine Therapieform. Die Gartentherapie besteht aus dem zielgerichteten Einsatz der Natur zur Erhöhung des physischen und psychischen Wohlbefindens der Erkrankten. Die Krankheitsbilder sind divers, neben medizinischen Gründen (z.B. Demenz, Behinderung, etc.) sind zunehmend vor allem gesellschaftlich und sozial bedingte Erkrankte (z.B. Depression, Sucht, Traumata) Zielgruppe der Therapierform (vgl. Österreichische Gartenbau Gesellschaft 2018). Die Motive, um an urbaner Agrikultur, besonders dem urbanen Gärtnern, teilzunehmen, sind sehr vielfältig, wie man an den zwei genannten Beispielen erkennen kann. Das Konzept bietet der Allgemeinheit gepflegte Grünflächen und dem Individuum Möglichkeit zur Entfaltung und Entwicklung.
Neben ökonomischen und sozialen Motiven der Akteure, gibt es auch auf der Ebene der Umwelt einige Gründe, das Konzept zu fördern. Da Städte sowohl zu einem erheblichen Teil Verursacher, als auch Betroffene des Klimawandels sind, ist hier Handlungsbedarf notwendig. In zahlreichen Studien wurde eine positive mikroklimatische Wirkung von „Grüner Infrastruktur“ bewiesen (vgl. BOWLER et al. 2010: 147 ff). Beispielsweise kann durch vermehrte Grünflächen der städtische Wärmeinseleffekt gedämmt werden. Der Begriff städtische Wärmeinsel beschreibt stark generalisierend das Faktum einer inselartig ausgebildeten urbanen Überwärmung, die von einem kühleren Freiland umgeben wird (KUTTLER 2013: 223). Durch Verdunstung und Verschattung ergibt sich eine temperatursenkende Wirkung. Zusätzlich wird durch die Grünfläche weniger Strahlung absorbiert und so der potenzielle Wärmeeintrag reduziert (vgl. RÖSSLER 2014: 125). Außerdem können Hochwasser oder ähnliche Erscheinungen gemildert, die Biodiversität gefördert und die Luftqualität verbessert werden. Die Multifunktionalität der selben Fläche gilt dabei als ein Hauptvorteil.
Neben dem Potential für eine nachhaltige Stadtentwicklung auf verschiedenen Ebenen, weist das Konzept auch einige Schwachpunkte auf. Wie bereits erwähnt ist urbane und städtische Landwirtschaft nicht so modern wie es scheint. Auch über die scheinbar neuen Technologien und fortgeschrittenen Bewirtschaftungsmöglichkeiten wurde bereits in der Vergangenheit schon diskutiert. Beispielsweise wurde schon 1970 eine auf künstlichem Licht basierende Pflanzenfarm von General Electric entwickelt. Die weitere Entwicklung wurde aber aufgrund der geringen Nachfrage kurz darauf wieder beendet (vgl. ANPO et al. 2019: 25). Das Beispiel zeigt, dass die dauerhafte Implementierung mit einigen Herausforderungen verbunden ist.
Darüber hinaus wird argumentiert, dass die urbane und städtische Landwirtschaft nicht so gesund und frisch sei, wie erwartet. Aufgrund der Verschmutzung in den Ballungsräumen könnten Gemüse- und Obstsorten einen hohen Anteil von schädlichen Schwermetallen enthalten. Die Verschmutzung betrifft sowohl Luft, Wasser als auch Böden. Ähnlich behaupten Gegner, dass moderne Technologien zu „künstlichen“ Lebensmittel ohne den notwendigen Nährstoffen führen (vgl. VAN TUIJL et al. 2018: 17). Allgemein befindet sich die urbane Agrikultur im permanenten Konflikt um das limitierte Gut der Bodenflächen, mit verschiedenen Programmen unterschiedlicher Interessensgruppen. Dazu zählen beispielsweise, die Errichtung von Wohngebäuden oder Parkplätzen. Durch negative Externalitäten, wie Gerüche, Geräusche oder übermäßigem Energieverbrauch der Landwirtschaft können zusätzliche Probleme entstehen. Als Beispiel dafür kann der geplante Deltapark im Hafen von Rotterdam dienen. Dort war ein mehrstöckiges Konzept auf Basis von vertikaler Landwirtschaft geplant, wodurch ein geschlossener Produktionskreislauf entstehen sollte. Sowohl Tiere, als auch Gemüse und Obst hätten direkt in der Stadt produziert werden können. In Folge einiger Proteste und Kritiker wurde das Projekt nie umgesetzt (vgl. BÖRNECK 2016).
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