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Bachelorarbeit, 2020
58 Seiten, Note: 1,7
1. Einleitung
2. Theoretischer Rahmen
2.1 Debatte um den Populismusbegriff
2.2 Konzeptualisierung von Rechtspopulismus
2.2.1 Populistische Ideologie
2.2.2 Rechte Ideologie
3. Ideologische Entwicklung der AfD
4. Daten und Methodik
4.1 Auswahl des Untersuchungsgegenstandes
4.2 Messung von Rechtspopulismus
4.3 Kategoriensystem
4.3.1 Populismus
4.3.2 Rechte Orientierung
5. Ergebnisse
5.1 Grad des Populismus
5.2 Grad der rechten Orientierung
5.3 Höcke und Meuthen im Vergleich
5.4 Grad des Rechtspopulismus
5.5 Zusammenfassung der Ergebnisse
6. Diskussion
7. Fazit
8. Quellen
9. Anhang
Seit geraumer Zeit hat sich im allgemeinen und wissenschaftlichen Diskurs Rechtspopulismus als Bezeichnung für die AfD durchgesetzt. Während sie 2015 noch nicht „einheitlich und eindeutig der rechtspopulistischen Parteienfamilie zugeordnet“ (Lewandowsky 2015, S. 123) wurde, ist im Laufe der Jahre eine „Radikalisierung der AfD, das Vordringen rechtsextremer Kräfte“ (Heinemann 2018) feststellbar. Der Politikwissenschaftler Frank Decker wirft der AfD vor, „auf dem Weg zur rechtsextremen Partei“ (Haas-Rietschel 2019) zu sein. Gleichwohl wird die AfD noch nicht vollständig dem Rechtsextremismus zugeordnet und mit einer Partei wie der NPD auf eine Stufe gestellt. Auch wenn rechtsextreme Tendenzen wahrnehmbar sind und Teilorganisationen wie der Flügel und die Junge Alternative mittlerweile in der Rechtsextremismus-Statistik des Verfassungsschutzes geführt werden (vgl. Thorwarth 2019), wird die AfD von einem Großteil der Forschung weiterhin als rechtspopulistische Partei mit „extremistischen ,Einsprengseln‘, die sich im Falle der AfD zuletzt immer weiter verstärkt haben“, klassifiziert (Decker 2018, S. 360; vgl. auch Decker und Lewandowsky 2017; Häusler 2017; Priester 2017). Ähnlich bezeichnet der englischsprachige Forscher Cas Mudde die AfD als „radikalrechte populistische Partei“ (Mudde und Kaltwasser 2019, S. 13), grenzt sie aber von der sogenannten „extremen Rechten“ (Mudde 2007, S.24) ab und argumentiert damit vergleichbar mit den genannten deutschsprachigen Forscherinnen1.
Treibende Kraft für die programmatische Ausrichtung in das rechte Spektrum ist der Flügel und sein Mitbegründer und Thüringens AfD-Chef Björn Höcke. Schon seit Jahren durch provokante und tabubrechende Äußerungen als Frontmann des rechten Randes der Partei bekannt, gelangte er wegen der Wahlerfolge in den neuen Bundesländern im Jahre 2019 in den Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit und bekam innerhalb der AfD mehr politisches Gewicht. Auf dem jährlich stattfindenden Flügelfest, das sogenannte Kyffhäusertreffen, kündigte Höcke im Sommer 2019 unter jubelndem Applaus an, sich beim Bundesparteitag für die Wahl des Vorstandes aufzustellen (vgl. Höcke 2019). Letzten Endes verzichtete er auf eine Kandidatur und forderte kurz vor dem Parteitag auf seiner Facebook-Seite stattdessen nach mehr Flügel-Vertretern im Vorstand (vgl. AfD 2019).
Der Anspruch des Flügels auf mehr politisches Gewicht und die seit Jahren zu beobachtende programmatische Verschiebung nach rechts bietet Raum für die Forschungsfrage, welchen Effekt diese Entwicklung für die allgemeine Klassifikation der AfD als rechtspopulistische Partei hat. Um dieser Frage nachzugehen, wird der Begriff Rechtspopulismus zunächst in seine einzelnen Bestandteile zerlegt und untersucht, wie sich die zunehmende Bedeutung rechter Elemente auf den Populismus auswirkt und in welchem Verhältnis rechte und populistische Elemente folglich stehen. Da die politische Entwicklung nach rechts schon seit Jahren beobachtet werden kann, ist eine Untersuchung im zeitlichen Vergleich auch Teil der Fragestellung dieser Arbeit: Wie haben sich rechte und populistische Merkmale im Laufe der letzten Jahre entwickelt? Das Erkenntnisinteresse besteht darin, herauszufinden, ob die Zunahme von rechter Orientierung mit dem Verlust von populistischer Orientierung einhergeht. In anderen Worten: Werden Vertreterinnen einer rechtspopulistischen Partei weniger populistisch, je weiter sie sich politisch-ideologisch nach rechts bewegen?
Um diese Frage beantworten zu können, wird in einem theoretischen Teil zunächst eine Annäherung an den Rechtspopulismus-Begriff vorgenommen, um eine für den Rahmen der Untersuchung angemessene Konzeptionalisierung von Rechtspopulismus zu erstellen. Da es „innerhalb der Politikwissenschaft [.] eine lebhafte Debatte um eine zielführende Konzeptionalisierung dieses Begriffes [gibt]“ (Franzmann 2014, S. 117), wird einschlägige Literatur aus diesem Themenfeld verwendet, um daraus den theoretischen Rahmen für die darauffolgende Untersuchung anzufertigen. Damit der Begriff politikwissenschaftlich angemessen eingeordnet werden kann, wird auch auf die Nähe zum Rechtsextremismus eingegangen. Hierdurch soll das Spannungsfeld zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus konkretisiert und voneinander abgegrenzt werden.
In einem nächsten Schritt wird die Relevanz des Erkenntnisinteresses und des Untersuchungsvorhabens durch die ideologische Entwicklung der AfD veranschaulicht. Der Fokus liegt vor allem auf den innerparteilichen Ereignissen, die den Einschlag in das rechte Spektrum verursacht und begünstigt haben.
Aufbauend auf dem Theorieteil und unter Berücksichtigung der Entwicklung der AfD folgt methodisch eine qualitative Inhaltsanalyse, deren Hauptziel es ist, den Grad des Rechtspopulismus des Untersuchungsgegenstandes zu messen. Den Untersuchungsgegenstand bilden Reden der Kyffhäusertreffen der Jahre 2016 und 2018. Ausgewählt wurden dafür Björn Höcke und Jörg Meuthen als politische Vertreter des rechten und des gemäßigten Flügels, deren Reden jeweils auf rechtspopulistische Elemente untersucht werden. Höcke und Meuthen traten bei der Veranstaltung sowohl 2016 als auch 2018 als Redner auf. Methodisch im Sinne der qualitativen Inhaltsanalyse wird für diesen Zweck ein Kategoriensystem erarbeitet, das auf dem Theorieteil basierend Merkmale sowie Merkmalseigenschaften rechter und populistischer Elemente beinhaltet. Nach der Analyse der Reden werden Höcke und Meuthen miteinander und im zeitlichen Vergleich von 2016 und 2018 gegenübergestellt. Mithilfe dieser Vorgehensweise sollen potenzielle Entwicklungen in Bezug auf den Populismus und die rechte Orientierung abgelesen werden.
Meine Hypothese lautet zum einen, dass sich Höcke im Laufe der Zeit radikalisierte und in seiner Rede von 2018 deutlich stärker rechte Inhalte vertritt als 2016. Einhergehend mit seiner Radikalisierung nach rechts, nehme ich im Vergleich zu 2016 weiterhin eine Abnahme populistischer Elemente an, da sie unbedeutender werden, rechten Inhalten weichen müssen und somit eine Tendenz zum Rechtsextremismus implizieren. Bei Meuthen gehe ich von einem über die Jahre hinweg kontinuierlichen und dezenteren Gebrauch von populistischen und rechten Inhalten aus. Im zeitlichen Vergleich verändern sie sich nur dezent. Aufgrund der ihm zugeschriebenen Rolle als Gemäßigter erwarte ich in seinen Reden eher populistische als rechte Elemente aufzufinden.
Meine Hypothese geht also von folgender Annahme aus: Je weiter sich politische Vertreterinnen im rechtspopulistischen Rahmen ideologisch nach rechts bewegen, desto stärker nimmt die Verbreitung populistischer Inhalte ab. Die Radikalisierung nach rechts, die ich in Höckes Reden beabsichtige festzustellen, soll die politikwissenschaftliche Feststellung, dass die AfD angetrieben durch den Flügel „auf dem Weg zur rechtsextremen Partei“ (Haas-Rietschel 2019) ist, unterstreichen. Die zu klärende Frage ist in dem Kontext, ob der Populismus durch diese Entwicklung an Bedeutung verliert und in die Redundanz versinkt. Im Anschluss daran wird vor dem Hintergrund der Ergebnisse diskutiert, inwiefern die Bezeichnung Rechtspopulismus angesichts der Untersuchungsergebnisse (noch) angemessen ist.
Fachliteratur zu den Themen Populismus und Rechtspopulismus ist in großer Zahl und Vielfalt vorhanden. Fast täglich erscheinen neue Publikationen zu diesem Thema, sodass eine aktuelle Bestandsaufnahme aller wissenschaftlichen Beiträge schon aufgrund der Masse im Rahmen einer Bachelorarbeit nicht möglich ist. Darüber hinaus ist die Verwendung des Begriffes Populismus nicht unumstritten. Moffit konstatiert diesbezüglich: „The concept of populism has become so widely used - and usually in a derogatory manner to denigrate any political personality we do not like“ (2016, S. 11). Poier, Saywald-Wedl und Unger (2017) argumentieren ähnlich und finden „trotz einer mittlerweile großen Fülle an Literatur [keine] genaue Abgrenzung und Definition“ (S.25) und sprechen von einem „unscharfe[n] Begriff“, der „in den Medien, in der Politik und in der Forschung [. ] zum Teil inflationär eingesetzt [wird]“ (ebd.). Ralf Dahrendorf mahnte deshalb bereits 2007 zur Vorsicht bei der Verwendung des Begriffs, da der „Populismus-Vorwurf [...] selbst populistisch sein [kann], ein demagogischer Ersatz für Argumente.“ (Dahrendorf 2007, S. 1)
Aufgrund der Schwierigkeit Populismus präzise und sachgerecht zu definieren, existieren dementsprechend viele verschiedene Definitionsansätze. Moffit (2016, S. 17-25) differenziert zwischen vier Strängen: Populismus als politische Strategie, als Diskurs, als Logik oder als Ideologie. Dass in der Forschung auch darüber kein Konsens herrscht, zeigt ein Blick in andere Literatur. So unterscheiden Poier et al. (2017) nur zwischen zwei Strängen und fassen Strategie, Diskurs und Logik unter Politikstil zusammen und stellen ihn lediglich der Ideologie gegenüber (vgl. S. 25).
Abgesehen von der Definitionsproblematik des Phänomens Populismus, existiert in der Forschung auch Meinungsverschiedenheit über eine klare politische und terminologische Einordnung von Rechtspopulismus, der allgemein gesprochen Populismus mit einer politisch rechten Gesinnung kombiniert. Durch die rechte Orientierung gewinnt er an Nähe zum Rechtsextremismus und muss daher abgegrenzt werden. Decker (2015) verortet Rechtspopulismus „zwischen den konservativen [...] Mitte-Rechts-Parteien und den Vertretern der extremen [.] Rechten“ (S. 535-536). Schellenberg (2018) verweist auf die nahe Beziehung zum Rechtsextremismus und konstatiert, dass „das radikal rechte Spektrum [...] von rechtspopulistischen bis hin zu rechtsextremen Parteien [reicht]“ (S. 13). Die Abgrenzung zum Rechtsextremismus erfolgt hierbei, „wenn [Parteien] die Schwelle zur offenen Systemfeindlichkeit überschreiten.“ (Decker und Lewandowsky 2017, S. 29) Damit sind extremistische Haltungen und Einstellungen gemeint, die den Grundideen des demokratischen Verfassungsstaates zuwiderlaufen und dem bestehenden politischen System und seinen Grundprinzipien entgegentreten. Auch Poier et al. (2017) betonen, dass Rechtsextreme sich einer „destruktive[n] Verweigerung einer Mitwirkung im politischen System“ (S. 30) verschreiben und „das demokratische System als solches in Frage stellen“ (ebd.).
Wann jedoch genau diese Grenze der System- und Demokratiefeindlichkeit überschritten wird, lässt sich nur schwer bestimmen. Schließlich wird kaum eine Partei offen von sich behaupten, gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung vorgehen zu wollen. In erster Linie wäre solch ein Akt aus strategischen Gründen für keine Partei sinnvoll, da daraus ein Parteiverbot folgen kann. So beanstandet Minkenberg (2018) ein „klassifikatorisches Problem“, das durch den Begriff Rechtspopulismus entstehe, weil „dieselben Parteien und Personen in einem großen Teil der Literatur auch als rechtsradikal oder rechtsextrem bezeichnet werden“ (S. 339) und konstatiert, dass „die Grenzen zwischen Faschismus und rechten Strömungen, die heute als populistisch bezeichnet werden, verwischt [sind].“ (Minkenberg 2018, S. 343) Minkenbergs Kritik ist angesichts des europaweiten Aufstiegs verschiedenartiger rechter Parteien nachvollziehbar. Klare Linien bezüglich der parteipolitischen Positionen innerhalb der rechten Parteien sind nicht eindeutig und trennscharf erkennbar, weshalb für ihn „die kategoriale Abgrenzung zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus künstlich“ (ebd., S. 344) erscheint. Ähnlich argumentiert Niedermayer (2017), wenn er formuliert, dass „Parteien, deren ideologische Orientierung von nationalkonservativ bis rechtsextremistisch reicht, der rechtspopulistischen Parteienfamilie zugerechnet werden, wodurch die sinnvolle Grenzziehung zwischen nicht extremistischen und extremistischen Parteien aufgehoben wird.“ (S. 144)
Zum einen wurde verdeutlicht, dass Populismus als Phänomen aus wissenschaftlicher Sicht breit und vielfältig ausgelegt werden kann. Es existieren viele und mannigfaltige Definitionsansätze. Die Schwierigkeit, eine adäquate und allgemeingültige Definition aufzustellen sowie eine treffende Bezeichnung für die „rechtspopulistischen“ Phänomene unserer Zeit zu finden zeigen auf, dass begriffliche Bestimmungen und politische Einordnungen von den verschiedenen Perspektiven der Forscherinnen abhängig sind, die sich damit beschäftigen. So kommt auch Niedermayer (2017) zu dem Schluss, dass „trotz unbestreitbarer Fortschritte in der theoretischen Diskussion um das Konzept des Rechtspopulismus in der Wissenschaft immer noch keine einheitliche, allgemein geteilte Auffassung darüber [herrscht]“ (S. 144). Außerdem wird auch allgemeine Kritik an dem Begriff Rechtspopulismus geäußert, weil er aufgrund der inhaltlichen Überlappungen mit Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus verwechselt werden kann (vgl. Minkenberg 2018). Trotz der Problematik, die mit diesem Begriff einhergehen, wird in dieser Arbeit an ihm festgehalten. Immerhin widmet sich ein wesentlicher Teil wissenschaftlicher Fachliteratur dem Rechtspopulismus, während die dargestellte Kritik an dem Konzept im wissenschaftlichen Diskurs eher die Minderheit ausmacht. Begibt man sich auf die Suche nach Fachliteratur zu Rechtspopulismus, stößt man - wie bereits zu Beginn dieses Kapitels erwähnt - auf Unmengen an möglichen Quellen und Autorinnen. Die Debatte um den Populismusbegriff soll demonstrieren, dass es vor allem in Anbetracht gegenwärtiger Entwicklungen in einem gewissen Spannungsfeld mit Rechtsextremismus steht und mit ihm zumindest Berührungspunkte hat. Umso wichtiger ist es im Folgenden, ein für die Zwecke dieser Arbeit fruchtbares Begriffsverständnis dieses Phänomens festzulegen, welches für die folgende Inhaltsanalyse verwendet werden kann. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept Rechtspopulismus und inwiefern es als theoretischer Rahmen für die hier durchgeführte Inhaltsanalyse geeignet ist, erfolgt zum Ende dieser Arbeit im Kapitel Diskussion.
Wie in der Einleitung angeführt, ist das Ziel dieser Arbeit den Rechtspopulismusgehalt ausgesuchter Reden zu messen und zu vergleichen. Das vorherige Teilkapitel zeigt, dass es mittlerweile viele Ansätze gibt, Rechtspopulismus zu benennen und zu definieren. In Populist Radical Right Parties in Europe listet Mudde (2007, S. 11-12) insgesamt 24 verschiedene Begriffe für das gleiche Phänomen auf, welches im deutschsprachigen Raum vor allem als Rechtspopulismus bekannt ist und plädiert selbst für die Bezeichnung „populistische radikale Rechte“ (ebd.). Da es in dieser Arbeit jedoch nicht um die Diskussion von Begrifflichkeiten geht, werden diese terminologischen Unterschiede nicht weiter betrachtet und der im deutschsprachigen Raum etablierte Begriff Rechtspopulismus verwendet.
Um eine Messung von Rechtspopulismus durchzuführen, muss zunächst das hier vertretene Verständnis dieses Begriffs dargelegt werden. Das Phänomen wird hier als Zusammenspiel oder die Kombination von Populismus und rechter Orientierung aufgefasst. Das ermöglicht später eine zweidimensionale, separate Untersuchung von Populismus und rechter Orientierung. Nachfolgend soll theoretisch aufgezeigt werden, was konkret den populistischen und was den rechten Teil dieses Phänomens ausmacht.
Muddes Konzept eignet sich hierzu als theoretisches Grundgerüst für diese Arbeit. Er sieht im Rechtspopulismus das Zusammenwirken von drei eigenständigen Ideologien, die entweder auf der rechten oder der populistischen Seite verortet werden. Aufgrund dieser eindeutigen Trennung - die auch im Sinne der beabsichtigten zweidimensionalen Untersuchung ist - erweist sich die Verwendung seiner Ideologiedefinition als sachdienlich. Auf der populistischen Seite verortet Mudde die Ideologie des Populismus, auf der rechten den Nativismus und den Autoritarismus (vgl. Mudde 2019, S. 24).
Für die Auslegung als Ideologie spricht nicht nur die Trennschärfe zwischen populistischer und rechter Ideologie, sondern auch die Auswahl des Untersuchungsgegenstandes: Die zu untersuchenden Reden geben den politischen Output von zwei Spitzenpolitikern wieder, die in ihren Reden jeweils über ihr Verständnis der Parteiideologie der AfD referieren, dieses repräsentieren und nach außen tragen. Näher wird darauf im Kapitel Auswahl des Untersuchungsgegenstandes eingegangen. Die Anteile rechter und populistischer Ideologien, die die Kandidaten in ihren Reden jeweils vertreten, sollen durch die Analyse gemessen und ausgewertet werden. Das Phänomen Rechtspopulismus ist in dem Kontext deshalb nicht als politischer Stil, als Rhetorik oder Strategie zu verstehen, sondern als Ideologie, die durch ihre Vertreterinnen durch Sprache vermittelt wird. In der Untersuchung geht es also primär darum herauszufinden, in welchem Ausmaß Höcke und Meuthen eine rechtspopulistische Ideologie vertreten und nicht um sprachliche oder rhetorische Mittel in den Reden.
Für den weiteren Vorgang muss geklärt werden, was Inhalt dieser Ideologien ist und wodurch sie sich auszeichnen. Entsprechend Muddes Konzeptionalisierung wird im Folgenden zunächst der Populismus und danach der Nativismus und der Autoritarismus betrachtet. Zusätzliche inhaltliche Aspekte, die bei anderen Autorinnen aufgegriffen wurden, werden an entsprechender Stelle ergänzt.
Mudde und Kaltwasser liefern eine allgemeine Minimaldefinition, die zu den „prominentesten und am weitverbreitetsten“ (Habersack 2018) Definitionen von Populismus gehören:
„We define populism as a thin-centred ideology that considers society to be ultimately separated into two homogeneous and antagonistic camps, ,the pure people‘ versus ,the corrupt elite, ‘ and which argues that politics should be an expression of the volonté général (general will) of the people.“ (Mudde und Kaltwasser 2017, S. 6)
Mit „thin-centred ideology“ verweisen Mudde und Kaltwasser auf den von Michael Freeden (1998) geprägten Ideologiebegriff. Charakteristisch für eine solch dünne Ideologie ist „[the] structural inability to offer complex ranges of argument, because many chains of ideas [.] stretching from the general and abstract to the concrete and practical, [...] are simply absent.“ (S. 750) Solche Ideologien sind inhaltlich also beschränkt und unvollendet. Als „dünn“ werden sie bezeichnet, „wenn sie [. ] ein spezifisches Ziel verfolgen, sich aber in anderen Politikfeldern an eine komplexere Ideologie anlehnen“ (Priester 2012, S. 4). Deshalb kann der Populismus allein nicht bestehen und benötigt eine weitere „host ideology“ (Freeden 1998, S. 763), eine Wirtsideologie in Form einer vollständigen Ideologie wie den Faschismus, den Liberalismus oder den Sozialismus, an die der Populismus anknüpfen kann. So erscheint Populismus als ein „Ideengefüge, das in der realen Welt in Kombination mit recht unterschiedlichen und manchmal gegensätzlichen Ideologien auftritt“ (vgl. Mudde und Kaltwasser 2019, S. 25). De facto können sich linke, rechte, konservative, progressive, religiöse oder säkulare Bewegungen in populistischer Manier herausbilden. Aus diesem Grund kann Populismus letzten Endes „als politisches Phänomen [...] extrem heterogen“ (ebd., S. 45) und in seiner Ausrichtung grundverschieden erscheinen. „Dank seiner ,dünnen‘ Ideologie [kann Populismus] so durchlässig [agieren], dass er zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten eine jeweils sehr eigene Form annehmen kann.“ (ebd., S. 29) Decker und Lewandowsky (2017) bezeichnen ihn mit ähnlichen Worten „als äußerst wandlungsfähig“ (S. 23) und auch Karin Priester verweist auf die gleiche Eigenschaft, wenn sie Populismus mit einem Chamäleon vergleicht, das „sich permanent neuen Bezugssystemen an[passt]“ (Priester 2012, S. 3). All diese Einschätzungen deuten auf die Mannigfaltigkeit von Populismus hin, der sich an die Gegebenheiten und Umstände seiner Umgebung anpassen und entsprechend verändern kann. Wie sich das von Priester erwähnte „Chamäleon“ färbt, hängt von der jeweiligen Wirtsideologie ab. Mit einer anderen Metapher, welche die hier vertretene Auffassung verdeutlicht, kann Populismus als Fass verstanden werden, das von Parteien mit einem bestimmten Set an Ideologien befüllt wird und dann in der jeweiligen Konstellation zum Vorschein kommt.
Inhaltlich fokussiert sich der Populismus auf die „pure people“ und schreibt dem Volk eine besondere Bedeutung zu. Obwohl es nur ein „Konstrukt ist, das sich bestenfalls auf eine spezifische Interpretation (und Simplifizierung) der Realität bezieht“ (Mudde und Kaltwasser 2019, S. 30), wird das Volk als kollektives und homogenes Gebilde verstanden, welches sich gegenüber der „corrupt elite“ durch seine „moralische Überlegenheit“ (Priester 2012, S. 5) auszeichnet. Poier et al. (2017) beschreiben diese Vorstellung vom Volk als populistische Fiktion, weil „die Gesellschaft [...] Fragmentierungen und Gegensätze auf[weist] [...], [die] innerhalb des konstruierten ,Volkes‘ bewusst übersehen oder vernachlässigt [werden].“ (S. 43) Nichtsdestotrotz sind Populist*innen darum bemüht, dem vermeintlichen Volk „die Herrschaft zurück[zu]geben“ (Mudde und Kaltwasser 2019, S. 31). Schließlich sehen sie sich als „Anwalt der ,kleinen Leute‘“ (Priester 2017, S. 10) und vertreten „‘die Belange des kleinen Mannes‘“ (Hartleb, 2005, S. 12). Populist*innen würdigen das einfache Volk, indem sie es gegen die Eliten verteidigen und auf die Interessen und vor allem Ängste und Sorgen der Bürgerinnen eingehen. Bewusst bedienen sie sich dabei einer Sprache der Emotionalisierung, „die primär auf die latenten Ängste der Bürger zielt.“ (Poier et al. 2017, S. 48) Um den Menschen die eigenen, meist vereinfachten Lösungen für komplexe politische Probleme zu unterbreiten, werden „vorhandene Statusängste [...] nicht argumentativ entkräftet, sondern im Gegenteil als ,Malaise‘ bewusst geschürt“ (Decker 2000, S. 52). Das Volk wirkt für Populist*innen hierbei einerseits integrativ, indem es die wütende und schweigende Mehrheit verkörpert und andererseits spaltend, wodurch es sich vom korrumpierten Establishment abgrenzt (vgl. Mudde und Kaltwasser 2019, S. 32). Dieses einfache Volk beziehungsweise die Konstruktion eines solchen ist für den Populismus elementar, weil es Adressat und Hauptzielgruppe für die eigenen Botschaften ist.
Ein weiterer zentraler Punkt zum populistischen Volksbegriff ist das Verständnis als Nation, nationale Gemeinschaft, Staatsbürgertum oder Ethnie, das aufgrund des Zugehörigkeitsgefühls eine kollektive, gemeinsame Lebensweise bildet (vgl. ebd., S. 33). Welches Volksverständnis jeweils vertreten wird, ist aufgrund der politischen Heterogenität von Partei zu Partei unterschiedlich. Während es bei der Nation oder nationalen Gemeinschaft einen Interpretationsspielraum gibt, welche Teile der Bevölkerung dazu gehören und welche nicht, ist es bei einem staatsbürgerlichen oder ethnischen Volksbegriff deutlicher. Bei vielen Populist*innen ist das Volk jedoch nicht mit Bevölkerung gleichzusetzen, weil die Bevölkerung dieser Logik folgend aus mehreren Ethnien bestehe. Rechte, fremdenfeindliche Populist*innen definieren das Volk deshalb nach ethnischen Gesichtspunkten und schließen - gemäß der Ideologie des Nativismus - ,Fremde‘, Migrant*innen sowie Minderheiten aus und sprechen diesen Menschen die Volkszugehörigkeit ab. Als Abgrenzung zum anständigen, „moralisch hochstehend[en]“ (Hartleb 2005, S. 15) Volk, repräsentieren die Eliten eine „homogene korrupte Gruppe [...], die den ,Gemeinwillen‘ des Volkes konterkariert.“ (Mudde und Kaltwasser 2019, S.34) Dabei betrifft die anti-elitäre Haltung nicht nur das politische Establishment, sondern auch alle anderen Menschen, die in verschiedensten Bereichen gesellschaftlichen Lebens eine hohe Position besetzen. Dies bezieht sich beispielsweise auf die Bereiche Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft und allen voran die Medien (vgl. ebd.).
Der letzte Aspekt ist der volonté général beziehungsweise der Gemeinwille. Die Problematik der populistischen Auslegung des Gemeinwillens beschreiben Mudde und Kaltwasser (2019) wie folgt: „Weil für den Populismus der Gemeinwille nicht nur transparent, sondern auch absolut ist, lassen sich damit Autoritarismus und autoritäre Übergriffe auf all jene legitimieren, die (angeblich) die Homogenität des Volkes bedrohen.“ (S. 42) Der mehrheitliche Gemeinwille hat ähnlich wie das Volk eine essenzielle Bedeutung. Schließlich geht der volonté général aus dem Volk hervor. Dieser ist für Populist*innen unantastbar. Jede Person, die sich dem vermeintlichen Willen des Volkes in den Weg stellt, wird diffamiert und soll beiseitegeschafft werden, da er/sie/es gegen den Willen des Volkes handelt. Auch das bedarf einer breiteren Auslegung. So bezieht sich diese Feindschaft nicht nur auf Personen, sondern auch auf staatliche Institutionen und überstaatliche Organisationen wie beispielsweise hohe Gerichte oder die Europäische Union. Bemerkenswert ist, dass Institutionen oder Organisationen nicht angefeindet, sondern akklamiert werden, solange sie im Sinne der Populist*innen oder im weitesten Sinne „des Volkes“ entscheiden. Um den Gemeinwillen des Volkes durchzusetzen, wird die Forderung nach mehr Direktdemokratie geäußert. Im Vordergrund steht dabei jedoch nicht die Verbesserung der Partizipationsmöglichkeiten im politischen System. Vielmehr geht es Populist*innen darum, „die repräsentativen und verfassungsrechtlichen Institutionen im politischen Entscheidungsprozess [zu] umgehen“ (Decker und Lewandowsky 2017, S. 25; vgl. auch Spier 2014, S. 39).
In Bezug auf das politische Establishment behaupten Populist*innen, dass politische Korrektheit von den Eliten auferlegt wurde und streben daher eine „Repolitisierung bestimmter Themen [an], die [...] vom Establishment nicht (ausreichend) bearbeitet werden“ (ebd.). Dabei werden für die etablierten Parteien unangenehme Themen aufgegriffen, die mit Polarisierung, Agitation und Tabubrüchen einhergehen (vgl. Poier et al. 2017, S. 47). Mit dem Vorwurf, die Nöte und Sorgen des Volkes nicht zu verstehen und damit den volonté général nicht umzusetzen, diskreditieren Populist*innen das politische Establishment als korrupte Organisation (vgl. Mudde und Kaltwasser 2019, S. 86). Um die Abgrenzung zum verhassten politischen Establishment zu unterstreichen, nehmen Populist*innen des Öfteren eine besondere Rolle ein: „The populist claims to be driven to engage in politics not by personal ambition but by a higher calling“ (Mudde 2017, S. 73). Im Gegensatz zu den etablierten Politiker*innen, seien sie nicht aus Karrieregründen, sondern aus Berufung und der Erfüllung eines Dienstes am Volk in die Politik gegangen.
Für die rechte Ausrichtung des Populismus oder bildlich gesprochen für die rechte Färbung des Chamäleons sind die Ideologien des Nativismus und Autoritarismus verantwortlich. Nativismus wird als „combination of nationalism and xenophobia“ (Mudde 2019, S. 27) definiert und besagt, dass Staaten ausschließlich von ,Einheimischen‘, also „members of the native group“ (Mudde 2007, S. 19) bewohnt werden sollen. Alle Menschen, denen Fremdheit und damit nicht-nativistische Merkmale zugeschrieben werden, stellen für den idealistisch-homogenen Staat eine existentielle Gefahr dar. Da das Empfinden von „non-nativeness“ von subjektiven Vorstellungen abhängt, ist die Definitionsbasis von Nativismus divers. Die Fremdheit kann sich auf Ethnie, Race2 oder Religion beziehen.
Gegenwärtige europäische rechtspopulistische Parteien haben den Islam und Muslim*innen zu eines ihrer Hauptfeindbilder stilisiert und werfen der Religion expansionistische Bestrebungen vor, wogegen „das christliche Abendland [...] verteidigt werden müsse.“ (Schellenberg 2018, S. 15) In dem Zusammenhang wird aufgrund der „Flüchtlingsbewegungen aus nordafrikanischen und arabischen Staaten [...] vor Überfremdung und Islamisierung [gewarnt]“ (Decker und Lewandowsky 2017, S. 25). Aufgrund des vermeintlich vom Islam ausgehenden Gefahrenpotenzials, wird dem Islam durch die Negierung von gleichrangiger Religionsfreiheit eine gewisse Minderwertigkeit zugeschrieben. Andere Menschengruppen, die zur Zielscheibe von Rechtspopulist*innen werden können, sind unter anderem „Juden, [...] Roma und Sinti, Homosexuelle, Obdachlose, Flüchtlinge oder Menschenrechtsverteidiger [und] Menschen mit ausländischen Familienbiographien“ (Schellenberg 2018, S. 15). Im Sinne des Nativismus ist es Ziel der Rechtspopulist*innen, eine Ethnokratie zu schaffen: „that is, a democracy, in which citizenship is based on ethnicity.“ (Mudde 2019, S. 27) Darin soll der Staat von einer nativistischen Dominanzkultur regiert werden, die Einwanderung verhindert und ,Fremden‘ vor die Wahl stellt zu assimilieren oder in ihre vermeintliche Heimat zurückkehren (vgl. ebd.). Auch in Bezug auf Assimilation nimmt der Islam eine besondere Stellung ein: „Some believe that only [...] other (white) Europeans can become German or Hungarian - while others mainly hold that Islam is incompatible with their nation, meaning that Muslims cannot assimilate into ,western‘ societies.“ (ebd., S. 28) Angelehnt an das von Mudde eingebrachte Konzept der Ethnokratie, findet sich ein weiteres an diese Logik angelehntes Weltbild vermehrt in (neu)rechten Kreisen.
Die zunächst unbedenklich klingende Bezeichnung „Ethnopluralismus“ geht vorgeblich von der Gleichheit jeder Ethnie und Kultur aus und setzt sich für eine ethnische Pluralität ein. Gleichzeitig propagiert sie aber, dass Ethnien sich nicht „vermischen“ dürfen, „um die Reinheit der verschiedenen Völker zu sichern“ (Thieme 2019, S. 114; vgl. auch Schellenberg 2018, S. 15). Der Ausdruck Rasse wird dabei bewusst gemieden, denn die „Abgrenzung wird anders als im historischen Rassismus nicht biologisch bestimmt, sondern kulturell. Statt von [...] ,Rassen‘ spricht man von [...] Völkern.“ (Schutzbach 2018) Richard Stöss (2007) klassifiziert die euphemistische Formulierung Ethnopluralismus deshalb auch als eine Form des Neorassismus (vgl. S. 44).
Autoritarismus als zweite Ideologie der rechten Orientierung leitet sich von dem Begriffsverständnis der klassischen Sozialpsychologie der Frankfurter Schule ab. Adorno et al. (1950) sehen Autoritarismus zum einen aus der Perspektive autoritärer Figuren als „a general tendency to look down on and to punish those who were believed to be violating conventional values.“ (S. 227) Aus der Perspektive der Gehorchenden herrscht zum anderen eine „general disposition to glorify, to be subservient to and remain uncritical toward authoritative figures [.] and to take an attitude of punishing outgroup figures in the name of some moral authority” (S. 228). Übertragen auf Politik und Staat wird Autoritarismus folgendermaßen definiert: „Authoritarianism is defined here as the belief in a strictly ordered society, in which infringements of authority are to be punished severely.“ (Mudde 2007, S. 23) Nach diesem Verständnis hat jedes Mitglied in einer hierarchisch gegliederten Gesellschaft seinen festen Platz. Mit Bezug auf einen staatlichen Autoritarismus, fällt darunter auch das Streben nach einer Law-and-Order-Politik, die die Ausdehnung rechtlicher Befugnisse von Behörden und Justiz bedeutet. Damit einher geht eine erhöhte Überwachung, stärkere Polizeipräsenz oder die allgemeine Forderung nach einer Liberalisierung des Waffenrechts (vgl. Hartleb 2004, S 125; vgl. auch Mudde 2007, S. 145). Rechtspopulistische Parteien werben dabei oft „mit dem Versprechen, Recht und Ordnung durchzusetzen [und] ,hart durchzugreifen‘“ (Schellenberg 2018, S. 17). Um die eigene politische Legitimation zu beweisen, wird behauptet, dass das geltende Recht von den etablierten Parteien ausgesetzt worden sei und durch die Rechtspopulist*innen wieder eingeführt wird.
Autoritäre Ideologie schlägt eine Brücke zum Nativismus, wenn Migrant*innen oder anderen Minderheiten vermehrt vorgeworfen wird, überdurchschnittlich kriminell zu sein. Migrationshintergrund und Kriminalität werden pauschal miteinander verknüpft, um daraus die Notwendigkeit und Dringlichkeit des vertretenen Autoritarismus zu rechtfertigen. Eine in dem Zusammenhang, vor allem in rechtsradikalen bis rechtsextremen Kreisen vertretene Parole fordert, „kriminelle Ausländer“ abzuschieben (vgl. Geißler 2008).
Autoritarismus beinhaltet jedoch nicht nur die Forderung nach härterer Bestrafung von Rechtsverstößen, sondern spiegelt sich auch in ihren „autoritären Vorstellungen der Durchsetzung von Normen [und] Regeln“ wider (Lewandowsky et al. 2016, S. 253). Die Normen und Werte, die aufgrund ihres drohenden Verschwindens aus der Gesellschaft stärker gelebt und gefördert werden sollen, sind vor allem traditionell geprägt. Als bedrohlich empfinden Rechtspopulist*innen zum Beispiel die „zunehmende Überwindung traditioneller Geschlechter- und Familienbilder“ (Schellenberg 2018, S. 14). Letztendlich ist „‘rechts‘ bezogen auf den Rechtspopulismus [.] daher eine Dominanz autoritär-konservativer Orientierungen“, so Lewandowsky et al. (2016, S. 253).
Im vorherigen Kapitel wurde das theoretische Fundament gelegt, welches anhand von Fachliteratur das in dieser Arbeit vertretene Verständnis von Rechtspopulismus zu verdeutlichen versuchte. Durch die Thematisierung der ideologischen Entwicklung der AfD soll im Folgenden die Relevanz des Erkenntnisinteresses und der anstehenden Untersuchung, die auf Basis des vorherigen Theorieteils stattfindet, unterstrichen werden. Hauptziel dieses Kapitels ist es, den Weg der Radikalisierung zeitgeschichtlich aus der heutigen Perspektive zu beleuchten. Die Frage, wie die AfD seit ihrer Gründungsphase zu einer rechtspopulistischen (vgl. Decker 2018; Priester 2017; Schellenberg 2018), völkisch-nationalistischen (vgl. Häusler 2018a), autoritärnationalradikalen (vgl. Heitmeyer 2019) und in Teilen rechtsextremen (vgl. Pfahl- Traughber 2019) Partei wurde, ist dabei von besonderem Interesse.
Auch wenn die aufgezählten Etikettierungen auf eine starke Rechtsaußen-Position hindeuten, war in der Gründungsphase von solchen Attributen noch nicht die Rede. Zwar bestand auch kurz nach der Gründung im Jahre 2013 kein Zweifel daran, dass die AfD sich rechts der Unionsparteien positionierte. Doch von Rechtspopulismus wurde in einer solchen Übereinstimmung wie heute nicht gesprochen. 2013 sagte man der AfD lediglich „rechtspopulistische Tendenzen“ (Studie 2013) nach und auch im Jahre 2015 war man sich in der Wissenschaft uneinig und attestierte der Partei, auf dem Weg zum Rechtspopulismus zu sein (vgl. Lewandowsky 2015). Heute sei sie hingegen auf dem Weg zum Rechtsextremismus (vgl. Haas-Rietschel 2019). Zumindest lassen sich Verbindungen in die rechtsextreme Szene nicht leugnen. So ist zum Beispiel vom Brandenburgischen AfD-Chef Andreas Kalbitz bekannt, früher bei Ferienfreizeiten der rechtextremen und mittlerweile verbotenen Jugendorganisation HDJ aktiv gewesen zu sein (vgl. Wangemann und Görgen 2019). Auch Höckes enge Beziehung zum neurechten Publizisten und Verleger Götz Kubitschek, dem bedeutender und vor allem geistig-ideologischer Einfluss auf Höcke nachgesagt wird, ist in der Öffentlichkeit bekannt (vgl. Arnsperger 2018).
Als die AfD im Jahre 2013 ins Leben gerufen wurde, war diese Entwicklung in der Form nicht absehbar. Gegründet vom Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke und einigen seiner Kolleg*innen, ging es damals vor allem um die Kritik an der von der Bundesregierung getragenen Rettungspolitik gegenüber Griechenland. So schlossen sich Lucke und Anhänger*innen zusammen und gründeten die AfD, bei der neben Lucke der Journalist Konrad Adam und Frauke Petry zu Parteisprecher*innen gewählt wurden. In dieser Anfangsphase wurde die AfD im wissenschaftlichen Diskurs vor allem als euroskeptische Partei klassifiziert (vgl. Arzheimer 2015; Grimm 2015), die insbesondere Anhänger*innen „einer liberal- und nationalkonservativen Richtung“ (Pfahl-Traughber 2019, S. 168) vereinte. So sagte Arzheimer 2015: „the AfD [...] is currently neither populist nor does it belong to the family of Radical Right parties.“ (S. 1) „There is no evidence of nativism or populism [...], which sets them apart from most of the other new right parties in Europe.“ (S. 24) In relativ kurzer Zeit trat eine hohe Anzahl von Menschen der Partei bei: „Nach eigenen Angaben waren es kurz nach der Entstehung bereits 10.000 und am Ende des Gründungsjahres 17.000. 2015 sollen es 22.000 und 2017 29.000 gewesen sein.“ (Pfahl-Traughber 2019, S. 168) Der rasante Anstieg der Mitgliederzahlen führte dazu, dass sich „unterschiedliche politische Milieus und Strömungen“ (Häusler 2018, S. 121) stärker herausbildeten und damit eine eindeutige politische Einordnung erschwerten. In dieser Phase traten auch vermehrt Personen „mit traditionellen rechtsextremistischen Wertvorstellungen“ (Pfahl-Traughber 2019, S 168) in die Partei ein, sodass sich im Laufe ihrer anfänglichen Entwicklungsgeschichte verschiedene Flügel bildeten. Parteiideologisch trug dieser Vorgang zu politischer Heterogenität bei, da jede innerparteiliche Strömung jeweils eigene inhaltliche Akzente setzte. Pfahl-Traughber (2019) differenziert in dem Zusammenhang zwischen drei idealtypischen Flügeln in der AfD: Erstens der liberalkonservative Flügel um Jörg Meuthen, „der politisch als gemäßigter gilt und eine wirtschaftsliberale Grundposition vertritt.“ (S. 192) Zweitens der nationalkonservative Flügel um Alexander Gauland, der „stärker auf die nationale Identität“ (ebd.) setzt und drittens der deutschnationale Flügel um Björn Höcke mit einer „deutlichere[n] nationalistische^] Grundauffassung“ (ebd.).
Die Rivalitäten der einzelnen Strömungen traten zum ersten Mal auf dem Parteitag im Juli 2015 offen zu Tage, als der Mitbegründer Lucke bei einer Abstimmung um die zukünftige Parteiführung gegen die dem nationalkonservativen Flügel zugeordneten Petry verlor und danach aus der Partei austrat. Auslöser dieses Führungskonflikts waren die im Herbst 2014 begonnenen PEGIDA-Proteste. Stellvertretend für die Parteiführung forderte Lucke damals eine Distanzierung von PEGIDA und eine Abkehr vom populären, rechten Thema der vermeintlichen Islamisierung (vgl. Thieme 2019, S. 115). Als Reaktion initiierten Björn Höcke und Andre Poggenburg die sogenannte „Erfurter Resolution“, gründeten den Flügel und leiteten so mit anderen „völkisch-nationalistisch orientierten Parteikräften einen ersten Kurs- und Führungswechsel in der AfD ein.“ (Häusler 2018, S. 121) Denn nur mit der Unterstützung des rechten Flügels um Höcke konnte sich die nationalkonservative Frauke Petry gegen Bernd Lucke durchsetzen. Nach der Wahlniederlage trat er mit ungefähr 20 Prozent der Mitglieder aus und gab als Grund an, dass sich die AfD immer weiter nach rechts bewegen würde (vgl. Pfahl-Traughber 2019, S. 192). Frank Decker kommentierte 2015 Luckes Austritt mit den Worten: „Möglicherweise wird die Partei diesen Rechtsruck nicht überleben“ (Heuer 2015). Offenkundig erwies sich diese Prognose als falsch. Einige Monate nach Luckes Parteiaustritt verhalf die sogenannte „Flüchtlingskrise“3 ab September 2015 der AfD zu besseren Wahlergebnissen. Fortan bestimmte sie diese zu einem ihrer zentralen Themen und startete unter anderem die bundesweite Kampagne „Herbstoffensive 2015“, mit der sie die Asyl- und Einwanderungspolitik der Bundesregierung im Rahmen von verschiedenen Veranstaltungen und Plakataktionen kritisierte (vgl. Häusler 2018, S. 122). Von dem Zeitpunkt an begann der Flügel, medial und öffentlich immer präsenter und auch radikaler zu werden. Häusler attestiert der AfD in der Zeit ab 2015 eine „zunehmende Inanspruchnahme völkisch-nationalistischen Vokabulars.“ (ebd.) Unter anderem forderte Poggenburg in einem Weihnachtsgruß seines Landesverbandes dazu auf, über die „Verantwortung für die Volksgemeinschaft“ (ebd.) nachzudenken. Niehr (2017) sieht darin eine „gezielte Provokation [...], mit der insbesondere rechtsextremistische Kreise angesprochen werden sollen.“ (S. 74) Nichtsdestotrotz schadeten diese und andere Aktionen nicht den Wahlerfolgen bei den Landtagswahlen in Baden- Württemberg (15,1%), Rheinland-Pfalz (12,6%) und Sachsen-Anhalt (24,3%), wo die AfD nach der Landtagswahl 2016 insgesamt zweitstärkste Kraft wurde (vgl. Rosenfelder 2017, S. 124). Als Grund für die Wahlerfolge nennt Häusler (2018) den „rechtspopulistischen Schwenk auf das Flüchtlingsthema“ (S.122).
Öffentlichkeitswirksam stellte sich die AfD in erster Linie als „Anti Einwanderungspartei“ dar (vgl. Rosenfelder 2017, S. 124) und selbst Alexander Gauland bezeichnete die „Flüchtlingskrise“ als „Geschenk“ für die AfD (vgl. Alternative 2015).
Der nächste Führungsstreit vollzog sich im Jahre 2017, als Frauke Petry zwecks einer möglichen Koalitionsbeteiligung im Hinblick auf die Bundestagswahl zur Mäßigung aufrief. Darin versuchte sie „den von ihr so deklarierten realpolitischen Kurs durchzusetzen“ (Häusler 2018, S. 122). Andere Mitglieder aus dem rechten und nationalkonservativen Spektrum wollten die AfD hingegen weiterhin als Protestpartei sehen und lehnten ihren Vorschlag auf dem Bundesparteitag in Köln ab. Dabei ging es „nicht nur um ideologische Gründe, sondern ebenso um persönliche Ressentiments und strategische Unterschiede“ (Pfahl-Traughber 2019, S.192), da Petry sich durch Alleingänge bei der Parteiführung im Vorhinein bereits unbeliebt gemacht hatte (vgl. ebd.).
Betrachtet man die ideologische Entwicklung der AfD chronologisch, so lässt sich eindeutig eine graduelle Hinwendung zu rechtsorientierten Inhalten feststellen. Der demonstrierte Gesinnungswandel von euroskeptischen, wirtschaftsliberalen Themen hin zu migrationsfeindlichen, xenophoben und rassistischen Parolen wird in der politikwissenschaftlichen Literatur übereinstimmend als Rechtsruck gedeutet (vgl. zum Beispiel Häusler 2018; Häusler 2018a; Pfahl-Traughber 2019; Rosenfelder 2017). Im Zuge des Bedeutungs- und Machtzuwachses rechter Kräfte, verließen auch viele gemäßigte Funktionär*innen die Partei und überließen dem Flügel so einen größeren Handlungsspielraum (vgl. Pfahl-Traughber 2019, S.207).
Als Impulsgeber für die ideologische Entwicklung nach rechts kann in erster Linie der 2015 gegründete Flügel gesehen werden. Bernd Lucke, der sich zu seiner Zeit innerparteilich den rechten Kräften entgegenstellte und den Machtkampf verlor, ermöglichte durch seinen Ausstieg den immensen Erfolg des Flügels. Im Wortlaut der Erfurter Resolution, dem Gründungsdokument des Flügels, lässt sich die Ideologie der Sammlungsbewegung ablesen. So heißt es dort zum Beispiel: „Zahllose unserer Mitglieder verstehen die AfD [...] immer noch und gegen jede Verengungstendenz als Bewegung unseres Volkes gegen die Gesellschaftsexperimente der letzten Jahrzehnte (Gender Mainstreaming, Multikulturalismus, Erziehungsbeliebigkeit usf.)“ und positionieren sich des Weiteren „gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands“ (Erfurter 2015). Wegen ihrer rechtsnationalen Ausrichtung bezeichnet Extremismusforscher Kailitz den Flügel als „Sammelbecken für Rechtsextreme“ (Lüdeke 2018) und konstatiert, dass „die Entwicklung in Ostdeutschland auch direkt Auswirkungen für die Bundespartei haben wird, [...] der Thüringer AfD-Chef [Höcke] ist der starke Mann im Hintergrund und wird immer stärker.“ (ebd.).
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1 Mit der *-Schreibweise möchte ich in meinen Ausführungen queere Menschen, die sich abseits tradierter Geschlechtsidentitäten als weder weiblich noch männlich identifizieren, Trans- und Intermenschen inkludieren und schließe mich somit einem nicht-binären Geschlechterverständnis an. Um Verwirrung vorzubeugen, sei angemerkt, dass ich diese Schreibweise zwar in meinen eigenen argumentativen Gedankengängen verwende, diese allerdings nicht in zitierte Inhalte nachtragen kann, da dies einer Verfälschung und Veränderung des originellen Inhalts entsprechen würde.
2 Aufgrund der biologistischen Bedeutung sowie des historischen Kontextes wird die deutsche Übersetzung bewusst nicht verwendet.
3 Der im medialen, öffentlichen und teilweise auch wissenschaftlichen Diskurs als Schlagwort verwendete Begriff meint den vermehrten Zuzug von geflüchteten Menschen ab 2015. Da eine Krise eine akute Gefährdung - in dem Kontext ausgehend von Geflüchteten - impliziert, wird der Begriff deshalb in Anführungszeichen gesetzt.