Bachelorarbeit, 2010
44 Seiten
Kurzfassung
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Haftung in einer Aktiengesellschaft
2.1 Entwicklung der Organhaftung
2.2 Organhaftung
2.2.1 Innenhaftung
2.2.2 Außenhaftung
3 Die D&O-Versicherung
3.1 Geschichte und Marktsituation
3.2 Gegenstand der D&O-Versicherung und rechtliche Gestaltung
3.3 Versicherungsnehmer und versicherte Personen in der D&O-Versicherung
3.4 Claims-Made-Prinzip / Verstoßprinzip
3.4.1 Rückwärtsversi cherung
3.4.2 Nachhaftung / Nachmeldefrist
3.5 Ausschlüsse
3.6 Versicherungssumme und der Selbstbehalt
3.7 Deutscher Corporate Governance Kodex
4 Das Gesetzt zur Angemessenheit der Vorstandvergütung (VorstAG)
4.1 Inhalte und Ziele des Gesetzgebers
4.2 Der gesetzlich vorgeschriebene Pflichtselbstbehalt in der D&O-Versicherung
4.3 Anwendungsfragen zum Pflichtselbstbehalt
4.3.1 Welche D&O-Versicherungen sind betroffen?
4.3.2 Höhe des Pflichtselbstbehaltes?
4.3.3 Selbstbehalt für Abwehrkosten?
4.3.4 Selbstbehalt für Innen- und Außenhaftung?
4.3.5 Rechtsfolgen bei Nichtumsetzung
5 Die Selbstbehaltsversicherung
5.1 Versicherbarkeit des Pflichtselbstbehaltes?
5.2 Praktische Umsetzung und Probleme
5.3 Verschiedene Versicherungsmodelle
5.3.1 Anrechnungsmodell
5.3.2 Kumulmodell
5.3.3 Reine Individualversicherung
Literaturverzeichnis
Das Jahr 2009 wurde weltweit von einer der größten Finanz- und Wirtschaftskrisen geprägt. In der Öffentlichkeit wurden insbesondere „Manager“ als Hauptverantwortliche der Krise ausgemacht. Darüber hinaus stand dieses Jahr ebenfalls im Zeichen von politischen Wahlen. Die Presse sprach vom „Superwahljahr 2009“, da neben der Bundestagswahl, acht Kommunalwahlen, vier Landtagswahlen, die Bundespräsidentenwahl und eine Europawahl durchgeführt wurden.1 Die Hoffnung, aus der Finanzkrise im „Superwahljahr 2009“ politisches Kapital zu schlagen, könnte erklären, wieso der Gesetzgeber ein schnelles Inkrafttreten des „Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung“ (VorstAG) vorantrieb.
Eine Regelung des VorstAG sieht einen Pflichtselbstbehalt für die Directors & Officers Liability (D&O-Versicherung) vor.2 Allerdings hat die Legislative nicht alle Fragen zum Pflichtselbstbehalt abschließend beantwortet, was im Zusammenhang mit dem schnellen Inkrafttretens des VorstAG stehen könnte. Beispielsweise bleiben Fragen nach der Bezugsgröße des Selbstbehaltes oder der Versicherbarkeit des Selbstbehaltes zunächst offen.
Diese Regelungslücken und besonders die Versicherbarkeit des Selbstbehaltes sind Schwerpunkt dieser Arbeit. Ziel ist es eine Hilfestellung zum Umgang mit dem Pflichtselbstbehalt und dessen Versicherbarkeit zu geben.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In den letzten Jahren wurde in der Öffentlichkeit immer wieder über horrende Gehaltszahlungen an Vorstandsmitgliedern diskutiert. Trotz erheblichen wirtschaftlichen Misserfolgen des Unternehmens wurden hohe Gehälter oder Abfindungen gezahlt.3 Der Aufsichtsrat als Kontrolleur des Vorstandes blieb häufig untätig, da es in vielen Fällen zu weitreichenden Interessenskonflikten kam.4 Aus diesem Grund war es umso wichtiger, dass der Gesetzgeber in diesem Punkt neue Regelungen aufstellt. Beschleunigt wurde das Einschreiten der Legislative durch die in 2009 weltweit herrschende Finanz- und Wirtschaftskrise, da insbesondere das oben beschriebene Problem als eine Ursache für die Krise identifiziert wurde.5
Ferner haben auch politische Interessen das Gesetzgebungsverfahren zum „Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung“ (VorstAG) beschleunigt. In der Presse wurde das Jahr 2009 als „Superwahljahr 2009“ betitelt. Somit bestand die Hoffnung der Regierung, aus der Finanz- und Wirtschaftskrise politisches Kapital schlagen zu können.6
Am 05. August 2009 ist das VorstAG in Kraft getreten, welches der Bundestag am 18. Juni 2009 verabschiedet hat. Eine dieser neuen Regelungen betrifft die unternehmensfinanzierte Directors-and-Officers-Liability-Versicherung (D&O-Versicherung). Es handelt sich im Fall der D&O-Versicherung um eine Art Berufshaftplicht für Vorstandsmitglieder.7 Kritiker der D&O-Versicherung bemängeln eine Risikoabwälzung der Vorstandsmitglieder auf die D&O- Versicherer. Diese Auffassung teilt der Gesetzgeber und hat aus diesem Grund einen Pflichtselbstbehalt für Vorstandsmitglieder in das VorstAG integriert. Bis zum Inkrafttreten des VorstAG mussten die Vorstandsmitglieder in den meisten Fällen nicht mit einer persönlichen Inanspruchnahme im Fall einer Pflichtverletzung rechnen, da ein Großteil der D&O-Versicherungen ohne Selbstbehalt vereinbart wurde. Nun erhofft sich der Gesetzgeber, durch den Pflichtselbstbehalt eine verhaltenssteuernde Wirkung auf die Vorstände zu erzielen, damit diese bei ihrer Geschäftsführung sorgfältig arbeiten und nicht allzu risikoreiche Geschäfte eingehen.8 Allerdings hat der Gesetzgeber mit der Einführung des Pflichtselbstbehaltes in § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG einige Anwendungsfragen offen gelassen.
Diese Arbeit soll eine Hilfestellung im Umgang mit dem Pflichtselbstbehalt und dessen Versicherungsmöglichkeiten geben.
Nachdem in den Kapiteln 2 und 3 die Grundlagen zum Verständnis gelegt werden, beschäftigt sich diese Arbeit mit dem „Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung“. In Kapitel 4 werden dem Leser zunächst die Inhalte und Zielsetzungen des VorstAG vorgestellt, um ihn anschließend zum Hauptthema, dem Pflichtselbstbehalt gemäß § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG zu führen.
In diesem Zusammenhang geht die Arbeit auf ausgewählte Anwendungsfragen des Pflichtselbstbehaltes, welche in der Fachpresse diskutiert werden, ein. Hier wird deutlich, dass der Gesetzgeber ungewollt, durch das schnelle Inkrafttreten des VorstAG, einige Spielräume zur Interpretation offen gelassen hat.
Das Kapitel 5 beschäftigt sich ausführlich mit der Versicherbarkeit des Pflichtselbstbehaltes. Zunächst wird die Frage geklärt, ob eine Selbstbehalt-Versicherung überhaupt zulässig ist. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit, werden Hinweise zur praktischen Umsetzung des Pflichtselbstbehaltes gegeben. Abschließend werden verschiedene Versicherungsmodelle der Selbstbehalt-Versicherung vorgestellt und kritisch hinterfragt.
Einleitend soll anhand von ausgewählten Rechtsprechungen und Gesetzesänderung, die steigende Bedeutung der Haftungsfrage für die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft (Organmitglieder) dargestellt werden.
Davon ausgehend, dass ein Großteil der unternehmerischen Entscheidungen strategischer Natur ist und damit lange Zukunftszeiträume betreffen kann, bergen diese Entscheidungen - aufgrund von schwer kalkulierbaren Unsicherheiten - Risikopotenziale.9
Die daraus entstehende Haftung von Organmitgliedern hat im Zeitverlauf immer mehr an Bedeutung gewonnen. Noch vor zwei Jahrzehnten wurde bei von Organmitgliedern verursachten Schäden im Regelfall von einer persönlichen Haftung des Organmitglieds abgesehen. Nur in Bezug auf besonders starke Regelverstöße kam es zu einer persönlichen Haftung. Zumeist wurde der Schaden vom Unternehmen getragen, und die betroffenen Organmitglieder verloren allenfalls ihr Amt.10
Aus Angst vor negativen Folgen für die Unternehmensreputation wurden viele Haftungsfälle, die ggf. hätten öffentlich werden können, nicht weiter von den Gesellschaften verfolgt. Zudem sollten lange Gerichtsverfahren vermieden werden, in denen eventuell Unternehmensinterna hätten offengelegt werden müssen.11
Dieses Bild hat sich in den letzten Jahren durch viele Gesetzesänderungen und strengere Rechtsprechungen, deutlich geändert.12 Auch der Druck der Öffentlichkeit auf die Unternehmen hat zugenommen. In der Presse kommunizierte Fehlentscheidungen von Organmitgliedern, haben die Öffentlichkeit für dieses Thema sensibilisiert.13 Die persönliche Haftungssituation für Organmitglieder hat sich ebenfalls durch die Krisen der letzten Jahre, wie das Platzen der DotCom-Blase (2000) und die Finanzmarktkrise (2008), verschärft.
Besonders der Gesetzgeber ist im Bereich der Organhaftung tätig geworden und hat folgende Änderungen auf den Weg gebracht. Am 01. Mai 1998 ist das „Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich“ (KonTraG) in Kraft getreten. Ziel war es, die unternehmensinternen Verwaltungs- und Kontrollmechanismen zu verbessern. Durch die erweiterten Kontroll- und Informationspflichten der Organe, sollen Risiken schneller erkannt und begrenzt werden.14
Weiter ist das am 01. Juli 2002 erlassene „vierte Finanzmarktförderungsgesetz“ anzuführen, welches das Börsengesetz neu fasst, u.a. mit dem Ziel, den Anlegerschutz zu stärken.15 Ebenfalls eine große Bedeutung hat das am 26. Juli 2002 erlassene „Gesetz zur Transparenz und Publizität“ (TransPuG). Es nimmt sowohl den Aufsichtsrat als auch die Hauptversammlung mehr in die Verantwortung und verpflichtet börsennotierte Gesellschaften zur Abgabe einer Erklärung zum Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) gemäß § 161 AktG.16 Auf eine weitergehende Beschreibung des DCGK wird an dieser Stelle verzichtet und auf Kapitel 3.7 verwiesen.
Darüber hinaus sind zwei Gesetze vom 01. November 2005 zu nennen: Das „Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten“ (KapMuG) ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen den Erlass von Musterentscheidungen durch die Oberlandesgerichte. Das ebenfalls am 01. November 2005 erlassene „Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts“ (UMAG) führt u.a. die Aktionärsklage sowie die „business judgment rule“ (BJR) ein. Diese wird durch das UMAG in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG verankert und führt einen unternehmerischen Handlungsspielraum für die Organmitglieder ein.17 Auf diesen Sachverhalt wird in Kapitel 2.2.1 im Rahmen der Innenhaftung genauer einzugehen sein.
Das vorerst letzte Mal hat der Gesetzgeber am 05. August 2009 in den Bereich der Organhaftung mit dem „Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung“ (VorstAG) eingegriffen. Ziel ist es durch Anreize in den Vergütungsstrukturen eine nachhaltige Unternehmensführung zu stärken.18 Diesem Thema widmet sich die Arbeit tiefer gehend in Kapitel 4.
Auch die Gerichte haben mit weitreichenden Urteilen die Haftungssituation der Organe weiter verschärft. Im Jahr 1990 kam es zur „Baustoffentscheidung“, in der die Organisation der betrieblichen Abläufe allein dem Unternehmensleiter zugeschrieben wird. Somit haftet er unter Umständen auch für Schäden, welche er persönlich gar nicht begangen hat.19
Die Entscheidung zum Insolvenzverschleppungsrecht von 1994 hat eine große Bedeutung für die Entwicklung der Organhaftung, da mit ihr das Haftungsrisiko für Vorstände und Geschäftsführer bei verspäteter oder unterlassener Insolvenzantragsstellung erheblich verschärft wurde.20
Desweiteren ist besonders der Fall „ARAG/Garmenbeck“ zu nennen, welcher am 21. April 1997 vor dem Bundesgerichtshof entschieden wurde. Demnach muss der Aufsichtsrat den Vorstand nicht nur kontrollieren, sondern auch im Namen der Gesellschaft gegen diesen, bei entsprechendem Fehlverhalten, Schadenersatzansprüche anmelden. Hier werden dem Aufsichtsrat keine Spielräume mehr eingeräumt. Sollte der Aufsichtsrat nach genauer Prüfung des Sachverhaltes zu dem Ergebnis kommen, dass dem Unternehmen wegen einer Pflichtverletzung eines Vorstandsmitgliedes ein Schadenersatz zusteht, so ist er verpflichtet diesen Anspruch auch geltend zu machen, da er sich ansonsten selber haftbar macht.21
Durch die angeführten Gesetzesänderungen und Rechtsprechungen sahen sich die Organmitglieder in den letzten Jahren mit zunehmend strengeren Haftungsregeln konfrontiert.
Organmitglieder haften nach §§ 249 ff. BGB persönlich mit ihrem gesamten Privatvermögen in unbegrenzter Höhe für schuldhaft begangene Pflichtverletzungen innerhalb ihrer unternehmerischen Tätigkeit.22 Untereinander haften Organmitglieder gemäß § 426 Abs. 1 BGB zu gleichen Teilen gesamtschuldnerisch.23 Sie können sowohl vom Unternehmen selbst (Innenhaftung) als auch von Dritten (Außenhaftung) in Haftung genommen werden.
Die Innenhaftung von Organen einer Kapitalgesellschaft ist gesetzlich geregelt. § 93 AktG regelt die Haftung von Vorständen und durch die Verweisung über § 116 AktG ebenfalls die von Aufsichtsräten einer Aktiengesellschaft.24
Zum besseren Verständnis der Haftungssituation von Organmitgliedern, soll zunächst auf deren gesetzliche Einzelpflichten eingegangen werden.
Der Vorstand vertritt die Aktiengesellschaft im Rechtsverkehr. Nach § 78 Abs. 2 S. 1 AktG wird im gesetzlichen Regelfall die Gesamtvertretung der Gesellschaft angeordnet. Somit ist der Vorstand nur gemeinschaftlich zur Vertretung befugt.
Nach § 76 AktG obliegt dem Vorstand die Geschäftsführung der Aktiengesellschaft (AG) unter eigener Verantwortung im Innenverhältnis. Dazu zählen u.a. die strategische Ausrichtung des Unternehmens und das Personalmanagement.
Der Vorstand ist für den Bereich „Risiko“ verantwortlich und hat für ein angemessenes Risikomanagement und Risikocontrolling im Unternehmen nach § 91 Abs. 2 AktG zu sorgen.
Berichtspflichten gegenüber Aktionären und dem Aufsichtsrat nach §§ 90, 131 Abs. 1 AktG obliegen ebenfalls dem Vorstand.
Nach § 88 AktG besteht das Gebot, keinen Wettbewerb gegen die AG zu betreiben und nach § 93 Abs. 1 S. 3 AktG hat der Vorstand die Pflicht der Verschwiegenheit bezüglich Geschäftsgeheimnissen.
Zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung gehört auch die Pflicht zur Buchführung und zur Aufstellung des erweiterten Jahresabschlusses und Lageberichts nach § 264 Abs. 1 HGB.
Der Vorstand ist verpflichtet, rechtzeitig einen Insolvenzantrag zu stellen (§ 15a InsO).
Im Fall des § 93 AktG handelt es sich nicht um eine weitere Einzelvorschrift, sondern um die zentrale Haftungsvorschrift. Nach § 93 Abs. 1 S. 1 AktG haftet der Vorstand, wenn er bei der Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vermissen lässt.
Durch das bereits in Kapitel 2.1 angesprochene „Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts“ (UMAG) wurde u.a. die deutsche BJR in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG eingeführt. Ziel ist es, einen „sicheren Hafen“ für Organmitglieder zu schaffen, welcher der gerichtlichen Überprüfung entzogen ist.25
Um sich in diesem „sicheren Hafen“ zu bewegen, müssen sich die Organmitglieder an folgende Voraussetzungen halten.26
Zunächst handelt es sich um eine bewusste unternehmerische Entscheidung des Organmitglieds wie z.B. die Eröffnung eines neuen Geschäftsfeldes.
Desweiteren muss das Merkmal der Gutgläubigkeit erfüllt sein. Auf Grund des großen subjektiven Faktors, ist dieser Punkt begrenzt worden, es wird auf eine allgemeingültige, überprüfbare Annahme abgestellt. So ist bspw. der Tatbestand der Gutgläubigkeit nicht erfüllt, wenn der Vorstand ein neues Geschäftsfeld eröffnet ohne die Risiken geprüft zu haben.
Eine weitere Voraussetzung ist das Handeln ohne Sonder inter essen und sachfremden Einflüssen, was bedeutet, dass Entscheidungen des Vorstandes frei von unternehmensfremden Einflüssen und Eigennutzen sein müssen, es sei denn, es ist ausschließlich zum Wohle des Unternehmens.
Abschließend sind das Handeln zum Wohle der Gesellschaft, welches sich auf die Zukunft, wie z.B. der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit bezieht, und das Handeln auf Grundlage angemessener Informationen zu beachten. Beim letztgenannten kann nicht pauschal, sondern nur im konkreten Einzelfall beantworten werden, wann Informationen „angemessen“ sind. Allerdings bezieht sich der Punkt nicht nur auf objektive Informationen, sondern beispielsweise auch auf Erfahrungen und Weitsicht.
Damit ein Organmitglied nach § 93 Abs. 2 AktG in Haftung genommen werden kann, muss diesem zunächst Verschulden nachgewiesen werden.27 Der Verschuldensmaßstab ergibt sich aus § 93 Abs. 1 S. 1 AktG. Organmitglieder, die sich an den Inhalt des § 93 Abs. 1 S. 1 AktG halten, handeln demnach nicht schuldhaft und haften somit nicht für (trotzdem) eingetretene Schäden. Sollte ein Verschulden vorliegen und eine Pflichtverletzung weiter im Raum stehen, dann muss der Schaden kausal durch die vorgeworfene Pflichtverletzung verursacht worden sein. Der Begriff „Schaden“ wird durch die §§ 249 ff. BGB definiert. Gemäß § 252 BGB muss zum entstandenen Schaden auch ein möglicher entgangener Gewinn ersetzt werden.28 Desweiteren liegt die Darlegungs- und Beweislast beim betroffenen Vorstandsmitglied. Somit muss er den Beweis anführen, dass er die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt hat. Aus diesem Grund ist eine detaillierte Dokumentation der Entscheidungen elementar, vor allem im Fall einer im Raum stehenden Pflichtverletzung, welche bereits viele Jahre zurückliegt.29
Zusätzlich zur gesetzlichen Haftung kann es zur Haftung im Rahmen des Dienstvertrages kommen, der in der Regel zwischen dem Unternehmen und dem Vorstand geschlossen wird. Diese Vertragshaftung stützt sich auf die §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB. Anzumerken ist, dass es lediglich dann zu einer dienstvertraglichen Haftung kommen kann, wenn im Dienstvertrag Verpflichtungen übernommen werden, die über die gesetzlichen Pflichten hinaus gehen, wie z.B. ein nachträgliches Wettbewerbsverbot.30
Auch wenn zwischen dem Unternehmen und dem Vorstand kein Dienstvertrag geschlossen ist, haftet der Vorstand bei den genannten Pflichtverletzungen. Die Bestellung zum Vorstand ist dabei die ausreichende Haftungsgrundlage.31
Die Außenhaftung ist von der Innenhaftung zu trennen. Sie befasst sich mit der Haftung der Unternehmensorgane gegenüber Dritten. Beispiele für Dritte sind Wettbewerber, Kunden, Lieferanten, aber auch einzelne Aktionäre oder Gesellschafter.32
Für die Haftung gegenüber Dritten besteht, im Gegensatz zur Innenhaftung, keine in sich geschlossene gesetzliche Regelung.33 Folgende wesentliche Haftungssituationen im Bereich der Außenhaftung sind anzuführen:
Im Bezug auf die Verletzung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit, des Eigentums, des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs oder auch der Mitgliedschaft in einer Handelsgesellschaft gemäß § 823 Abs. 1 BGB kann es zu deliktischen Schadenersatzansprüchen kommen.34 Deliktische Haftung kann durch ein Tun aber auch durch ein Unterlassen verwirklicht werden, wie beispielsweise im Bereich der Arbeitsplatzsicherheit.
Weiter ergibt sich eine Haftung aus der Verletzung von Schutzgesetzen gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem jeweiligen Schutzgesetz. Der Bereich der möglichen Schutzgesetze kann z.B. die bau-, gewerbe-, umwelt-, oder kartellrechtlichen Bestimmungen umfassen. Ein weiteres wichtiges Anwendungsgebiet für ein Schutzgesetz ist die Insolvenzverschleppung gemäß § 15a Abs. 1 InsO.35
Abschließend ist die vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung zu nennen. Nach § 826 BGB ist dabei derjenige zum Schadenersatz verpflichtet, der in besonders verwerflicher Weise das Vermögensinteresse des Geschädigten außer Acht gelassen und den Eintritt des Schadens, mindestens billigend, in Kauf genommen hat.36
Die Directors & Officers Liability (D&O-Versicherung) ist eine VermögensschadenHaftpflichtversicherung für Organmitglieder juristischer Personen. Sie sichert das Haftungsrisiko dieser Personen ab.37 Somit handelt es sich um eine Art Gegengewicht zu den in Kapitel 2 beschriebenen, immer stärker werdenden Haftungsverschärfungen der Organmitglieder. Durch das hohe Haftungsrisiko und den Wegfall der Genehmigungspflicht (1994) existiert eine Vielzahl an Bedingungswerken auf dem Versicherungsmarkt.38 Diese Arbeit orientiert sich an den vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) erstellten „Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die VermögensschadenHaftpflichtversicherung von Aufsichtsräten, Vorständen und Geschäftsführern“ (AVB- AVG08).
Die D&O-Versicherung hat ihre Wurzeln in Amerika und hat sich bis heute zu einer Standardversicherung entwickelt. Begonnen hat die Entwicklung mit dem sogenannten „schwarzen Freitag“ im Jahr 1929, an dem der gesamte US Aktienmarkt zusammenbrach.39 Bis Mitte der 60er Jahre hatte kaum ein Unternehmen eine D&O-Versicherung abgeschlossen, da ein Großteil der Haftungsfälle bis dahin nicht öffentlich gemacht wurde. Ende der 80er Jahre waren allerdings schon 96,8% aller am New York Stock Exchange notierten Aktiengesellschaften D&O versichert.40 Im Jahr 1986 wurde das erste D&O- Deckungskonzept auf dem deutschen Markt angeboten. Besonders in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre konnte durch eine stark ansteigende Nachfrage das Prämienvolumen um das Zehnfache vervielfacht werden.41
Ursächlich für den erheblichen Prämienanstieg waren zum Einen die in Kapitel 2 beschriebenen Haftungsverschärfungen der Organmitglieder in den letzten Jahren und der Wegfall der Genehmigungserfordernis für Allgemeine Versicherungsbedingungen, am 01. Juli 1994. Durch die Rechtsangleichung innerhalb der Europäischen Union (EU) und der Deregulierung des Versicherungsmarktes, boten 1995 die ersten deutschen Versicherer (VR) eine Haftpflicht für Aufsichtsräte, Vorstände und Geschäftsführer an.42
Der GDV stellt im März 1996 eine Arbeitsgruppe aus Vertretern von Rück- und Erstversicherern zur Erarbeitung eines beispielhaften Bedingungswerkes für die D&O- Versicherung zusammen.43
Im Juni 1997 wurden Musterbedingungen vom GDV für die D&O-Versicherung veröffentlicht. Seitdem nahmen immer mehr deutsche Versicherer die Sparte in ihr Angebotsportfolio auf. Die Musterbedingungen wurden im Jahr 2004 nochmal vom GDV überarbeitet, um den Entwicklungen auf dem Versicherungsmarkt gerecht zu werden und Schadenserfahrungen der letzten Jahre einfließen zu lassen.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass sich die D&O-Versicherung innerhalb weniger Jahre auf dem deutschen Versicherungsmarkt durchgesetzt hat.44
In Deutschland ist die D&O-Versicherung bis auf § 93 Abs. 2 S. 3 AktG nicht weiter gesetzlich geregelt. Da es sich um eine Haftpflichtversicherung handelt, finden sich neben den allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB-AVG) weitere Rechtsquellen in den §§ 100 ff. VVG.
Der Versicherungsvertrag wird in der Regel zwischen dem Unternehmen (Versicherungsnehmer (VN)), für welches die versicherten Personen tätig sind, und dem VR geschlossen.45
Der VR gewährt Versicherungsschutz (nach AVB-AVG 08 Ziffer 1.1) für den Fall, dass ein Organmitglied des VN bei seiner Tätigkeitsausübung eine Pflicht aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen mit privatrechtlichen Inhalts verletzt und für einen daraus entstanden Vermögensschaden von Dritten in Anspruch genommen wird (Außenhaftung). Weiter besteht Versicherungsschutz (nach AVB-AVG 08 Ziffer 1.3) für den Fall, dass der VN selbst gegen die versicherte Person Schadenersatzansprüche aufgrund einer Pflichtverletzung durchsetzen möchte (Innenhaftung). Diese Innenhaftungsansprüche müssen von der Hauptversammlung oder der Gesellschafterversammlung initiiert und gerichtlich geltend gemacht werden, es sei denn der VR verzichtet darauf (AVB-AVG 08 Ziffer 1.3).
Viele Versicherer schließen auch die Tochtergesellschaften des VN in den Versicherungsschutz mit ein. Es existieren verschiedene Definitionen von Tochtergesellschaften. Eine Tochterbeziehung wird einheitlich unterstellt, wenn der VN an der betroffenen Gesellschaft die Mehrheit der Stimmrechte oder nachweisbar einen beherrschenden Einfluss bzw. die Leitung der Gesellschaft besitzt.46
Um die D&O-Versicherung genau definieren zu können, muss neben der sogenannten „Side A Deckung“ (o.g. Innen- und Außenhaftung) auch die sogenannte „Side B Deckung“ betrachtet werden. Letztgenannte betrifft die Freistellung (company reimbursement) der versicherten Person durch den VN. Im Fall einer Freistellung nimmt das Unternehmen seinem Organmitglied die Last der Haftung gegenüber einem Dritten ab. Im sehr seltenen Fall, in dem eine Pflichtverletzung eines Organmitglieds gegenüber einem Dritten vorliegt, gleichzeitig jedoch keine im Innenverhältnis zwischen Organmitglied und VN, kann eine Freistellung unbeschränkt durchgeführt werden. Ansonsten kann ein Unternehmen ein Organmitglied nur freistellen, wenn ein Haftungsverzicht zulässig ist. Beispielsweise wenn das Organmitglied nur mit geringer Schuld gehandelt hat und sich rechtstreu verhalten wollte.47 Im Fall der Freistellung, geht der Anspruch auf Versicherungsschutz aus dem Vertrag auf den VN über (AVB-AVG Ziffer 1.2).
[...]
1 Handelsblatt, 18.12.2008: Was das Superwahljahr 2009 bringt.
2 Wendler, ZfV 2009, Seite 593.
3 Die Welt Online, 24.12.2009: Abfindungen deutscher Manager erreichen Rekord.
4 Ihlas (2009), Seite 207.
5 GDV Stellungnahme zum VorstAG (2009), Seite 1.
6 Palmberger / Honisch, VP 2009, Seite 233.
7 van Kann, NZG 2009, Seite 1010.
8 Olbrich / Kassing, BB 2009, Seite 1659.
9 Thümmel (2008), Seite 23.
10 Thümmel (2008), Seite 23.
11 Olbrich (2007), Seite 10.
12 Olbrich (2007), Seite 11.
13 Olbrich (2007), Seite 11.
14 BT-Drucks. 13/9712 (1998), Seite 11.
15 BT-Drucks. 14/8017 (2002), Seite 1.
16 Schilling (2007), Seite 2.
17 Entwurf UMAG (2004), Seite 17.
18 Koch, DA (2009), Seite 637.
19 Thümmel (2008), Seite 26.
20 Thümmel (2008), Seite 27.
21 Olbrich (2007), Seiten 31 - 38.
22 Thümmel (2008), Seite 32.
23 Hüffer (2010) , §93, RZ 18.
24 Thümmel (2008), Seite 33.
25 Hülsberg (2010), Seite 93.
26 Hülsberg (2010), Seiten 93 - 95.
27 Hüffer (2010), §93, RZ 14.
28 Ihlas (2009), Seite 207.
29 Ihlas (2009), Seite 209.
30 Thümmel (2008), Seite 35.
31 Thümmel (2008), Seite 34.
32 Olbrich (2007), Seite 53.
33 Olbrich (2007), Seite 37.
34 Thümmel (2008), Seite 166.
35 Thümmel (2008), Seite 168.
36 Thümmel (2008), Seite 168.
37 Ries / Peiniger (2009), Seite 158.
38 Olbrich, (2007), Seite 51.
39 Küpper-Dirks (2002), Seite 61.
40 Ihlas (2009), Seiten 91 - 92.
41 Barzen / Bachmann / Braun (2003), Seite 104.
42 Olbrich (2007), Seite 7.
43 Barzen / Bachmann / Braun (2003), Seite 104.
44 Olbrich (2007), Seiten 7 - 8.
45 Olbrich (2007), Seite 53.
46 Küpper-Dirks (2002), Seite 65.
47 Thümmel (2008), Seite 171.
Der GRIN Verlag hat sich seit 1998 auf die Veröffentlichung akademischer eBooks und Bücher spezialisiert. Der GRIN Verlag steht damit als erstes Unternehmen für User Generated Quality Content. Die Verlagsseiten GRIN.com, Hausarbeiten.de und Diplomarbeiten24 bieten für Hochschullehrer, Absolventen und Studenten die ideale Plattform, wissenschaftliche Texte wie Hausarbeiten, Referate, Bachelorarbeiten, Masterarbeiten, Diplomarbeiten, Dissertationen und wissenschaftliche Aufsätze einem breiten Publikum zu präsentieren.
Kostenfreie Veröffentlichung: Hausarbeit, Bachelorarbeit, Diplomarbeit, Dissertation, Masterarbeit, Interpretation oder Referat jetzt veröffentlichen!
Kommentare