Masterarbeit, 2020
67 Seiten, Note: 1,1
Vorwort
1 Einleitung
2 Methodisches Vorgehen
3 Theoretische Grundlagen
3.1 Identität
3.2 Sportsoziologie
4 Empirischer Forschungsstand
4.1 Körperliche Idealbilder für Frauen
4.2 Soziale Netzwerke
5 Mediale Identität
6 Zusammenfassung
7 Abschließende Diskussion
8 Fazit
9 Ausblick
Literaturverzeichnis
Ich bin 1996 geboren. Das bedeutet, dass ich zu jener Generation gehöre, die ihre Kindheit noch ohne jegliche Omnipräsenz von Internet und Smartphone genießen durfte. Als mittlerweile erwachsene Frau im digitalen Zeitalter sehe ich mich dennoch mit den weiblichen und athletischen Körperidealen, welche zunehmend durch das Internet vermittelt werden, konfrontiert. Wenn ich mich im öffentlichen Raum befinde, kann ich den Einfluss der virtuellen Welt auf die reale Welt wahrnehmen: Viele Mitmenschen greifen ständig zu ihren Smartphones und investieren beachtlich viel Zeit in digitalen Räumen. Vor allem kann ich dutzende junge Menschen beobachten, die digitale Anwendungssoftwares auf ihren Smartphones nutzen. Eine dieser Applikationen (kurz: App) stellt Instagram dar. Nach der Deinstallation dieser Anwendung von meinem Smartphone wurde ich von vielen Menschen aus meinem persönlichen Umfeld nach meinen Beweggründen gefragt. Ich finde, dass die hohe Anzahl an Nachfragen allein aufzeigt, welche Relevanz das soziale Netzwerk allgegenwärtig für unseren Lebensalltag hat. Im Rahmen des Grundschulpraktikums fragten mich sogar einige Schülerinnen und Schüler, ob ich ihnen meinen Nutzernamen auf Instagram verraten würde. Ihnen war somit die Grundannahme immanent, dass ich diese Software schon seit längerer Zeit verwende.
Ich habe mich bereits im Vorfeld und unabhängig von dieser Masterarbeit intensiv mit diesem sozialen Netzwerk auseinandergesetzt und über die Inhalte reflektiert. Wenn jugendliche heranwachsende Frauen, so wie ich es einmal war, so viel Zeit in die digitalen Medieninhalte und vor allem den dort abgebildeten sportlichen Körperidealen investieren, dann hat das einen spezifischen Einfluss auf die Betrachterinnen. Verläuft die Nutzung parallel zum Entwicklungsprozess einer jungen Frau, dann werden sie, umgangssprachlich formuliert, mit den sozialen Netzwerken groß. Ich gehöre zur Zwischengeneration, ich weiß wie die Welt ohne das Internet sein kann, aber auch wie sie mit dem Internet ist. Also frage ich mich: Was passiert mit den jungen heranwachsenden Frauen, die nur die letztgenannte Welt kennen?
Abbildung 1 Die Identitätskonstruktion
Abbildung 2 Der dynamisch-transaktionale Ansatz
Abbildung 3 Die mediale Identitätskonstruktion
„Alles was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert“ (Fiorina, 2000). Gegenwärtig finden technische Hilfsmittel vermehrt Anwendung in den alltäglichen Lebensbereichen von Menschen. Gewöhnliche Prozesse unterliegen einer Vereinfachung durch Digitalisierung und Technik. Sie übernehmen in vielen Bereichen bereits spezifische Arbeitsaufgaben. Das Internet, welches sich technischer Hilfsmittel bedient, ist dabei ein Medium, welches aktuell mit einem hohen Zeitaufwand verbunden ist. Unabhängig davon, ob es sich um Bereiche der Arbeit, Freizeit, Partnersuche oder Freundschaftspflege handelt, das Internet unterstützt Menschen in ihren zwischenmenschlichen Kommunikationsprozessen und schafft dadurch Verbindungen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Lage, in welcher sich die gesamte Menschheit vor einem Virus schützen muss, der die einzelnen Personen zu verringertem zwischenmenschlichen Kontakt zwingt, kommt dem Internet eine wichtige Bedeutung entgegen. Im Vordergrund stehen dabei digitale soziale Netzwerke. Sie ermöglichen eine ortsungebundene Kommunikation zwischen Personen und erfreuen sich einer stetig wachsenden Beliebtheit. Eine Vielzahl von unterschiedlichen virtuellen Netzwerken geht darüber hinaus einher mit einer ebenso hohen Anzahl junger Nutzerinnen und Nutzer. Angesichts des immensen Zeitaufwandes, welchen die heranwachsenden Personen dem Internet entgegenbringen, werden die jungen Mitglieder zu Recht der Generation der „digital natives“ zugeordnet (vgl. Duden, 2017, S. 348). Sie wurden in ein digitales Zeitalter hineingeboren, in welchem Realität und Virtualität ineinander zu verschmelzen scheinen. Die Vorstellung, den Lebensalltag ohne das Internet zu gestalten, erscheint den Vertretern und Vertreterinnen dieser Generation kaum möglich. Sie wachsen demnach mit dem Internet auf und werden dadurch Teil eines gigantischen, digitalen Konstruktes (vgl. RSPH, 2017).
Was bedeutet dies für die Entwicklung der jungen Nutzerinnen und Nutzer? Mediale Inhalte vermitteln Orientierungshilfen. Der sich ständig verändernde Körper pubertierender Menschen unterliegt gleichzeitigen physischen und psychischen Entwicklungsprozessen. Demgegenüber präsentiert sich ein orientierungslieferndes Körperbild auf sozialen Netzwerken. Welche Bilder bzw. Körperformen werden dabei vermittelt? Wie sehen die Körperformen auf sozialen Netzwerken für heranwachsende Frauen aus? Dabei schließt sich die Fragestellung an, warum diese Arbeit der spezifischen Auseinandersetzung mit dem weiblichen Körperbild unterliegt und nicht dem männlichen Bild. Die Antwort besteht darin, dass Frauen zunehmend eine hohe Unzufriedenheit bezüglich ihres Körpers aufweisen, weil ihre Selbsteinschätzung ihnen vermittelt, ihr Körper würde mit dem gesellschaftlichen Idealbild nicht übereinstimmen (vgl. Ormerod, 2018). Aufgrund biologischer und evolutionärer Faktoren besitzen Frauen außerdem ein anderes Denkmuster als Männer (vgl. Alfermann, 2005), wodurch sie mit Thematiken wie idealisierten Körperbildern sowie darüber hinaus körperlichen Entwicklungsprozessen und sozialen Netzwerken anders umgehen. Weiterhin wird das Forschungsfeld dieser Arbeit durch diese Eingrenzung präziser. Schließlich unterliegt die Fokussierung auf die weibliche Sichtweise einem, wie im Vorwort bereits dargestelltem, persönlichem Interesse. Aus diesem Grund orientiert sich diese Arbeit zwar an einem geschlechtsneutralen Schreibstil, bedient sich aber dennoch der femininen Schreibweise von Subjekten. Dies ist innerhalb der betroffenen Textstellen vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Thematik zu berücksichtigen.
Das Forschungsinteresse dieser Arbeit liegt somit darin, herauszufinden, welchen Einfluss soziale Netzwerke auf heranwachsende Frauen und ihren sich entwickelnden Körperbildern ausüben. Um dies zu beantworten, werden zunächst theoretische Grundlagen zur Thematik aufgezeigt. Als zentrale Entwicklungsaufgabe gilt für die heranwachsenden jugendlichen Personen die Konfrontation mit der Identitätsentfaltung. Somit erschließt sich der Aufbau dieser Arbeit dahingehend, dass, nachdem eine kurze Einführung zur Identität erfolgt, die Auseinandersetzung mit den zugehörigen Theorien aufgezeigt wird, welche als Basis für die weitere Bearbeitung dienen. Diese werden darauffolgend um die identitätsstiftende Funktion des Körpers einer Person erweitert. Eng damit verbunden ist die Entwicklung, welche sowohl auf Zusammenhänge zum menschlichen Körper, als auch zur Identität schließen lässt. Nachdem die Relevanz von Sport und Bewegung für die Identität einer Person dargestellt wird, erfolgt die Begriffserklärung des Identitätsbegriffes, welche eine zusammenfassende Grundlage für den weiteren Arbeitsverlauf schafft. Der zweite theoretische Teil bezieht sich auf sportsoziologische Komponenten, die sowohl Einblicke in den Körper als soziales Konstrukt offenbaren, als auch sportsoziologische Grundlagen darstellen. Welche Ein- und Ausgrenzungen von wissenschaftlichen Disziplinen im theoretischen Teil vorgenommen wurden, wird in der entsprechenden Einführung zu den theoretischen Grundlagen erläutert. Im empirischen Abschnitt dieser Arbeit, welcher sich auf bereits existierende Forschungsgrundlagen stützt, wird das idealisierte weibliche Körperbild aufgezeigt, das überdies in sozialen Netzwerken präsentiert wird. In Anlehnung daran wird anschließend die Applikation Instagram vorgestellt, welche ein soziales Netzwerk darstellt. In diesem Zusammenhang wird darauffolgend der Einfluss untersucht, welchen soziale Netzwerke wie Instagram auf die Nutzerinnen ausübt. Dies wird im Kapitel zur Medienwirkung deutlich. Die mediale Identität offenbart abschließend, mithilfe des Vergleichs zu den theoretischen Grundlagen der Identität, eine Darstellung von digitaler Identität, wie sie auf sozialen Netzwerken praktiziert wird.
Die Arbeit ist demnach wissenschaftlich relevant, weil sie ein Thema fokussiert, welches bisher auf einem minimalen empirischen Datenmaterial basiert, das darüber hinaus alle themenspezifischen Komponenten dieser Arbeit miteinander vereinen kann. Weiterhin wurden die Auswirkungen der Anwendungssoftware Instagram bisher nur wenig erforscht. Die darin abgebildeten Inhalte, wie beispielsweise Körperbilder, weisen demzufolge kaum Forschungsmaterial auf. Vor allem nicht in Hinsicht auf junge, sich entwickelnde Frauen. Diese Arbeit soll somit einen Beitrag dazu leisten, das entsprechende Forschungsfeld zu erweitern, um die Aufmerksamkeit auf idealisierte weibliche Körperformen in digitalen Räumen zu lenken.
Die Zielsetzung dieser Arbeit mit dem Titel: „Digitale Identität vor dem Hintergrund sportbezogener Körperideale heranwachsender Frauen“ besteht schlussfolgernd darin, aus den theoretischen und empirischen Grundlagen Informationen zu erhalten, welche die Auseinandersetzung heranwachsender Frauen mit sozialen Netzwerken hinsichtlich idealisierter Körperbilder darstellen.
Die, für diese Arbeit angewandte Methodik des systematischen Literaturreviews, unterliegt der Intention, einen Forschungsüberblick über den gegenwärtigen wissenschaftlich basierten theoretischen sowie empirischen Standpunkt zur Thematik zu entwickeln. Das Literaturreview, welches neben der Methode der Metaanalyse zur Kategorie der Theoriearbeit gezählt wird, basiert nicht auf eigenständig absolvierten empirischen Untersuchungen (vgl. Bortz & Döring, 2016). Vielmehr bietet eine eingehende Auseinandersetzung mit bereits existierender themenspezifischer Literatur ausreichend Ansatzpunkte, um darüber hinaus keiner Abhängigkeit von Untersuchungsteilnehmenden zu unterliegen (vgl. Bortz & Döring, 2016). Die Notwendigkeit einer selbstständig durchgeführten empirischen Forschung ist schließlich im Rahmen dieser Literaturarbeit nicht gegeben.
Diese Arbeit basiert auf zwei wissenschaftlichen Bereichen. Zum einen werden im dritten Kapitel die relevanten theoretischen Grundlagen dargestellt. Die kapitelspezifische Einleitung offenbart dabei, welche Theorien diesbezüglich einbezogen wurden und liefert somit einen Forschungsüberblick. Zum anderen fokussiert das darauffolgende Kapitel den empirischen Forschungsstand und vereint bereits existierende und aktuelle Zahlen zur Thematik miteinander. Die allgemeine Vorgehensweise wird auch an dieser Stelle innerhalb der entsprechenden Einleitung ersichtlich.
Im fünften Kapitel erfolgt eine Kombination von theoretischen sowie empirischen Wissen. Die theoretischen Grundlagen werden mit den aktuellen empirischen Befunden verglichen. Daraus resultiert eine neuartige Verknüpfung beider Komponenten, welche in dieser Art und Weise im forschungswissenschaftlichen Kontext noch nicht entwickelt wurde. Mithilfe dieser Literaturarbeit werden schlussfolgernd Erkenntnisse gewonnen, welche die Möglichkeit geben, eine gegenwärtige Forschungslücke zu füllen. Diese beschriebenen Erkenntnisse werden innerhalb einer abschließenden Diskussion bewertet (vgl. Börtz & Döring, 2016).
Der Titel dieser Arbeit impliziert mehrere Komponenten, deren theoretische Grundlagen wichtig für die spätere empirische Auseinandersetzung sein werden. Der Terminus Körperbild stammt aus dem Vokabular der Identitätsforschung. Dabei existieren verschiedene Zugriffe auf den Themenbereich der Identität. Der Begriff findet demnach sowohl philosophische, politische, psychologische als auch soziologische Zugänge. Für diese Arbeit ist der soziologische Ansatz primär relevant. Dabei wird Identität als Teil des symbolischen Interaktionismus verstanden, welcher auf den Soziologen George Herbert Mead zurückzuführen ist. Die beiden Soziologen Erving Goffmann sowie Lothar Krappmann setzten sich unabhängig voneinander mit dem symbolischen Interaktionsmodell auseinander und erweiterten dieses. Die herangezogenen Identitätstheorien dieser Arbeit lassen sich entsprechend auf diese drei Persönlichkeiten zurückführen. Die Auswahl dieser Ansätze zur Identität erfolgte vor dem Hintergrund, dass diese ein Konstrukt ist, welches sich aus verschiedenen Teilaspekten zusammensetzt. Der symbolische Interaktionismus eignet sich entsprechend, um Identität, im zweiten Teil dieser Arbeit, in einen sinnvollen Zusammenhang mit sozialen Netzwerken zu bringen, um eine mediale Identität zu konstruieren und zu beschreiben. Außerdem bedient sich der Psychoanalytiker Erik Homburger Erikson ebenfalls an diesen spezifischen Theorien. Sein Stufenmodell zur Entwicklung eines Individuums schließt sich der genannten soziologischen Identitätstheorie an und ist wichtig für die theoretischen Grundlagen dieser Arbeit, weil es die Relevanz von Identitätsentfaltung im pubertierenden Alter junger Frauen fokussiert. Die zentrale Entwicklungsaufgabe der genannten Zielgruppe ist demnach primär der Aufbau und die Entwicklung einer eigenen Identität.
Dabei spielt vor allem der Körper eine wichtige Rolle. Es existieren verschiedene biologische, philosophische, religiöse oder psychologische Zugänge auf den menschlichen Körper. In Anlehnung an die Theorien von Mead, Goffmann und Krappmann eignet sich vor allem der körperliche Identitätsbegriff des Sportsoziologen Robert Gugutzer, um auf den bisherigen Grundlagen aufzubauen. Gugutzer fügt der Identitätstheorie die Relevanz der optischen Erscheinung des Körpers hinzu und plädiert für einen körperlichen Identitätsbegriff. Diese Erweiterung des Terminus Identität ist relevant, weil der Körper als inhaltlicher Schwerpunkt dieser Arbeit verstanden wird und eine Auslassung Gugutzers Theorien zu einer unvollständigen Perspektive auf die menschliche Identität führen würde.
Im empirischen Teil dieser Ausarbeitung wird das sportbezogene Körperbild thematisiert. Als theoretische Grundlage wird daher im Vorfeld der Sportbegriff als solcher erklärt. Das dialogische Bewegungsverständnis nach Tamboer und Laging bildet in dieser Hinsicht die Basis dieser Arbeit, da der vielseitig verwendete Sportbegriff dadurch eingegrenzt und somit spezifisch wird.
Um ein Verständnis für den Zusammenhang zwischen Sport und Gesellschaft und somit zwischen sportlichem Individuum und Gesellschaft zu entwickeln, werden theoretische Befunde des Sportsoziologen Klaus Heinemann zum sozialen Körper herangezogen. Diese sportspezifische Sichtweise ist wesentlich, um im zweiten Teil dieser Arbeit die Bedeutung des Körpers einer heranwachsenden Frau im Hinblick auf die Nutzung sozialer Netzwerke zu erkennen. Heinemann bietet dafür eine geeignete Grundlage, weil dadurch ein im fünften Kapitel erfolgender Vergleich zwischen sozialem Körper und sozialen Netzwerken ermöglicht und der Zusammenhang beider Komponenten verdeutlicht wird.
Zusammenfassend bilden ausgewählte wissenschaftliche Bereiche aus der Psychologie, Soziologie, Sportsoziologie sowie der Sport- und Bewegungswissenschaft die theoretischen Grundlagen dieser Arbeit.
„Ich bin das, was ich scheine, und scheine das nicht, was ich bin, mir selbst ein unerklärliches Rätsel, bin ich entzweit mit meinem Ich“ (Hoffmann, 1815, S. 134).
Identität ist ein Medium, mit welchem im alltäglichen Sprachgebrauch eine Einheit, besser gesagt Eindimensionalität im Sein, angesprochen wird. Jemand ist das, wofür ihn oder sie andere Personen halten. Dieser Jemand nimmt sich darüber hinaus auch als die Person wahr, wofür er oder sie gehalten wird. Ernst Theodor Hoffmann erkannte, dass Identität ein komplexes Gefüge ist, welches auf zwei verschiedenen Komponenten beruht. Diese Auffassung kommt dem soziologischen Identitätsverständnis gleich, da auch dieses davon ausgeht, dass eine einheitliche Identität mithilfe von zwei Aspekten aufgebaut wird. Beide Ebenen beschäftigen sich mit den Fragestellungen: Welche Rolle spiele ich in meinem sozialen Umfeld und wie kann ich diese Rolle mit meiner individuellen Persönlichkeit vereinen? Im anschließenden ersten Unterkapitel wird dieser soziologischen Perspektive auf die menschliche Identität nachgegangen und erklärt, auf welche Identitätstheorien sich diese Arbeit stützt.
Auch die optische Erscheinung einer Person ist identitätsstiftend, da jeder Körper eine einzigartige Existenz aufweist. Diese, auf äußere Merkmale zurückzuführende Identität wurde im Rahmen der angewandten Identitätstheorien kaum bis gar nicht berücksichtigt. Jedoch erscheint es sinnvoll, die Identität mit der Äußerlichkeit eines Menschen in Zusammenhang zu bringen, weil diese als das primäre Indiz der gegenseitigen zwischenmenschlichen Wahrnehmung und Wiedererkennung erscheint. Aus diesem Grund knüpft das anschließende untergeordnete Kapitel an die körperliche Identitätsbedeutung an.
Körper und Identität stehen also in enger Beziehung zueinander. Auch bei der imaginären Vergegenwärtigung eines Babys, Kindes, Jugendlichen und eines Erwachsenen erscheinen verschiedene Assoziationen, welche darüber hinaus ebenso verschiedene Körperstadien repräsentieren und somit an die Entwicklungsstufen eines Menschen anknüpfen. Jede Phase der Entwicklung weist nicht nur verschiedene Erscheinungsformen des Körpers auf, sondern damit einhergehend eine sich verändernde körperliche Identität. Diese hat Auswirkungen auf die Individualität von Individuen. Vor allem der biografische Abschnitt der Adoleszenz stellt Menschen vor einer wichtigen Entwicklungsphase, in welcher sich die Identität überhaupt erst entwickeln und festigen kann. In dieser Zeit schlüpfen die heranwachsenden Personen in verschiedene soziale Rollen und versuchen, diese mit ihrer individuellen Persönlichkeit abzugleichen. Im dritten untergeordneten Kapitel werden Sachverhalte zum Verhältnis zwischen Identität und Entwicklung eingehender beschrieben.
Der Entwicklungsprozess kann durch Sport und Bewegung positiv als auch negativ beeinflusst werden. Sport fungiert in dieser Hinsicht als eine Hilfestellung, weil er innerhalb der Entwicklungsproblematik ein Kompensationsmedium darstellt. Entscheidend ist dabei, in welchem Ausmaß sich diese Kompensation von aktuellen Entwicklungskrisen im Leben eines heranwachsenden Menschen äußert. Diese Thematik wird im entsprechenden Unterkapitel fokussiert.
Wer bin ich eigentlich? Warum bin ich so, wie ich bin? Wie bin ich für andere? Wie sehe ich mich selbst? Bin ich die gleiche Person, die ich gestern auch war, letztes Jahr, vor fünf Jahren? Was macht mich aus? Was macht mich besonders? Die Auseinandersetzung mit diesen existenziellen Fragen konfrontiert früher oder später jeden Menschen im Verlauf seiner Biografie. Die Theoretiker George Herbert Mead, Lothar Krappmann und Erving Goffmann setzten sich unabhängig voneinander intensiv mit dieser Thematik auseinander und entwickelten verschiedene Identitätstheorien. Dass sich zwischen allen Theorien Parallelen auffinden lassen, ist nicht verwunderlich, denn schließlich gründen sie alle auf der Basis des symbolischen Interaktionismus. Aus diesem Grund werden die Theorien im Folgenden gebündelt und als komprimierte Fassung wiedergegeben.
Der Begriff des symbolischen Interaktionismus geht zurück auf den Soziologen Herbert Blumer, dessen Lehrer G.H. Mead war (vgl. Blumer, 1981). Das Symbol ist hierbei als soziale Erwartung an den Handelnden zu verstehen. Dadurch definiert sich der Interaktionismus grundlegend über Interaktionsprozesse zwischen verschiedenen Akteuren. Erving Goffmann erweitert Blumers Modell und unterscheidet drei Komponenten von Identität: die soziale und die personale Identität sowie das Selbst (vgl. 1967). Lothar Krappmann verbindet wiederum die grundlegenden Gedanken beider Theoretiker miteinander und erweitert diese (vgl. 2010). Die Differenzierung der drei Komponenten soll fortschreitend als Orientierung dienen und im nächsten Schritt erläutert werden.
Die soziale Identität, als ein Teil der gesamten Identität, ist abhängig von sozialen Interaktionen und wird erst im sogenannten Interaktionsprozess realisiert (vgl. Mead, 1934). Da die Kommunikationspartner im sozialen Austausch stets verschieden sind, ist auch die soziale Identität einer Person sehr facettenreich. Dies resultiert aus der Grundannahme, dass die Akteure ein Bewusstsein darüber haben, wie sie wahrgenommen werden und welche sozialen Erwartungen dadurch an sie gestellt werden (vgl. Mead 1934). Somit verhält sich eine Person einer anderen Person gegenüber auch immer verschieden. Dieses Verhalten ist abhängig von den jeweiligen gesellschaftlichen Erwartungen und der Position einer Person innerhalb einer Gesellschaft sowie ihrer sozialisierten Rollenfunktion (vgl. Krappmann, 2010).
Der Begriff Rolle ist zentral für die Theorien des symbolischen Interaktionismus. Er bezieht sich auf spezifische Verhaltensmuster, die durch die Gesellschaft vorbestimmt oder von ihr definiert werden (vgl. Goffmann, 1967). Wie im Theater gibt es Figuren, die jedem Zuschauer geläufig sind: die Tochter, die Bäckerin, der Polizist, der Lehrer, die Schülerin, die Sportlerin, etc. (vgl. Goffmann, 1969). Auch im realen Umfeld gilt es demnach, die spezifischen Rollenidentitäten im sozialen Interaktionsprozess zu verkörpern. Als Rollenübernahme wird folglich die Fähigkeit eines Akteurs verstanden, sich in andere rollenspezifische Identitäten hineinversetzen zu können (vgl. Mead, 1973).
Wichtig ist, dass die jeweiligen Rollen von den Akteurinnen dennoch veränderbar sind, auch wenn dies zu Verwirrung seitens des Gegenübers führen kann (vgl. Mead, 1973). In folgender Situation wird dies deutlich: Ein Dozent führt im üblichen Schema sein Seminar durch. Ein weinendes Baby einer Studentin unterbricht dabei ständig seinen Redefluss, also nimmt er dieses Baby, einem intuitiven Gefühl folgend, auf den Arm. Der Dozent verkörpert plötzlich eine väterliche und vor allem andere Rollenidentität. Dieser Rollentausch ist für die Studenten neu und wird von ihnen entweder akzeptiert oder verweigert. Wenn Letzteres eintritt, wird die Rollenidentität also nicht akzeptiert, kann dies zur Identitätsbeschädigung führen, wodurch das Wohlbefinden einer Person, in diesem Fall das des Dozenten, leidet (vgl. Krappmann, 2010).
Unsere soziale Identität definiert sich weiterhin über eine bestimmte Gruppenidentität. Somit gehört jede Person einem stereotypischen sozialen Gefüge an. Max Mustermann gehört beispielsweise zu den Europäern, er ist Sportler, Student, Musiker usw. Er ist somit spezifischen kollektiven Gruppen zuzuordnen (vgl. Goffmann, 1967). Diese sozialen Zuordnungen von einzelnen oder kollektiven Rollenidentitäten sind Teil einer einzigartigen Biografie eines Menschen. Doch nicht nur unsere soziale Identität prägt diesen Lebensweg, auch die personale Identität leistet einen wichtigen Beitrag.
Mit der personalen Identität sind die individuellen Eigenschaften einer Person gemeint, welche in ihrer Kombination einmalig sind (vgl. Goffmann, 1967). Diese Individualität ist jedem Individuum eigen, wodurch die Differenzierung zu anderen Individuen ermöglicht wird (vgl. Goffmann, 1967). Wodurch kennzeichnet sich diese personale Individualität? Ohne vorgeschriebene soziale Rollen bleiben dem Individuum seine eigenen vorsozialen biologischen Triebe, Gedanken, und Handlungsweisen. Bevor es zu sozialen Interaktionen kommt, reagiert also die personale Identität, ohne das Geschehen im Vorfeld zu reflektieren. Die individuellen und intuitiven Bedürfnisse einer Person werden unmittelbar deutlich. Darüber hinaus sind diese Bedürfnisse und Triebe nie gänzlich sozialisierbar (vgl. Mead, 1934).
Ist die Rede von personaler Identität, dann ist auch die Persönlichkeit mit ihren Merkmalen nicht wegzudenken. Die differenzielle Persönlichkeitspsychologie nutzt beispielsweise eine Faktorenanalyse mit fünf ausgewählten Persönlichkeitsmerkmalen, die „Big Five“, um Auskunft über den Charakter eines Individuums zu erhalten (vgl. Angleitner & Riemann, 2005, S. 99 ff.). Dazu zählen Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Persönlichkeitsmerkmale und vorsoziale Bedürfnisse bestimmen soziale Interaktionsprozesse. Dass sich diese Merkmale aber nicht nur in der Psychologie wiederfinden lassen, sondern auch äußerlich kenntlich werden, zeigt sich allein durch die optische Betrachtung von Personen. Auch der Körper spielt demnach eine wichtige Rolle in Bezug auf die persönliche Identität. Diese Thematik wird eingehender im folgenden Unterkapitel betrachtet. Persönlichkeitsmerkmale und spontane Handlungen sind zusammenfassend entscheidende Merkmale der personalen Identität. Diese Faktoren lassen eine Person einzigartig erscheinen.
Die personale wie auch die soziale Identität formen ein einzigartiges Individuum und prägen dessen Biografie. Folgende Beispiele verdeutlichen, wie nah beide Komponenten miteinander verbunden sind: Person X ist Sportlerin (soziale Identität) und weist das psychologische Persönlichkeitsmerkmal einer hohen Verträglichkeit (personale Identität) auf, also ist die Tendenz gegeben, dass Person X gut in einem Mannschaftssport aufgehoben wäre. Person Y ist Studentin (soziale Identität) und nimmt sich als sehr gewissenhaft (personale Identität) wahr, wodurch sie wahrscheinlich zu durchdachten und sorgfältigen Arbeitsweisen tendieren könnte. Dass dies aber nur Vermutungen sind und die Identitätsentfaltung nicht in jeder sozialen Interaktion so reibungslos verläuft, zeigt Krappmann auf, indem er sagt:
„Gespräche und gemeinsames Handeln sind nur möglich, wenn wir uns auf unsere Partner einstellen. Aber dies findet dort seine Grenze, wo nicht mehr zu erkennen ist, wofür wir denn „wirklich“ eintreten […] Obwohl also gemeinsames Handeln und Kommunikation auf der einen Seite voraussetzen, daß die Partner sich in Handlungsorientierung und Sprache einander angleichen, muß jeder auf der anderen Seite doch zugleich verdeutlichen, „wer er ist“, um den Ablauf von Zusammenkünften vorhersehbar und auf diese Weise planbar zu machen. Das Individuum steckt folglich im Dilemma […]“ (2010, S. 7).
Eine weitere Komponente spielt darüber hinaus eine wichtige Rolle und vereint die soziale und personale Identität miteinander: die Ich-Identität. Diese wird auch als das Selbst bezeichnet und schafft eine Balance zwischen den beiden genannten Ebenen (vgl. Mead, 1934). Dabei versucht eine Person sowohl die sozialen Erwartungen anderer Mitmenschen an sie selbst antizipieren zu können, als auch den eigenen Erwartungen gerecht zu werden (vgl. Mead, 1934).
Dies steht im engen Zusammenhang mit dem Fremd-, Selbst- und Idealbild eines Individuums (vgl. Goffmann, 1967). Das Fremdbild, also das Bild, welches andere Menschen von einer Person haben, muss in der Interaktion mit dem Selbstbild einer Person übereinstimmen. Dabei werden die gesellschaftlichen Erwartungen berücksichtigt sowie die personale Identität integriert. Der Balanceakt zur Übereinkunft von Fremd- und Selbstbild ist hierbei entscheidend. Die eigene Wahrnehmung des Selbstbildes steht im ständigen Vergleich zum Fremdbild, also zu dem, wie sich die Wahrnehmung anderer Mitmenschen zu einer Person widerspiegelt. Dies erfordert eine ständige Anpassung und Korrekturvornahme beider Bilder (vgl. Goffmann, 1967) und verdeutlicht die Problematik einer stimmigen Ich-Identität: Das Fremdbild, welches sich auf gesellschaftliche Perspektiven bezieht und der sozialen Identitätsebene untergeordnet werden kann, unterliegt einem ständigen Abgleich mit dem Selbstbild einer Person.
Darüber hinaus sind die eigenen Wunschvorstellungen im Sinne von spezifischen Idealbildern präsent: Wie möchte ich sein? Wie möchte ich aussehen? Woran orientiere ich meine Identität? Spiegelt das Selbstbild nicht die gewünschten Ideale wider, dann wird ein Individuum sich mit dieser Verwirklichung auseinandersetzen. Dies wird am folgenden Beispiel deutlich: Eine junge, übergewichtige Frau findet sich selbst schön und ist mit ihrem Äußeren zufrieden. Ihr soziales Umfeld reagiert entgegengesetzt, denn ein Kommilitone sagt ihr, dass sie doch letztes Jahr noch die schönen langen Haare hatte und ihr Gesicht generell schmaler wirkte. Die beste Freundin bewundert alte Fotos von ihr, worauf sie wohl sehr dünne Beine hatte. Um wieder ein an das Fremdbild angepasstes Selbstbild zu erhalten, versucht die junge Frau Wege zu finden, die ihr zur Gewichtsreduktion verhelfen. Wenn der Ausgleich von Fremd- und Selbstbild, also von sozialer und personaler Identität aber dennoch nicht möglich ist, müssen die gegensätzlichen Identitätsbilder ertragen werden.
Dieser Zustand wird als „Ambiguitätstoleranz“ bezeichnet. Dies bezieht sich auf das Vermögen, gegensätzliche Identitätsbilder aushalten zu können (vgl. Krappmann, 2010, S. 150 ff.). Die Frau muss also das Fremdbild, welches durch die sozialen Interaktionen geformt wurde, ertragen und behält ihr Selbstbild. Es liegt nahe, dass sie ein Umfeld aufsuchen wird, in welchem es zu keinen negativen, sondern vorrangig positiven Bestätigungen ihrer Identität kommt (vgl. Gugutzer, 2002).
„Was der Körper ist, wie mit ihm umzugehen ist bzw. dass mit ihm umgegangen werden muss und er nicht mehr als biologisches Faktum schlicht hingenommen werden kann, sind typische Fragen bzw. Aspekte moderner Lebensführung. (…) die Vorstellung und vor allem die Möglichkeit, den eigenen Körper nach individuellen Interessen und Bedürfnissen zu gestalten, stößt in weiten Bevölkerungskreisen auf äußerst positive Resonanz. (…) Das (…) dürfte nicht zuletzt aber auch damit zu tun haben, dass dem Körper ein besonderes Identitätspotenzial innewohnt, das nunmehr erkannt worden ist und daher verstärkt genutzt wird. Wie kaum ein anderes Medium der Identitätsbildung ist der Körper nämlich geeignet, durch unmittelbaren Zugriff zu sichtbaren und schnellen Identitätsgewinn beizutragen“ (Gugutzer, 2002, S. 13).
Was wäre Angela Merkel ohne ihren förmlichen und schlichten Kleidungsstil? Frida Kahlo ohne ihre dicken Augenbrauen oder Stevie Wonder ohne seine Brille? Und was wäre schon ein Fitnessmodel ohne eine durchtrainierte Figur? Die außerordentliche Bedeutung der Merkmale eines Körpers für die Identität findet im Rahmen der vorweg erläuterten Identitätstheorien nur vereinzelt Erwähnung. Der Sportsoziologe Robert Gugutzer stellt fest, dass es den „sozialwissenschaftlichen Identitätstheorien und -konzepten […] an der systematischen Berücksichtigung von Leib und Körper“ mangelt (Gugutzer, 2002, S. 14). Er vertritt den Standpunkt, dass der Körper eines Individuums einen großen Anteil der Identität eines Menschen darstellt. Gugutzers grundlegende Gedanken zur Relevanz des Körpers für die Identität eines Individuums werden in dieser Ausarbeitung übernommen. Was ist überhaupt mit der Bezeichnung Körper gemeint? Er wird „als Gegenstand, als Ding (…) [aufgefasst,] das von außen wahrnehmbar und wie ein Instrument oder Werkzeug gebraucht werden kann [sowie als] der lebendige, spürbare und (…) fungierende Körper“ verstanden (Gugutzer, 2002, S. 15). Zwei Komponenten werden hierbei ersichtlich: Zum einen wird der Körper aus einer anthropologischen Perspektive wahrgenommen, womit biologische Merkmale des Körpers gemeint sind. Dazu zählt also alles, was die äußere Erscheinung einer Person betrifft, wie beispielsweise der Körperbau, Körpergröße, Geschlecht, Hautfarbe, Haarfarbe, Haarlänge, Augenfarbe oder Gesichtsmerkmale. Dies wird der personalen Identität zugeordnet. (vgl. Gugutzer, 2002).
Die Art und Weise wie wir uns kleiden und welche Bedeutung dies für unsere Identität hat, wurde darüber hinaus nicht eingehender von Robert Gugutzer erwähnt. Dass wir nicht in völliger Entblößung unseren Alltag erleben, unterstreicht die Relevanz, welche von unserer Garderobe ausgeht. Menschen identifizieren sich demnach ebenso über ihren persönlichen Kleidungsstil (vgl. Feinberg et al., 1992). Bei der alltäglichen Garderobenauswahl tendieren Personen somit zu Textilien, welche ihr individuelles Selbstbild unterstreichen. Je nach gewählter Aufmachung wirken Personen verschieden, nehmen verschiedene Rollen ein, wodurch ihnen ebenso verschiedene Identitäten zugeordnet werden können. Die aktive Auswahl der Kleidung wird der sozialen Identitätsebene zugeordnet. Dabei hat der erste Eindruck einer Person einen dominanten Stellenwert, wenn es um zwischenmenschliche Interaktionen geht (vgl. Stone, 1981). Kleidung kann in diesem Zusammenhang außerdem eine manipulierende Funktion auf den ersten Eindruck ausüben, indem spezifische soziale Rollen verkörpert und durch Kleidungsstile symbolisiert werden (vgl. Feinberg et al., 1992). Die Bedeutung der Optik eines Körpers für die Identität eines Individuums wird somit ersichtlich. Es ist evident, dass „(…) mehr Menschen ihren Körper als Objekt der Identitätskonstruktion absichtsvoll einsetzten“ (Gugutzer, 2002, S. 14).
Neben der anthropologischen Ebene, zu welcher in dieser Arbeit fortan auch die Kleidung zählt, wird zum anderen eine phänomenologische Ebene angesprochen, welche sich auf das eigenleibliche Spüren bezieht. Die „leiblich-affektive Betroffenheit“ (Gugutzer, 2002, S. 15) des Körpers wird als Basis für die Erschaffung von Erfahrungen gesehen. Wozu rät das Bauchgefühl bei wichtigen Entscheidungen? Wie stellt sich der Gefühlszustand dar, wenn eine externe Person die persönliche Wohlfühlzone betritt? Wie fühlt es sich an, wenn die Privatsphäre verletzt wird? Welche Emotionen ein Körper in bestimmten Situationen wahrnimmt hat entscheidende Auswirkungen auf Individuen, denn „eine Person (…) erwirbt eine Identität, indem sie ihre persönlichen und sozialen Erfahrungen selbstreflexiv zu einem subjektiv stimmigen Ganzen organisiert“ (Gugutzer, 2002, S. 15). Ein Körper identifiziert sich also nicht allein durch phänomenologische Merkmale, sondern auch mithilfe anthropologischer Eigenschaften. Daraus resultiert weiterhin das nonverbale körperliche Verhalten einer Person: Die Gangart, Haltung, Gestik und Mimik sind auf den jeweiligen affektiven und emotionalen Zustand eines Individuums zurückzuführen (vgl. Molcho, 1983). Die Verflechtung beider Komponenten ist maßgeblich für die personale Identität eines Individuums. Angela Merkel ist also nicht nur aufgrund ihrer anthropologischen Merkmale, wie der Beschaffenheit ihrer Körpergröße, Haarfarbe oder ihres Kleidungstiles die Person, für die sie gehalten wird, sondern auch aufgrund ihrer Erfahrungen und Entscheidungen. Ein Fitnessmodel bewahrt sich die eigene Identität nicht allein anhand der optischen Erscheinung, sondern auch aufgrund der persönlichen Erfahrungen und Handlungsweisen.
Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Gesellschaft? Wie eine Person sich selbst identifiziert und die Art und Weise, wie ihr soziales Umfeld dies vollzieht, unterliegt einer ständigen Wechselwirkung. Selbst- und Fremdbild beeinflussen sich dabei gegenseitig: Wird der Körper eines Individuums von der Gesellschaft nicht akzeptiert, dann erfolgt die Angleichung des Selbstbildes an das Fremdbild (siehe Kapitel 3.1.1). Der Körper ist als Symbol der gesellschaftlichen Ordnung zu verstehen (vgl. Gugutzer, 2002). Demzufolge ist auch Identität als Gegenstand zu betrachten, welcher einem spezifischen gesellschaftlichen Einfluss unterliegt, was in einer „kollektive[n] (…) Prägung von Körpereinstellungen“ münden kann (Gugutzer, 2002, S. 16).
An dieser Stelle kann zusammenfassend festgehalten werden, dass der Körper eines Individuums zahlreiche anthropologische sowie phänomenologische Merkmale aufweist, welche ihn individuell machen und ihm somit, mithilfe von Kleidungstilen, personale sowie soziale Identität verleihen. Darüber hinaus steht das körperliche Selbstbild in einem ständigen Abgleich mit dem von der Gesellschaft geformten Fremdbild. Beide Komponenten unterliegen entsprechend einer permanenten Wechselwirkung. Gugutzer komprimiert dies in der abschließenden Aussage: „[Es wird deutlich] (…) wie vielschichtig die Rolle von Leib und Körper für den Prozess der Identitätsbildung ist. Es müsste klar geworden sein, von welch entscheidender Relevanz Leib und Körper für das Individuum sind, um jenen Halt, jene Sicherheit und Orientierung im eigenen Leben zu finden, die gemeinhin als Ausdruck personaler Identität bezeichnet werden“ (2002, S. 16).
Mit Blick auf den Titel dieser Arbeit spielt nicht nur die Entwicklung des Körpers heranwachsender Frauen eine wichtige Rolle. Die Veränderungen des Körpers gehen mit Entwicklungen einher, welche Auswirkung auf die Identität von Individuen haben. Um der Frage nachzugehen, wie sich diese Auswirkungen in Bezug auf junge Menschen darstellen, wird zunächst ein psychoanalytischer Überblick zur Entwicklungsthematik aufgezeigt.
Aufbauend auf den Theorien und Erkenntnissen Sigmund Freuds, entwickelte der Psychoanalytiker Erik H. Erikson ein Stufenmodell zu den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche jeder Mensch im Laufe seiner Biografie erlebt. Aufgrund der Tatsache, dass Individuen auch im fortgeschrittenen Erwachsenenalter einer ständigen Entwicklung unterliegen, formulierte Erikson acht verschiedene Phasen zur Entwicklung von Individuen und erweiterte somit die bisherigen psychoanalytischen Grundannahmen. Bezogen auf die psychologische Sichtweise der menschlichen Entwicklung existiert neben Wachstums-, Spiral-, Differenzierungs-, Prägungs- oder Gestaltungsmodellen das Stufenmodell (vgl. Hackfort, 2003). Erikson entschied sich in seiner Forschungsarbeit für Letzteres und lieferte mithilfe des Stufenmodells bereits indirekte Anhaltspunkte zur umstrittenen Fragestellung nach Anfang und Ende der individuellen Entwicklung von Menschen. Das menschliche Leben beginnt demnach bereits im Mutterleib und endet nach Erikson zu einem unspezifischen Zeitpunkt im sogenannten reifen Erwachsenenalter. Die Entwicklungspsychologie, als Teilgebiet der Psychologie, bezieht sich somit auf die gesamte Lebensspanne und nicht nur auf begrenzte Zeitdimensionen (vgl. Hackfort, 2003).
In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, dass in der Entwicklungspsychologie Alters- oder Zeitangaben weitestgehend vermieden werden, um einer missverständlichen Wahrnehmung in Bezug auf die Entwicklung zu umgehen. Das Denkmuster, welches davon ausgeht, dass die Entwicklungsschritte in geordneter Reihenfolge verlaufen, wird aus psychologischer Perspektive verworfen. Vielmehr geht es um biologische, ökologische und soziale Entwicklungsstufen, wodurch ein sogenanntes biologisches, ökologisches oder soziales Alter für den wissenschaftlichen Sprachgebrauch resultiert (vgl. Hackfort, 2003). Die Angabe von numerischen Altersangaben ist hingegen auf die alltägliche Praxis ausgerichtet, da sie dabei hilft, Vergleiche zwischen Individuen zu ermöglichen und diese in einem entwicklungstechnischen Rahmen einordnen zu können. So verortet Dieter Hackfort beispielsweise das für diese Arbeit relevante Jugendalter in den Zeitraum von 12 bis 18 Jahren sowie das frühe Erwachsenenalter von 18 bis 35 Jahren (vgl. 2003).
Bevor diese Entwicklungsspanne eingehender betrachtet wird, erfolgt zunächst eine Erläuterung zum Entwicklungsverständnis in seiner prozesshaften Gesamtheit. Aus psychologischer Sicht wird Entwicklung als Prozess, also als „Veränderung von Entitäten“ aufgefasst (Hackfort, 2003, S. 12). Wenn sich Individuen mit der Welt, in welcher sie leben, auseinandersetzen, dann kann ihre Entwicklung je nach Perspektive aktiv oder passiv verlaufen. Ein Individuum gestaltet seinen Prozess in dem Sinne aktiv mit, weil es spezifische Sequenzen seiner Entwicklung beeinflusst und eigenständig organisiert. Nach biologischem Verständnis kann Entwicklung demgegenüber auch als ein passiver Prozess verstanden werden, an welchem ein Individuum automatisch beteiligt wird (vgl. Hackfort, 2003). Beispielsweise sind körperliche Eigenschaften in diesem Zusammenhang nur begrenzt von außen beeinflussbar. Größe, Geschlecht oder Körperform sind durch natürliche Prozesse bereits vorgegeben und können vom Individuum kaum bis gar nicht beeinflusst werden.
Dass Entwicklung einen sich ständig vollziehenden Prozess darstellt, wird weiterhin im eingangs erwähnten Stufenmodell Eriksons deutlich. Dieses bezieht sich auf verschiedene Entwicklungsschritte in einer spezifischen, aufeinander aufbauenden biografischen Zeitspanne (vgl. Erikson, 1993). Um die für diese Arbeit zentrale fünfte Entwicklungsphase der Adoleszenz besser einordnen und verstehen zu können, sollen die übrigen Phasen in ihrer Reihenfolge kurz benannt werden. Die erste Stufe im Säuglingsalter ist repräsentativ für die Entwicklung des Urvertrauens. Darauffolgend ist im Kleinkindalter die Auseinandersetzung mit Autonomie, Scham und Zweifel zentral. In der dritten Phase beschäftigen sich Kinder im Spielalter mit der Ergreifung von Initiativen. Darüber hinaus werden in dieser Phase außerdem das Schuldbewusstsein sowie damit einhergehende Schuldgefühle von sich entwickelnden Individuen erforscht. Mit dem Eintritt in das Schulalter geht laut Erikson die Frage nach dem „Werksinn“ einher. Dabei „will das Kind, daß man ihm zeigt, wie es sich mit etwas beschäftigen und wie es mit anderen zusammen tätig sein kann“ (S. 98). Außerdem werden sie in dieser Phase mit dem Auftreten von Minderwertigkeitsgefühlen konfrontiert. Die für diese Ausarbeitung bedeutsamste Phase stellt die anschließende fünfte Stufe dar, welche sich innerhalb der Adoleszenz der Identitätsthematik widmet. Im frühen Erwachsenenalter folgen Auseinandersetzungen zur Intimität und Isolierung. Die darauffolgende Phase des Erwachsenenalters ist gekennzeichnet durch „Generativität und Selbstabsorption, [welche den Zwiespalt zwischen] Erzeugung und Erziehung der nächsten Generation“ (S. 117) im Zusammenhang mit wenig bis gar keinen zwischenmenschlichen Konfrontationen thematisieren. Im reifen Erwachsenenalter werden im abschließenden Stadium positive wie negative Reflexionen auf das eigene Leben vollzogen. Diese Benennung der einzelnen Phasen erscheint sinnvoll, da sie verdeutlichen, welche Bedeutung die fünfte Stufe trägt. Sie zeigen auf, dass die Auseinandersetzung mit Identität in keiner anderen Entwicklungsstufe so sehr im Vordergrund steht, wie in der fünften Phase, zur Zeit der Adoleszenz.
Warum ist gerade zu diesem biografischen Zeitpunkt die Identitätsfindung zentral? Jugendliche haben die Phase der Kindheit vollendet, indem ihr Körper eine andere und neue Form annimmt. Schnelles Körperwachstum, Geschlechtsreife und weitere, sich ständig vollziehende körperliche sowie geistige Veränderungen sind typische Merkmale der pubertären Entwicklung. Neue Eigenschaften müssen so angenommen werden, dass sie den ebenso neuen sozialen Rollen, welche sich die identitätssuchenden Individuen aneignen und festigen, gerecht werden. An dieser Stelle wird sich also aktiv mit der personalen und sozialen Identität (siehe Kapitel 3.1.1) auseinandergesetzt, sodass sich eine daraus resultierende Ich-Identität entwickeln kann. Dabei werden die Parallelen zwischen Soziologie und Psychoanalytik deutlich, denn auch Erikson erkennt, dass ein Jugendlicher „darauf konzentriert [ist] herauszufinden, wie er, im Vergleich zu seinem eigenen Selbstgefühl, in den Augen anderer erscheint und wie er seine früher aufgebauten Rollen und Fertigkeiten mit den gerade modernen Idealen und Leitbildern verknüpfen kann“ (1993, S. 106).
Zwar werden alle bisherigen Identifizierungen aus der Kindheit hinterfragt, dennoch liefern die vorigen Entwicklungsphasen Grundlagen für die Herausbildung einer Ich-Identität im Jugendalter. Darüber hinaus ist die Vollendung der früheren Entwicklungsstufen wichtig, damit sich überhaupt erst eine gesunde Identität entfalten kann. Kinder, die beispielsweise während der ersten Phase das Gefühl des Urvertrauens wenig bis gar nicht durch ihre Mutter erworben haben, weisen später deutliche Verhaltensschwierigkeiten auf, sind sozial inkompetent und wissen wenig darüber, wie sie mit ihren Mitmenschen umgehen sollen (vgl. Brunmayr & Stockinger, 2006). Werden hingegen alle Entwicklungsstufen ausgebildet, greifen Jugendliche auf ihr „inneres Kapital“ (Erikson, 1993, S. 107), welches sie aus den bisherigen Phasen schöpfen, zurück: „[Ich-Identität ist] mehr als die Summe der Kindheitsidentifikation […] [sie] entwickelt sich also aus einer gestuften Integration aller Identifikationen; aber hier hat das Ganze eine andere Qualität als die Summe seiner Teile […] [Sie] verknüpft also die früheren Kindheitsphasen, in denen der Körper und die Elternfiguren führend waren, mit den späteren Stadien, in denen eine Vielfalt sozialer Rollen sich darbietet und im wachsenden Maße aufdrängt“ (Erikson, 1993, S. 107 ff.).
Das Integrieren und Ausprobieren von neuen Eigenschaften in die eigene Identität ist ein wichtiger Teil des Entwicklungsprozesses. Individuen, die sich gerade in der Auseinandersetzung mit Eigenschaften oder Sachverhalten befinden, werden diese verteidigen, sobald sie sich von ihrer jeweiligen sozialen Umwelt nicht ernst genommen fühlen, weil die Identitätssuche die Basis zur Identitätsentwicklung darstellt (Erikson, 1993). Ohne die Herausbildung einer Ich-Identität kann nicht von einem zufriedenen Lebensgefühl innerhalb von gesellschaftlichen Räumen gesprochen werden (vgl. Erikson, 1993). Wenn sich ein Jugendlicher nicht mit den, von der Gesellschaft aufgezwungenen, sozialen Rollen identifizieren kann, dann ist die Herausbildung einer anerkannten Ich-Identität gefährdet. In diesen Situationen suchen Individuen zunehmend Orientierung bei Gleichgesinnten, Freunden und Cliquen. Manchmal führt dies auf suboptimaler Art und Weise in eine Überidentifikation „mit den Helden von Cliquen und Massen“ oder idealistischen Stereotypen (Erikson, 1993, S. 110). Sich entwickelnde Individuen suchen also Halt und Sicherheit in spezifischen Figuren der Gesellschaft, welche ihnen mit dieser Entwicklungsaufgabe helfen. Welche diese in der aktuellen Zeit sind, wird unter anderem im Kapitel 4.1 erläutert.
Mit der Phase der Adoleszenz ist die Identitätsfindung längst nicht abgeschnitten. Vielmehr wird sie auch in den folgenden Entwicklungsstufen relevant sein, nur nicht im bisherigen Ausmaß. Für das anschließende frühe Erwachsenenalter sind Auseinandersetzungen zur „Intimität und Isolierung“ (Erikson, 1993, S. 151) zentral. Die Ich-Identität äußert sich in dieser Zeitspanne so, dass ein Individuum diese reflektiert und sie in der sozialen Interaktion mit anderen diskutiert. Mithilfe des sozialen Austauschs kann sich die Identität eines Individuums schärfen, sodass die Definition der persönlichen Identität präzisiert werden kann. Fragen wie „Wer bin ich eigentlich?“ erhalten in dieser Zeitspanne konkretere Antworten, als dass dies in der vorherigen Entwicklungsphase möglich war. Diese Merkmale verknüpft Erikson mit dem Terminus Intimität. Mit dem Begriff Isolierung bezieht er sich auf die Distanzierung eines Individuums gegenüber anderen. Das soziale Umfeld wird dabei so eingeschränkt, dass Personen, die nicht zur persönlichen Ich-Identität passen, die wenig bis gar keine Gemeinsamkeiten mit der eigenen Identität aufweisen oder diese nicht unterstützen, abgelehnt werden (vgl. Erikson, 1993).
Identitätsentwicklung ist schlussfolgernd ein Prozess, welcher vor allem in der biografischen Zeitspanne der Pubertät relevant ist, da sie die dafür zentrale Entwicklungsaufgabe darstellt. Aber auch weitere Lebensphasen werden von der Auseinandersetzung mit der Identitätsentwicklung tangiert. Individuen setzen sich ebenso im adoleszenten Alter mit sich selbst und ihrer Identität auseinander. Soziale Rollengefüge werden in dieser Hinsicht reflektiert und die heranwachsenden Personen verorten sich in ihrem naheliegenden sozialen Umfeld der Gesellschaft.
Welche Bedeutung hat Sport für mich? Wie viel Zeit investiere ich dafür? In welche Rolle bringt mich der Sport in den Augen meiner Freunde? Kann mir Sport dabei helfen, meine Identität aufzubauen? Auf der Suche nach der persönlichen Identität bietet Sport viele Möglichkeiten, sich mit dem eigenen Wesen auseinanderzusetzen und dem „fremd [...] werdenden Körper wieder nahe zu kommen und eine Identität aufzubauen“ (Laging, 2017, S. 32). Zur Beantwortung der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Identität und Sport steht zunächst der Sportbegriff im Vordergrund. Da es für diesen Terminus verschiedene wissenschaftliche Auffassungen und Definitionen gibt, soll fortan das dialogische Bewegungsverständnis richtungsweisend sein. Dabei steht ein Dialog zwischen Mensch und Welt im Vordergrund (vgl. Tamboer, 1979). In diesem Zusammenhang wird vom sogenannten Sich-Bewegen gesprochen, welches als ein „unteilbares Ganzes von Veränderungen, sinnvoll bezogen auf etwas außerhalb dieser Veränderungen“ (Tamboer, 1979, S. 14) betrachtet wird. Die Bezugnahme eines Menschen auf etwas außerhalb sich Selbst bzw. auf die Welt vollzieht sich durch die Frage nach der Bedeutung. Durch diese Befragung entsteht der bereits erwähnte Dialog zwischen beiden Komponenten mittels Bewegung. Das Sich-Bewegen ist also ein „Zusammenspiel von Mensch und Welt, von Person und Situation“ (Tamboer, 1979, S. 14), dessen Bedeutung und Sinnhaftigkeit sich in Form eines Dialoges ergibt. Es wird deutlich, wie fundamental Bewegung für die Auseinandersetzung mit der Welt ist. „Sinn und Bedeutung sind dabei gerade keine bloßen subjektiven Zuschreibungen […], sondern generieren sich ursprünglich als Momente der Gestalt- und Strukturbildung im Handlungsfeld“ (Bietz, 2020, S. 199).
Bewegung ermöglicht dem Menschen also einen individuellen Weltbezug herzustellen, aufgrund dessen sich ein Körper als Individuum wahrnehmen kann. Dies ist vor allem in der Entwicklungsphase der Adoleszenz wichtig, da die Jugendlichen zunächst ein neues Verhältnis zu ihrem Körper aufbauen müssen (vgl. Laging, 2017). Dem kommt hinzu, dass die heranwachsende Person die reflektierenden Reaktionen des sozialen Umfeldes, bezogen auf den sich entwickelnden Körper, mit dem eigenen Körperbewusstsein verarbeiten und vereinen muss (vgl. Bietz, 2020). „Bewegungskulturelle Praktiken [können dabei] im eigenen Bewegen reflexiv werden“ (Bietz, 2020, S. 199) und somit helfen, Bewegung und Sport als Kompensationsmittel zu nutzen, um aktuelle Krisen und Probleme innerhalb der Entwicklungsphase zu bewältigen. Bewegung kann darüber hinaus dazu beitragen, dass sich entwickelnde Individuen ein positives Verhältnis zu ihrem Körper aufbauen können (vgl. Hurrelmann et al., 2003, S. 10).
Demgegenüber steht, dass Sport, in Form eines Kompensationsmediums, möglicherweise einen zu hohen Stellenwert erhält, somit von Jugendlichen zu ernst genommen wird, was zu späteren Identitätskrisen sowie zu überhöhten Erwartungen führen kann (vgl. Baumann, 2015). Kompensiert werden dabei nicht nur aktuelle Krisen der Entwicklung, sondern auch nicht zufriedenstellende, schulische Leistungen oder „noch nicht erreichte berufliche Kompetenz[en]“ (Baumann, 2015, S. 28). Der Einfluss von Sport und Bewegung auf die sich entwickelnden, identitätssuchenden Individuen kann sich demnach positiv als auch negativ darstellen. In jedem Fall wird deutlich, dass „Jugendliche gleichsam den Ambivalenzen und der Spannung ihrer Lebenswelten [mithilfe von inszenierten Aufführungen des Körpers im Bewegen] konkrete Gestalt“ geben (Bietz, 2020, S. 199).
In welchem Ausmaß Sport während dieser Entwicklungsstufe inszeniert wird, entscheidet darüber, ob er auch in der Lebenswelt der darauffolgenden Stufe integriert wird. Wie bereits im Kapitel Identität und Entwicklung deutlich wurde, folgt nach der Adoleszenz das frühe Erwachsenenalter, in welchem die intensive Identitätssuche zunehmend ein Ende findet und die Identitätsschärfung im Vordergrund steht. Für die Identität ist es dabei wichtig, dass die Komponenten der sozialen sowie personalen Identität zusammengeführt werden können, sodass das Selbst, also die Ich-Identität resultiert. Wie stellen sich beide Bestandteile im sportlichen Rahmen dar?
Bei der Betrachtung der Entwicklung des Sports konnte festgestellt werden, dass immer mehr junge Menschen und dabei vor allem Mädchen und Frauen den Fitnesssport als primäre Bewegungsquelle nutzen (vgl. Grgic & Züchner, 2013). Ihre sportliche Identität ist also als Teil der Gesamtidentität zu verstehen, aber welchen Stellenwert hat diese Identität in der Gesamtidentität der bewegungsinszenierenden jungen Menschen?
In Bezug auf die soziale Identität werden in der sportlichen Ausübung sportliche Rollen eingenommen. Individuen präsentieren sich ihrer Umwelt gegenüber als bewegungsfreudige und sportliche Personen. Der Körper, als greifbares, visuelles Identitätsmedium, trägt weiterhin zur äußeren sportlichen Erscheinung bei und er unterstützt außerdem die soziale Rollenidentität. Gesellschaftliche Rollenmuster spiegeln sich außerdem in den inszenierten Bewegungen der Bewegungspraktiken wider, werden übernommen, ausprobiert und weiterentwickelt (vgl. Bietz, 2020). Die soziale Rollenidentität und das soziale Umfeld beeinflussen sich also gegenseitig. Das soziale Umfeld bezieht sich in dieser Hinsicht auf Freunde, Familie oder sogar Zuschauer, Presse und Medien. Diese hegen bestimmte Erwartungen und Wünsche an die bewegungsinszenierende Person, doch sie „dürfen nicht so dominieren, dass sie die Entfaltung des eigenen Könnens, die individuellen Fähigkeiten, die Gefühle und Vorsätze überdecken oder stören“ (Baumann, 2015, S. 22). Sportliche Identitäten werden schlussfolgernd unter anderem durch die Gesellschaft geprägt. Außerdem wird ein weiterer Aspekt deutlich: Die affektiven Gegebenheiten einer Person sind ebenfalls ein wichtiger Bestandteil eines Individuums und werden der personalen Identität zugeordnet (siehe Kapitel 3.1.1). Sportliche Leistungen und Erfolge sollen demnach nicht die Antwort auf die Identitätsfrage bilden, sondern müssen die personale Identitätskomponente berücksichtigen. Die Emotionen, die ein Individuum für und in sportliche(n) Tätigkeiten hervorbringt und entwickelt, die Eigenarten, die dabei inszeniert werden, die Persönlichkeitsmerkmale die durch Sport hervorgebracht oder vertieft werden sowie die individuellen Bedürfnisse, welche im Sport realisiert oder auch nicht realisiert werden, sind wichtige Aspekte der personalen Identität. Das Bewusstsein eines Individuums über seine jeweiligen spezifischen Eigenarten und Affekte und seiner „unaustauschbaren Existenz“ (Baumann, 2015, S. 21) ist wichtig für den Sportler. Wenn der natürliche Drang zur Sportinszenierung gegeben ist, dann identifiziert sich ein Individuum auch auf personaler Ebene mit Sport und Bewegung. Um eine stabile Ich-Identität entfalten zu können, welche als einheitliche, sportliche Identität wahrgenommen werden kann, ist es wichtig, dass die soziale Rolle, welche im Sport eingenommen wird, mit den Erwartungen der anderen sowie den eigenen Erwartungen abgeglichen werden kann (vgl. Baumann, 2015). Eine einheitliche, sportliche Ich-Identität trägt zu einem gesunden Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen bei. Inszeniert eine Person hingegen den Sport nur, weil sie sich durch ihr aktuelles soziales Umfeld bzw. der Gesellschaft dazu veranlasst fühlt, dann wird die Entstehung einer Ich-Identität als Einheit nicht gewährleistet. Personen bewegen sich in diesem Fall für oder wegen des sozialen Umfeldes. So ist auch bei den erwähnten Fitnessstudiobesucherinnen zu hinterfragen, ob ihre personale Identität im Sportprozess integriert wird. Nicht selten ist in diesem Kontext beispielsweise zu beobachten, dass Mitgliedschaften in Fitnesspraxen nach gewisser Zeit nicht mehr wahrgenommen oder gänzlich abgebrochen werden (vgl. Haack, 2016). Die Einnahme von sozialen Identitäten und Rollen ist nur dann längerfristig möglich, wenn auch die zugehörigen personalen Identitäten damit konform gehen. Nicht allein das Inszenierungsfeld innerhalb von Fitnessstudios ist von dieser nötigen Übereinstimmung von sozialer und personaler Identität betroffen. Jeder Sportler und jede Sportlerin benötigt diese Einheit und braucht ein „stabiles Ich, eine klare Identität, die ihn mit seiner Umgebung und seinen Gegnern im Gleichgewicht hält“ (Baumann, 2015, S. 19).
Sport und Bewegung tragen zusammenfassend zur Identitätsentfaltung, vor allem in der Entwicklungsphase der Adoleszenz, bei. Sport kann dabei als Kompensationsmedium für alltägliche pubertäre Krisen fungieren. Für die zukünftige sportliche Weiterentwicklung einer Person ist die Balance zwischen sozialer und personaler Identität relevant. Erfolgt eine soziale sowie personale Identifikation mit sportspezifischen Inhalten, dann ist eine Zukunft absehbar, in welcher auch der Sport integriert bleibt.
Darüber hinaus fanden die Bezeichnungen Sport und Bewegung in diesem Kapitel eine gleichbedeutende Verwendung. Um Verwirrung zu vermeiden, werden die Begriffe im weiteren Verlauf dieser Arbeit als Synonyme gebraucht.
Mead, Goffmann und Krappmann haben sich zwar intensiv mit den einzelnen Bestandteilen von Identität auseinandergesetzt, der Begriff Identität als solcher ist im Rahmen ihrer soziologischen Forschungen aber nicht definiert. Dies gründet darauf, dass Identität von ihnen nicht als Einheit verstanden wird und folglich nicht als beständig angesehen werden kann. Einzig die Teilkomponenten soziale und personale Identität sowie das Selbst wird in der Hinsicht erläutert. Die Realisierung einer einheitlichen Definition von Identität gestaltet sich überdies auch deshalb als schwierig, weil der Begriff in verschiedenen Bereichen eine Rolle spielt. Sowohl Wissenschaften wie die Psychologie oder Soziologie beziehen sich auf eine andere Begriffsbasis, als auch Vertreter der Politikwissenschaften oder jene, die den einfachen Gebrauch der Alltagssprache ausüben. Ein einheitlicher Konsens ist demnach im Duden zu finden, dessen sprachlicher Gebrauch zur Verständigung aller gesellschaftlichen Individuen sowie als generelle Grundlage dient. Identität wird dabei als die „Echtheit einer Person oder Sache; völlige Übereinstimmung mit dem, was sie ist oder als was sie bezeichnet wird“ und „als `Selbst` erlebte innere Einheit der Person“ verstanden (Duden, 2017, S. 570). Diese Begriffserklärungen des Dudens weisen Parallelen zu den Ausarbeitungen des vorangegangenen Kapitels auf. Bezogen auf eine dieser Arbeit zugrundeliegenden Definition, erweisen sie sich dennoch als unzureichend. Der Begriff Identität wird somit im weiteren Verlauf, auf Basis der Vorarbeiten dieser Arbeit und in Anlehnung an Mead, Krappmann und Goffmann folgendermaßen verstanden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Die Identitätskonstruktion
Quelle: In Anlehnung an Mead, 1934 & 1973; Goffmann, 1967 & 1969; Krappmann, 2010; Gugutzer, 2002; Erikson, 1993
Identität ist, wie die Abbildung zeigt, ein Konstrukt, welches von Akteuren in und durch soziale Interaktionen gebildet wird. Dabei werden soziale Erwartungen bzw. soziale Identität mit personalen Erwartungen bzw. personaler Identität so vereint, dass eine Übereinkunft beider Komponenten ermöglicht wird. Personale und soziale Identität, zu welcher darüber hinaus der Körper gezählt wird, stehen in einer wechselseitigen Beziehung zueinander und werden so aufeinander abgestimmt, dass als Resultat dieser Übereinkunft die Ich-Identität, kurz Identität entsteht. In der Abbildung zur Identitätskonstruktion bilden darüber hinaus Selbst-, Fremd- und Idealbild den Rahmen zu den genannten Identitätsebenen. Das Fremdbild, welches andere Personen von einem Individuum haben, steht im ständigen Austausch mit dem Selbstbild, also der spezifischen Wahrnehmung eines Individuums über sein eigenes Selbst sowie dem Idealbild. Diese Bilder haben Einfluss auf die verschiedenen Identitätsebenen und werden ständig miteinander verglichen. Hinzu kommt der Entwicklungsprozess, welcher die einzelnen Aspekte der Identität beeinflusst. Der dargestellte Kreis symbolisiert die fortlaufende Entwicklung im Lebenslauf eines Individuums. Zur Zeit der Pubertät, also des Jugendalters erhält der Entwicklungsprozess eine tragende Rolle, da die Identitätsentfaltung vor allem zu diesem biographischen Zeitpunkt die zentrale Entwicklungsaufgabe von Individuen darstellt. Für die Entwicklung sind weiterhin auch Sport und Bewegung von Bedeutung, da sie während der Pubertät auftretende Entwicklungskrisen kompensieren können. Außerdem kann auch der Sport einen spezifischen Einfluss auf die Identitätsentfaltung ausüben, indem dieser als Kompensationsmedium bezogen auf pubertäre Krisen fungiert. Dies vollzieht sich sowohl auf der personalen als auch auf der sozialen Ebene. In Folge des Entwicklungsprozesses der Adoleszenz wird sich herausstellen, welchen Wert der Sport wirklich für die resultierende Ich-Identität aufweist.
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