Bachelorarbeit, 2019
46 Seiten, Note: 1,7
Einleitende Überlegungen
I Problemstellung
1.0 Darlegung eines Falles
2.0 Begriffliche Differenzierung und deren Bestimmung
2.1 Ethische Begriffsbestimmungen und Differenzierung der Euthanasie
2.2 Begriffsverständnis des assistierten Suizids in der Gegenwart
II. Pro-Argumentation: Die Assistenz ist ethisch legitimierbar
1.0 Theologische Perspektive: Menschenwürdig sterben
2.0 Juristische Perspektive: Die Rechtsprechung in der Schweiz
3.0 Philosophische Perspektive: Befürwortung des selbstbestimmten Todes
III. Kontra-Argumentation: Die Assistenz ist ethisch nicht legitimierba
1.0 Theologische Perspektive: Du sollst nicht töten!
2.0 Juristische Perspektive: Die Rechtsprechung in Deutschland
3.0 Philosophische und medizinethische Perspektive: Positionen verschiedener Gremien
IV. Erörterung der Pro- und Kontra-Argumente und Abwägungsprozesse25
1.0 Gegenüberstellung der Pro- und Kontra-Argumentation
2.0 Eine abgewogene Positionierung
V. Thematisierung in der Schulpraxis
1.0 Beschreibung des assistierten Suizids im Bildungsplan 2016
2.0 Thematisierung des assistierten Suizids anhand eines Unterrichtsentwurfes
2.1 Elementarisierung und Korrelation als Schwerpunkte
2.2 Methodisch-didaktische Überlegungen
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Anhan
„Die persönliche Freiheit ist und bleibt das höchste Gut des Menschen“1: Mit diesen Worten beschreibt der ehemalige Bundeskanzler Konrad Adenauer einen Grundsatz, der die Menschheit seit Jahrzehnten beschäftigt. Bereits während des Elisabethanischen Zeitalters erkannte der englische Schriftsteller Shakespeare in seinen Stücken, welch große Bedeutung die Frage nach dem Sein besitzt. Die Menschheit strebt danach, ihre existentiellen Fragen beantworten zu können und ihrem Dasein eine Bedeutung beziehungsweise einen Sinn zu verleihen. Bis in die Gegenwart hinein beeinflussen historische Schriftstücke und Manuskripte die diversen Sichtweisen der Menschen. Es bildet sich eine Ambivalenz, die zum einen aus der Sehnsucht nach dem Tod besteht und zum anderen werden die Gedanken an Themen wie das Sterben oder den Tod oftmals durch die Furcht überschattet, eines Tages sterben zu müssen. Diese Thematiken bleiben daher meist unausgesprochen. Die Endlichkeit allen Lebens zu begreifen ist auch in unserem Zeitalter sehr schwer und könnte daher einer der Gründe sein, weshalb das Thema Sterben meist vermieden wird.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Menschheit in den letzten Jahrzehnten an Autonomie gewonnen hat, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen, um den Ängsten ein Ende zu setzen und Antworten auf ihre Fragen zu finden. Innerhalb der letzten Jahre kam daher das Thema der Suizidassistenz und des selbstbestimmten Sterbeprozesses auf. Besonders durch seine mediale Präsenz wird das Thema des assistierten Suizids Teil einer umstrittenen und hochdiskutierten Debatte.
Durch die moderne Medizin ist es der Menschheit gelungen, dass sie eine höhere durchschnittliche Lebenserwartung besitzt als noch vor einigen Jahren. Die Therapiemöglichkeiten und verlängernden Lebensmaßnahmen haben eine ambivalente Sicht- und Denkweise zur Folge. Auf der einen Seite bildet sich die Angst darüber aus, am Ende des Lebens durch lebensverlängernde Maßnahmen und die fremdbestimmten Entscheidungen der Mediziner länger am Leben erhalten zu werden und vermehrt Qualen zu erleiden, als es eigentlich notwendig wäre, und auf der anderen Seite besteht die Angst, dass Geräte voreilig abgeschaltet werden. Die Angst vor einer Über- beziehungsweise Unterversorgung wird häufig zum Begleiter derer, die sich mit der Thematik des Todes auseinandersetzen. Daher beschäftigen sich die Menschen zunehmend mit der Frage nach einem würdevollen und menschenwürdigen Sterben.
Die Thematik des assistierten Suizids ist besonders durch die aktuelle Gesetzeslage in Deutschland und seiner historischen Präsenz während des Nationalsozialismus zu einem Spannungsfeld innerhalb der Gesellschaft herangewachsen. Der Begriff der Sterbehilfe ist in den meisten Fällen negativ konnotiert und führte zu zahlreichen Debatten und Konfliktsituationen. Die globale Uneinigkeit lässt erkennen, dass noch längst keine abschließende Positionierung in Sichtweite ist.
Dies ist deutlich zu erkennen, da zahlreiche an Deutschland angrenzende Länder, wie die Niederlande oder die Schweiz, sich ebenfalls mit dieser Thematik befassen und eine zur deutschen juristischen Gesetzeslage entgegengesetzte Richtung eingeschlagen haben. Es werden keine juristischen Maßnahmen bei der Beihilfe zum Tod eingeleitet. Fraglich ist hierbei jedoch, inwieweit die Legalisierung als Maßnahme helfen kann, schwer kranken Menschen einen langen oder gar schmerzvollen Tod zu ersparen und welche Konsequenzen sich aus dieser Legalisierung ergeben werden.
Deshalb spiegelt diese Arbeit sowohl juristische als auch philosophische und theologische Argumente wider. Anhand einer Gegenüberstellung der Argumente wird eine Reflexion und Beurteilung erfolgen, die diesen ethischen Normenkonflikt für den Leser übersichtlicher darstellen soll. Im Zuge dessen sollen Fragen, die während der Arbeit entstehen, weitestgehend und bestmöglich beantwortet werden. Grundlegend für die Klärung ist die Differenzierung einiger Termini und ihrer Relevanz in der heutigen Gesellschaft. Anhand der Argumente und der Gegenüberstellung wird am Ende der Arbeit eine didaktische Reflexion Einblicke in den Unterrichtsalltag geben, um den LeserInnen die Relevanz der Thematik erneut vor Augen zu führen.
Besonders einschneidende Termini werden in dieser Arbeit daher kursiv gekennzeichnet; dies wird allerdings nicht in jedem auftretenden Fall in den Fußnoten, sondern allgemeingültig anhand dieses Hinweises gekennzeichnet.
Abschließend lässt sich sagen, dass bereits zu Beginn wichtige Fragen gestellt werden sollten. Beispielhaft dafür sind folgende Gedanken: Wer darf über unser Ableben entscheiden und welche Kriterien spielen bei der Entscheidung eine Rolle, beziehungsweise ab welchem Zeitpunkt wird das Leben eines Menschen für lebensunwert erachtet?
Die Darlegung der einleitenden Gedanken lässt erkennen, dass die Thematik komplex ist. Besonders die Literatur, die autobiographisch verfasst wurde, kann helfen, die Entscheidungen der Betroffenen zu verstehen und gegebenenfalls nachzuvollziehen. Erwähnenswert ist zudem die Tatsache, dass in dieser Arbeit eine Pro und Kontra Argumentation geführt wird, welche sich lediglich mit der Frage nach der Suizidassistenz beschäftigt. Die Thematik des Suizids und die damit einhergehenden Gedanken und Erkenntnisse werden dabei in den Hintergrund gestellt, können allerdings anhand einer Erweiterung oder Ergänzung in einer weiteren Arbeit aufgeführt werden.
Sucht man in einer Bibliothek oder im Internet nach Beispielfällen oder Literatur, die zu der Thematik verfasst wurden, so erkennt man schnell, dass die Ergebnisse einen nahezu überrollen und es zahlreiche Menschen gibt, ob Betroffene selbst oder deren Angehörige, die ihre Gedanken, Erfahrungen und Gefühle niedergeschrieben haben und in einigen Fällen hiermit eine Möglichkeit gefunden haben, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Diese Option der Verarbeitung der eigenen Gedanken in Schriftform nutzen diverse Schriftsteller, Laien, Philosophen und Theologen seit Jahrzehnten, um ihre Erfahrungen und Erkenntnisse für die Nachwelt festzuhalten.
Einer dieser Schriftsteller ist der in Zürich geborene Journalist Nicolas Bardola, der anhand seines Romans Schlemm, der auf wahren Begebenheiten beruht, den begleiteten Freitod des Ehepaares Salamun schildert. Die Idee zu diesem Roman lieferten dem Journalisten seine eigenen Eltern, die gemeinsam in den Freitod gingen. Sein Vater überließ ihm vor seinem begleiteten Freitod seine Tagebücher, welche als Inspirationsquelle dienten und die Stimmungen des Verstorbenen vor seinem selbstbestimmten Ableben festhielten. Der Protagonist und Ich-Erzähler des Romans, Paul Salamun, ein ehemaliger Bridgespieler und pensionierter Dozent, entschließt sich aufgrund der Diagnose Blasenkrebs dazu, die nötige Operation nicht vornehmen zu lassen und stattdessen gemeinsam mit seiner Frau in den Tod zu gehen. Dies soll mithilfe einer Organisation geschehen, die den Zustand des Patienten allerdings zuvor durch ärztlich begleitete Gespräche absegnet. Eine geschilderte Schwierigkeit war es, die Entscheidung den gemeinsamen Kindern beizubringen und auf ihre Akzeptanz zu hoffen. Durch die Zustimmung der Ärzte beziehungsweise eines Psychologen und die Bestätigung der Organisation ist das Ehepaar frei, den Zeitpunkt des gemeinsamen Todes selbstständig zu bestimmen und mithilfe eines Medikamentes dem Leben ein Ende zu setzen. Die gemeinsamen Kinder können sich nur schwer mit der Ent- scheidung abfinden, akzeptieren letzten Endes allerdings den Entschluss ihrer Eltern und versuchen, die letzten gemeinsamen Tage als besonders und wertvoll zu betrachten und zu erleben. Zwar überwiegt die Traurigkeit in den Gesprächen, der Protagonist ist jedoch dankbar für jede Minute, die er mit seinen Kindern verbringen durfte, und der gemeinsame Rückblick zeigt allen Beteiligten, wie viele glückliche Momente sie miteinander erleben durften.2
Im Folgenden soll die vorliegende Thematik anhand einer begrifflichen Differenzierung in ihren Kontext eingebettet werden. Hierbei handelt es sich im Speziellen um die Differenzierung und ethische Begriffsbestimmung der Euthanasie und ihrer Subkategorien. Hilfreich sind dabei die historischen Abgrenzungen und die Definition des assistierten Suizids sowie das Verständnis der Gegenwart, um im weiteren Verlauf der Arbeit eventuell auftretenden Unklarheiten vorzubeugen.
Bevor die Debatte um die ethische Legitimität des assistierten Suizids geführt werden kann, sollten zunächst einige grundlegende Überlegungen zu der Thematik des Todes und des Sterbens durchgeführt werden. Der sogenannte „Zustand eines Organismus nach Beendigung des Le- bens“3 wird allgemein als Tod bezeichnet. Anhand mehrerer Kriterien und Untersuchungen kann letztendlich der physische Tod bestimmt werden, was bedeutet, dass jegliche lebenserhaltenden Funktionen des Körpers versagt haben. Es bestehen derzeit verschiedene Definitionen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Gebieten. Beispielhaft hierfür ist die Medizin, die den Begriff Tod in mehrere Kategorien unterteilt, wie etwa den klinischen oder den biologischen Tod. Unterschieden werden muss in der heutigen Gesellschaft auch zwischen dem physischen und dem sozialen Tod. Die Stellung eines Menschen hinsichtlich seiner gesellschaftlichen und beruflichen Funktionen kann durch einen bevorstehenden Tod von seiner Umwelt beeinträchtigt werden. Beispielhaft hierfür sind der Ausschluss aus der Gemeinschaft aufgrund einer Krankheit oder fortschreitenden Alters. Das Umfeld entkoppelt sich und verarbeitet auf diese Weise den bevorstehenden Verlust. Der Ausdruck des Todes wird somit unter anderem medizinisch und soziokulturell unterschieden.4
Der Begriff Sterben kann nicht klar definiert werden, da weder der Anfang noch das Ende dieses Prozesses eindeutig festzulegen sind. Laut des Soziologen Werner Fuchs-Heinritz sei dies besonders an einigen umgangssprachlichen Redewendungen zu erkennen, denn oftmals spreche man davon, dass ein Mensch von uns gegangen sei5 6 7 Es verdeutlicht die Veränderung und Bewegungen des Prozesses. Anhand modernster medizinischer Fortschritte kann der Tod eines Menschen hinausgezögert werden und somit sind kein klarer Anfang und kein eindeutiges Ende zu erkennen.
Anhand dieser kurzen Einführung kann nun auf die Differenzierung der für diese Thematik wichtigen Begrifflichkeiten näher eingegangen werden. Es ist sinnvoll und von Vorteil, diese Differenzierung durchzuführen, um in der anschließenden Diskussion zu verdeutlichen, welche Begrifflichkeiten wichtig für das Verständnis sind.
Daher sollte zunächst die historische Relevanz und Herkunft der Begriffe Sterbehilfe und Euthanasie geklärt werden. Seinen Ursprung hat der Begriff Euthanasie in der griechischen und römischen Antike und spiegelt die Gedanken von einem würdevollen und guten Tod wider. Durch die Zusammensetzung der Termini eu für gut und thanatos für Tod entsteht somit die Bedeutung eines „guten Todes“67. Im Christentum erfuhr diese Bezeichnung besonders während des Mittelalters eine Erweiterung, da die Christen ihr Leben danach ausrichteten, sich auf das Jenseits vorzubereiten. Ein guter Tod bedeutete, nach den gegebenen Anweisungen zu leben, Schmerzen beziehungsweise Leid klaglos zu ertragen und durch die sogenannte adäquate „Ars Vivendi“8 nach ihrem Tod in das Reich Gottes aufgenommen zu werden.9
Relevant für die vorliegende Thematik ist zudem der Übergang von der Antike in das christlich geprägte Mittelalter. Diese Prägung löste die bisher bestehende griechisch-römische Prägung ab und trug somit zu einer Veränderung in Bezug auf das Sterben bei. Besonders einschneidend und erwähnenswert ist der im 5./4. Jh. v. Chr. auftretende Hippokratische Eid10, der eine ärztlich beratende Begleitung oder eine aktive Sterbehilfe ausschließt und die Tötung von Menschen mit einer Behinderung untersagt. Da dieses Kapitel eine Subkategorie ist und als Grundlage dient, werden die hier aufgeführten einschneidenden Erkenntnisse teilweise in den folgenden Kapiteln aufgegriffen und im Detail beschrieben und kommentiert.
Eine Neuerung bezüglich des bisherigen religiösen Verständnisses und der religiösen Überzeugungen trat zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum Vorschein. Durch die zunehmende Säkularisierung trat eine erneute Veränderung innerhalb des medizinischen Umgangs mit der Sterbe- und Todesthematik ein. Das sich bislang am Individuum orientierende, handlungsleitende Wohl wur- de zunehmend an das gemeinschaftliche Wohl angepasst, da das ärztliche Verständnis und die medizinischen Fortschritte kaum mit dem bisherigen Barmherzigkeitsverständnis zu vereinbaren waren. Bestärkt wurde die Argumentation durch den Sozialdarwinismus, dessen Selektionsprinzip gemeinhin gültig und bekannt war.11 Es erfolgte eine Wende in Bezug auf das Begriffsverständnis und die Menschheit verlangte nach Autonomie, indem sie die Forderung nach einer Tötung auf Verlangen in Bezug auf ihren eigenen Tod stellte. Dies fand zunächst kein Gehör, wurde allerdings im Dritten Reich unter der Bezeichnung der Rassenhygiene neu aufgegriffen. So wurden zu Beginn die als minderwertig geltenden Menschen sterilisiert, um ihrer Fortpflanzung Einhalt zu gebieten. Im nächsten Schritt erfolgte durch die Tötung eines Kindes mit Behinderung eine Antwort auf das Gesuch der Eltern, man möge die Zustimmung für die Tötung des behinderten Kindes geben. Dieser Fall galt als Präzedenzfall und es entstand die zunehmende, und in unseren heutigen Augen perverse, Vernichtung von „lebensunwertem“ Leben.12 Diese Massentötung wurde von Hitler erst 1941 per mündlicher Anweisung gestoppt, da die deutschen Bischöfe Beschwerde eingelegt hatten. Dennoch muss die damalige bewusste Form der Euthanasie vom Verständnis der heutigen Sterbehilfe abgegrenzt werden, da die Massenmorde nicht auf eigenen Wunsch der Ermordeten erfolgten, sondern aufgezwungen waren.13
Die folgenden Begrifflichkeiten der Sterbehilfe dienen der Übersicht beziehungsweise Einordnung und dem besseren Verständnis der nachfolgenden Kapitel:
Tabelle 1: Begriffsbezeichnungen 14
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die oben aufgeführten Begrifflichkeiten können auf verschiedene Arten angewandt werden und beziehen sich dabei unter anderem auf die Arbeit Praktische Ethik von Peter Singer, der die Sterbehilfe in drei verschiedene Arten gliedert. Er verwendet in seiner Literatur die englischen Begrifflichkeiten voluntary, non voluntary und involuntary und weist dem Terminus des assistierten Suizids so eine eindeutige Einordnung zu. So ist der assistierte Suizid laut ihm dann eine freiwillige Sterbehilfe, wenn der zurechnungsfähige Patient oder die zurechnungsfähige Patientin bei vollem Bewusstsein seinen oder ihren Wunsch nach einem Suizid äußere und somit eine Entscheidung treffe, die gewisse Konsequenzen nach sich ziehe; dieser Wunsch müsse allerdings ernstlich und ausdrücklich sein.11
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Verwendung der Begrifflichkeiten und die Einordnung der Sterbehilfe in einen engeren und einen weiteren Sinn wichtig für die juristische Klärung ist und daher sehr präzise sein muss. Die Sterbehilfe im engeren Sinn bezeichnet daher den Zustand eines Patienten, der im Sterben liegt und dessen vitale Funktionen versagen. Die Sterbehilfe im weiten Sinn verweist auf die infauste Prognose eines Patienten, dessen Krankheit irreversible Schäden aufweist und nicht geheilt werden kann.12
An die historische Debatte der Sterbehilfe angeschlossen, folgten in den Nachkriegsjahren nach 1945 nur sehr verhaltene Äußerungen und die Thematik wurde weitestgehend verdrängt. Erst in den siebziger Jahren lebte eine neue Debatte in Deutschland auf, da der Versuch gewagt wurde, die Thematik der Euthanasie und die damit einhergehenden Diskussionen zu enttabuisieren. Berühmte Fälle von Sterbebegleitung und freiwilliger Sterbehilfe in den USA und Deutschland gelangten zunehmend an die Öffentlichkeit und sorgten für großes Aufsehen und Kritik. Rechtliche Auseinandersetzungen und medizinische Neuerungen führten dazu, dass die bestehenden Termini sorgfältig differenziert werden mussten.13 Besonders die neuen Möglichkeiten innerhalb der Medizin führten dazu, dass die Diskussionen und ethischen Fragen bezüglich der lebensverlängernden Maßnahmen oder der Reanimation der Patienten neu entfacht wurden und sich sowohl Mediziner als auch Theologen neuen ethischen Problemstellungen gegenüber sahen.14 Der Vorgang der oben genannten Enttabuisierung erlangte durch einen Vorfall in den Niederlanden großes Aufsehen und wurde in zahlreichen deutschen Zeitschriften wie der Zeit oder dem Spiegel thematisiert. Dennoch erlangten die damaligen Befürworter der Sterbehilfe keine Änderung des Gesetzes.
Ergänzend zu den oben aufgeführten Begriffserklärungen und dem damit einhergehenden Begriffsverständnis soll daher anhand dieser Arbeit der Versuch gewagt werden, alternative Terminologien zu den bereits bestehenden Termini zu entwickeln und zu verwenden. Da durch die mediale Verwendung der bisherigen Termini eine Diskussion entbrannt ist, stehen ebendiese Begrifflichkeiten auf dem Prüfstand und es verbreiten sich alternative Vorschläge innerhalb der Fachkreise. Einige wichtige Akteure und ihre Vorschläge sollen im Folgenden genannt werden und es wird Stellung dazu bezogen.
Unter anderem liegen die Vorschläge der Bundesärztekammer, des Deutschen Juristentages und des Nationalen Ethikrates vor. Besonders auffällig ist hierbei, dass die Bundesärztekammer in ihrer Abfassung der „Grundlagen zur ärztlichen Sterbebegleitung“ auf die bisherigen Begriff- lichkeiten nicht eingeht, sondern lediglich die damit verbundenen Sachverhalte beschreibt.
„Maßnahmen zur Verlängerung des Lebens dürfen in Übereinstimmung mit dem Willen des Patienten unterlassen oder nicht weitergeführt werden, wenn diese nur den Todeseintritt verzögern und die Krankheit in ihrem Verlauf nicht mehr aufgehalten werden kann. Bei Sterbenden kann die Linderung des Leidens so im Vordergrund stehen, dass eine möglicherweise dadurch bedingte unvermeidbare Lebensverkürzung hingenommen werden darf.“15 Ziel war es, dass problematische Begriffe vermieden werden.
Auf dem deutschen Juristentag im Jahr 2006 diskutierten die dortigen Vertreter das Thema der Sterbehilfe, ohne in ihren Papieren jedoch die Begriffsbezeichnung der Sterbehilfe zu verwenden. Sie ersetzten diese durch die Bezeichnung der Sterbebegleitung und verwendeten für die sonst gängigen Termini, wie etwa der aktiven Sterbehilfe, alternative Ausdrücke. Sowohl die Bezeichnungen des Deutschen Juristentages als auch die Bezeichnungen der Bundesärztekammer, die die bisherige Bezeichnung 1993 ebenfalls in eine Sterbebegleitung umänderten, erhalten durch die Bedeutsamkeit der beiden Gremien einen besonderen Stellenwert in der Debatte und durch die gegebene Widerspruchsfreiheit der neuen Vorschläge können die Vorstellungen und das Konzept der bisherigen Termini greifen und umgesetzt werden. Durch die neuen Termini kann somit unter bestimmten Umständen das Behandlungsziel geändert werden: Dies heißt, dass die Lebenserhaltung und die Leidminderung dahingehend verändert werden, dass es zu einer Leidminderung und einem Begleiten im Sterben kommt.16 17
Arbeitnehmerinnen aus dem Pflegesektor bestätigen, dass der Wunsch nach einem schmerzfreien Tod, der in Würde stattfindet, vielfach geäußert wird und die PatientInnen sich nach Beistand im Sterben sehnen. Dies wird durch zahlreiche Hospize und die sogenannte Palliativmedizin gewährleistet. Diese meist ehrenamtlichen Sterbebegleitungen helfen den PatientInnen, sich von ihren Angehörigen verabschieden zu können und den unumgänglichen Trauer- und Sterbeprozess bewältigen und zulassen zu können.
Das moderne Verständnis der Suizidassistenz beschreibt demnach, dass der Patient die aktive Handlung der Tötung selbstständig und freiwillig vollzieht und ärztlich lediglich durch Gespräche beziehungsweise dem Reichen der Medikamente und deren Bereitstellung unterstützt wird. Juristisch gesehen ist eben diese Freiwilligkeit kritisch zu betrachten, da ein schwerkranker Patient sich bewusst zu diesem Schritt entscheidet, um seinem Leiden ein Ende zu setzen. Generell bestünde laut Frieß kein Wunsch nach einem Tod, wäre der Patient kerngesund. Objektiv betrachtet handelt der Patient somit nicht aus freiem Willen, sondern wird durch den physischen und psychischen Druck, den die jeweilige Krankheit unweigerlich mit sich bringt, geradezu in die Richtung einer Selbsttötung gedrängt. Der eigene Tod wird hierbei gewünscht, da mangels einer Alternative nur die Tötung als Ausweg bleibt. Der Sterbewunsch kann daher als nichtfreiwillig bezeichnet werden. 2223
Anhand der folgenden Argumentationen wird die obige Aussage gestützt, dass der assistierte Suizid ethisch legitimierbar sei. Es ist daher essentiell, die positiven Aussagen aus verschiedenen Geisteswissenschaften zu vereinen und ihre moralische Vertretbarkeit zu prüfen.
Mittels des folgenden Argumentes soll das Bewusstsein gestärkt werden, dass in der Debatte der Sterbehilfe ein Wandel stattfindet und gerade dieses Bewusstsein wichtig ist, um zu verstehen, was einen Menschen dazu bewegt, Sterbehilfe zu begehen oder diese zu erhalten. Es geht darum, die Selbstverantwortung eines Menschen in Bezug auf seinen Sterbeprozess neu zu verhandeln und zu diskutieren, ob es moralisch und aus theologischer Sicht legitim ist, einem sterbenskranken Menschen die Erlaubnis zu erteilen, seinem aussichtslosen Leben ein Ende setzten zu dürfen.
Der Theologe Walter Jens bezieht dazu eine klare Stellung. In seinem Werk Menschenwürdig sterben - Ein Plädoyer für Selbstverantwortung, das er in Zusammenarbeit mit dem Literaturwissenschaftler Hans Küng verfasst hat, wird auf die Bedeutung des menschenwürdigen Sterbens eingegangen. Sie verweisen dabei gezielt auf das teilweise tabuisierte Thema und plädieren für eine aktivere Auseinandersetzung mit der Thematik. Die Frage bezüglich des Todes- und Sterbeprozesses begleitet die Menschen lebenslang und existentielle Fragen erfahren im Laufe des Lebens eine Zunahme. Der Unterschied zwischen Menschen und Tieren oder Pflanzen ist das Bewusstsein des Menschen, dass er eines Tages sterben wird. Die lebenslange Beschäftigung mit der Todes- und Sterbethematik führt dazu, dass wir den Sterbeprozess nicht als „Endphase des Lebens verstehen“18 19 sollten, sondern vielmehr als Begleiterscheinung unseres gesamten Lebens. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der Mensch dauerhaft in dem Bewusstsein leben sollte, dass unser irdisches Dasein eines Tages ein Ende haben wird und wir dieses Ende dankbar annehmen. Die Realität ist eine andere: In unserer konsumgeprägten Gesellschaft liegt das Hauptaugenmerk auf der Erlebnisintention und dem Konsumieren von Luxusgegenständen. Durch den gegenseitigen Vergleich werden Themen wie die Sterbe- oder Todesthematik verdrängt und tabuisiert, da sie nicht in das perfekte Bild dieser „Erlebnisgesellschaft“20 passen. In einer Gesellschaft, in der mit Geld fast jedes Bedürfnis gestillt werden kann, wird kein Gedanke an ein Ende verschwendet. Denn dieses Ende kann weder durch Geld noch durch Erlebnisintention bestimmt oder aufgehalten werden. Es entsteht eine, für Probleme dieser Art, typische Pro- krastination.
[...]
1 Konrad Adenauer (1948), online.
2 Vgl. Bardola (2005).
3 Woellert/Schmiedebach (2008), S. 12.
4 Vgl. Woellert/Schmiedebach (2008), S. 17-24.
5 Vgl. Fuchs (1969), zitiert nach Woellert/Schmiedebach (2008), S. 13.
6 Woellert/Schmiedebach (2008), S. 14.
7 Vgl. Woellert/Schmiedebach (2008), S.14.
8 Woellert/Schmiedebach (2008), S. 14.
9 Vgl. Knops (2001), S. 13.
10 Abkürzung für: Jahrhundert vor Christus.
11 Vgl. Frieß (2008), S. 36-43.
12 Vgl. Woellert/Schmiedebach (2008), S. 21.
13 Vgl. Frieß (2008), S. 32.
14 Bereits Papst Pius XII. vertrat im Jahr 1957 die Position, dass eine Intensivtherapie unter gewissen Umständen abgebrochen werden dürfe und ebendiese Richtung und Argumentation unterstützte der evangelische Theologe Helmut Thielicke durch seinen Aufsatz „Ethische Fragen der modernen Medizin. Mit besonderer Berücksichtigung der künstlichen Lebensverlängerung und der Organtransplantation“. Jedoch warnte er die Ärzte davor, dass die medizinischen Neuerungen in einigen Regionen missbraucht werden und somit in eine humanitäre Katastrophe umschlagen könnten (vgl. Benzenhöfer 1999, S. 137).
15 Bundesärztekammer (2004)
16 Vgl. Woellert/Schmiedebach (2008), S. 25-27.
17 Vgl. Zimmermann-Acklin (1997), S. 95.
18 Vgl. Frieß (2008), S. 37-43.
19 Jens/Küng (2009), S. 23.
20 Jens/Küng (2009), S. 27.
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