Bachelorarbeit, 2020
48 Seiten, Note: 1,3
Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Produktivität - Begriffsdefinition und OECD-Staaten im Vergleich
3 Erklärungsansätze zum rückläufigen Produktivitätswachstum in Deutschland
3.1 Methodisches Vorgehen
3.2 Strukturwandel der Volkswirtschaft
3.2.1 Forschungsstand
3.2.2 Empirische Auswertung
3.3 Demografischer Wandel
3.3.1 Forschungsstand
3.3.2 Empirische Auswertung
3.4 Digitalisierung und IKT
3.4.1 Forschungsstand
3.4.2 Empirische Auswertung
3.5 Forschungsquote
3.5.1 F orschungsstand
3.5.2 Empirische Auswertung
3.6 Investitionsquote
3.6.1 Forschungsstand
3.6.2 Empirische Auswertung
3.7 Weitere Erklärungen
3.7.1 Produktivitätsdivergenzen zwischen den Unternehmen
3.7.2 Ausschöpfung technologischer Potenziale
3.7.3 Einfluss der Geldpolitik
3.7.4 Arbeitsmarkt und Beschäftigung
4 Implikationen für die Wirtschaftspolitik
5 Schlussbewertung
Anhang
Literaturverzeichnis
Tabelle 1: Korrelation: Anteil Erwerbspersonen im Dienstleistungssektor und Arbeitsproduktivität
Tabelle 2: Korrelation: Anteil 35-45-Jährigen an der Gesamtbevölkerung und Arbeitsproduktivität
Tabelle 3: Korrelation: Anteil IKT Investitionen an den Bruttoanlageinvestitionen in Nichtwohngebäude und Arbeitsproduktivität
Tabelle 4: Korrelation: Forschungsquote und Arbeitsproduktivität
Tabelle 5: Korrelation: Investitionsquote und Arbeitsproduktivität
Abbildung 1: Produktivitätswachstum ausgewählter OECD-Staaten, 1971 - 2019
Abbildung 2: Entwicklung des Dienstleistungssektors in Deutschland, 1970 - 2019
Abbildung 3: Entwicklung der Betrachtungskohorte in Deutschland, 1970 - 2019
Abbildung 4: Entwicklung der Forschungsquote in Deutschland, 1981 - 2018
Abbildung 5: Entwicklung der Investitionsquote in Deutschland, 1970 - 2019
„Die Marktwirtschaft ist damit diejenige Wirtschaftsordnung, die ein Maximum an Produktivität, Wohlstandsmehrung und persönlicher Freiheit verbindet. “ (Erhard, 1956, S. 13)
Bereits der „Vater des deutschen Wirtschaftswunders“, Ludwig Erhard, erkannte in diesem Zitat, dass in einer Marktwirtschaft eine hohe Produktivität und ein hohes Wohlstandsniveau einhergehen. Doch bereits wenige Jahre nach dem deutschen Wirtschaftswunder in den 1950er Jahren begann ein Rückgang des Produktivitätswachstums in vielen OECD-Staaten. Bis zum heutigen Tag werden die rückläufigen Wachstumsraten der Produktivität in der ökonomischen Forschung diskutiert. Stehen wir kurz vor einem Maximum an Produktivität, an dem keine weiteren Zuwächse mehr möglich sind, oder steuern wir aber auf eine temporäre Abschwächung zu? Werden die Wachstumsraten in Zukunft wieder ansteigen? Benötigt es eine neue wirtschaftspolitische Ausrichtung, um eine Stimulation zu erreichen?
Im Rahmen dieser Arbeit soll beantwortet werden, wie sich der Zusammenhang zwischen dem rückläufigen Produktivitätswachstum und den zusammengetragenen Erklärungsansätzen darstellt. Ziel ist es hierbei, die Entwicklung dieses Wachstums in ausgewählten OECD-Staaten aufzuzeigen, die wichtigsten Erklärungsansätze für Deutschland darzustellen und lineare Zusammenhänge zwischen den Hypothesen und dem Produktivitätswachstum zu untersuchen. Diese Thematik lässt sich innerhalb der Volkswirtschaftslehre am ehesten der Makroökonomik zuordnen.
Diese Arbeit ist in fünf Kapital unterteilt. In Kapitel zwei wird der Begriff Produktivität genauer definiert und die verschiedenen Möglichkeiten der Berechnung erläutert. Weiterhin wird die langfristige Entwicklung des Produktivitätswachstums anhand einer Auswahl an OECD-Staaten dargestellt und kurz beschrieben. Im darauffolgenden Kapitel 3 soll zunächst das methodische Vorgehen vorgestellt werden. Anschließend liegt der Schwerpunkt auf möglichen Erklärungsansätzen für das rückläufige Produktivitätswachstum in Deutschland. Lineare Zusammenhänge zwischen den Hypothesen und dem rückläufigen Arbeitsproduktivitätswachstum werden ermittelt und kurz bewertet. Daraufhin folgen mögliche Erklärungsansätze anhand des Forschungsstandes weiterer OECD- Staaten. Im Kapitel 4 werden Implikationen für die Wirtschaftspolitik getroffen, welche anhand der Erklärungsansätze für Deutschland gezogen werden können. Kapitel 5 stellt die Schlussbewertung dieser Arbeit dar und soll die gefundenen Ergebnisse abschließend bewerten.
Unter Produktivität versteht man das Einsatzverhältnis zwischen dem Produktionsergebnis (Output) und den hierfür aufgewendeten Produktionsfaktoren (Input). Eine Steigerung der Produktivität kann durch einen verminderten Einsatz von Inputfaktoren bei gleichbleibendem Output, oder durch eine Steigerung des Outputs bei gleichbleibenden Inputfaktoren erreicht werden. Die Bedeutung der Produktivität und des Produktivitätswachstums wird am häufig zitierten Beispiel des Robinson Crusoe ersichtlich:
„Je mehr Fisch Robinson pro Stunde fangen kann, umso mehr hat er zum Abendessen. Wenn Robinson einen besseren Platz für den Fischfang findet, steigt seine Produktivität. Dieser Anstieg der Produktivität stellt Robinson besser: Er könnte den zusätzlichen Fisch essen oder er könnte weniger Zeit für den Fischfang und mehr Zeit für die Herstellung anderer Güter aufwenden, die er benötigt. “ (Mankiw & Taylor, 2016, S. 678)
Durch eine Produktivitätssteigerung kann ein höherer Lebensstandard entstehen, da z.B. die freigewordene Arbeitszeit für die Produktion anderer wichtiger Güter verwendet werden kann, oder aber die Möglichkeit zum Konsum von mehr Freizeit besteht. Eine Steigerung des Produktivitätswachstums geht damit mit einer Steigerung des Lebensstandards einher. Auf der betriebswirtschaftlichen Ebene ist Produktivität eine entscheidende Kennzahl, um in einem kompetitiven Markt wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Unternehmen, welche eine höhere Produktivität aufweisen, können zu geringeren Kosten als ihre Konkurrenz produzieren und sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Auch zeigt das Produktivitätswachstum die dynamische Entwicklung der Unternehmenslandschaft innerhalb einer Volkswirtschaft, da ineffiziente Unternehmen durch innovativere neue Unternehmen aus dem Markt gedrängt werden.
Produktivität lässt sich durch verschiedene Berechnungen ermitteln. Einerseits durch das Input/Output-Verhältnis, also das Verhältnis von Wertschöpfung zu eingesetzten Produktionsfaktoren. Auf makroökonomischer Ebene wird für das Produktionsergebnis hierbei das Bruttoinlandsprodukt in konstanten Preisen (BIPreal) verwendet, als Produktionsfaktoren wiederum Arbeit oder Kapital. Bei Verwendung von Arbeit als Produktionsfaktor im Nenner bestimmt sich somit die Arbeitsproduktivität in formaler Darstellung als wobei für das Arbeitsvolumen entweder die Anzahl der Erwerbspersonen oder die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden verwendet werden können. Für vorliegende Arbeit wird als Arbeitsvolumen die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden der Erwerbspersonen genutzt. Durch die Verwendung der geleisteten Arbeitsstunden werden strukturelle Effekte um Faktoren wie marginale Beschäftigung und Angestellte in Teilzeit bereinigt (Kuntze & Mai, 2020). Im Rahmen dieser Arbeit finden Produktivität und Arbeitsproduktivität Synonyme Verwendung.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Andererseits kann Produktivität durch die Totale Faktorproduktivität (TFP) ermittelt werden. Wie bereits erwähnt, existieren grundsätzlich als Inputfaktoren Arbeit oder Kapital. Zerlegt man die Produktivitätssteigerung in seine Bestandteile, so gibt es einen unerklärten Rest an Wachstum, welcher nicht durch die Inputfaktoren Arbeit oder Kapital erklärt werden kann. Dieser unerklärte Teil wird in der Literatur auch Solow Residuum genannt und beschreibt den technischen Fortschritt, mit dem eine Volkswirtschaft eine produktivere Wertschöpfung erzielt (Solow, 1957).
Das Wachstum der Arbeitsproduktivität ist ein entscheidendes Maß für den wirtschaftlichen Wohlstand einer Volkswirtschaft. Ein Rückgang ist aus diesem Grund eine nicht zu unterschätzende Herausforderung (Kuntze & Mai, 2020). Abbildung 1 zeigt die Wachstumsraten der realen Arbeitsproduktivität in den G7-Staaten im Zeitraum 1971 - 2019. Diese Staaten sind (mit Ausnahme von Japan) Gründungsstaaten der OECD und zählen zu den am stärksten entwickelten Industrienationen.
Abbildung 1: Produktivitätswachstum ausgewählter OECD-Staaten, 1971 - 2019
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: OECD (2020e), eigene Berechnung.
Die hohen Wachstumsraten der realen Arbeitsproduktivität in den 1970er Jahren folgen einem langfristigen Abwärtstrend. Sicherlich führten ökonomische Schocks wie die Ölkrisen in den 1970er Jahren zu stärkeren Schwankungen. Doch seit der Mitte der 1980er Jahre setzt sich der kontinuierliche Abwärtstrend fort. Die Wirtschafts- und Finanzkrise im Jahr 2009 führte zu einer starken negativen Wachstumsrate innerhalb dieser Länder. Auch konnte die ökonomische Erholung dieser Krise nur kurz verweilen und hohe Produktivitätszuwächse wie in den vergangenen 40 Jahren ließen sich nicht mehr realisieren. Das Trendwachstum nähert sich der 0 Prozent Rate und die Gefahr einer Stagnation droht.
Wie in Abbildung 1 dargestellt wurde ist der langfristige Trend des Produktivitätswachstums in den OECD-Staaten negativ. Im nächsten Kapitel wird kurz die Methodik der empirischen Auswertung vorgestellt.
Die ermittelten linearen Zusammenhänge dieser Arbeit lassen sich anhand des Korrelationskoeffizienten nach Pearson berechnen. Die formale Darstellung entspricht folgendem rechnerischen Ausdruck:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Für die abhängige Variable wird die Wachstumsrate des realen Bruttoinlandsprodukts pro geleistete Arbeitsstunden je Erwerbstätigem verwendet. Unter den Begriff geleistete Arbeitsstunde fallen laut OECD die regulären Arbeitsstunden, welche in Voll-/ Teilzeit geleistet wurden sowie bezahlte und unbezahlte Überstunden, Arbeitszeit in Zusatzbeschäftigung und fehlende Arbeitszeit aufgrund von Feiertagen, bezahltem Urlaub, Streiks und weiteren Arbeitskonflikten, die zu einem Arbeitsausfall führten (OECD, 2020e). Die jeweilige unabhängige Variable unterscheidet sich je nach Erklärungsansatz und wir in den jeweiligen Gliederungspunkten genauer erläutert.
Zur Ermittlung der statistischen Signifikanz wird als Basis die zweiseitige t-Verteilung gewählt, was sich in der geringen Beobachtungszahl begründet. Die Formale Darstellung zur Berechnung des Werts der Teststatistik stellt sich als dar, mit t als berechneter Wert der Teststatistik, |r| als absoluter Wert des Korrelationskoeffizienten r, n Anzahl der Beobachtungen und r2 als quadrierter Wert des Korrelationskoeffizienten r. Die Anzahl der Freiheitsgrade df ergibt sich aus n — 2. Als Signifikanzwert wird im Rahmen dieser Arbeit mit dem p —Wert verfahren, welcher direkt unterhalb der berechneten Korrelation r in den Tabellen angegeben wird. Für die unabhängigen und abhängige Variablen werden jeweils die Wachstumsraten der jeweiligen zugrundeliegenden Werte verwendet.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Aufgrund der Wiedervereinigung der Bundesrepublik Deutschland gilt das Jahr 1991 als statistischer Bruch, weswegen die Ermittlung der Korrelation in drei bzw. zwei Zeiträume unterteilt wird: Gesamtbetrachtungszeitraum, Zeitraum vor der Wiedervereinigung (bis 1990) und Zeitraum nach der Wiedervereinigung (ab 1992). Trotz des statistischen Bruchs im Jahre 1991 werden die ermittelten Ergebnisse für den Gesamtbetrachtungszeitraum in die empirische Auswertung mit aufgenommen, um eine langfristige Bewertung der Erklärungsansätze zu erhalten. Die OECD Daten vor 1991 für Gesamtdeutschland werden geschätzt anhand der historischen jährlichen Wachstumsraten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung für Westdeutschland.
Im Rahmen dieser Arbeit wird mit einer verzögerten Korrelation gearbeitet, da sich eine Veränderung in der unabhängigen Variable nicht unmittelbar im selben Jahr auf die abhängige Variable auswirken muss. Es wird mit einer Verzögerung von bis zu drei Jahren gearbeitet, was in den Zeilen mit t0 für unverzögert, t-1 für eine Verzögerung um ein Jahr usw. ersichtlich ist. So wird bei einer Verzögerung um ein Jahr beispielsweise die Wachstumsraten der unabhängigen Variable von 1971 - 2018 korreliert mit der Wachstumsrate der abhängigen Variable von 1972 - 2019.
Bei der Interpretation der Ergebnisse gilt zu beachten, dass es sich hierbei um Korrelationen handelt. Ein Rückschluss auf etwaige Kausalitäten anhand der aufgestellten Erklärungsansätze und der einhergehenden Berechnung der Koeffizienten ist nicht möglich.
Am Beispiel Deutschlands sollen die wichtigsten Erklärungsansätze zum rückläufigen Produktivitätswachstum im Folgenden Kapitel vorgestellt und diskutiert werden.
In entwickelten Volkswirtschaften nimmt der Anteil des Dienstleistungssektors an der Gesamtwirtschaft eine immer bedeutendere Rolle ein. Die theoretische Grundlage bildet unter anderem die von Jean Fourastié (1969) mitentwickelte Drei-Sektoren-Hypo- these, welche den langfristigen Strukturwandel der Wirtschaftssektoren in einer Volkswirtschaft beschreibt. Der Ansatz untergliedert die Entwicklung einer Ökonomie in drei Phasen. In der ersten Phase ist diese vor allem durch die Rohstoffgewinnung gekennzeichnet. Der primäre Sektor, also zum Beispiel die Agrarwirtschaft und die Gewinnung von Bodenschätzen, nimmt einen Großteil der wirtschaftlichen Aktivität ein. Aufgrund von Produktivitätssteigerungen durch technischen Fortschritt werden durch Automatisierung immer weniger Erwerbspersonen im primären Sektor benötigt und die freiwerdende Arbeitskraft verlagert sich in den sekundären Sektor. Dieser ist vor allem gekennzeichnet durch die Verarbeitung von Rohstoffen, bzw. die industrielle Wertschöpfung. Auch in diesem Sektor führt technischer Fortschritt zu einer Automatisierung, wodurch weniger Erwerbspersonen in diesen beiden Sektoren benötigt werden. Dies hat nun zu einer Verlagerung der Erwerbspersonen hin in den tertiären Sektor zur Folge. Abbildung 2 zeigt die Entwicklung des Dienstleistungssektors in Deutschland, gemessen als relativer Anteil der Erwerbspersonen an der Gesamtzahl der Erwerbspersonen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: OECD (2020a), OECD (2020f), eigene Berechnung.
So stieg in Deutschland der Anteil der Erwerbspersonen im Dienstleistungssektor an der Gesamtzahl der Erwerbsbevölkerung von 42,06% im Jahre 1970 auf einen Wert von 67,09% im Jahr 2019 an und unterliegt fast durchgängig einem Aufwärtstrend. Die Hypothese zur sektoralen Entwicklung von Fourastié (1969) lässt sich anhand der Entwicklung der Erwerbspersonen im Dienstleistungssektor vereinfacht darstellen und eine Tertiarisierung der Volkswirtschaft gemessen an den Erwerbspersonen kann festgestellt werden. Der primäre und sekundäre Sektor zeichnen sich durch Produktivitätssteigerungen aufgrund von technischem Fortschritt aus, weswegen Erwerbspersonen rationalisiert und durch den verstärkten Automatisierungsprozess substituiert werden können. Der Dienstleistungssektor hingegen ist weniger von Produktivitätssteigerungen gekennzeichnet. Dies begründet sich vor allem bei personenbezogenen Dienstleistungen in der schlechten Substituierbarkeit von menschlicher Arbeit durch Maschinen und der limitierten Implementierung von technischen Innovationen bei eben diesen Tätigkeiten (Weber et al., 2017).
Inwiefern dieser Umstand für das rückläufige Produktivitätswachstum entscheidend ist, wird auch anhand der Kostenkrankheit nach Baumol ersichtlich. Baumol (1967) erklärt, dass sich der Anteil der Beschäftigten im produktivitätsschwachen Dienstleistungssektor im Laufe der Zeit immer stärker ausweitet und einen immer größeren Anteil an der Gesamtwirtschaft annimmt. Dieser Ansatz deckt sich mit der Drei-Sektoren-Hy- pothese nach Fourastié (1969). Da der tertiäre Sektor eine geringere Produktivitätssteigerung aufweist als der primäre und sekundäre Sektor, sinkt die aggregierte Produktivitätsentwicklung auf gesamtwirtschaftlicher Ebene, da Produktivitätssteigerungen gerade bei persönlichen Dienstleistungen nicht immer möglich sind. Baumol und Bowwen (1965) stellen als klassisches Beispiel die Musikbranche dar: Ein Symphonie Orchester benötigt heute wie vor 100 Jahren die gleiche Anzahl an Musikern um ein Werk aufzuführen. Eine Produktivitätssteigerung der Live Vorstellung ist nicht möglich, da es weder mit weniger Musikern noch mit weniger Arbeitsstunden vorgeführt werden kann, um den gleichen Output zu erhalten. Es zeigt sich somit, dass die Ausdehnung des Dienstleistungssektors durch das geringe produktivitätssteigernde Potential dieses Sektors zu einem Sinken der aggregierten Arbeitsproduktivität auf gesamtwirtschaftlicher Ebene führt.
Darüber hinaus stellen Weber et al. (2017) anhand der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung des Bundes im Zeitraum 1991 - 2015 fest, dass die durchschnittlichen Wachstumsraten der Dienstleistungsbranche im Vergleich zu den anderen Wirtschaftsbereichen unterdurchschnittlich und in der Branche der Unternehmensdienstleister sogar negativ ausfällt.
Deleidi et al. (2019) untersuchen in Deutschland und acht weiteren europäischen Ländern im Zeitraum 1970 - 2015 mittels OECD STAN-Daten, inwiefern sich die Ter- tiarisierung auf die Arbeitsproduktivität auswirkt. So stellen sie fest, dass der Strukturwandel zwar einen negativen Effekt auf die Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität hat, dieser negative Effekt allerdings im Zeitraum 1999 - 2015 geringer ausfiel als in den Jahren zuvor. Auch konnten sie empirisch feststellen, dass der Beitrag der Tertiarisierung zum Rückgang des Produktivitätswachstums insgesamt eher moderat ausfällt.
Im nächsten Kapitel wird anhand der OECD-Daten für Deutschland dieser Erklärungsansatz empirisch ausgewertet.
Um den linearen Zusammenhang zwischen dem rückläufigen Produktivitätswachstum und dem Strukturwandel der Volkswirtschaft in Deutschland zu ermitteln , wurde als unabhängige Variable die Wachstumsrate des relativen Anteils der Erwerbspersonen im Dienstleistungssektor an der Gesamterwerbsbevölkerung gewählt. Der absolute Wert der Erwerbspersonen im tertiären Sektor wird anhand des OECD-Indikators Employment by activity ermittelt (OECD, 2020a), der absolute Wert der Gesamterwerbsbevölkerung ist durch den OECD-Indikator Total Employment gegeben (OECD, 2020f). Aus dem Quotienten ergibt sich somit der relative Anteil. Hiervon werden die jährlichen Wachstumsraten gebildet und mit der abhängigen Variable, den Wachstumsraten des realen Bruttoinlandprodukts pro Arbeitsstunde, korreliert. Tabelle 1 zeigt in den Spalten die Korrelationskoeffizienten im Gesamtbetrachtungszeitraum 1971 - 2019, sowie im Betrachtungszeitraum vor der Wiedervereinigung 1971 - 1990 und nach der Wiedervereinigung 1992 - 2019.
Tabelle 1: Korrelation: Anteil Erwerbspersonen im Dienstleistungssektor und Arbeits- produktivität
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: OECD (2020a), OECD (2020f), OECD (2020e), eigene Berechnung.
Hinweis: p-Wert in Klammern unterhalb des berechneten Korrelationskoeffizienten r.
Im Gesamtbetrachtungszeitraum 1971 - 2019 beträgt der lineare Zusammenhang zwischen dem Anteil der Erwerbspersonen im Dienstleistungssektor an der Gesamterwerbsbevölkerung 0,073. Auch die verzögerten Korrelationen weisen mit Ausnahme von 0,142 in t-2 seine sehr geringe positive Korrelation auf, da der Wert in t-1 bei 0,087 und in t-3 bei 0,078 liegt. Diese Ergebnisse sind darüber hinaus am 10%-Signifikanzniveau statisch nicht signifikant.
Betrachtet man hingegen den Zeitraum vor der Wiedervereinigung, so sind die linearen Zusammenhänge stärker. Der Korrelationskoeffizient ohne Verzögerung liegt bei -0,119. Dies scheint konträr zu den anderen ermittelten Werten, erklärt sich aber anhand des starken Anstiegs in der Wachstumsrate der Erwerbspersonen im Dienstleistungssektor im Jahr 1980. Die verzögerten Korrelationen liefern jedoch ein anderes Bild: Alle ermittelten Werte weisen eine positive Korrelation auf, 0,170 in t-1 und 0,113 in t- 2. Mit einer Verzögerung von drei Jahren ergibt sich ein relativ starker linearer Zusammenhang von 0,327 innerhalb des Betrachtungszeitraums 1971 - 1990. Dennoch ist keiner dieser Werte auf dem 10%-Signifikanzniveau statistisch signifikant.
Im Betrachtungszeitraum nach der Wiedervereinigung ergibt sich ohne Verzögerung eine positive Korrelation von 0,171 und mit einer Verzögerung von 2 Jahren ein positiver Zusammenhang von 0,183. In t-1 wird kein linearer Zusammenhang ermittelt, da dieser Wert nahe Null liegt (0,005). Mit einer Verzögerung um drei Jahre ergibt sich wiederum ein konträrer negativer Zusammenhang von -0,061. Da dieser Wert auch nahe Null liegt, kann hierbei nicht von einer negativen Korrelation ausgegangen werden. Im Betrachtungszeitraum 1992 - 2019 sind die ermittelten Werte auf dem 10%-Signifikanz- niveau ebenfalls statistisch nicht signifikant.
Die Ergebnisse sind differenziert zu bewerten: Auf dem 10%-Signifikanzniveau ergibt ich bei keiner dieser berechneten linearen Zusammenhänge eine statische Signifikanz. Dennoch ist ein relativ starker linearer Zusammenhang im Zeitraum vor der Wiedervereinigung mit einer Verzögerung um drei Jahre (0,327), sowie bei einer Verzögerung von zwei Jahren nach der Wiedervereinigung (0,190) erkennbar. Diese beiden Koeffizienten stellen die höchste Korrelation dar und sollten deshalb trotz fehlender statistischer Signifikanz nicht unbeachtet bleiben. Ein linearer Zusammenhang zwischen dem rückläufigen Produktivitätswachstum und dem Strukturwandel (Tertiarisierung) in der deutschen Volkswirtschaft ist durch die vorangegangenen Berechnungen erkennbar.
Nicht nur die Struktur der Volkswirtschaft, sondern auch die Zusammensetzung der Bevölkerung in Deutschland verändert sich. Im nachfolgenden Kapitel wird der Einfluss des demografischen Wandels auf das Produktivitätswachstum erläutert.
Der demografische Wandel wird neben dem Strukturwandel mitunter als Faktor für das rückläufige Produktivitätswachstum in Deutschland angesehen. Die zunehmende Veränderung der Bevölkerungsstruktur zeigt sich in Deutschland durch niedrigere Geburtenraten und damit einem höheren Anteil älterer Personen in der Gesellschaft.
Weber et al. (2017) identifizieren zwei Gründe, weshalb die Veränderung der Bevölkerungsstruktur in Deutschland das Produktivitätswachstum beeinflusst: Einerseits führen die geburtenschwachen Jahrgänge der letzten Dekaden zu einem Sinken des Angebots an Erwerbspersonen am deutschen Arbeitsmarkt. Dadurch fällt es den Unternehmen schwer qualifiziertes Personal zu finden, um die durch natürliche Personalfluktuation freiwerdenden Stellen wieder nachzubesetzen. Insbesondere bei Berufen mit hoher Innovationskraft, wie beispielsweise Ingenieure und Naturwissenschaftler, stellt dies eine große Problematik für die Unternehmenslandschaft in Deutschland dar. Andererseits nimmt durch die geringere Anzahl an Erwerbstätigen die durchschnittliche Innovationsfähigkeit pro Erwerbsperson ab, da weniger Personal zur Verfügung steht, um Innovationen hervorzubringen, die das Produktivitätswachstum stimulieren würden.
Der Sachverständigenrat (2011) argumentiert jedoch im Rahmen einer Expertise, dass der demografische Wandel in Deutschland keine unmittelbare negative Auswirkung auf die Arbeitsproduktivität hat. Zwar sinke mit zunehmendem Alter die körperliche Leistungsfähigkeit der Erwerbspersonen, doch dieser Umstand könne durch langjährige Berufserfahrung und Betriebszugehörigkeit wieder ausgleichen werden. Hervorzuheben ist, dass die durchschnittliche Arbeitsproduktivität einer Erwerbsperson im Leben in etwa gleichbleibe und nicht mit zunehmendem Alter abnehme. Diese beiden Ansätze sollen im Folgenden literaturbasiert analysiert werden.
Ademmer et al. (2017) untersuchen, wie sich die Altersstruktur in Deutschland auf die Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität auswirkt. Hierbei wurde die durchschnittlichen Wachstumsraten der TFP in fünf Jahreszeiträumen auf Anteile in der Bevölkerung verschiedener Altersgruppen regressiert. So konnte festgestellt werden, dass die demografische Entwicklung in den 1990er Jahren die Arbeitsproduktivität um 0,2% gesteigert hat. Nach der Jahrtausendwende wiederum hat sich die zunehmende Alterung der Gesellschaft mit derselben Rate negativ auf die das Wachstum in der Produktivität ausgewirkt.
Inwiefern der demografische Wandel in Deutschland die Unternehmensgründungen negativ beeinflusst wird auch ersichtlich, wenn die Altersstruktur der Unternehmensgründer betrachtet wird. So identifizieren Bersch et al. (2018) anhand der Gründungstätigkeit im Querschnitt deutscher Stadt- und Landkreise im Zeitraum 2010 - 2015 die Kohorte der 35-45-Jährigen als diejenige Gruppe, welche die höchste Unternehmensgründungsrate in Deutschland aufweist. Wenn nun Rahmenbedingungen wie Gründungsneigung und rechtliche Gegebenheiten unverändert bleiben, die Kohorte der 35-45-Jährigen jedoch aufgrund des demokratischen Wandels sinkt, dann wirkt sich dies negativ auf die gesamte Gründungsrate in Deutschland aus. Eine rückläufige Gründungsrate wiederum führt zu einer geringeren Dynamik in der Unternehmenslandschaft und somit zu geringerer Innovation, welche das Produktivitätswachstum stimulieren könnte.
Bersch et al. (2018) argumentieren weiterhin, dass ein Rückgang dieser Alterskohorte zu einem Ansteigen der Opportunitätskosten in der Unternehmensgründung führt: Wenn beispielsweise ein Arbeitnehmer seine Arbeitskraft für eine freie Stelle anbietet und viele Arbeitssuchende ebenfalls um diese Stelle konkurrieren, dann sind die Verzichtskosten der Unternehmensgründung sehr gering. Ein Arbeitnehmer könnte durch die Gründung seines eigenen Unternehmens einen Arbeitsplatz erhalten und müsste nicht mit den anderen Bewerbern um eine Stelle konkurrieren. Ist allerdings die Anzahl der Bewerber gering, so sind die Opportunitätskosten der Unternehmensgründung höher. Durch weniger Konkurrenz am Arbeitsmarkt erhält der Bewerber diese Stelle mit einer größeren Wahrscheinlichkeit und das unternehmerische Risiko einer Gründung stellt im Vergleich zur Stellenannahme höhere Kosten dar.
Abbildung 3 zeigt den Verlauf der Kohorte der 35-45-Jährigen in Deutschland im Zeitraum 1970 - 2019.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Destatis (2020), eigene Berechnung.
So lag der Anteil dieser Kohorte im Jahre 1970 noch bei 14,31% und stieg im Jahr 2004 auf einen Maximalwert von 18,64%. Daraufhin sank der Anteil dieser Kohorte an der Gesamtbevölkerung auf einen Wert von 13,41% im Jahr 2019.
Aus den oben genannten Argumenten ist ersichtlich, dass der demografische Wandel mit dem rückläufigen Produktivitätswachstum einher gehen kann. Anhand der Entwicklung des Anteils der 35-45-Jährigen an der Gesamtbevölkerung in Deutschland soll nun ein linearer Zusammenhang geprüft werden.
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