Bachelorarbeit, 2019
38 Seiten, Note: 1,3
1. Einleitung
2. Klassische und moderneAnsätze der Pentekostalismusforschung
3. Christentum in Nigeria
4. Pentekostalismus in Nigeria
4.1 Bruch mit der Vergangenheit
4.2 Der Wettstreit um den öffentlichen Raum
4.3 Die Dämonisierung des Islams
4.4 Der Umgang mit Gewalt
5. Islam in Nigeria
6. Reformislam in Nigeria
6.1 Reformislam als Islamkritik
6.2 Inhalte der Reform
6.3 Methoden zur Verbreitung der Botschaft
7. Rezeptionsprozesse
8. Fazit
Literaturverzeichnis
Nigeria - sowie der gesamte westliche Teil des afrikanischen Kontinents - erlebt seit einigen Jahrzehnten eine religiöse Revitalisierung. Diese ist auf zwei maßgebliche Bewegungen herunter zu brechen: Den Pentekostalismus im Süden und den Reformislam im Norden.1 Beide Gruppen erlangten ihre Prominenz in den 1970er Jahren und entwickelten sich durch ihre fundamentalistischen und teilweise absolutistischen Ansichten zu verbitterten Konkurrenten.2 Trotz des antagonistischen Wesens ihrer Beziehung, sind noch deutlich mehr Gemeinsamkeiten zwischen den Bewegungen in Nigeria festzustellen, als nur ihr zeitlich vergleichbarer Ursprung. Larkin und Meyer beschreiben beide sogar als verfeindete „Doppelgänger".3 Ob diese Beschreibung zutrifft und worauf sie sich bezieht, soll nachfolgend geklärt werden. Die Frage, die dieser Arbeit zugrunde liegt, befasst sich damit, inwieweit die Gemeinsamkeiten von Pentekostalismus und Reformislam Rezeptionsprozesse aufzeigen, also die direkte Reaktion einer Gruppe auf ihren Gegenüber darstellen und weitergehend die Aufnahme fremder Denkens- und Handlungsweisen in die eigenen belegen.
Zu diesem Zweck wird zu Beginn versucht das Phänomen des Pentekostalismus für die vorliegende Arbeit einzugrenzen und in diesem Zuge die Herausforderungen der Pente- kostalismusforschung darzulegen. Danach soll die Entstehung und Entwicklung des Pentekostalismus in Nigeria kurz beschrieben werden, wofür ein kurzer Abriss der Geschichte des Christentums in Nigeria hilfreich sein wird. Das Wesen des Pentekostalismus in Nigeria wird nachfolgend auf vier charakterisierende Punkte heruntergebrochen. Es folgt die Entwicklung des Reformislam, aufbauend auf einer kurzen historischen Darstellung des nigerianischen Islams. Der Reformislam soll darauf nach drei Aspekten in seiner Parallelität zum Pentekostalismus dargestellt werden. Abschließend soll die Ausgangsfrage beantwortet werden, welche Rezeptionsprozesse zwischen Pentekostalismus und Reformislam nachzuweisen sind.
Die Pentekostalismusforschung steht seit Anfang ihrer Existenz vor einem nicht unbedeutenden Problem. Zwar ist Pentekostalismus als Gegenstand wissenschaftlicher Arbeit erst ab den 1950er Jahren in Erscheinung getreten und Pentekostalismusforschung somit noch sehr jung, dennoch ist es erstaunlich, dass es in den mehr als sechs Jahrzehnten nicht gelungen ist den Gegenstand ihrer Untersuchungen konsensfähig zu definieren.4 Dies ist hauptsächlich auf die rapide fortschreitenden Veränderungsprozesse von Pentekostalismus zurückzuführen. So wird Pentekostalismus häufig als die sich am schnellsten ausbreitende religiöse Bewegung der heutigen Zeit betrachtet, was auf die Fähigkeit sich diversen kulturellen Kontexten anzupassen zurückzuführen ist und die facettenreichen Ausprägungen erklärt.5 Die dadurch bedingte immer währende Unbeständigkeit globaler pentekostaler Identität, stellen die Wissenschaft vor die Herausforderung mit dem Tempo dieser Veränderungen mitzuhalten und eine für die Forschung brauchbare generalisierte Definition von Pentekostalismus zu entwerfen, die dessen diversen Charakters sowie seiner globalen Ausprägung gerecht wird.6 Bergunder betitelt das eingangs beschriebene Phänomen, dass eine Wissenschaftsdisziplin existieren und sogar praktiziert werden kann, wenngleich ihr Gegenstand nicht eindeutig bestimmt wurde - zwar im Kontext von Religionswissenschaft, aber der Natur des Phänomens nach identisch mit dem der Pentekostalismusforschung - als „große Kontradiktion."7 Dass diese scheinbare Kontradiktion nicht einfach akzeptiert wird, zeigen zumindest neuere Ansätze der Religions- und Pentekostalismusforschung, die ich im Folgenden in Abgrenzung zu klassischeren Ansätzen kurz darstellen möchte.
Anderson stellt vier Ansätze der Pentekostalismusforschung heraus, die erjedoch nicht sich gegenseitig ausschließend versteht, sondern vielmehr voneinander abhängig.8 Damit trägt er zur Forderung von Anderson et al. nach mehr Interdisziplinarität statt bloßer Multidisziplinarität in der Pentekostalismusforschung bei.9
Zunächst nennt er den Typologischen Ansatz, also den Versuch die Spannweite pentekostaler Kirchen und Phänomene in verschiedene Typen zu kategorisieren. Dafür schlägt Anderson Wittgensteins Modell der Familienähnlichkeit vor, bei dem ein „Ideal" mit Abweichungen verglichen wird. Ziel des Modells ist es Parameter für Gruppen zu setzen, über die größtenteils Einigkeit besteht, auch wenn Anderson zugibt, dass Generalisierungen dabei nicht verhindert werden können.10 So unterteilt Anderson Pentekostalismus in vier Gruppen, wobei er auf die Arbeit von Walter J. Hollenweger zurückgreift: Klassischer Pentekostalismus, Ältere unabhängige Kirchen und „Spirit Churches", Charismatiker der Älteren Kirchen und neo-pentekostale sowie neo-charismatische Kirchen.11 12 Kritik an diesem Ansatz äußern u. a. Maltese et al., die bemängeln, dass keine Klärung dessen erfolge, welche Besonderheiten als Gemeinsamkeit betrachtet werden sollen bzw. welche als unwichtig gelten, und der Typologische Ansatz Andersons somit zu weit und theoretisch vage sei.13
Als Zweites fügt Anderson den Sozialwissenschaftlichen Ansatz an, der Pentekostalismus nach wahrgenommenen gemeinsamen Charakteristiken und Phänomenen sozialer und kultureller Natur definiert. Er betont die Stärke Sozialwissenschaftlicher Ansätze den globalen Charakter von Pentekostalismus zu veranschaulichen und verweist auf Colemans „Globalisation of Charismatic Christianity" ebenso wie die von Coleman herausgearbeiteten drei Dimensionen charismatisch-christlicherGlobalisierung.14 15
Der dritte Ansatz ist der Historische Ansatz, nach dem all die Bewegungen zum Pentekostalismus gezählt werden, denen eine diachrone und synchrone Verknüpfung nachgewiesen werden kann. In diesem Zusammenhang schlagen Bergunder und Anderson vor die Grenzen von Pentekostalismus dort zu suchen, wo man seine Spaltungen, Reibungen und Rivalitätenvorfinde.16
Abschließend nennt Anderson den Theologischen Ansatz, der beabsichtigt, eine gemeinsame Theologie des Pentekostalismus herauszuarbeiten, bzw. die Zuordnung zum Pentekostalismus anhand theologischer Gesichtspunkte vorzunehmen. Für Anderson könnte diese gemeinsame Theologie hauptsächlich in einer verallgemeinerten Betonung des Heiligen Geistes, der Pfingsterfahrung aus Apg 2,417 und dem u. a. dort erwähnten gefüllt und getauft Werdens mit dem Heiligen Geist zusammengefasst werden. Er betont ebenfalls den sich stetig wandelnden Charakter des Pentekostalismus, indem er feststellt, dass dem einst kennzeichnenden Faktor der Zungenrede in zeitgenössischen Kirchen nur noch eine geringe Bedeutung zukomme. Anderson betont jedoch auch, dass wenn theologische Kriterien angewendet werden, diese immer im Einklang mit Fragen nach historischen Ursprüngen und phänomenologischen Kategorisieren stehen sollten. Dass theologische Ansätze besonders in Gefahr stehen Essentialismus zu betreiben, führt er bereits am Anfang seiner Ausführungen an.18
Essentialistische und normative Elemente stellen laut Droogers zwei der größten Herausforderungen jeder wissenschaftlichen Arbeit dar und bedürfen bei der Suche nach einer geeigneten Pentekostalismus-Definition besonderer Aufmerksamkeit.19 Essentia- listisch beschreibt in diesem Sinne Merkmale und Charakteristiken einer Kultur oder Gruppe, die alle Mitglieder teilen und somit vielfältige komplexe Phänomene auf einen scheinbar gemeinsamen kulturellen Kern reduzieren. Die Gefahr dabei ist, dass Ausnahmen in essentialistischen Systemen nicht berücksichtigt werden und die zu untersuchenden Elemente als statisch angesehen werden, ohne dass Dynamiken - ob durch innere Spannungen oder äußere Einflüsse bedingt - beachtet werden.20 Normative Elemente beschreiben bei Droogers weitgehend den Umgang mit subjektiven Tendenzen und individuellen Einflüssen.21 Für den Umgang mit normativen Motiven ergeben sich zwei wesentliche Positionen: Die positivistische und die konstruktivistische Position. Während Verfechter positivistischer Ansätze die Notwendigkeit von Distanz zwischen Forscher und zu Erforschendem betonen, legen konstruktivistische Perspektiven Wert auf Interaktion zwischen eben jenen.22 Unabhängig vom verfolgten Ansatz liegt das Ziel in einer objektiven, wertfreien Forschung.23 Unter diesem Gesichtspunkt wird die große Herausforderung, die sich sowohl „Insidern" als auch „Outsidern"24 als Forschenden ergibt deutlich. „Insider", die also ohne Distanz und für gewöhnlich mit persönlicher Sympathie zum Forschungsgegenstand forschen, nehmen oftmals eine apologetische Stellung ein und neigen dazu für sie gewöhnliche Phänomene zu übersehen. „Outsider" nehmen in der Regel einen kritischeren Standpunkt ein und sind gezwungen sich mit ihrer Parteilichkeit und eigenen Antipathien auseinanderzusetzen. Beide Gruppen müssen sich ihrer subjektiven Beurteilungen und Stereotypisierungen bewusst werden, diese anerkennen und sie sich kontrolliert zunutze machen.25
In klassischen Pentekostalismus-Definitionen sind die vier von Anderson beschriebenen Ansätze häufig in stark essentialistischer Form zu finden. Lexika fokussieren sich dabei besonders stark auf theologische und historische - hier wiederum hauptsächlich ursprungsgeschichtliche - Aspekte.
Die Analyse von vier Lexika („Lexikon neureligiöser Gruppen, Szenen und Weltanschauungen," „The Concise Dictionary of Religion," „Bertelsmann Handbuch - Religionen der Welt," „Wörterbuch der Religionen") ergab einerseits einen mehrheitlichen Konsens in der Frage nach dem Ursprung von Pentekostalismus - nämlich die Azusa-Street-Erwe- ckung von 1906 in den USA als „Ausgangspunkt weltweiter Verbreitung"26 - und andererseits eine offensichtlich vorrangige Bedeutung der Ursprungsgeschichte in der Frage nach pentekostaler Identität.27 Theologisch stimmen die Definitionen in einer starken Betonung der Gegenwart, der Kraft und des Wirkens des Heiligen Geistes überein. Diese Kraft entfaltet sich in der Praxis der Geistesgaben, mit besonderer Betonung der Glosso- lalie, aber auch in der Prophetie und Heilung.28 Das Lexikon neureligiöser Gruppen, Szenen und Weltanschauungen betont hier als einziges zusätzlich „die Erfahrung und das Verständnis der Geistestaufe [als] Kristallisationspunkt"29 pentekostaler Theologie. Aus Typologischer Perspektive ist auffällig, dass drei der vier Lexika typologische Einteilungen vornehmen und sich dabei, in gleicher Weise wie Anderson, an der Dreiteilung Hol- lenwegers orientieren.30 Zuletzt ist herauszustellen, dass außerdem in zwei Lexika der Diversität pentekostaler Phänomene und Kirchen und den unterschiedlichen soziokulturellen Rezeptionen Aufmerksamkeit gewidmet wird.31
Essentialistische Versuche Pentekostalismus zu definieren bringen offensichtliche Vorteile mit sich. Sie begrenzen das zu untersuchende Feld scharf, erleichtern die Kommunikation durch den Gebrauch von Stereotypen und können einen Beitrag dazu leisten Kerncharakteristiken des Phänomens zu finden.32 Dass die Ansätze jedoch nicht ohne gravierende Schwächen auskommen, ist ebenso offensichtlich. Die Stereotypisierungen, die sie vornehmen, werden einem global so stark divergierendem Gegenstand wie Pentekostalismus nur unzulänglich gerecht. Bekräftigt wird dies durch Droogers Beobachtung, dass die außerordentliche Begabung des Pentekostalismus sich an lokale Umstände anzupassen sogarso weit geht, dass Aspekte, die fürgewöhnlich als essentiell für Pentekostalismus bewertet werden, für den Zweck die pentekostale Botschaft zu verbreiten verändert werden können.33 U. a. mit Blick auf diese Herausforderungen plädieren manche Wissenschaftler für eine Auflösung der Pentekostalismusforschung in übergeordnete Wissenschaftsdisziplinen. Andere wiederum scheinen die Suche nach einer geeigneten Gegenstandsdefinition aufgegeben zu haben und schlagen vor von Pentekostalismus nur noch im Plural zu sprechen.34 Wieder andere halten die Einigung auf einen expliziten Gegenstand gar nicht für notwendig.35 Auf der Suche nach einer zufriedenstellenden Pentekostalismus-Definition jedoch gilt es, sich von starren Strukturen zu lösen.
Einen solchen Ansatz bietet Michael Bergunder in seinem Aufsatz „Was ist Religion?" an. Er entwickelt darin einen alternativen Vorschlag zur Gegenstandsbestimmung in der Religionswissenschaft, die mit ihrem Gegenstand „Religion" dem gleichen Problem gegenübersteht wie die Pentekostalismusforschung und deshalb im Folgenden als Vorbild für den Diskurs über Pentekostalismus betrachtet wird.
Bergunder erkennt, wie bereits erwähnt, die „Große Kontradiktion" der Religionswissenschaft und ihre scheinbar aussichtslose Lage in der Suche nach einer Religionsdefinition, an.36 Er stellt jedoch eine Gemeinsamkeit vieler Religionsdefinitionen fest, nämlich einen Rückbezug auf ein „konsensfähiges zeitgenössisches Alltagsverständnis"37 von Religion, welches er als „unerklärte Religion" bzw. Religion 2 bezeichnet38. Bis heute weichen viele Wissenschaftler in ihren expliziten Definitionsversuchen - die für Bergunder Religion 1 darstellen - darauf aus, das als Religion festzuhalten, was „alle Welt religiös nennt"39 oder was „gemeinhin als religiös verstanden"40 wird. Bergunder geht jedoch, im Gegenteil zu den erwähnten Versuchen und unter Rückbezug auf theoretische Ansätze von Ernesto Laclau, Judith Butler und Michael Foucault, soweit, dieses Alltagsverständnis, das als weitestgehend unumstritten gilt, zum alleinigen Gegenstand der Religionswissenschaft zu ernennen.41 Sein Versuch Religion 2 zu diesem Zweck zu konzep- tualisieren mündet darin, dass „Religion" als ein Name42 und als „Leerer Signifikant" eingesetzt wird, der stellvertretend für den gesellschaftlichen Diskurs über Religion stehe und der verschiedene Äquivalenzketten, die diesen Diskurs - wenn auch stets „angefochten und strittig"43 - fixieren, Zusammenhalte.44 Er beschreibt Religion 2 folglich als synchrones diskursives Netzwerk, welches die Verwendung von „Religion" in verschiedenen Diskursfeldern repräsentiere und sich dadurch auszeichnet, dass es kein Zentrum habe, dem Wesen nach Kommunikation sei und ohne vorher definierte Außengrenzen auskomme.45 Bezogen auf die Pentekostalismusforschung und vor dem Hintergrund, dass die Forschung nicht nur mit dem gegenwärtigen Pentekostalismusverständ- nis beschäftigt, sondern vor allem zurückliegende Entwicklungen im Blick hat, plädiert Bergunder dafür, dass ein solches Netzwerk in seinen Einzelteilen diachron rekonstruiert und anschließend wieder als synchrones Netzwerk dargestellt werden müsse. Dabei werden immer Änderungen und zusätzliche Komponenten auftreten. Es kann jedoch nur dann von einem Ursprung gesprochen werden, wenn die Unterschiede zum Vorgänger-Netzwerk als gravierend erachtet werden.46 Bergunder hält fest, dass die Suche nach einem Ursprung nicht das Ziel sei, ebenso wenig wie eine Bewertung der Historie durch die teleologische Brille des heutigen Pentekostalismus, und stellt die „Einmaligkeit der Ereignisse" in den Vordergrund.47
Auf diese Weise schafft Bergunder einen für die Forschung konzeptualisierten Gegenstand -sei er Religion, Pentekostalismus oder auch Islam, für den das gleiche Prinzip gilt -, der ohne die Betonung gemeinsamer Charaktereigenschaften auskommt und dennoch in seinen Grenzen nicht willkürlich ist.
Im Rahmen dieser Arbeit werde ich aus Gründen derZeit- und Platzknappheit keine Diskursanalyse durchführen können und bin gezwungen vorhandene Zuordnungen zu übernehmen. Folglich werde ich - wie z. T. bereits geschehen - Begriffe wie „Born Agains," „Charismatics," „People of God," und weitere unter dem Namen Pentekostalismus, Pfingstkirche, Pfingstler u. ä. äquivalent zusammenfassen und dabei Typologien möglichst vermeiden. Ähnlich werde ich es mit Phänomenen des Islams handhaben, wobei der Reformislam, Sufismus und die Izala-Bewegung gesondert erwähnt werden.
Ich bin mir dennoch bewusst, dass ich als Forschender schon mit der Auswahl der Ergebnisse einen Teil zum Diskurs beitrage und diesen damit aktiv mitgestalte. Als Pfingstler bin ich besonders aufmerksam in Bezug auf meine normativen Einflüsse und propentekostalen Tendenzen und nutze Droogers Checkliste für Pentekostalismus-For- schende, um meine persönlichen Einstellungen zu reflektieren und Wissenschaftlichkeit zu wahren.
Die Geschichte des Christentums in Nigeria beginnt im Süden des Landes mit der Ankunft christlicher Missionare in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Zwar gingen diesen Missionierungsversuchen andere bereits mehrere Jahrhunderte voraus, doch es waren die Unternehmungen der großen christlichen Denominationen zwischen 1842 und 1888, welche die Grundlage für das enorme Wachstum des Christentums in Nigeria legten.48 Anfängliche Versuche europäischer Missionare waren, bedingt durch die Darstellungen früherer Entdecker und Reisender, von einer sehr geringschätzenden Einstellung gegenüber der einheimischen Kultur geprägt, die als unterlegen, unzivilisiert und nicht vereinbar mit der Kultur und den Werten des Christentums angesehen wurde. Dies veränderte sich jedoch sobald erste nigerianische Bekehrte Elemente des christlichen Glaubens und der nigerianischen Kultur vermischten und so langfristig dazu beitrugen, dass diese später nicht mehr antagonistisch, sondern kollaborierend verstanden wurden.49 Andere Quellen berichten jedoch, dass von einer bewussten Vermischung von Christentum und nigerianischer Kultur erst ab den 1980er Jahren zu sprechen sei.50
Während die missionarischen Aktivitäten im Süden recht bald von Erfolg gekrönt waren, blieb der Norden, der bereits im elften Jahrhundert mit der arabischen Kultur und islamischen Religion in Kontakt kam und seitdem stark islamisch geprägt ist, davon lange Zeit unbeeinflusst. Zwar wurde das Ziel der vollständigen Islamisierung Nordnigerias vor allem aufgrund des Widerstands traditioneller religiöser Gruppen nie erreicht, dennoch war die islamische Vorherrschaft dort so groß, dass eine Evangelisation des Nordens lange Zeit komplett verhindert werden konnte.51 Jede christliche Aktivität im Norden bedurfte der Erlaubnis eines Emirs.52 Dies änderte sich auch nicht nachdem Nigeria im Jahr 1900 unter die Kolonialherrschaft Großbritanniens fiel und in die Protektorate Nord- und Südnigeria aufgeteilt wurde. Im Norden führte Frederick Lugard, Hochkommissar des nordnigerianischen Protektorats, eine Politik der „indirect rule" ein.53 Damit überließ er die Handlungsmacht den Emiren und sicherte ihnen eine Nichteinmischung anderer Religionen zu. So trug die Kolonialverwaltung dazu bei, dass sich die Machtverhältnisse in Nordnigeria in den Jahrzehnten der Kolonialherrschaft kaum veränderten und letztendlich am Tag der nigerianischen Unabhängigkeitserklärung im Jahr I960 ein überwiegend christlicher Süden sich einem überwiegend muslimischen Norden gegenüber sah.54
Die christlichen Bemühungen einer Evangelisation des Nordens ließen trotz der hinderlichen Umstände nicht nach und führten dazu, dass zunehmend christliche Immigranten aus dem Süden den Weg in den Norden suchten. Diese Gruppen sorgten vor allem durch die Errichtung von Schulen - nach westlichem Vorbild - aber auch durch die Gründung von Kirchen für eine erste Grundlage christlicher Missionierung Nordnigerias.55 Jedoch sahen sich viele der neugegründeten Kirchen schnell großer Gewalt ausgesetzt, sodass sie gezwungen waren zu „Nordisieren"56, wenn sie überleben wollten. Dies führte dazu, dass die Kirchen des Nordens ab dem Ende der 1960er Jahre ihre Identität der Kultur, der Sprache und den Bräuchen des Nordens anpassten und eine Gemeindeleitung aus indigenen Priestern und Pastoren - häufig Laien - forcierten.57 58
Die wohl bedeutendste Entwicklung im nigerianischen Christentum markiertjedoch die Entstehung des Pentekostalismus, der bis heute das dynamischste Element des Christentums in Nigeria darstellt.59
[...]
1 Vgl. Larkin; Meyer (2006), S. 286.
2 Vgl. Ojo (2007), S. 184.
3 Vgl. Larkin; Meyer (2006), S. 287.
4 Vgl. Anderson et al. (2010), S. 4.
5 Vgl. ebd., S. 1 f.; vgl. Anderson (2010), S. 37.
6 Vgl. Anderson et al. (2010), S. 4.
7 Bergunder (2012), S. 5.
8 Vgl. Anderson (2010), S. 16.
9 Vgl. Anderson et al. (2010), S. 2, S. 4 ff., S. 30, S. 34, S. 46 ff., S. 74, S. 157, S. 173 f., S. 198, S. 203.
10 Vgl. Anderson (2010), S. 16.
11 "Classical Pentecostals", "Older Independent and Spirit Churches", "Older Church Charismatics", "Neo-Pentecostal and Neo-Charismatic Churches"
12 Vgl. Anderson (2010), S. 17 ff.
13 Vgl. Maltese et al. (2019), S. 9.
14 Colemans drei Dimensionen charismatisch-christlicher Globalisierung: "(1) the use of mass communications media to disseminate its ideas; (2) a social organization that promotes internationalism through global travel and networking, conferences, and megachurches that function like international corporations; and (3) a "global orientation" or global Charismatic "metaculture" that transcends locality and denominational loyalty and displays striking similarities in different parts ofthe world." (Anderson (2010), S. 21; vgl. Coleman (2000), S. 66 - 69.)
15 Vgl. Anderson (2010), S. 20 f.
16 Vgl. ebd.,S. 22 ff.
17 Vgl. Apg 2,4 (LU): und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern [sic] Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.
18 Vgl. Anderson (2010), S. 25 f.
19 Vgl. Droogers (2010), S. 30.
20 Vgl. ebd., S. 30 f.
21 Vgl. ebd.,S. 32 ff.
22 Vgl. ebd.,S. 32f.
23 Vgl. ebd., S. 43.
24 Ebd.,S.31.
25 Vgl. ebd.,S.31,S.45.
26 Hempelmann (2005), S. 966.
27 Vgl. Tworuschka; Tworuschka (1992), S. 462; vgl. Hexham (1999), S. 169; vgl. Hempelmann (2005), S. 966.
28 Vgl. Tworuschka; Tworuschka (1992), S. 462; vgl. Riedel (2006), S. 400; vgl. Hexham (1999), S. 169; vgl. Hempelmann (2005), S. 965.
29 Hempelmann (2005)
30 Vgl. Tworuschka; Tworuschka (1992), S. 462; vgl. Hempelmann (2005), S. 967; vgl. Riedel (2006), S. 400.
31 Vgl. Tworuschka; Tworuschka (1992), S. 462; Vgl. Hempelmann (2005), S. 965 f.
32 Vgl. Droogers (2010), S. 32, S. 41, S. 47.
33 Vgl. ebd.,S. 37.
34 Vgl. Maltese et al. (2019), S. 8.
35 Vgl. Bergunder (2012), S. 5. Auch wenn Bergunder hier Religionswissenschaft und die Bestimmung von „Religion" im Blick hat, lässt sich diese Position auch auf den Diskurs über Pentekostalismus übertragen.
36 Vgl. ebd., S. 5.
37 Ebd.,S. 3.
38 Ebd.,S. 12.
39 James (1997), S. 64, zitiert nach Bergunder (2012), S. 12.
40 Riesebrodt (2007), S. 116, zitiert nach Bergunder (2012), S. 12.
41 Vgl. Bergunder (2012), S. 13.17.
42 Bergunder betont die Bezeichnung von Religion als Name in Abgrenzung zum Gebrauch als Begriff, da ein Begriff die Eigenschaften von Dingen teilt, während ein Name Dingen als „primäre Taufe" zugeordnet wird (vgl. Bergunder (2012), S. 35.).
43 Bergunder (2012), S. 33.
44 Vgl. Maltese et al. (2019), S. 8; vgl. Bergunder (2012), S. 32 ff.
45 Vgl. Bergunder (2012), S. 44.
46 Vgl. Bergunder (2010), S. 59.
47 Vgl. Bergunder (2012), S. 60; vgl. Bergunder (2010), S. 42 ff.
48 Vgl. Aguwa (2005), S. 13.
49 Vgl. ebd., S. 14.
50 Vgl. Larkin; Meyer (2006), S. 293.
51 Vgl. Aguwa (2005), S. 13.
52 Vgl. Ojo (2007),S. 177.
53 Vgl. Sklar (2004), S. 18.
54 Vgl. Ojo (2007),S. 177.
55 Vgl. Aguwa (2005), S. 14.
56 "Northernize"
57 Überwiegend die Katholischen Kirchen, die, anders als die Protestantischen Kirchen, in der Mehrheit aus südnigerianischen Christen bestanden.
58 Vgl. Enwerem (1995), § 50 ff.
59 Vgl. Ojo (2007), S. 168.
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