Masterarbeit, 2019
61 Seiten, Note: 0
Einleitung
1. Allgemeine Erkennbarkeit böser Handlungen
1.1 Aus der Perspektive von Thomas von Aquin
1.2 GemäßHegels Ansichten
1.3 VergleichbeiderPositionen
2. Das intrasubjektivBöse
2.1 Aus der Perspektive von Thomas von Aquin
2.2 GemäßHegelsAnsichten
2.3 VergleichbeiderPositionen
3. Das intersubjektiv Böse
3.1 Aus der Perspektive von Thomas von Aquin
3.2 GemäßHegelsAnsichten
3.3 VergleichbeiderPositionen
4. Das Böse als unvermeidbares Element menschlicher Handlungen?
4.1 Aus der Perspektive von Thomas von Aquin
4.2 GemäßHegels Ansichten
4.3 VergleichbeiderPositionen
4.4 Unvermeidbarkeit böser Handlungen aufgrund von Freiheit
Zusammenfassung/ abschließende Betrachtungen
Literaturverzeichnis
Nahezu in jedem Kulturkreis bzw. in jeder Gesellschaft gehört böses bzw. schlechtes menschliches Verhalten zum Alltag. Dies belegen zahllose Nachrichten im Radio, Fernsehen oder in diversen Zeitungen sowie auch mit Sicherheit eigene Erfahrungen. Dadurch ist es auch nicht verwunderlich, dass einige Menschen immer wieder die Frage nach dem Grund für ein solches Verhalten aufwerfen, einem Verhalten, dessen Folgen dem Einzelnen sowie anderen Menschen, welche davon betroffen sind, doch vielmehr in einer gewissen Weise schaden als das sie nützen. Daher soll in dieser Arbeit der spannenden Frage nachgegangen werden, anhand welcher allgemeinen Kriterien böses Verhalten überhaupt erkennbar ist. Darauf aufbauend soll dann eine Annäherung an obige Frage erfolgen, indem untersucht wird, welche möglichen konkreten Ursachen dazu beitragen könnten, dass Menschen böse bzw. schlecht handeln. Hierbei wird schwerpunktmäßig darauf eingegangen, in welcher Weise Menschen schlechtes Handeln ihrerseits selbst verschulden und unter welchem Aspekt sie trotz schlechtem Handelns einfach nur so gut handeln, wie es ihnen aufgrund ihrer geistigen wie körperlichen Verfassung und der sonstigen sie betreffenden Umstände möglich ist, sodass sie mit Bezug auf sich selbst und bezüglich anderer/ eines anderen Menschen nur beiläufig bzw. unabsichtlich böse handeln. Diesen Schwerpunkten auf den Grund zu gehen bzw. diese näher zu untersuchen, ist das Hauptanliegen dieser Arbeit. Jene Untersuchung obiger Schwerpunkte hat nämlich den zentralen Zweck, herauszufinden, ob böse menschliche Handlungen unvermeidbar sind, worin gleichzeitig der Grund des für diese Arbeit gewählten Themas liegt.
Die Bearbeitung des obigen Vorhabens erfolgt hauptsächlich mit Hilfe der Ansichten von Thomas von Aquin sowie Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Am Ende dieser Arbeit und um diese thematisch abzurunden, wird Friedrich Wilhelm Joseph Schellings Perspektive hinzugezogen. Im Einzelnen werden hierfür folgende Werke genutzt: Thomas von Aquins Werk „Über sittliches Handeln“ sowie „Vom Übel/ De malo des Weiteren überwiegend Georg Wilhelm Friedrich Hegels ..Grundlinien der Philosophie des Rechts“ und ergänzender Weise bzw. an geeigneter Stelle noch andere Werke von ihm, welche dem Literaturverzeichnis zu entnehmen sind. Von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling findet dessen Werk „Über das Wesen der menschlichen Freiheit “ Anwendung. Eine kurze Begründung für die Anwendung dieser Werke wird innerhalb der nun folgenden einleitenden Bemerkungen zu den einzelnen Kapitel erfolgen.
Im ersten Kapitel erfolgt zunächst, bevor überhaupt eine sinnvolle philosophische Untersuchung der oben benannten Kernfragen beginnen kann, eine allgemeine Klärung des Begriffs des Bösen, um in den nachfolgenden Kapiteln darauf Bezug nehmen zu können. Hierfür werden Thomas' oben erwähnte Werke genutzt, weil in diesen sehr detaillierte Definitionen sowie Ausprägungsformen böser bzw., wie Thomas dies ausdrückt, schlechter Handlungen enthalten sind, welche nicht nur für dieses Kapitel sondern generell für diese Arbeit als besonders geeignet erscheint. Des Weiteren wird zum Zweck eines breiteren Verständnisses vom Begriff des Bösen Thomas' Definition der von Hegel gegenübergestellt, sodass anschließend beide Positionen miteinander verglichen werden können. Mit jenem Vergleich wird angestrebt, bei diesem, aber auch hinsichtlich der anderen Kapitel gemeinsame wie konträre Positionen beider hervorzuheben und zu reflektieren. Hegels oben erwähnte Werke, insbesondere die „Grundlinien der Philosophie des Rechts“, sind meines Erachtens für diesen Zweck äußerst nützlich, weil mit Bezug auf den thematischen Schwerpunkt, zusätzlich zu Thomas' Ansichten, weitere diese Arbeit bereichernde Perspektiven eröffnet, was auch auf die anderen Kapitel zutrifft.
Darauf aufbauend wird im zweiten Kapitel geklärt, inwiefern der Einzelne sowohl aus Thomas' als auch aus Hegels Sicht aufgrund seiner geistigen Verfassung als alleinige Ursache der von ihm begangenen bösen Handlungen gelten kann, oder anders ausgedrückt, welche intrasubjektiven Hintergründe gemäß beider Philosophen böse Handlungen begünstigen. Dabei soll gleichzeitig geprüft werden, welchen Bezug diese intrasubjektiven Ursachen böser Handlungen zu den in den obigen Fragen benannten Schwerpunkten haben. Anschließend folgt aus obigen Gründen wieder ein Vergleich beider Ansichten.
Das dritte Kapitel beinhaltet die Kategorie des intersubjektiv Bösen bzw. intersubjektive, also umstandsbedingte und somit äußere Ursachen böser Handlungen. Das heißt, hier erfolgt eine Analyse dahingehend, inwiefern äußere Umstände wie beispielsweise die jeweilige Lebenssituation sowie Mitmenschen dazu beitragen, dass Menschen schlecht handeln. Auch hierzu werden sowohl Thomas' als auch Hegels Ansichten dazu dargestellt und darauffolgend miteinander verglichen.
Im vierten Kapitel wird ebenfalls mit Hilfe von Thomas sowie Hegel untersucht, ob schlechtes bzw. böses menschliches Verhalten, im intra- sowie intersubjektiven Sinne, eigentlich vermeidbar wäre oder ob das Vermögen zu einem solchen Verhalten den Menschen wesentlich ist. Und zwar insofern, dass diese unter gewissen eigenen geistigen und/ oder äußeren bzw. von ihnen nicht zu vertretenden Umständen gar nicht anders können, als auf schlechte Weise zu handeln bzw. nur so gut, wie es ihnen unter bestimmten Bedingungen möglich zu sein scheint. Inwiefern Thomas und Hegel mit ihren Ansichten darüber übereinstimmen oder nicht oder zumindest teilweise, wird im Anschluss daran mittels eines Vergleichs geklärt. Darauf und auf die vorigen Kapitel aufbauend erfolgt am Ende des vierten Kapitels mit Hilfe von Schellings „Über das Wesen der menschlichen Freiheit“ eine Untersuchung dahingehend, ob und inwiefern der selbst- sowie fremdbestimmte Grad an Handlungsfreiheit des Einzelnen als wesentliche Ursache für die Unvermeidbarkeit schlechten Handelns gewertet werden kann. Und daran anknüpfend soll geklärt werden, weshalb Schelling das Erscheinen böser Handlungen sogar als notwendig erachtet, um gut handeln zu können, oder anders ausgedrückt, warum das in Erscheinung treten schlechter Handlungen mit Bezug auf gutes Handeln sinnvoll sein kann. Um dies alles darzustellen, eignet sich Schellings vorbenanntes Werk in besonderem Maße, weil er darin unter anderem das Böse explizit unter dem Aspekt der Freiheit des Einzelnen betrachtet.
Zum Abschluss dieser Arbeit werden markante Positionen in zusammenfassender Weise kritisch reflektiert und argumentative Ergebnisse hervorgehoben. Weiterhin möchte ich darauf hinweisen, dass stets darauf geachtet wird, überblicksartig das Wesentliche des dieser Arbeit zu Grunde liegenden Themas zu erfassen sowie möglichst nachvollziehbar darzulegen. Dabei wird ein der Sache zuträgliches Maß an abstrakten und konkreten Beschreibungen berücksichtigt.
Gemäß der Thomasinterpretation seitens des Philosophen Robert Spaemann sind böse, also schlechte Handlungen anhand der menschlichen Natur erkennbar oder anders ausgedrückt daran, was für den Erhalt der Gattung Mensch in der Regel abträglich ist bzw. deren gutem Leben üblicherweise schadet.1 Der Begriff gut ist im Sinne einer gedeihlichen Entwicklung des Einzelnen gemeint, wobei es selbstverständlich von der geistigen wie körperlichen Verfassung des jeweiligen Menschen abhängt, was im Einzelnen gut/ gedeihlich für ihn ist. Hierzu gäbe es noch einiges mehr zu erläutern, aber dies würde vom eigentlichen Thema wegführen. Deshalb sei an dieser Stelle zur Veranschaulichung nur darauf hingewiesen, dass Menschen der obigen Aussage zufolge sozusagen an ihren eigenen überlebensnotwendigen Bedürfnissen ableiten können, welche Handlungen sie besser vermeiden sollten. Sie sollten beispielsweise keinesfalls versuchen, ohne Hilfsmittel im Wasser zu atmen, weil das nicht ihrem natürlichen bzw. artgemäßen Bedürfnis Luft zu atmen entspräche. Diese nicht artgemäße Handlung steht somit ihrem Wohlergehen und sogar ihrer weiteren Existenz entgegen und ist somit schlecht.
Damit wird, Spaemanns weiterer Interpretation von Thomas zufolge, besonders deutlich, aus welchem Grund schlechtes Handeln als unvernünftig bezeichnet wird.2 Dies erscheint umso selbstverständlicher unter der Voraussetzung, dass Menschen zwangsläufig die Erfahrung machen, aufgrund ihrer natürlichen körperlichen Verfassung Luft atmen zu müssen oder beispielsweise Essen zu sich zu nehmen, um nicht zu verhungern.
Wie Spaemann weiter ausführt, sei es Thomas zufolge jedoch nicht immer so eindeutig, darüber zu befinden, ob die jeweilige Handlung schlecht bzw. unvernünftig ist. Thomas meint nämlich gemäß Spaemann, dies müsse vom Kontext her, also spezifisch, beurteilt werden.3 Demnach kann eine an sich schlechte Tat bzw. eine von einer Gesellschaft allgemein als böse bewertete Handlung unter gewissen Umständen als gerechtfertigt erscheinen und in einem anderen Kontext wiederum als böse und somit ungerechtfertigt gelten.4 Dies wird am Tatbestand des Mordes besonders deutlich. Denn „Tötung in Notwehr oder im Krieg ist eine andere Handlung als Mord 5 Unter letzterem kann zum Beispiel das Ermorden eines beliebigen oder nahestehenden Menschen verstanden werden. Wie mit diesem Beispiel schon angedeutet wird, kommt es auf die Absicht bzw. Intention des handelnden Menschen an, um zu ermitteln, ob sich dieser böse verhält.
Der Einzelne begeht nach Spaemanns weiterer Analyse von Thomas' Ansichten auch dann eine böse bzw. schlechte Handlung, wenn er zwar gut handelt, aber aus einer schlechten Absicht heraus.6 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Menschjemandem nur hilft, sofern er dafür eine entsprechende Belohnung bzw. irgendeinen Vorteil für sich erhält. Letzteres als Bedingung für eine gute Handlung zu setzen, bringt zum Ausdruck, dass das Helfen hier lediglich als Mittel zum Zweck des Erhalts eines Vorteils gilt. Auf diese Weise erschließt sich, weshalb Thomas gemäß Spaemanns weiteren Ausführungen der Ansicht sei, dass an sich gute Handlungen wie unter anderem jene Hilfeleistung durch schlechte Absichten verdorben würden.7 Die schlechte Absicht des Erhalts irgendeines Vorteils verdirbt demzufolge die an sich gute Tat, jemandem zu helfen. Das heißt, die Hilfeleistung wird aufgrund der daran geknüpften Bedingung des eigenen Vorteils zu einer wesentlich eigennützigen und damit schlechten Handlung seitens des Helfenden.
Dies bekräftigt gleichzeitig die von Thomas erwähnte und von diesem auch selbst vertretene Annahme des Propheten Hosea, dass ebenfalls anhand dessen, was ein Mensch erstrebt oder sogar liebt, erkennbar sei, ob und weshalb dieser böse bzw. schlecht handelt. Eine Handlung könne nämlich seiner Ansicht nach als eine schlechte bezeichnet werden, sofern die entsprechenden ihr zugrunde liegenden Objekte schlecht sind,8 also wenn ein Mensch etwas erstrebt oder liebt, das seinem Wohlergehen oder seiner Existenz abträglich ist, worauf auch schon am Anfang dieses Kapitels hingewiesen wurde.
Davon abgesehen verhält sich ein Mensch nach Thomas auch dadurch schlecht, wenn dieser ein an sich gutes Ziel wie das Helfen anderer Menschen schlecht umsetzt.9 Eine schlechte Verwirklichung eines guten Ziels liegt, wie Thomas dies veranschaulicht, zum Beispiel vor, wenn ein Mensch Geld stiehlt, um dieses an arme Menschen zu verteilen.10 Damit bringt Thomas zum Ausdruck, dass die Umsetzung dieses Ziels bzw. das Verteilen von Geld an bedürftige Menschen zwar gut gemeint sein kann und an sich bzw. allgemein als eine gute gelten kann, aber dies ändert nichts daran, dass das in diesem Beispiel in Form einer Straftat gewählte Mittel zur Realisierung dieses Ziels ein schlechtes ist. Denn mit jenem Diebstahl von Geld wird nicht nur armen Menschen geholfen, sondern wiederum auch anderen Menschen geschadet. In dieser Hinsicht erscheint die Hilfe für arme Menschen mittels gestohlenem Geldes eher als schlecht bzw. vermeintlich gut, vermeintlich im Sinne von fälschlicherweise gut. Dieser Eindruck bestärkt sich, sofern obiges Beispiel weiter gedacht wird. Das heißt, wenn Diebstahl von Geld bzw. das Schädigen anderer Menschen für einen an sich guten Zweck als gerechtfertigt gelten würde, dann könnte dieser Logik zufolge die Tötung eines körperlich gesunden Menschen mit dem Umstand gerechtfertigt werden, dass doch dessen Organe zur Rettung des Lebens eines oder mehrerer körperlich erkrankter Menschen nötig sind. Diese Zuspitzung des obigen Beispiels macht um einiges deutlicher, was Thomas mit schlechter Umsetzung eines an sich guten Ziels meint. Dadurch wird auch umso eindrücklicher, warum Thomas die Art der Umsetzung eines Ziels als ein weiteres wichtiges Kriterium betrachtet, um ermitteln bzw. erkennen zu können, ob die auf das jeweilige Ziel hin orientierte Handlung eine schlechte ist.
Die Wichtigkeit jenes Kriteriums lässt sich auch im weiteren Verlauf aus Thomas' Argumentation ableiten, und zwar indem er auf den Umstand möglicher identischer Wirkungen von guten und schlechten Handlungen verweist.11 Das heißt, anhand einer an sich guten Wirkung einer Handlung ist nicht zwangsläufig erkennbar, ob diejeweilige Handlung, die dazu geführt hat, eine gute oder schlechte war. Denn in bestimmten Fällen kann Thomas zufolge sowohl aus bestimmten schlechten wie guten Handlungen die gleiche an sich positive Wirkung hervorgehen. Er erklärt dies am Beispiel der Geburt eines Babys, einem an sich guten Ereignis. Hierzu führt er aus, „[...] ein Mensch beispielsweise kann sowohl einem ehebrecherischen wie einem ehelichen Verkehr entstammen. “ 12 Ersteres entspricht unvernünftigem Handeln bzw. einem Verhalten, welches wider die allgemeinen in seinem Kulturkreis etablierten Handlungssitten gerichtet ist, wodurch dessen Verhalten zumindest innerhalb seines Kulturkreises als ein schlechtes bezeichnet wird. Im Gegensatz dazu ordnet Thomas ehrlichen Verkehr vernünftigem, also gutem und damit sittlichem Verhalten zu. Schlechtes Verhalten ist demnach und wie in diesem Kapitel schon erwähnt wurde, anhand des Mangels an Vernunft erkennbar, wie Thomas an dieser Stelle noch einmal betont.13 Jener Mangel an Vernunft seitens des Ehebrechers äußert sich darin, dass der von ihm begangene Ehebruch ein Übel für dessen betrogene Frau darstellt oder anderes ausgedrückt, der Ehemann hat sich aufgrund des Ehebruchs gegenüber seiner Frau böse verhalten, unter der Voraussetzung, dass diese nichts davon wusste und damit nicht einverstanden gewesen wäre, wenn sie von seinem Vorhaben gewusst hätte. Im Gegensatz dazu und wie sich daraus ergibt, wäre es logischerweise vernünftig gewesen, diesen Ehebruch nicht zu begehen. Auf eine nähere Bestimmung von vernünftigem Verhalten wird jedoch in Anbetracht des dieser Arbeit zu Grunde liegenden Themas nicht weiter eingegangen.
Stattdessen soll einer sich aus den bisherigen Erläuterungen ergebenden Problematik nachgegangen werden. Denn in den bisherigen Erläuterungen bezüglich der Erkennbarkeit schlechten Verhaltens war stets von einem konkreten Objekt bzw. bestimmtem Ziel, auf welches sich das Handeln des Einzelnen bezieht sowie von einer klaren Absicht die Rede, anhand dessen Thomas zufolge nachvollzogen werden kann, ob eine schlechte Handlung oder böse Absicht vorliegt. Nun kann aber davon auch das Gegenteil gedacht werden, das heißt, menschliches Verhalten, das keiner bestimmten Absicht folgt oder auf kein spezielles Ziel hin ausgerichtet ist. Bei einem solchem Verhalten scheint es gemäß der vorangehenden Äußerungen fraglich, wie hier böse Handlungen erkennbar sein könnten. Es fehlt ja hierbei an dafür notwendigen Erkennungsmerkmalen, welche im Laufe dieses Kapitels dargelegt wurden. Somit bleibt unklar, wie ein derart verfasster Mensch charakterlich eingestellt ist und daraus folgend, ob dieser irgendeinen Bezug zu den in seiner Gesellschaft tradierten Verhaltenssitten hat. Er erschwert damit jegliche Möglichkeit einer Beurteilung. Und zwar nach den Maßstäben der in denjeweiligen Sitten enthaltenen Handlungsmaximen, welche in seinem Kulturkreis gelten und optimalerweise an dem Wohle der jeweiligen Mitglieder orientiert und somit vernünftig sind. Damit wird zumindest schonmal verstehbar, weshalb Thomas meint, dass ein Verhalten dieser Art unvernünftig und insofern auch schlecht sei.14
Außerdem lässt sich aus einem derartigen Verhalten bzw. aus einer mangelnden Positionierung im Verhalten schlussfolgern, dass sich die auf diese Weise verhaltenden Menschen gute und schlechte Handlungsweisen als Verhaltensoptionen offen halten, vorausgesetzt, sie verhalten sich bewusst nicht wesentlich gut oder böse. Sie geben damit beiden Optionen des Handelns die gleiche Bedeutung und erteilen keiner den Vorzug. Insofern erscheint es nachvollziehbar, warum Thomas derartig verfasste Menschen als sittlich indifferent bezeichnet.15 Dies lässt vermuten, dass Menschen in diesem Fall höchstwahrscheinlich vielmehr oder wesentlich willkürlich bzw. wahllos entscheiden, auf welche Weise sie handeln. Das befördert wiederum unzuverlässiges Verhalten gegenüber den jeweiligen Mitmenschen und ebenfalls hinsichtlich der Verfolgung sowie Verwirklichung eigener Ziele. Gut zu handeln bedeutet jedoch nach Thomas, der Vernunft gemäß tätig zu sein,16 wie beispielsweise unter Beachtung des eigenen Wohls, aber auch soweit wie möglich dasjenige der jeweiligen Mitmenschen, die eigenen Ziele zu realisieren. Wenn folglich der Einzelne diese Bedingung nicht erfüllt, dann handelt dieser schlecht. Insofern entspricht indifferentes Handeln schlechtem Verhalten.
Sofern ein auf indifferente Weise verfasster Menschen irgendwelche Ziele hat, lässt sich gemäß obiger Erläuterungen bei diesem aufgrund seiner gleichgültigen Grundeinstellung zumindest in der Regel ein Zurückbleiben hinter seinen Zielen und somit Nichtverwirklichen seiner Ziele ableiten. Dies stellt nach Thomas ein weiteres Erkennungsmerkmal bezüglich schlechten Handelns dar.17 Und auf diese Weise verhindert der Einzelne gleichzeitig durch das Nichterreichen seiner Ziele dessen Erlangen von Glückseligkeit bzw. seine innere Zufriedenheit und sein glücklich sein aufgrund der Realisierung seiner Ziele. Denn auf das Erlangen von Glückseligkeit zielen alle menschlichen Ziele ab. Letztere sind sozusagen der Glückseligkeit untergeordnet und sämtliche Zwecke dienen dem Hauptzweck, glückselig zu werden, wie Thomas weiter erklärt und dabei auf Aristoteles' „Physik“18 Bezug nimmt.19 Demnach geht mit dem schlechten Handeln des Einzelnen ebenso dessen Mangel an Glückseligkeit einher.
Zum Abschluss dieses Kapitels lässt sich mit Bezug auf die bisherige Argumentation schonmal festhalten, dass die Erkennbarkeit schlechten Verhaltens mal mehr oder weniger gut gelingt. Dies bringt zum Ausdruck, dass es Handlungen gibt, welche in höherer oder geringerer Intensität böse sind. Aber dies bzw. diese unterschiedlich ausgeprägte Qualität, ändert gemäß Thomas nichts daran, dass böse Handlungen unabhängig von ihrem Ausmaß stets zur gleichen Kategorie gehören, also als böse gelten.20 Thomas drückt dies wie folgt aus:
,, Bei den Qualitäten, deren Grad gesteigert oder vermindert wird,, verändert die Differenz derlntensitätsgrade nicht die Artbestimmung;21
Schlechte Handlungen sind Hegel zu Folge daran erkennbar, dass sie gutem Handeln entgegengesetzt sind.22 Das heißt, Menschen handeln unter anderem dann schlecht, wenn es ihnen an tugendhaften Eigenschaften mangelt.23 Tugendhaft wäre es nach Hegel mit dem eigenen Handeln etwas in allgemeiner Hinsicht bzw. objektiv Gutes zu bezwecken. Etwas in allgemeiner Hinsicht Gutes zu bezwecken bedeutet, sich an den von der jeweiligen Gesellschaft für gut befundenen tradierten Werten beim Handeln zu orientieren. Geschieht dies nicht, dann handelt ein Mensch gemäß der eigenen partikulären Bedürfnisse, anstatt nach allgemeingültigen guten Zwecken.24 Dadurch handelt er, wie daraus folgt, in allgemeiner Hinsicht schlecht. Insofern wird verstehbar, weshalb ein Mangel an tugendhaften bzw. guten Eigenschaften sowie damit einhergehendes schlechtes Verhalten gutem Handeln entgegen steht undjener Mangel an guten Eigenschaften ein weiteres Merkmal schlechter Handlungen darstellt.
Mit dem Nichteinhalten von Gesetzen verhält es sich ähnlich, das heißt, Gesetze sind ebenso allgemeingültig und bestenfalls aus tugendhaften bzw. guten Zwecken heraus vom Staat verfasst worden. Und sofern dies alles zutrifft, handeln Menschen auch hier in allgemeiner Hinsicht schlecht, weil das Nichteinhalten von Gesetzen per Gesetz und damit als in allgemeiner Hinsicht schlecht definiert wurde, wie Hegel weiter erklärt.25
Damit scheint es auf den ersten Blick sehr einfach zu sein, schlechtes Verhalten zu erkennen, wenn dieses mittels tradierter tugendhafter Werte sowie Gesetze vordefiniert ist. Aber Hegel fügt einen weiteren Aspekt hinzu, mit welchem es komplexer und damit schwieriger wird, schlechtes Verhalten zu erkennen. Denn er behauptet, dass gewisse Verhaltensweisen einerseits als böse bzw. schlecht und andererseits gleichzeitig als gut erachtet werden können, je nach dem aus wessen Perspektive dies beurteilt wird und welche Absicht dem Handeln des Einzelnen zu Grunde liegt. Das Handeln eines Menschen kann einerseits in gesetzlicher Hinsicht als böse gelten26 und andererseits gleichzeitig als gut, unter der Annahme dass jenes Handeln aus einer wesentlich guten Absicht heraus erfolgte sowie deren Realisierung gelang und somit die damit einhergehende Befriedigung des Willens des Einzelnen. Hegel veranschaulicht dies, indem er als Beispiel das Stehlen von Lebensrnitteln zu Überlebenszwecken anführt. Hegel erklärt hierzu, dass ein Mensch genau dann berechtigterweise Lebensrnittel aus einem Geschäft oder wo auch immer stiehlt, sofern sich dieser nicht anderweitig vor dem Verhungern retten kann und akut zu verhungern droht. Dadurch ist dies kein gewöhnlicher Diebstahl, wie beispielsweise wenn Kinder aus Langeweile irgendetwas stehlen. Aber auch weil der Einzelne aus guten Absichten heraus Essen stiehlt bzw. um sich vor dem Verhungern zu bewahren. Dies bezeichnet Hegel als Notrecht bzw. als ein Recht, welches der Einzelne in Not anwenden kann.27 28 Dadurch wirkt der eigentlich gesetzlich verbotene Diebstahl, wenn er aus einer guten Absicht geschieht, als eine gute Handlung. An sich und rein gesetzlich betrachtet ist diese Tatjedoch trotzdem eine schlechte Handlung.
Mit diesem Beispiel zeigt Hegel sehr eindrücklich, dass sich hierbei das Recht eines Menschens zu leben sowie das Recht auf Besitz, im Fall des obigen Beispiels das Recht den Besitz der Lebensrnittel seitens des Besitzers, gegenüberstehen. Daher könnte an dieser Stelle gefragt werden, was wichtiger bzw. höherwertiger sei, das Leben jenes sich in Not befindenden Menschen oder das Recht auf Besitz an jenen Lebensrnitteln? Hegel spricht sich eindeutig für ersteres aus. Er begründet dies mit dem Hinweis, dass in obigem Fall ein Verbot des Diebstahls von Lebensrnitteln dem an Hunger leidenden Menschen das Recht auf Leben absprechen würde.29 Denn jener Mensch würde logischerweise sterben, wenn er sich nicht ernähren kann. Insofern könnte die Umsetzung des Verbots des Stehlens von Lebensmitteln auch als dessen Todesurteil angesehen werden. Damit wird nachvollziehbar, weshalb Hegeljenes Verbot als höchstes Unrecht bezeichnet,30 wodurch dieses Verbot in jener Notsituation ebenfalls gleichzeitig als gut und böse erachtet werden kann. Gut ist es, um den Besitz des Einzelnen in einer Gemeinschaft vor Entwendung zu schützen und schlecht, wenn es in jener Notsituation zur Anwendung kommt. Umso wichtiger erscheint es, beim Kategorisieren von Handlungen als schlecht oder gut mehrere Perspektiven zu berücksichtigen, weil eine einzige Perspektive wie beispielsweise die gesetzliche unter gewissen Umständen nicht ausreicht, um Handlungen als schlechte oder gute oder beides zu erkennen und einzustufen.
Falls dies nicht berücksichtigt wird, kann nicht nur das Leben des Einzelnen gefährdet werden, sondern anknüpfend an das zuvor benannte Beispiel auch dessen freie Wahl zum Weiterleben. Dem Einzelnen wird sozusagen in diesem Fall mittels jenes Verbots neben seinem Recht auf Leben auch seine Freiheit, über den Werdegang seines Lebens selbst zu bestimmen, abgesprochen, was Hegel ebenfalls als höchstes Unrecht erachtet.31 Unter diesen Umständen kann eine Umsetzung dieses Verbots als eine böse Handlung staatlicherseits erachtet werden.
Gemäß Hegels weiteren Erklärungen zählt zu schlechten Handlungen auch, wenn ein Mensch sich durch sein Verhalten selbst schadet, nicht nur, wenn er aufgrund äußerer Faktoren, wie Mitmenschen, Schaden wegen deren schlechtem Handeln erleidet. Somit beeinflusst das böse Verhalten eines Menschen zwar ebenfalls andere oder einen anderen Menschen, aber gleichzeitig, wie Hegel meint, wirkt das böse Verhalten des Einzelnen auch auf ihn selbst zurück. Deswegen schreibt Hegel diesbezüglich von einer Umkehrung böser Handlungen gegen den, der sie begangen hat. Mit jenem Zurückwirken bzw. dieser Umkehrung meint Hegel, dass sich der Einzelne mit seinem bösen Verhalten selbst schadet, indem er damit seine Bestrafung riskiert.32 Bestraft werden kann dieser per Gesetz oder zusätzlich von seinen Mitmenschen, also mittels gesetzlicher sowie ziviler Strafe, eine zivile Strafe im Sinne von zum Beispiel gesellschaftlicher Ausgrenzung, wenn sich ein Menschen nicht an gewisse gesellschaftlich tradierte Maximen hält, welche zum Zweck eines friedlichen gesellschaftlichen Miteinanders von den Mitgliedern einer Gemeinschaft etabliert wurden, um beispielsweise Rücksichtslosigkeit im zwischenmenschlichen Umgang und damit gegenseitiges sich schädigen zu vermeiden.
Damit wird schon angedeutet, was Hegel außerdem noch unter schlechtem bzw. bösem Verhalten versteht, nämlich wenn Menschen auf beliebige bzw. willkürliche und somit unüberlegte Weise darüber befinden, welche Verhaltensweisen sie für gut oder böse halten. Also wenn die Kategorien gut und böse bezüglich menschlicher Handlungen nicht nach objektiven bzw. allgemeinen sondern subjektiven Kriterien definiert werden.33 Wäre dies der Fall, gäbe es höchstwahrscheinlich ein heilloses Chaos beim zwischenmenschlichen Umgang, weil zum Beispiel in einer Gesellschaft zu keinem Zeitpunkt klar wäre, welche Handlungen gerade im jeweiligen Lebensumfeld erlaubt sind und welche abgestraft werden. Insofern ist hier Streit in einer Gesellschaft absehbar, wenn jedes Mitglied seine gerade vorherrschende Einstellung durchsetzen will. Dies begünstigt wiederum, dass sich die Mitglieder einer Gesellschaft auf diese Weise gegenseitig in ihrer selbstbestimmten und somit freien Lebensgestaltung einschränken. Daher dürfte klar geworden sein, warum Hegel willkürliches Verhalten ebenfalls als Erkennungsmerkmal von schlechtem bzw. bösem Verhalten erachtet.
Es könnte jedoch als ein Vorteil gesehen werden, wenn bei einem Menschen willkürliches Verhalten und somit dessen beliebige Auffassung über gute und böse Handlungen erkannt wird. Denn dadurch könnte es für andere Menschen gegebenenfalls leichter sein, schlechtes Handeln zu erkennen. Im Gegensatz dazu kann der Einzelne aber auch andere Menschen bezüglich seiner Einstellung zu gutem und bösem Verhalten absichtlich, also wissentlich in die Irre führen bzw. darüber im Unklaren lassen. Damit würde er anderen Menschen erschweren, böses Verhalten bei ihm zu erkennen. Das heißt, es wäre denkbar, dass ein Mensch schlecht handelt, indem dieser absichtlich versucht, sein schlechtes Verhalten gegenüber anderen Menschen als eine gute Tat darzustellen, was Hegel als Heuchelei bezeichnet und seinen Erklärungen zufolge einem weiteren Erkennungsmerkmal böser Handlungen entspricht.34 Schlechtes Verhalten in Form von Heuchelei zu erkennen, dürfte sich jedoch als recht schwieriges Unterfangen erweisen, umso versteckter und komplexer sie ein Mensch gebraucht undje weniger an typischen Charaktereigenschaften von diesem Menschen bekannt ist.
[...]
1 Vgl. Thomas von Aquin, Über sittliches Handeln, S. 10, 11.
2 Vgl. Thomas von Aquin, Über sittliches Handeln, S. 12.
3 Ebd., S. 14.
4 Ebd., S. 14, 15.
5 Thomas von Aquin, Über sittliches Handeln, S.14.
6 Vgl. Thomas von Aquin, Über sittliches Handeln, S. 14, 15.
7 Ebd., S. 14.
8 Ebd.,S.29,31.
9 Ebd.,S.41.
10 Ebd., S. 15.
11 Vgl. Thomas von Aquin, Über sittliches Handeln, S. 43.
12 Thomas von Aquin, Über sittliches Handeln, S. 43.
13 Vgl. Thomas von Aquin, Über sittliches Handeln, S. 45, 47, 61.
14 Vgl. Thomas von Aquin, Über sittliches Handeln, S. 63.
15 Ebd., S. 63, 65.
16 Ebd., S. 23.
17 Vgl. Thomas von Aquin, Über sittliches Handeln, S. 177, 179.
18 Thomas bezieht sich hier auf Aristoteles' Physik, Halbband II.
19 Vgl. Thomas von Aquin, Über sittliches Handeln, S. 179.
20 Ebd., S. 81.
21 Thomas von Aquin, Über sittliches Handeln, S. 81.
22 Vgl. G.W.F. Hegel, GrundlinienderPhilosophie des Rechts, §§ 139, 140.
23 Vgl. G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, S. 34.
24 Vgl. G.W.F. Hegel, GrundlinienderPhilosophie des Rechts, § 139.
25 Ebd., §§ 139, 140.
26 Vgl. G.W.F. Hegel, GrundlinienderPhilosophie des Rechts, § 139.
27 Ebd., § 127.
28 Vgl. G.W.F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften III, § 505.
29 Vgl. G.W.F. Hegel, GrundlinienderPhilosophie des Rechts, § 127.
30 Ebd.
31 Ebd.
32 Vgl. G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, S. 43.
33 Vgl. G.W.F. Hegel, GrundlinienderPhilosophie des Rechts, § 140.
34 Vgl. G.W.F. Hegel, GrundlinienderPhilosophie des Rechts, Zusatz zu § 140.
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