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Bachelorarbeit, 2020
40 Seiten, Note: 1,7
1. Einleitung
2. Vorgehensweise
2.1 Die Regierungszeit von Adnan Menderes (1950-1960)
2.1.1 Adnan Menderes - Der erste frei gewählte Ministerpräsident der Türkei
2.1.2 Der 27 Mayis Darbesi - Der erste Militärputsch in der Türkei 1960
2.1.3 Die Gerichtsurteile von Yassiada 1961
2.1.4 Werte über Menderes und dem Putsch vor der Regierungszeit der AKP unter Erdogan
2.2 Das Bild von Adnan Menderes innerhalb der AKP-Regierung
2.2.1 Reden in der Öffentlichkeit
2.2.1.1 Reden der AKP vom 27. Mai 2018 in Balikesir
2.2.1.2 Rede von Recep Tayyip Erdogan auf Yassiada am 26. Mai 2019
2.2.1.3 Rede zum 60. Jahrestag des Militärputsches am 27. Mai 2020 auf der Insel der Demokratie und Freiheit
2.2.2 Redebeiträge in Form von Onlinebeiträgen auf Twitter
2.2.2.1 Tweet von Recep Tayyip Erdogan während der Gezi-Park-Pro teste 2013
2.2.2.2 Tweets der AKP (Recep Tayyip Erdogan und Binali Yildirim) vom 27. Mai 2020
2.2.2.3 Tweet von Kemal Kiliçdaroglu (CHP) vom 27. Mai 2020
2.3 Geschichtsbilder im Wandel - Das Geschichtsbild von Adnan Menderes und dem Putsch von 1960 innerhalb der AKP-Regierung
2.3.1. Geschichtsbild - Definition und Konstruktion
2.3.2 Das konstruierte Geschichtsbild der AKP-Regierung (2002-) Menderes und dem Putsch vom 27. Mai 1960
3. Schlussbetrachtung
4. Literaturverzeichnis
4.1 Primärliteratur
4.2 Sekundärliteratur
5. Anhang
Seit Anbeginn der Regierungszeit der Adalet ve Kalkinma Partisi (AKP), ist der mächtigste Mann des türkischen Staates Recep Tayyip Erdogan. Bekannt ist er durch seine gelungenen Wortbeiträge in Form von Reden, aber auch in sozialen Netzwerken wie Twitter. Verstärkt lässt sich dieses Verhalten mindestens seit dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016 erkennen, da er ab diesem Zeitraum versucht, seine verstärkt autoritär wirkende Politik zu rechtfertigen. Aus diesem Grund benutzen die AKP-Politi- ker die historische Figur Adnan Menderes, welcher als erstes Staatsoberhaupt der Türkei am 27. Mai 1960 durch einen Putsch verhaftet und später hingerichtet wurde. Bereits während der Gezi-Park Proteste 2013 kann in den sozialen Medien ein Rückbezug der AKP zu Menderes gefunden werden. Den Höhepunkt dieses Rückbezugs lässt sich am 27. Mai 2020 finden, als Erdogan zum 60. Jahrestag des Putsches in einer langen Rede die Taten Menderes eingehend lobt und gleichzeitig die Neueröffnung der Insel Yassiada (ab dann „Insel der Demokratie und Freiheit“) begleitet, welche er in ein Geschichtspla- teu, mit vielen Gedenkstätten für Adnan Menderes, verwandeln lies. Durch diesen starken Rückbezug der AKP-Politiker eröffnet sich die Forschungsfrage, wie sich das Bild von Adnan Menderes in Redebeiträgen der heutigen AKP-Regierung gestaltet und auch von der historischen Person abhebt. Zur Beantwortung dieser Frage ist es notwendig, die historische Person Adnan Menderes zu fassen. Hierfür eignen sich neben einführenden Werken von Klaus Kreiser über die Geschichte der Türkei bis zu Gegenwart auch englischsprachige Werke von Mogens Pelt, welcher die Regierungszeit von Adnan Menderes detailreich zusammenfasst und auch den späteren Putsch 1960 ausführlich analysiert. Auch Erik Zürcher beschreibt in einem Teilkapitel seines Buches „Turkey, a modern history“ die Regierungszeit der damaligen DP-Regierung (Demokrat Partisi). Die Forschungslage zur Analyse von späteren Darstellungen bzgl. Adnan Menderes nach 1960 gestaltet sich anders, weshalb hierbei auf Zeitungsberichte aus dem Archiv der türkischen Zeitung Cumhuriyet zurückgegriffen wird, um die fortlaufende Relevanz des Analysezeitraums innerhalb der türkischen Geschichte darzulegen. Dies sollen zum einen durch Berichte zum Jahrestag von 1986 genauso wie beim Umbetten der Gebeine von Adnan Menderes am 18. September 1990 belegt werden. Daraufhin folgt die Hauptanalyse in welcher zunächst Wortbeiträge in Form von Reden der beiden AKP-Politiker Recep Tayyip Erdogan und Binali Yildirim, dessen Wortlauft zum einen durch Online-Artikel von trthaber, aber auch durch die Homepage der Regierung wiedergegeben werden kann. Dabei wurden die einzelnen Artikel und Reden in jeweilige Sinnesabschnite gegliedert, welche in den Fußnoten in Form von Absätzen wiederzufinden ist. Bei den darauffolgenden Analysen der Wortbeiträge in den Sozialen Netzwerken beschränkt sich die Analyse auf Wortbeiträge der Politiker durch tweets auf Twitter. Um auch die Gegenposition der Opposition in die Analyse miteinfließen zu lassen, wird außerdem ein Tweet des Oppositionsführers Kemal Kiliçdaroglu vom 27. Mai 2020 ebenfalls behandelt. Nach dieser Hauptanalyse erfolgt noch die Aufarbeitung des eigentlichen Geschichtsbildes, welches sich aus der Analyse der Redebeiträge herausarbeiten ließ. Hierbei wird insbesondere auf Methoden von Aleida Assmann zurückgegriffen, die Erinnerung im Kontext von kollektivem Gedächtnis und Kommemoration analysiert. Schlussendlich erfolgt daraufhin ein Fazit, welches die Forschungsfrage abrunden und die anhaltende Relevanz von Adnan Menderes in der heutigen AKP-Regierung betonen soll.
Um die Forschungsfrage genauer zu analysieren, folgt zu Beginn eine Aufarbeitung der Regierungszeit Menderes bis zu seinem Sturz am 27. Mai 1960. Daraufhin wird ebenfalls sein Gerichtsprozess auf der Insel Yassiada bis zu seiner Hinrichtung beschrieben. Erst daraufhin folgt eine Bestandsaufnahme der aktuellen AKP-Politiker Recep Tayyip Erdogan und Binali Yildirim. Hierbei soll innerhalb der Redebeiträge der einzelnen Personen nach Stilmitteln, Redewendungen und Besonderheiten, das aktuelle Geschichtsbild von der historischen Person Adnan Menderes und seiner Hinrichtung, gedeutet werden. Dabei sollen außerdem, in den Reden aufgegriffene, aktuelle politische Ereignisse, mit in die Analyse aufgenommen werden. Dazu erfolgt eine Bestandsaufnahme zu Wortbeiträgen über die sozialen Medien (Twitter) der beiden Politiker. Zum Schluss wird dann außerdem die allgemeine Bedeutung eines Geschichtsbildes in den Mittelpunkt der Arbeit gestellt. Hierbei soll auch auf die Bedeutung eines kollektiven Gedächtnisses weiter eingegangen werden. Mit dem Schlussfazit soll die Forschungsfrage nach erfolgter Analyse über das momentane Geschichtsbild von Adnan Menderes eine Lösung erfahren.
Im ersten Überkapitel der Arbeit werden die Anfänge der Demokratischen Partei (DP) analysiert und der Aufstieg der Partei bis zum Machtwechsel 1950 behandelt. Daraufhin wird die Regierungszeit von Adnan Menderes ab 1950 - 1960 in den Mittelpunkt der Arbeit gestellt. Zum Schluss wird der Putsch vom 27. Mai 1960 erforscht und ein kurzer Überblick über die Standpunkte der nachfolgenden Regierungen über Menderes und die DP nach deren Hinrichtung 1961 mitgeteilt.
Am 7. Juni 1945 erstellte eine Gruppe aus vier Abgeordneten der Volkspartei CHP die sogenannte dörtlü takrir („Viererdenkschrift“).1 In dieser forderten die Abgeordneten Celal Bayer, Adnan Menderes, Refik Koraltan und Fuad Köprülü neben der Einhaltung demokratischer Werte auch die Einführung eines Mehrparteiensystems. Ihr Vorschlag wurde wenige Tage später von der CHP abgelehnt.2 Als am 7. Januar 1946 beim türkischen Innenministerium der Antrag zur Gründung einer neuen Partei gestellt wurde, konnte noch niemand vorausahnen, dass diese das Politikgeschehen der nächsten 15 Jahre beherrschen sollte. Die Demokrat Partisi (Demokratische Partei) unterlag bei der vorgezogenen Neuwahl ein Jahr später noch der kemalistischen CHP, welche die Wahl mit 395 Sitzen für sich entscheiden konnte. Die vorerst 65 Sitze für die DP3 konnten ihren Aufstieg jedoch nicht bremsen. In ihrem Parteiprogramm forderten Sie eine Liberalisierung des Laizismus, die Förderung der Landwirtschaft und eine Erhöhung des Lebensstandards. Die Bevölkerung, die mit der momentanen Politik der CHP, die seit 27 Jahren regierte, unzufrieden war, erhoffte sich von der neuen Partei einen neue politische Richtung. So schafften Sie es schlussendlich bei der kommenden Wahl vom 14. Mai 1950 mit 54,91% die absolute Mehrheit im Parlament zu erringen.4 Nach den Wahlen ernannte die DP Celal Bayar zum Präsidenten der Republik. Adnan Menderes wurde die Rolle des Premierminister und Parteivorsitzenden zu teil. Von Beginn an misstraute die DP dem Militär, dass Sie von ihren Vorgängern, der CHP geerbt hatten.5 Dieses Misstrauen wuchs auf Gegenseitigkeit. Das Militär, das stark kemalistische Werte vertrat, misstraute mit der Zeit immer mehr dem stringenten Führungsstil der Regierung. Mindestens bis 1953 hatte die DP das Militär allerdings auf ihrer Seite.6 Schlussendlich zeigte sich auch in den Jahren 1950 bis 1958, dass durch die landwirtschaftlichen Reformen, deren Produktion um 50% anstieg. Mit dem Bau von gepflasterten Straßen, wurden erstmals tausende von Dörfern mit dem Markt verbunden. Die neue Regierung versetzte den einstigen Schwerpunkt der CHP, die Wirtschaft auf Stadt und Industrie zu setzen, hin zu einer zu einer neuen Verwaltung der Interessen des ländlichen Raumes.7 Somit zeigt sich während der Regierungszeit Menderes eine starke wirtschaftliche Ausrichtung auf die Landwirtschaft. Dazu wurden den Landwirten günstige Kredite zur Verfügung gestellt, womit wiederum importierte Maschinen, wie Traktoren finanziert wurde. Deren Zahl wuchs in den ersten Jahren der 1950er Jahre von 1750 auf über 30.000 Stück.8 Der wirtschaftliche Aufschwung war allerdings nach drei Jahren schon vorbei. Die Strategie der Türkei während des Kalten Krieges auf dem internationalen Markt sich Geld zu borgen, sorgte am Ende der Regierung Menderes im Jahr 1960 für Schulden in Höhe von 1,5 Billionen US-Dollar. Das Wirtschaftswachstum verringerte sich von 13 auf nur noch 4%. Das ständige Leihen des Staates bei der Zentralbank führte schlussendlich zu einer Inflation, die von 3% im Jahr 1950 auf 20% im Jahr 1957 führte.9 Neben diesen wirtschaftlichen Schwerpunkten setzte die Regierung ihr Augenmerk auf eine stärkere Betonung der Religion. Durch eine Verfügung vom 24.06.1950 wurde entschieden, dass der Gebetsruf, welcher fünfmal täglich vom Minarett getätigt wird, nun wieder in arabischer Sprache gerufen werden durfte.10 Allerdings war der Kurs der DP nicht unbedingt einheitlich. Während die vier weiblichen Abgeordneten sogar ein gesetzliches Schleierverbot erwirken wollte, vertrat Menderes eine ganz eigene Meinung. Im Jahr 1956 sprach er in Konya bei einem Auftritt davon, den Religionsunterricht an Mittelschulen einzurichten, und die Gehälter der Imame zu erhöhen. Laut ihm können Religiöse und weltliche Fragen niemals voneinander getrennt beantwortet werden.11 Trotzdem lässt sich in der bürgerlichen Gesellschaft der 1950’er Jahre in der Türkei ein starker Hang zum westorientierten, amerikanischen Lebensstil erkennen. Deren Mitglieder kleideten sich modisch, trugen Sonnenbrillen und fuhren amerikanische Autos.12 Das lässt sich auch damit erklären, dass unter der Menderes-Ära Im Jahr 1952 die Türkei in die NATO aufgenommen wurde. Zur gleichen Zeit wurde auch Griechenland ein Teil von ihr.13 Seit dem Unabhängigkeitskrieg 1919-22 waren die Spannungen zwischen den beiden Ländern zu spüren. Für die Türkei war das Ende des Krieges der Beginn der Unabhängigkeit und für Griechenland war es die „kleine Asien- Katastrophe“.14 Somit gab es seit Beginn der Türkischen Republik ein Spannungsverhältnis beider Länder. Nach Menderes Wahlerfolg in der Wahl 1954 zeichnete sich die Politik der DP zunehmend autoritärer aus. Durch die Beschränkung der Ausübung des Beamtenberufes, ebenfalls bei Richtern und Professoren, konzentrierte sich die Macht der DP fortan nicht nur auf die Exekutive, sondern sie konnten auch die Judikative stärker kontrollieren.15 Als am 6. September 1955 die Nachricht eintraf, dass Atatürks Geburtshaus in Thessaloniki mit einer Bombe angegriffen worden sei,16 führte dies zu Ausschreitungen in Istanbul. Vorausgegangen war der Konflikt über die zukünftige Zugehörigkeit Zyperns zwischen der Türkei und Griechenland. Dies führte zu nationalistischen Tendenzen, welche durch die türkische Presse noch verstärkt wurden. Nach dem Bombenanschlag am 6. September kam es insbesondere in Istanbul zu MenschenanSammlungen. Menderes und der Außenminister Fatin Rüstü Zorlu entschieden, eine limitierte Anzahl von Demonstrationen zuzulassen, um die öffentlichen Gefühle der Türken über die Zypernfrage auszudrücken. Diese Demonstrationen nahmen allerdings so schnell überhand, so dass diese zu einem Pogrom gegen die griechische Bevölkerung führten.17 Als sich am Nachmittag erste Demonstrationen in Taksim in Istanbul bildeten, begannen einige Gruppen damit, Fenster und Einkaufsländen von Eigentümern der nicht-muslimischen Minderheiten mit Steinen zu bewerfen. Kurz daraufhin wurden auch Kirchen, Läden und Häuser angegriffen, von denen man wusste, dass diese im Besitz von Nicht-Muslimen waren. Durch die Krawalle, bei denen ca. 100.000 Personen teilnahmen, wurden neben 4214 Häusern und 73 Kirchen auch über 1000 Arbeitsplätze zerstört. Dabei gehörten 80% der zerstörten Häuser Mitgliedern der griechisch-orthodoxen Gemeinde.18 Der autoritäre Kurs der Regierung setzte sich auch nach den Pogromen durch. 1956 erlaubte ein neues Pressegesetz mehr Einfluss durch die Regierung. Aufgrund eines wirtschaftlichen Abschwungs, war die Regierung außerdem dazu gezwungen für das Jahr 1957 Neuwahlen vorzuziehen, in welcher die DP ihre absolute Mehrheit verlor. Sie ging daraufhin eine Koalition mit der CHP ein.19 Mit dieser Wahl erlangte die CHP ihr Vertrauen beim türkischen Volk zurück. Die CHP warf der Regierung außerdem Wahlmanipulation vor. Die DP wiederum ging mehr und mehr in die Defensive. Für sie war es ein Hohn, dass die Opposition behauptete, die DP würde nicht den Willen der Mehrheit widerspiegeln. Gleichzeitig sanken auch die Beliebtheitswerte der DP rasant. Mit der Aussage von Menderes 1958, dass die DP mitnichten vor dem Aus stehe, sorgte er bei den Wählern und der Opposition für die Annahme, dass seine Partei niemals freiwillig die Regierung verlassen würde. Gleichzeitig griffen sie die CHP stark an und behaupteten, dass diese auch gewillt sei auch mit revolutionären Mitteln an die Macht zu kommen. Die DP schränkte die Pressefreiheit mit weiteren Gesetzen ein und griff zu immer stärkeren Polizeikontrollen.20 Schon im Jahr 1958 zeichnete sich ab, dass es ebenfalls zwischen Regierung und Militär größere Differenzen gab. So sorgte im Dezember 1957 ein Komplott von neun Offizieren, die gegen die Regierung putschen wollten, für erste Warnhinweise, dass die Regierung ihr Militär nicht mehr unter Kontrolle hat.21 Der Konflikt zwischen der Regierung und Opposition und Militär sorgte dafür, dass sich die Lage 1960 immer weiter zuspitzte. Am 17. April 1960 erklärte der ehemalige Präsident Ismet Inönü einer Gruppe von hochrangigen Offizieren, dass es nun an ihnen liege, „die Ideale des türkischen Fortschritts zu wahren.“22 Ismet Inönü war nach dem Tod Atatürks zum Staatschef ernannt worden. Er blieb bis zur Wahl der DP 1950 im Amt.23 Inönü war Anfang April 1960 auf einer Reise in die Ägäis attackiert worden. In diesem Gebiet genoss die DP hohe Wahlergebnisse. Später war er auf dem Weg nach Kayseri, als ihn das Militär zunächst, auf Geheiß der Regierung, daran hindern sollte, weiterzureisen. Nachdem sich Inönü weigerte zu gehen, ließen ihn die Truppen trotzdem passieren.24 Am Anfang des Jahres 1960 war das Militär also nicht mehr der Regierung treu und solidarisierte sich mit der Opposition. Das führte schlussendlich zum Putsch am 27. Mai 1960, welcher im nächsten Unterkapitel weiter analysiert wird.
Am 18. April gab es im Parlament in Ankara eine lange Diskussion über den Antrag der DP, eine Kommission einzurichten, die die Aktivitäten der CHP fortlaufend überwacht. Nach ersten Handgreiflichkeiten und Raumverweisen verließ Ismet Inönü, geschlossen mit allen anderen Abgeordneten der CHP, den Saal. Nach der darauffolgenden Zustimmung durch das Parlament, wurde die Kommission sofort gegründet. Sie ließen sofort verkünden, dass von nun an alle politischen Aktivitäten im Volk suspendiert sind und jegliche Berichterstattung über die neue Kommission untersagt sind. Der Unmut über dieses neue Gesetz ließ insbesondere bei der intellektuellen Oberschicht nicht lange auf sich warten. Am 28. Und 29. April ereigneten sich blutige Auseinandersetzungen in der Universität in Ankara und Istanbul. In Istanbul wollte ein Dozent mit seinen Studenten über die Verfassung sprechen. Laut ihm sei das nun allerdings verboten, weshalb er sie gleich am Anfang vom Unterricht wieder entließ. Das führte zu Unruhen und dazu, dass einige Studenten die Polizei riefen. Deren gewaltsames Durchgreifen führte zu weiteren Tumulten in Istanbul als auch in Ankara. An der Universität Ankara fand am nächsten Morgen dasselbe Schauspiel statt. Die Studenten der politikwissenschaftlichen und juristischen Fakultät bewaffneten sich mit Steinen und Feuerwerfen gegen die Po- lizei.25 Zum Anfang Mai 1960 hatte die Regierung Menderes ihr Vertrauen in der türkischen Bevölkerung also komplett verspielt. Als Anfang Mai die NATO-Konferenz in Istanbul abgehalten wurde, erlies die türkische Regierung für diesen Tag eine Ausganssperre. Deshalb waren alle Straßen gesäumt von Soldaten.26 Mitte Mai setzte die neu eingerichtete Kommission ihren Kurs fort und planten die Inhaftierung großer Gruppen von Professoren und CHP-Abgeordneter. Noch am 25. Mai erklärte Menderes, dass die Kommission ihre Arbeit bereits innerhalb eines Monats abgeschlossen hat (eigentlich waren drei Monate geplant).27 Zwei Tage später, am 27. Mai 1960 geschah nun das, was sich schon seit Monaten angedeutet hatte, das Militär putschte. Am frühen Morgen dieses Tages, erklärte Oberst Alpaslan Türke? per Liveübertragung im Radio, dass das Militär die Kontrolle übernommen hat.28 Türke? war eine charismatische Figur, viel belesener als die anderen Putschisten mit exzellenten Kenntnissen im Englischen. Während des Putsches und auch in den Monaten danach wirkte er als Berater für den Präsidenten der Putschisten, Cemal Gürsel, ein und hatte somit einen großen Einfluss auf das gesamte Geschehen im Land.29 Am 27. Mai 1960 verkündete er im Radio:
„Ehrenwerte Landsleute: Um für die Krise, in die die Demokratie unseres Landes gekommen ist, eigenverantwortlich zu handeln, und auch um Brudermorde zu verhindern, haben die türkischen Streitkräfte die Verwaltung des Landes übernommen.“30
Weiterhin erklärte er, dass die Macht nun im Komitee der Nationalen Einheit (Millî Birlik Komitesi) liege, welches von General Gürsel geleitet wurde. Einen Tag nach der Ansprache wurden Gürsel außerdem die Rolle des Regierungsoberhauptes, des Premierministers und des Verteidigungsministers zuerkannt, wodurch er sogar mehr Macht hatte, als Atatürk sie je besaß.31 Menderes ist noch am 27. Mai in Kütahya verhaftet worden. Einen Tag danach wurde die Aktion der MBK auch vom höchsten Gremium der Istanbuler Universität für rechtens befunden.32 Während jedoch in Istanbul und Ankara unter kemalistischen Kreisen der Putsch begrüßt worden ist, so sah das in den ländlichen Teilen des Landes komplett anders aus, in denen Menderes immer starke Ergebnisse erzielte. Hier blieben alle ungewöhnlich ruhig. Am Tag des Putsches beauftragte die MBK fünf Professoren der Istanbul Universität damit, eine neue Verfassung zu er- stellen.33 Die MBK wollte mit dieser Verfassung die Gründung einer Zweiten Republik erreichen. Die Professoren sendeten den Verfassungsentwurf den Offizieren im Oktober zu.34 Wichtige Punkte der Verfassung, die aufgegriffen werden sollten, waren unter anderem Maßnahmen, die verhindern sollten, dass die Religion zur Ausnutzung missbraucht wird. Auch die Kürzung der Zeitungen auf dem freien Markt wurde verboten. Dazu sollten neue Entscheidungen über zu bauende Stahlwerke und andere Projekten gefällt werden.35 Der Staatsstreich selbst war von den Putschisten seit Jahren geplant worden. Für den Erfolg war insbesondere wichtig, dass sich deren Mitglieder in Führungspositionen des Militärs gebracht haben. Zum anderen war wichtig, dass sie einen hochrangigen Offizier als Führungsperson der Gruppe gefunden haben, der die Unterstützung der übrigen Streitkräfte organisieren konnte. Dieser war Cemal Gürsel.36 Die Putschisten reklamierten, dass die neue Verfassung die Regierungsgewalt wieder unter Kontrolle des Gesetzes und des Volkswillen setzten soll. Damit sollten die Werte, Rechte und Freiheiten des Individuums, die Atatürk mit der Gründung der Republik hervorgebracht habe, aufrechterhalten bleiben und der säkuläre Charakter der Türkei geschützt werden.37 Dabei muss aber beachtet werden, dass die Putschisten besonders aber aus ideologischer Natur handelten. Wie Türkei waren es ausnahmslos Männer, die ihre prägende Zeit im Militär zur Zeit des Kemalismus erlebt haben und die alles dafür getan hätten, um das Vermächtnis Atatürks zu bewahren.38 Als im Oktober die Verfassung vom Regime zu einer Verfassungsgebenden Versammlung weitergeleitet wurde, bestand diese Versammlung zum einen aus dem Oberhaus, der MBK und dem Unterhaus, Mitgliedern der verbliebenen Parteien. Dazu muss erwähnt werden, dass die DP selbst noch am 31. August 1960 verboten wurde.39 Ab Oktober des Jahres folgte ebenfalls der Beginn der Gerichtsverhandlungen gegen die ranghöchsten Mitglieder der DP auf Yassiada.40 Im kommenden Unterkapitel werden deshalb nun auch die Gerichtsprozesse und deren Urteile weiter analysiert.
Direkt nach dem Putsch sind eine große Zahl von Mitgliedern der Menderes-Regierung inhaftiert und auf der Insel Yassiada, auf dem Marmarameer neben Istanbul, weggesperrt worden.41 Auf dieser Insel hatte die gestürzte Regierung viele schöne Abende erlebt. Und genau hier sollte nun ab dem 14. Oktober 1960 insgesamt 592 angeklagten Mitgliedern der Prozess gemacht werden. Dazu gehörten unter anderem Präsident Celal Bayar, Premierminister Adnan Menderes und auch Refik Koraltan.42 Dabei wurde eine große Zahl von Anklagepunkten erhoben. Neben Mord, Machtmissbrauch und verfassungswidrigen Handlungen gegen die Opposition, waren auch die Pogrome vom 6. und 7. September 1955 genannt. Ebenfalls wurde den Angeklagten bei der Wahl 1957 Wahlmanipulation vorgeworfen. Auch das Heranziehen der Religion aus parteipolitischen Erwägungen war ein Anklagepunkt.43 Während des Prozess wurden über 1.000 Zeugen gehört. Viele von ihnen direkte Augenzeugen bei den zu Anklage stehenden Ereignissen.44 Unter den Angeklagten herrschte eine gebrochene Moral gepaart mit dem Gefühl der Angst vor einem Todesurteil. Diese Angst lag darin begründet, da das Regime ein Bedürfnis nach Blutvergießen zu Grunde lag. Das drückte sich im Prozess auch in Form von Übertreibungen aus.
Bei den Ereignissen in den Universitäten Istanbul und Ankara sollen mehrere hunderte Leute getötet worden sein. Ihre Leichen seien für Dünger zermahlen oder in Kühlschränken versteckt worden.45 Diese polemische Übertreibungen zeigen, dass es dem Regime wichtig war, die DP in ein schlechtes Bild zu rücken. In der Zwischenzeit hatte das Militärregime die türkische Bevölkerung zur Wahl aufgerufen. Am 9. Juli 1961 fand ein Verfassungsreferendum statt, in welchem das Volk entweder zustimmen oder ablehnen konnte. Schlussendlich wurde diese mit 61,7% von den Wählerinnen und Wählern angenommen. In den westlichen Provinzen an der Küste, in denen Menderes vor 1960 am Stärksten abschnitt, wurde die Verfassung in 11 Wahlkreisen abgelehnt.46 Adnan Men- deres selbst war bei den Verhandlungen in mehreren Punkten angeklagt. Im September 1955, soll er zu den Unruhen gegen die Istanbuler Griechen angestiftet haben und verfassungswidrig für seine eigenen parteipolitischen Ziele den Staatsfunk missbraucht haben und es wiederum gleichermaßen der Opposition verboten haben. Im türkischen Strafgesetzbuch ist unter §146 geregelt, dass für einen Verfassungsbruch die Todesstrafe verhängt werden soll.47 Die Klageschrift nennt mehrere Radioausschnitte, aus denen ersichtlich sei, dass die DP die Verfassung missbraucht habe.
„Radioausschnitte vom 10. - 14.08. 1959: Wieder wurden die Vertreter der Volkspartei verspottet und beschuldigt (...) mit Feinden der Nation zu kollaborieren. Außerdem griffen sie auch die Person Kasim Gülekin (CHP) an.“48 49 50
[...]
1 Vgl. Kreiser, Klaus: Geschichte der Türkei: von Atatürk bis zur Gegenwart. München 2012, S. 80.
2 Vgl. Pelt, Mogens: Military intervention and a crisis of democracy in Turkey: The Menderes Era and its Demise. New York 2014, S. 11.
3 Vgl. Kreiser, Klaus: Geschichte der Türkei: von Atatürk bis zur Gegenwart, S. 80-81.
4 Vgl. Kurt, Cahit: Die Türkei auf dem Weg in die Moderne: Bildung, Politik und Wirtschaft vom Osmanischen Reich bis heute. Frankfurt am Main 1989, S. 294.
5 Vgl. Zürcher, E. J.: Turkey, A modern history. New York, London 2017, S. 223.
6 Vgl. Kreiser, Klaus: Geschichte der Türkei: von Atatürk bis zur Gegenwart, S. 89.
7 Vgl. Pelt, Mogens: Military intervention and a crisis of democracy in Turkey: The Menderes Era and its Demise, S. 17-18.
8 Vgl. Zürcher, E. J.: Turkey, A modern history, S. 226.
9 Vgl. Zürcher, E. J.: Turkey, A modern history, S. 230.
10 Vgl. Kurt, Cahit: Die Türkei auf dem Weg in die Moderne: Bildung, Politik und Wirtschaft vom Osmanischen Reich bis heute, S. 296.
11 Vgl. Kreiser, S. 88.
12 Vgl. Zürcher, S. 231.
13 Vgl: Pelt, Mogens: Military intervention and a crisis of democracy in Turkey: The Menderes Era and its Demise, S. 93.
14 Vgl. Ebd., S. 92.
15 Vgl. Zürcher, S. 233.
16 Vgl. Mogens, S. 103.
17 Vgl. Zürcher, S. 233.
18 Vgl. Mogens, S. 105.
19 Vgl. Zürcher, S. 234.
20 Harris, George S.: The Causes of the 1960 Revolution in Turkey. In: The Middle East Journal, 24. Jhg. Nr. 4. Washington 1970, S. 444-445.
21 Vgl. Zürcher, S. 241.
22 Mogens, S. 166.
23 Vgl. Kreiser, S. 64.
24 Vgl. Zürcher, S. 242.
25 Vgl. Weiker, Walter F.: The Turkish Revolution 1960-1961. Aspects of Military Politics. Washington 1967, S. 15-16.
26 Vgl. Mogens, S. 172.
27 Vgl. Weiker, Walter F.: The Turkish Revolution 1960-1961. Aspects of Military Politics, S. 19-20.
28 Vgl. Zürcher, S. 244.
29 Vgl. Ebd., S. 245.
30 Mogens, S. 187.
31 Vgl. Zürcher, S. 245.
32 Vgl. Kreiser, S. 89-90.
33 Vgl. Mogens, S. 188.
34 Vgl. Kreiser, S. 90.
35 Vgl. Weiker, S. 22.
36 Vgl. Zürcher, S. 244.
37 Vgl. Mogens, S. 189.
38 Vgl. Kreiser, S. 90.
39 Vgl. Mogens, S. 188
40 Vgl. Ebd., S. 200.
41 Vgl. Ebd., S. 196.
42 Vgl. Weiker, S. 26.
43 Vgl. Kreiser, S. 90.
44 Vgl. Weiker, S. 27.
45 Vgl. Mogens, S. 198 - 199.
46 Vgl. Zürcher, S. 249.
47 Vgl. Mogens, S. 203.
48 Kararlari, Yüksek Adalet Divani. "istanbul-Yassiada (14 Ekim 1960-15 Eylül 1961)" Kabalci Yayinevi. istanbul 2007, S. 685.
49 Vgl. Kreiser, S. 91.
50 Vgl. Mogens, S. 205-206.