Bachelorarbeit, 2018
52 Seiten, Note: 1,3
1 Einleitung
2 Traumapädagogik
2.1 Definition Trauma
2.2 Traumafolgestörungen
2.3 Definition Traumapädagogik
2.4 Ziele und Aufgaben der Traumapädagogik
2.5 Grundbedürfnisse traumatisierter Kinder und Jugendlicher
2.5.1 Orientierung/Kontrolle und Sicherheit
2.5.1.1 Regeln und Strukturen
2.5.1.2 Der sichere Ort
2.5.2 Lustgewinn/Unlustvermeidung durch neue Erfahrungen
2.5.3 Selbstwerterleben/Selbstbemächtigung
2.5.4 Bindung und Beziehungen
2.6 Arbeitsfelder der Traumapädagogik
2.7 Beispiel: Arbeitsfeld Schule
3 Tiergestützte Pädagogik
3.1 Definition und begriffliche Abgrenzung Tiergestützter Pädagogik
3. 2 Mögliche Praxisfelder Tiergestützter Pädagogik
3.3 Beispiele Tiergestützter Pädagogik und ihre Wirkung auf traumatisierte Kinder und Jugendliche
3.3.1 Beispiel Esperanza- Zentrum für Tiergestützte Pädagogik: Eine Einrichtung der Jugendhilfe
3.3.2 Beispiele Tiergestützter Pädagogik in der Schule
3.3.2.1 Unterstützung traumatisierter Kinder durch Hunde in der Schule
3.3.2.2 Konzept der Tiergestützten Heilpädagogik - TGHP von Andrea Vanek-Gullner
4 Fazit
Literaturverzei chnis
Internetquellen
Traumatisierte Kinder und Jugendliche haben eine schwere Last mit sich zu tragen, was sich oft im Verhalten widerspiegelt (vgl. Gahleitner/Schmid 2017, S.280).1 Seit drei Jahrzehnten gewinnen die Erkenntnisse der Psychotraumatologie2 an Bedeutung (vgl. Kühn 2017, S.19) und bei psychisch oder sozial verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen wird vermehrt die Möglichkeit einer Traumatisierung mit in Betracht gezogen (vgl. Neudecker 2015, S.76). Auch in der Pädagogik spielen belastende Lebenserfahrungen in der Vorgeschichte der betroffenen Person mittlerweile eine große Rolle (vgl. ebd., S.78). In den letzten zehn Jahren hat sich somit der Fachbereich der Traumapädagogik entwickelt (vgl. ebd., S. 76). Diese steht noch in ihren Anfängen (vgl. Zim- mermann/Rosenbrock/Dabbert 2017, S.15). Sie baut auf den Erkenntnissen der Psychotraumatologie auf und entwickelt auf deren Basis und durch die Evaluation eigener traumapädagogischer Konzepte durchgehend weitere Konzepte und Möglichkeiten zur Unterstützung traumatisierter Kinder und Jugendlicher in der pädagogischen Arbeit (vgl. Gahleitner/Schmid 2017, S.281). Eine mögliche Unterstützung wurde bisher kaum mit einbezogen, könnte jedoch durchaus helfen: die Tiergestützte Pädagogik. Seit einiger Zeit werden immer mehr Tiere in die pädagogische Arbeit integriert, wie z.B. am vermehrten Einsatz von Tieren verschiedenster Art in der Schule erkennbar wird (vgl. Vemooij/Schneider 2013, S.166 ff.). Bisher ist die Tiergestützte Pädagogik jedoch kein offizielles Fachgebiet in Deutschland (vgl. ebd., S.34) und die Effektivität wird von einigen Seiten immer noch angezweifelt (vgl. ebd., S.156). Dies und die mangelnde Forschung (vgl. Strunz 2016, S.3) könnten Gründe dafür sein, warum wenig Literatur auffindbar war, welche in der Traumapädagogik den möglichen Einsatz von Tieren behandelt. Bis auf eine Masterarbeit, die 2014 veröffentlicht wurde (vgl. Christiansen 2014), war keine Quelle auffindbar, in der detaillierter auf den Einsatz von Tieren in der Traumapädagogik eingegangen wurde. Die Psychotherapeutin und klinische Sozialarbeiterin Silke Gahleitner hat in ihrem Sammelband einen Aufsatz mit einbezogen, in dem in einem kurzen Unterkapitel die Tiergestützte Intervention in Zusammenarbeit mit Traumapädagogik angesprochen wird (vgl. Gahleitner/Andrea de Hair u.a. 2017, S.271 ff.) und auch der Diplom-Psychologe Marc Schmid hat in einem Aufsatz von 2007 erwähnt, dass es sinnvoll sein kann, Tiere in die pädagogische Arbeit mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen einzubeziehen (vgl. Schmid/Wiesinger u.a. 2007, S.344). Beide beschäftigen sich schon länger intensiv mit der Traumapädagogik und sorgen gemeinsam mit einigen anderen Autorinnen, wie bspw. Wilma Weiß und Martin Kühn, seit ca. 20 Jahren dafür, also auch schon als sie noch kein offizielles Fachgebiet war, dass die Traumapädagogik in ihren Informationen regelmäßig aktualisiert wird (vgl. Weiß 2004; Weiß 2009; Weiß/Gahleitner u.a. 2016; Gahleitner/Hensel u.a. 2017; Kühn 2009, Kühn 2017; Schmid/Wiesinger u.a. 2007; Schmid 2013). Sie gehen jedoch nicht detaillierter auf den Einsatz von Tieren in der Traumapädagogik ein.
In der Tiergestützten Pädagogik sind als Hauptakteur*innen vor allem Monika A. Ver- nooij, Silke Schneider, Carola Otterstedt und Angelika Strunz zu erwähnen, von denen jedoch keine Autorin eine direkte Verbindung zu traumatisierten Kindern und Jugendlichen erstellt hat (vgl. Vemooij/Schneider 2013; Olbrich/Otterstedt 2003; Otterstedt 2017; Strunz 2011; Strunz2016).
Wie an den Quellen sichtbar wird, sind sowohl die Traumapädagogik als auch die Tiergestützte Pädagogik noch junge und aktuelle Forschungsfelder, was sie zu relevanten Themengebieten für die Gegenwart macht. In dieser Bachelorarbeit sollen beide Felder zusammengeführt werden. Die Arbeit soll zeigen, wie hilfreich die Tiergestützte Pädagogik im Umgang mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen sein kann. Mit einem texthermeneutischen Vorgehen werden die Felder Traumapädagogik und Tiergestützte Pädagogik vorgestellt und schließlich miteinander verknüpft. Die Leitfrage dabei lautet: Worin liegt der Nutzen der Tiergestützten Pädagogik für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Traumapädagogik?
Zuerst wird dafür in Kapitel 2 das Thema der Traumapädagogik präsentiert. Dabei wird zur Grundlage in Kapitel 2.1 der Begriff Trauma kurz definiert und in Kapitel 2.2 aufgezeigt, welche Folgestörungen dabei auftreten können, denn um die darauffolgenden Kapitel und das Vorgehen der Traumapädagogik zu verstehen, ist es notwendig, mögliche Ursachen, Auslöser und Symptome von Traumata zu kennen.
In Kapitel 2.3 wird näher auf die Traumapädagogik eingegangen, das heißt darauf, was unter ihr zu verstehen ist, welche Bereiche sie beinhaltet und was der Unterschied zur Traumatherapie ist. Im darauffolgenden Kapitel 2.4 wird näher auf die Ziele und Aufgaben der Traumapädagogik eingegangen, denen nachgegangen werden muss, um die Grundbedürfnisse traumatisierter Kinder und Jugendlicher möglichst gut zu befriedigen und sie dadurch im Umgang mit ihren belastenden Lebenserfahrungen zu unterstützen und möglicherweise auch ihre Lebensqualität zu erhöhen. Die Grundbedürfnisse werden in mehreren Unterkapiteln präsentiert und umfassen in Kapitel 2.5.1 Orientierung/Kon- trolle und Sicherheit, gegeben durch Regeln und Strukturen in Kapitel 2.5.1.1, sowie durch den sicheren Ort in Kapitel 2.5.1.2, und beinhalten des weiteren Lustgewinn/Un- lustvermeidung in Kapitel 2.5.2, sowie Selbstwerterleben/ Selbstbemächtigung in Kapitel 2.5.3 und schließlich Bindung und Beziehungen in Kapitel 2.5.4. Welche alltäglichen Bereiche im pädagogischen Kontext von diesen Grundbedürfnissen betroffen sind, wird durch die Arbeitsfelder der Traumapädagogik in Kapitel 2.6 gezeigt. Um die möglichen Auswirkungen eines Traumas auf den Alltag von Kindern und Jugendlichen zu verdeutlichen, wird in Kapitel 2.7 näher auf das Arbeitsfeld Schule als Beispiel eingegangen. Da die Schule, wie bereits erwähnt, ein pädagogischer Bereich ist, in dem immer häufiger Tiere eingesetzt werden, findet hier die Überleitung zur Tiergestützten Pädagogik statt. Als Grundlage wird die Tiergestützte Pädagogik in Kapitel 3 zuerst eingeleitet und in Kapitel 3.1 definiert und begrifflich abgegrenzt zu anderen Formen von Tiergestützter Intervention. Im darauffolgenden Kapitel 3.2 werden die möglichen Praxisfelder der Tiergestützten Pädagogik thematisiert und einige davon in den Kapiteln danach anhand von Beispielen vertieft. In den Beispielen von Kapitel 3.3 wird begonnen, die Tiergestützte Pädagogik mit der Traumapädagogik in Zusammenhang zu bringen und es wird gezeigt, welche positiven Wirkungen Tiere auf Kinder und Jugendliche haben können und inwiefern diese im Umgang mit Traumata sowie bei deren Bearbeitung helfen können. Zuerst wird in Kapitel 3.3.1 ein Fallbeispiel von einer Einrichtung der Jugendhilfe in Österreich namens „Esperanza- Zentrum für Tiergestützte Pädagogik“ beschrieben. Dabei wird gezeigt, wie die Arbeit mit Tieren für junge Menschen in einer stationären Jugendhilfe bei der psychischen und sozialen Entwicklung helfen kann. Laut Untersuchungen in Deutschland und der Schweiz aus dem Jahr 2010 sind über 75 Prozent der Mädchen und Jungen aus der stationären Jugendhilfe traumatisiert (vgl. Weiß 2011, S. 260), was den hier dargestellten Fall aus der Jugendhilfe zu einem noch repräsentativeren und somit relevanteren Beispiel macht.
In Kapitel 3.3.2 wird auf das Gebiet Schule eingegangen, welches vorher schon mit Traumapädagogik in Verbindung gebracht wurde und nun auch im Kontext der Tiergestützten Pädagogik thematisiert wird. Dabei werden einige Beispiele präsentiert, zuerst in Kapitel 3.3.2.1, bei denen die Zusammenarbeit mit Hunden in der Schule positive Effekte erzielt hat und es wird auf dieser Basis thematisiert, wie die Probleme von Traumata im Schulalltag, welche in einem vorherigen Kapitel aufgezeigt wurden, durch Unterstützung von Tieren bewältigt oder zumindest reduziert werden könnten. Besonders gut wird dies anhand des Beispiels der Lehrerin Andrea Vanek-Gullner in Kapitel 3.3.2.2 sichtbar, die mit dem selbst erarbeiteten Konzept der Tiergestützten Heilpädagogik anhand einer Studie die Hilfe von Hunden für verhaltensauffällige Kinder nachgewiesen hat (vgl. Vanek-Gullner 2003/2011).
In den Beispielen wird hauptsächlich auf die Möglichkeiten des Einsatzes der Tiergestützten Pädagogik im Kontext mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen eingegangen. Dass es dabei auch Grenzen gibt, wird in Kapitel 4, dem Fazit, erläutert. Dort wird ein Überblick geschaffen, indem die erarbeiteten Möglichkeiten zusammengefasst und Grenzen dazu aufgezeigt werden.
Manchmal wird aufgrund der Leserlichkeit nur der Begriff Kinder oder Jugendliche verwendet, es sind aber immer beide gemeint, wenn nicht explizit auf eins von beidem hingewiesen wird. Obwohl das Alter laut einigen Fachwissenschaftler*innen bei Traumatisierungen eine Rolle spielt (vgl. Hermsen 2017, S.ll; vgl. Landoldt/Hensel 2008, S.17), werden Jugendliche und Kinder ohne Begründung im Großteil der angewandten Quellen zu Traumapädagogik nicht unterschieden. Ein Grund dafür könnte sein, dass noch nicht genug Studien und Forschungen existieren, um Altersklassen deutlich unterscheiden zu können, da Traumapädagogik ein junges Fachgebiet ist. Eine Abspaltung der Diagnose „Traumatisierung“ vom Kinder-und Jugendalter zum Erwachsenenalter existiert bisher auch nur stellenweise, wie in Kapitel 2.1 am Beispiel der ICD-103 deutlich werden wird. In Zukunft sollte mehr differenziert geforscht werden, denn viele Faktoren, die in die Traumatisierung hineinspielen, verändern sich mit dem Alter und den dazugehörigen Umständen, wie in dieser Arbeit deutlich werden wird. Mit Personen oder Menschen sind immer Kinder und Jugendliche gemeint, wenn nicht explizit auf Erwachsene hingewiesen wird.
In den Quellen werden häufig keine geschlechtlichen Unterschiede gemacht, was in den Zitaten erkennbar wird. Aufgrund der Leserlichkeit wird die fehlende Genderung in den Zitaten nicht als Fehler angemerkt, sondern so stehen gelassen. Im restlichen Text wird geschlechtergerechte Sprache angewendet.
Um das Thema Traumapädagogik behandeln zu können, ist es zunächst wichtig, zu definieren, was ein Trauma ist. Die Probleme, die Menschen dadurch erleiden, werden in dem Kapitel Traumafolgestörungen präsentiert.
Der Begriff des Traumas lässt sich weit ausführen und wird von unterschiedlichen Expertinnen verschieden beschrieben. Bisher gibt es keine allgemeingültige Definition (vgl. Zimmermann 2015, S.92). Jedes Fachgebiet hat eigene Definitionen, wie zum Beispiel die Medizin, Biologie und Psychologie (vgl. Weiß 2004, S.17).
Da die Begriffsdefmition des Traumasjedoch nicht den Schwerpunkt dieser Arbeit bildet, folgt eine Arbeitsdefmition, die für die Beantwortung der Fragestellung zielführend ist. Dabei handelt es sich um eine ausschließliche Definition für psychische Traumata. Der Ausdruck Trauma stammt aus dem Griechischen und bedeutet Wunde (vgl. Weiß 2004, S.17). Bausum zufolge entspricht die Bezeichnung „des „Traumas“, der „tiefgreifenden seelischen Verwundung“ [...] Kinder und Jugendlicher, die durch existenzbedrohende Lebenserfahrungen den Glauben an sich selbst und an ihre Umwelt verloren haben“ (Bausum/Besser u.a. 2009, S.7).
Inwiefern dieser Glaube von Bedeutung ist und wie er (wieder) aufgebaut werden kann, wird in Kapitel 2.5.3 aufgegriffen.
Zur offiziellen Feststellung eines Traumas kann die Diagnosevorgabe der ICD10 verwendet werden, die das Trauma definiert als „ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes (kurz- oder lang anhaltend), die bei fast jedem eine tiefe Verstörung hervorrufen würde“ (Weiß 2011, 25). Allerdings ist diese Vorgabe recht allgemein gefasst.
Eine vertiefende, häufig übernommene Definition, ist die von Gottfried Fischer und Peter Riedesser (vgl. Zimmermann 2015, S,92). Sie beschreiben das Trauma als ein „vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt“ (Fischer/Riedesser 1998, S.79).
Laut dieser Definition wird die betroffene Person bei einem Trauma mit einem bedeutsamen, sie körperlich oder psychisch stark gefährdenden Ereignis konfrontiert, welches sehr große Angst auslöst, da sich die Person in dem Moment hilflos, ohnmächtig und schutzlos, fühlt. Die traumatischen Wirkungen gehen also nicht nur von dem Ereignis als solchem aus, sondern von der Relation zwischen dem Ereignis und den eigenen Möglichkeiten, sich vor diesem und seinen Folgen zu schützen oder diese zu verarbeiten. Empfindet das Individuum diese als nicht im Mindesten ausreichend, fühlt es sich hilflos und schutzlos ausgeliefert. Diese Gefühle wiederum verändern sein Selbstverständnis und sein Verständnis der Welt als sicherem Ort. Dies bringt nachwirkende Veränderungen in der gesamten Lebenswahrnehmung mit sich.
Der Psychologin Dr. Kamila Jauch-Chara zufolge erleben viele Menschen im Laufe ihres Lebens traumatische Ereignisse, die sie aber mit Hilfe von Selbstheilungskräften verarbeiten können (Hermsen 2017, S.ll). Wie stark die Auswirkungen von traumatischen Erlebnissen sind, hängt nicht nur vom Ausmaß des Traumas ab, sondern auch von der jeweiligen Person und ihrer Resilienz, das heißt der Fähigkeit, das traumatische Erlebnis selbstständig und ohne psychische Schäden zu verarbeiten (vgl. ebd.). Dabei können Einflüsse wie Alter, Bildungsniveau, psychische Vorbelastungen, soziale Einbindung und das subjektive Empfinden der Bedrohungssituation eine Rolle spielen (vgl. ebd.). Jeder Mensch nimmt traumatisierende Geschehnisse anders wahr, d.h., was der eine Mensch bewältigen kann, überfordert eine andere Person, was die bzw. den einen traumatisiert, kann die bzw. der andere gut in das eigene Leben integrieren (vgl. Christiansen 2014, S.3).
Ein traumatisches Ereignis enthält also objektive und subjektive Faktoren (vgl. Krall 2007, S.9; vgl. Zimmermann 2015, S.92). Bei so vielen möglichen Einflussfaktoren und den verschiedenen Verarbeitungsweisen, sind Traumata nicht immer leicht zu diagnostizieren, wie im nächsten Kapitel anhand der Folgestörungen genauer erläutert wird. Traumata können in zwei verschiedene Traumatypen eingeteilt werden: Typ-I-Traumati- sierung ist das Schocktrauma, also einzelne Ereignisse, die aus der gewohnten Lebenssituation herausstechen (vgl. Hermsen 2017, S.ll). Beispiele dafür sind Verkehrsunfälle oder menschlich verursachte Ereignisse, wie kriminelle oder körperliche Gewalt (vgl. ebd.). Bei der Typ-II-Traumatisierung handelt es sich um traumatische Erlebnisse, die in einem Zusammenhang miteinander stehend über längeren Zeitraum wiederholt stattfm- den, z.B. schwere Misshandlungen, sexueller Missbrauch (vor allem im Kindesalter), Kriegserlebnisse, Folter und Geiselhaft (vgl. ebd.). Allerdings sind diese „klassischen traumatischen Erfahrungen“ (Hensel 2017, S.27) nicht die einzigen Ursachen, die zu psychischen Störungen mit traumatischen Symptomen führen können (vgl. ebd., S.27).
Auch Mobbing oder Ausgrenzungen können in regelmäßiger Wiederholung traumatische Symptome nach sich ziehen (vgl. ebd.).
Da es verschiedene Traumatypen gibt und die Ereignisse individuell unterschiedlich verarbeitet werden, erscheint es logisch, dass auch verschiedene Folgestörungen auftreten und individuelle Formen der Unterstützung zur ihrer Bewältigung erforderlich sind. Um angemessen mit den seelisch verwundeten Personen umzugehen, gilt es, eine Übersicht zu schaffen und die Traumafolgestörungen zu kategorisieren. Dies geschieht im folgenden Kapitel.
Es gibt verschiedene Diagnosekriterien für Traumafolgestörungen, festgelegt nach ICD- 10 (vgl. Hensel, S.30). Die diagnostizierten Folgestörungen einer belastenden Lebenserfahrung sind aufgeteilt in drei Typen: Akute Belastungsreaktion/ -Störung, Anpassungsstörung und die am häufigsten diagnostizierte, Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) (vgl. ebd.). Mögliche Symptome bei Akuter Belastungsreaktion/-störung sind generalisierte Angststörung, sozialer Rückzug, Einengung der Aufmerksamkeit, Desorientierung, Ärger, sinnlose Überaktivität und außergewöhnliche Trauer (vgl. ebd.). Diese treten direkt nach dem traumatischen Ereignis auf und verringern sich nach frühestens acht Stunden, können aber auch bis zu vier Wochen andauem (vgl. ebd.).
Bei der Anpassungsstörung ist der bzw. die Betroffene emotional durch Ängste oder depressive Symptome belastet und ist in seiner bzw. ihrer sozialen Funktionsfähigkeit eingeschränkt (vgl. Hensel, S.30). Diese Folgestörung tritt innerhalb eines Monats nach dem belastenden Ereignis auf und dauert nicht länger als sechs Monate, abgesehen von „der längeren depressiven Reaktion“ (ebd.).
Die Diagnose zur PTBS kann erst nach vier Wochen gestellt werden, wenn festgestellt werden kann, dass der Verarbeitungsprozess der traumatischen Erfahrung nicht gelungen und dass die Symptomatik chronisch ist (vgl. Hensel, S.30). PTBS entsteht durch ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalen Ausmaßes (vgl. ICD-10, F43.1 (Weltgesundheitsorganisation, S.169)). Beispiele dafür sind Naturereignisse oder durch Menschen verursachte Katastrophen, Kampfhandlungen, schwere Unfälle, Folterung, Terrorismus, Vergewaltigung oder andere Verbrechen (vgl. ebd.). Auch wenn jemand nicht selbst zum Opfer wird, aber Zeug*in von schlimmen Ereignissen, zum Beispiel des gewaltsamen Todes Anderer, kann eine PTBS entstehen (vgl. ebd.). Bei den PTBS-Symptomen gibt es eine Auftei- lung in drei Bereiche: Im ersten Symptombereich geht es um sogenannte Nachhallerinnerung bzw. Flashbacks, das sind Erinnerungen an das Trauma, die sich in ständiger Wiederholung aufdrängen, wodurch die traumatisierte Person das belastende Ereignis immer wieder erlebt (ebd.), durch Träume, Bilder, Gedanken, Gefühle und Körperemp- fmdungen (vgl. Hensel, S.31). Beim zweiten Symptombereich geht es um anhaltende Vermeidungsreaktionen gegenüber Traumahinweisreizen (vgl. ebd.). Die Person versucht bestimmte Situationen und Aktivitäten zu vermeiden, die an das traumatische Ereignis erinnern könnten und versucht, Orten und Menschen aus dem Weg zu gehen, die daran erinnern (vgl. Hermsen 2017, S.ll). Der dritte Bereich enthält Symptome wie Reizbarkeit, Aggressivität, Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten und extreme Schreckreaktionen (vgl. Hensel 2017, S.31). Ängste und Depressionen mit Suizidgedanken sowie emotionale Stumpfheit und Betäubtsein, Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen und Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber sind typische Gefühle, die eine PTBS mit sich bringt (vgl. ebd.).
Die Klassifikation von Traumafolgestörungen scheint hilfreiche Leitlinien für eine Diagnose zu geben. Dennoch sind die Diagnosekriterien nicht als einwandfrei zu betrachten und nicht immer anwendbar, da sie für Erwachsene bestimmt wurden und bei Kindern und Jugendlichen nicht immer zutreffend sind (vgl. Hensel 2017, S.31). Mädchen und Jungen, die von chronischer Gewalt und/oder Vernachlässigung betroffen waren, erfüllen zum Beispiel oft nicht die klassischen Merkmale, mit denen eine PTBS erfasst wird (vgl. ebd.). Deshalb wurde 2009 die Diagnose komplexer Traumafolgestörung erarbeitet4 (vgl. Hensel 2017, S.32). Es besteht dabei eine hohe Vielfalt an Symptombildung, die im Kontext und nicht einzeln betrachtet werden müssen (vgl. ebd.). Das heißt, psychische Störungen wie Depressionen, Ängste und Abhängigkeit von bestimmten Substanzen, Essstörungen, Zwänge, Probleme im Sozialverhalten usw. können traumagesteuerte Symptome sein, die nicht als Einzelphänomene voneinander getrennt werden sollten (vgl. ebd.). Wenn die Symptome unabhängig voneinander betrachtet werden, wird oft nicht erkannt, dass „eventuell eine traumagesteuerte Dynamik zugrunde liegt“ (Hensel 2017, S.32). Dies kann zu einer Fehldiagnose führen und erklärt, warum die Behandlungsansätze oft keine langfristige Wirkung zeigen (vgl. ebd.). Bei Menschen mit Depressionen, die als Kind misshandelt wurden, braucht es bspw. andere Behandlungsansätze, als bei depressiven Personen ohne traumatische Vorgeschichte (vgl. ebd.). Diagnosekriterien für komplexe Traumafolgestörung sind zum Beispiel eine Beeinträchtigung der „Regulationsfähigkeit des Kindes“ (Hensel 2017, S.32) bezüglich der Gefühle, der Aufmerksamkeit (ADHS), der Physiologie, des Verhaltens, sowie in der Beziehung zu sich selbst und zu anderen Menschen (vgl. ebd., S.32).
Dadurch, dass Pädagog*innen viel mit Pflegefamilien arbeiten, in Einrichtungen der Kinder-, Behinderten- und Jugendhilfe sowie in Bildungseinrichtungen aktiv sind, verbringen sie oft den Alltag mit Kindern und Jugendlichen, die traumatische Erfahrungen gemacht haben (vgl. Kühn 2017, S.22). Dies ist der Anknüpfungspunkt der pädagogischen Arbeit mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen (vgl. ebd.). Im folgenden Kapitel soll dazu die Traumapädagogik näher erläutert werden.
Wie der Begriff schon andeutet, geht es bei der Traumapädagogik um die pädagogische „Arbeit mit traumatisierten Menschen“ (Dörr/Gstach 2015, S.9). Der Begriff Traumapädagogik ist bisher nicht genau definiert, bzw. gibt es von verschiedenen Vertreterinnen unterschiedliche Vorstellungen von der Bedeutung des Begriffs (vgl. Neudecker 2015, S.79). Im Folgenden sollen die Defmitionsweisen einiger Autorinnen erläutert werden, um einen Überblick darüber zu bekommen, worum es bei der Traumapädagogik geht.
Wie bei den Traumafolgestörungen in Kapitel 2.25 erwähnt wurde, haben klassische Behandlungskonzepte bei manchen Menschen mit psychischen Problemen keine Wirkung erzielt. Sowohl in der pädagogischen Praxis als auch in der Psychotherapie haben die üblichen Methoden nicht geholfen (vgl. Neudecker 2015, S.78). Deshalb wurde mit der Zeit mehr Blick auf die Vorgeschichte der Betroffenen gelegt (vgl. ebd.). Um diese Menschen erfolgreich behandeln zu können, benötigte es neue Ansätze, die sich mit der Biographie der Personen und belastenden Lebenserfahrungen auseinandersetzten (vgl. ebd.). Somit bildet Kühn zufolge die Traumapädagogik „einen eigenständigen Ansatz traumabearbeitender Hilfen in pädagogischen Arbeitsfeldern“ (Kühn 2017, S.19) und ist eine eigene „Fachdisziplin“ (ebd.). Sie stehtjedoch mit einigen anderen Disziplinen eng in Zusammenhang und übernimmt zum Teil Forschungsergebnisse für die eigene Intervention (vgl. Kühn 2009, S.25). Zuerst orientierte sie sich an Erkenntnissen der Psy- chotraumatologie (vgl. Neudecker 2015, S.78). Marc Schmid definiert die Traumapädagogik demnach als „die konsequente Anwendung der Psychotraumatologie auf die sozialpädagogische Begleitung von Kindern und Jugendlichen mit Vernachlässigungs-, Missbrauchs- und Misshandlungserfahrungen“ (Schmid 2013, S.56) und auch Kühn spricht von Anwendung der Psychotraumatologie auf pädagogische Prozesse und Pra- xissettings (vgl. Kühn 2017, S.19-21).
Abgesehen von der Psychotraumatologie, Psychologie und Psychiatrie fließen seit einiger Zeit auch Nachbardisziplinen, wie Soziologie, Medizin, Neurophysiologie, Anthropologie usw. in die Konzepte der Traumapädagogik mit ein (vgl. Kühn 2009, S.25). Sie ermöglichen der Traumapädagogik mehr Hintergrundwissen, um neue Handlungsmethoden entwickeln zu können. So ist es bspw. hilfreich zu wissen, dass traumatische Erlebnisse auch Veränderungen im Gehirn bewirken können, die durch bestimmte therapeutische und pädagogische Handlungen wieder korrigiert werden können (vgl. Besser 2009, S.42). Dies wird in Kapitel 2.5.4 deutlich.
Traumapädagogik bedeutet auch, „den Alltag mit Kindern zu teilen, die früh in ihrer Biographie belastende Erfahrungen gemacht haben“ (Baierl/Götz-Kühne u.a. 2017, S.59). Die Traumapädagogik muss dort eingesetzt werden, wo das durch Traumata entwickelte Verhalten der Kinder und Jugendlichen „außerhalb alltagspädagogischer Erfahrungen“ (ebd.) liegt. Dies bestätigt erneut die Abgrenzung der Traumapädagogik mit eigenen Interventionsansätzen von anderen pädagogischen Fachbereichen.
Die Traumapädagogik versteht sich keinesfalls als Ersatz für therapeutische oder klinische Vorgänge (vgl. Kühn 2017, S.19). Sie dient zur Ergänzung, mit ihrem eigenständigen Ansatz (vgl. ebd.). In der Psychotherapie bzw. Traumatherapie geht es darum, „seelische Krankheiten zu erkennen, zu heilen, deren Verschlimmerung zu verhindern oder krankheitsbedingte Beschwerden zu lindern“ (Höfer 2017, S.212). Dazu werden Kinder und Jugendliche mit verschiedenen professionellen Methoden mit ihren traumatischen Erfahrungen konfrontiert und behandelt, notfalls unter Einbezug von Medikamenten (vgl. Christiansen 2014, S.23).
Durch Psychotherapie allein kann Kindern und Jugendlichen mit belastenden Lebenserfahrungen nicht geholfen werden, da sie im Alltag fehlt (vgl. Hensel 2017, S.34). Kühn zufolge dient die Traumapädagogik dazu traumatisierte Kinder und Jugendliche zu fördern und zu stabilisieren und ist eine Voraussetzung und begleitende sowie ergänzende Maßnahme für einen entsprechenden Therapieprozess (vgl. Kühn 2009, S.26). Deshalb ist ein enger Austausch zwischen Pädagogik, Psychiatrie und Psychotherapie notwendig (vgl. ebd.).
Demzufolge wäre eine Beschränkung auf das traumatherapeutische Feld nicht sinnvoll, da auf wichtige Faktoren aus der Pädagogik verzichtet werden würde und „die Pädagogik selbst besitzt einen nicht zu unterschätzenden Wirkungsraum zur Bewältigung traumatischer Erfahrung“ (Kühn 2009, S.26). Zusammengefasst dient die Psychotherapie dazu, die Personen mit dem traumatischen Erlebnis zu konfrontieren und langsam davon zu distanzieren, während die Traumapädagogik die Betroffenen im Alltag begleitet und stabilisiert, weshalb ohne Traumapädagogik keine Therapie wirksam ist bzw. diese allein nicht ausreicht (vgl. Christiansen 2014, S.23).
Die genannten Definitionen fokussieren sich auf verschiedene Aspekte und es werden ein paar Ziele der Traumapädagogik genannt. Weitere Ziele und Aufgaben der Traumapädagogik werden im nächsten Kapitel erläutert.
Wie in den Kapiteln 2.1 und 2.2 dargelegt wurde, zerstören Traumata das Vertrauen in die eigene Person, sowie das Vertrauen in Mitmenschen und die Umwelt, durch extreme Gefühle von Hilflosigkeit, Ohnmacht, Existenzbedrohung, sowie Vernichtung des Zugehörigkeitsgefühls zu sozialen Netzen (vgl. Kühn 2017, S.22). Da die Verbindung und Kommunikation zur sozialen Welt durch Traumatisierung stark beeinträchtigt wird, ist es ein konkretes Ziel der Traumapädagogik, den Dialog zu Kindern und Jugendlichen (wieder) herzustellen, um soziale Teilhabe in der Gesellschaft (wieder) aufzubauen (vgl. Kühn 2017, S.23). Dafür ist eine Beziehung zwischen Mitarbeiterin und Klientin nötig, in der Vertrauen herrscht (vgl. ebd., S.22). So eine Beziehung aufzubauen, ist scheinbar nicht leicht und funktioniert nicht immer, sodass laut Gahleitner Fachkräfte, wenn sie von dem Verhalten ihrer Klientinnen überfordert sind, die Hilfe schnell vorzeitig beenden (vgl. Gahleitner/Hensel u.a. 2017, S.10). Dies zeigte bereits eine Studie von Marc Schmid im Jahr 2007, die ergab, dassjede fünfte Unterbringung in stationäre Kinder- und Jugendmaßnahmen innerhalb der ersten zwölf Monate vorzeitig abgebrochen wurde (Schmid/Wiesinger u.a. 2007, S. 336). Dies sollte vermieden werden, denn ein frühzeitiger Abbruch und die Weitergabe von Klientinnen an eine andere Institution kann den Verlust einer weiteren Bezugsperson bedeuten, wodurch sich die Schwierigkeiten beim Aufbau von Bindungen noch weiter verstärken (vgl. Schmid/Wiesinger u.a. 2007, S.340). Ein Ziel der Traumapädagogik ist es deshalb, das Vorgehenskonzept bei den Kindern und Jugendlichen zu ändern, anstatt die Maßnahme abzubrechen (vgl. Kühn 2009, S.27). Kinder, die sich problematisch verhalten, sollen mit einbezogen werden und es wird versucht, neue fachliche Lösungen zu finden, anstatt die Unterstützung abzubrechen (vgl. Kühn 2009, S.27). Es geht darum, den Ausschluss zu verhindern und die Mädchen und Jungen stattdessen sozial zu integrieren (vgl. Kühn 2009, S.27). Zusätzlich zum Vorgehenskonzept wäre es ein wichtiger Punkt, die Fachkräfte so auszubilden und zu unterstützen, dass sie weniger schnell von dem Verhalten traumatisierter Heranwachsender überfordert sind, denn eine weitere Gefahr bei überforderten Betreuerinnen ist, dass Kinder durch sie in stationären Hilfeeinrichtungen Gewalt erfahren (vgl. Kühn 2009 S.26). In diesem Fall kann es zur Retraumatisierung6 kommen, was dringend vermieden werden sollte (Schmid/Wiesingeru.a. 2007, S.339).
Viele Trigger7 sind bei traumatisierten Menschen nicht vermeidbar, weil sie noch nicht erkannt werden konnten. Etliche unerwartete Verhaltensweisen der Kinder und Jugendlichen sind nicht vorhersehbar und daher nicht zu erklären oder zu verhindern (vgl. Ro- senbrock/Zimmermann/Dabbert 2017, S.59). Es kommt immer wieder zu Übergriffen von Klientinnen gegen andere Jugendliche, Kinder und Mitarbeiterinnen, auch in Fällen „sorgfältiger Diagnostik, gewissenhafter pädagogischer Konzeptentwicklung und gut ausgebildeter Fachkräfte“ (ebd.). Neue Untersuchungen zeigen, dass sich sowohl verbale als auch körperliche Übergriffe in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe häufen (vgl. ebd.).
Um die Probleme zu verhindern, die entstehen, wenn Personal überfordert ist, ist es ein wichtiger Aspekt in der Traumapädagogik, die „Entwicklung tragfähiger Konzepte mit Blick auf die bestehenden Ressourcen“ (Gahleitner/Hensel u.a. 2017, S.ll) zu fördern, sodass „befriedigende, auf Bumout achtende und persönliche Grenzen wahrende Arbeitsverhältnisse“ (ebd.) entstehen können (vgl. ebd.). Denn um ein traumatisiertes Kind oder eine bzw. einen Jugendliche*n bestmöglich behandeln zu können und eine sichere Beziehung aufbauen zu können, ist es genauso wichtig, dass das Personal sich sicher fühlt und die Strukturen in der Institution funktionieren (vgl. ebd.).
Die auf all den genannten Zielen aufbauende handlungsleitende Fragestellung in der Traumapädagogik lautet: „ Was macht traumatisch belastete Mädchen und Jungen in einem ganzheitlichen Verständnis wieder selbstsicher und stark?“ (Bausum/Besser u.a. 2009, S.8). In der Frage wird angedeutet, dass es ein komplexer Vorgang ist, eine trau- matisierte Person zu stabilisieren und viele Aspekte bedacht werden müssen.
Weitere entscheidende Fragen und Lösungsansätze der Traumapädagogik sind:
„ Wie kann der Umgang mit traumatisch belasteten Mädchen und Jungen in pädagogischen Arbeitsfeldern methodisch gestaltet werden? Wie können Pädagoglnnen z.B. in der Jugendhilfe auf die Bindungsmodelle der Mäd- chen und Jungen und die Übertragungen traumatischer Erfahrungen reagieren und sie in ihrer Entwicklung gut unterstützen?“ (Bausum/Besser u.a. 2009, S.8).
Letztendlich geht es bei der Traumapädagogik darum, den bzw. die Betroffene*n so zu behandeln, dass er oder sie Kontrolle über sich selbst und ihr bzw. sein Leben (zurück) gewinnt:
„Traumapädagogik ist eine Fachdisziplin, die mit den lebensgeschichtlich belasteten Mädchen und Jungen Antworten auf die Frage sucht, was sie brauchen, um selbstbemächtigt ihren Weg wählen zu können“ (Bausum/Bes- seru.a. 2009, S.7).
Um diese Fragen beantworten zu können und den Aufgaben und Zielen gerecht zu werden, ist es wichtig zu wissen, was die zentralen Bedarfe traumatisierter Kinder und Jugendlicher sind und wie sie erfüllt werden können. Darum geht es im folgenden Kapitel.
Martin Baierl fasst die wichtigsten Bedarfe8 9 von traumatisierten Kindern und Jugendlichen „nach aktuellem Wissensstand“ (Baierl 2017, S,72) zusammen. Demzufolge gibt es vier psychische Grundbedürfnisse von traumabelasteten Kindern und Jugendlichen10:
- Orientierung bzw. Kontrolle
- Lustgewinn/ Unlustvermeidung
- positives Selbstwerterleben
- Bindung
(vgl. Baierl 2017, S.72)
Diese werden in den folgenden Kapiteln näher erläutert.
[...]
1 Dies wird in der vorliegenden Arbeit deutlich werden.
2 Die Psychotraumatologie erforscht die „psychosomatischen und sozialen Auswirkungen von belastenden Lebenserfahrungen auf Menschen“ (Hensel 2017, S.27). Es wird davonausgegangen, dass die belastenden Ereignisse der Grund für die psychischen Störungen sind und diese „nicht die Folge einerpersönlichenEigenart des Kindes“ sind (ebd., S.28). 1
3 ICD ist die Abkürzung für „International Classification of Diseases“ und steht für ein Diagnoseschema, herausgegeben von der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation, WHO). Dieses Schema beinhaltet eine internationale Klassifikation psychischer Störungenund beschreibt detailliert die Symptome dieser Störungen, „die es den Psychologinnen oder Ärztinnen ermöglichen, eine Diagnose einer psychischen Krankheit zu stellen, sich mit Kollegen darüber zu verständigen und eine geeignete Therapiemöglichkeit zu finden“ (Weiß 2009, S. 227).
4 Im Englischen als Developmental Trauma Disorder bezeichnet und auf Deutsch als Entwicklungsbezogene Traumafolgestörung (vgl. Hensel 2017, S.32). 8
5 Um einen Bezug zwischen den Kapiteln herzustellen, wird zum Teil nicht auf die ursprüngliche Quelle hingewiesen, sondern auf das Kapitel dieser Arbeit, wo das jeweilige Thema vorliegt. 9
6 Mit „Retraumatisierung sind Zustände des Betroffenen gemeint, in denen eine erneute Erinnerung an das traumatische Ereignis direkt zu einer Symptombelastung führt“ (Dittmar 2013,S.38).
7 Erinnerungsauslösende Reize (vgl. Christiansen 2014, S.8) 12
8 Die Begriffe Grundbedürfnisse und Bedarfe beziehen sich hier auf die psychische Gesundheit und ein erfülltes Leben im psychischen Hinblick (vgl. Baierl 2017, S.72). Es geht nicht um Grundbedürfnisse in Form von Nahrung, Schlaf etc.
9 Martin Baierl spricht es nicht an, aber die Bedarfe, die er nennt, scheinen sich auf die Typ-II-Trauma- tisierung (vgl. Kap.2.1) zu beziehen, was vor allem über das Grundbedürfnis Bindung und Beziehung deutlich wird, da dies ein Punkt ist, der vermutlich vor allem Kinder betrifft, die über längeren Zeitraum schlecht behandelt wurden und kaum Zuneigung erfahren haben, was in Kapitel 2.5.4 deutlich werden wird.
10 Diese Grundbedürfnisse hatjeder Mensch für eine psychische Gesundheitjedoch müssen sie bei traumabelasteten Kindern und Jugendlichen besonders beachtet und (wieder) hergestellt werden (vgl. Christiansen 2014, S.25).
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