Diplomarbeit, 2008
119 Seiten, Note: 1,7
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
2 Der strukturelle Wandel der Gesellschaft
2.1 Entgrenzungsprozesse in Arbeit und Beruf
2.1.1 Verlust der Orientierungsfunktion des Berufs
2.1.2 Vom Lebensberuf zum flexiblen Arbeitskraftunternehmer
2.1.3 Lebenszeit wird zu Bildungszeit - Das Konzept des lebenslangen Lernens
2.2 Individualisierung: Aus der Enge der Traditionen in neue Zwänge
2.3 Entstrukturalisierung des Lebenslaufs
2.4 Bedingungen des Aufwachsens heute Jugendlicher und junger Erwachsener
3 Identität
3.1 Identität als Kontinuität und Konsistenz
3.2 Der Umgang mit Diskontinuität und Inkonsistenz
3.3 Die Patchwork-Identität - Identitätsarbeit in der Postmoderne
3.3.1 Exkurs: Die Bedeutung des Kohärenzsinns
3.3.2 Der Prozess der Identitätsentwicklung als alltägliche Identitätsarbeit
3.4 Identitätsarbeit als Kern einer subjektorientierten Kompetenzentwicklung in der politischen Bildungsarbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen
4 Der Kompetenzbegriff 61
4.1 Der Kompetenzbegriff im erziehungswissenschaftlichen Diskurs
4.1.1 Das Verhältnis von Kompetenz und Bildung
4.1.2 Der Kompetenzbegriff im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft und Pädagogik
4.1.3 Von der Bildung zur Kompetenzentwicklung
4.2 Kompetenz definiert
4.2.1 Reflexive Handlungsfähigkeit
4.2.2 Kern- und Veränderungskompetenz
5 Kompetenzentwickelndes Lernen
5.1 Zur Begrifflichkeit des informellen Lernens
5.1.1 Formelles Lernen
5.1.2 Informelles Lernen als unbewusstes Lernen
5.1.3 Informelles Lernen als bewusstes Lernen
5.1.4 Stufen informellen Lernens
5.2 Weiterführung: zur theoretischen Anschlussfähigkeit und Aktualität informellen Lernens
5.2.1 Systemisch-konstruktivistische Begründung des Selbstlernens
5.2.2 Lernen als Verfügungserweiterung: Subjektstandpunkt und Lernbegründung in der Lerntheorie von Klaus Holzkamp (1995)
5.2.3 Irritation als Mobilisierungsereignis kontextübergreifender Aneignungsprozesse
5.3 Lernen und Lehre neu denken
5.3.1 Ermöglichungsdidaktische Implikationen
6 Resümee
Literaturverzeichnis
Abbildung 1: Strukturierung von Lebensphasen zu vier historischen Zeitpunkten
Abbildung 2: Dreischnitt im Wertewandel: Identität
Abbildung 3: Das salutogenetische Modell nach Aaron Antonovsky
Abbildung 4: Konstruktionen der Identiätsarbeit
Abbildung 7: Zieloffene Transformation
Tabelle 1: Dimensionen und Konzepte der Globalisierung
Tabelle 2: Von der Erzeugungs- zur Ermöglichungsdidaktik
Mein Interesse am Thema Kompetenzentwicklung ist entstanden durch die Auseinandersetzung mit der aktuellen erziehungswissenschaftlichen Debatte zur Kompetenzentwicklung während meines Studiums und durch die praktischen Erfahrungen in meiner Arbeit im Bereich der politischen Bildung mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Besonders die dort entstandenen Kontakte zu Lehrerinnen und Lehrern des Bildungsbereiches Schule und zu Vertretern aus Ausbildungs- und Personalabteilungen der Wirtschaft haben meine Themenwahl beeinflusst. In zahlreichen Gesprächen und Diskussionen wurden die oftmals sehr unterschiedlichen Interessen, die durch die Verwendung des Kompetenzbegriffs verfolgt werden, in Abhängigkeit zur jeweiligen Position und der damit verbundenen Perspektive, deutlich. Die hohe Präsenz des Kompetenzbegriffes in fast allen Bereichen unseres täglichen Lebens täuscht leicht über die oftmals ganz unterschiedlichen Ziele hinweg und es ist nicht immer eindeutig erkennbar, was letztendlich mit dem Begriff Kompetenz gemeint ist.
Aus der Tradition des pädagogischen Denkens und Handelns hat sich die Neigung entwickelt, das bildungspraktische Handeln an den Bildungsbedürfnissen der Lernenden zu orientieren. Die Repräsentanten des Beschäftigungssystems neigen jedoch dazu, ihre bildungspolitischen und bildungspraktischen Maximen aus den Anforderungen abzuleiten, die sich aus ökonomischen, insbesondere aus betrieblichen Strukturwandlungen ergeben (vgl. Heid, 1999, S. 231). Eine Entgrenzung sowohl der Ökonomie als auch der Pädagogik lässt die grundlegend und notwendig differenten Perspektiven unklarer werden.
In der sich immer schneller wandelnden Welt, beschleunigter technischer und ökonomischer Entwicklungen und vor dem Hintergrund einer wachsenden Globalisierung werden Kompetenz und Kompetenzentwicklung als die Lösung für aktuelle und zukünftige Probleme präsentiert. An die Stelle der Qualifikationen rücken nun in der pädagogischen Diskussion die Kompetenzen. Was aber ist genau gemeint, wenn von Kompetenz und Kompetenzentwicklung gesprochen wird? Die Popularität der Begrifflichkeiten rund um die Kompetenzentwicklung suggeriert eine neue Orientierung hin zum Subjekt. Ist die Kompetenzentwicklung ein Modernisierungsbegriff, der einhergeht mit einem Perspektivwechsel in der Pädagogik? Das Konzept der Kompetenzentwicklung soll unter dem Aspekt der Tragfähigkeit als Basis für die politische Jugend- und junge Erwachsenenbildung untersucht werden. Wie zukunftsfähig ist der Kompetenzansatz, d.h., in wieweit kann durch die Orientierung am Kompetenzbegriff den Zielen der politischen Bildung entsprochen werden?
Die Beantwortung dieser Fragen und die Analyse der Bedingungen und Anforderungen, die durch die Globalisierung und den damit verbundenen gesellschaftlichen Wandel, speziell der Entwicklungen in den Bereichen Arbeit und Jugend, an die politische Jugend- und junge Erwachsenenbildung gestellt werden, bilden den Begründungszusammenhang dieser Arbeit.
Im Folgenden verwende ich zur Beschreibung der Zielgruppe der politischen Bildungsarbeit die Begriffskombination der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Gefasst werden hierunter Jugendliche im Alter von 13-18 Jahren und junge Erwachsene im Alter von 18-27 Jahren. Die Verwendung dieser Begriffskombination orientiert sich an einem durch Ferchhoff (1999, S. 23ff.) vorgeschlagenem Sprachgebrauch: Die Verwendung der Begrifflichkeiten Jugend, Jugendliche oder Jugendalter und Adoleszenz werden nicht streng unterschieden und synonym verwendet. Der Begriff der Pubertät ist reserviert für die biologischen Entwicklungsprozesse im engeren Sinn und wird abgegrenzt von einem alltagssprachlichen Gebrauch, im Sinne der frühen Jugendphase. Mit dem Begriff der jungen Erwachsenen wird die Gruppe Jugendlicher bezeichnet, die sich am Ende der eigentlichen Jugendphase befinden, in einigen Bereichen bereits den Statusübergang in das Erwachsenenalter vollzogen haben, jedoch immer noch die charakteristischen Merkmale der Jugendphase erfüllen. Das junge Erwachsenenalter ist somit synonym der Phase der Postadoleszenz zu De se r? eine Art entgrenzte Jugend (Hurrelmann 2003) charakterisierbare Zeitraum zwischen Kindheit und Erwachsenenalter, beschreibt neue und spezifische Anforderungen, denen sich die politische Bildungsarbeit heute stellen muss.
Die traditionelle Definition der Lebensphase Jugend im Sinne eines psychosozialen Moratoriums1 scheint sich von den realen Bedingungen des Aufwachsens heute Jugendlicher und junger Erwachsener immer weiter zu distanzieren. Die traditionelle Definition dieser Jugendphase verbindet sich mit den Vorstellungen, Jugendliche befänden sich in einer Art Statuspassage zwischen Kindheit und dem Erwachsenenalter und dem Stufenmodell des Lebenslaufs mit unterscheidbaren Etappen, deren Beginn und Ende dabei zum Teil durch Zeremonien (kirchlich oder institutionell) eindeutig gekennzeichnet werden Der Wechsel von der einen in eine andere Phase bedingt dabei die Veränderung der Statusgruppe, d.h. die Trennung von der bisherigen und die Aufnahme in eine neue Gruppe. Die Jugendphase wird in dieser traditionellen Sicht zwischen der familienbehüteten Kindheit und dem Erwachsenenleben gesehen. In diesem Verständnis erwerben die Jugendlichen institutionell abgesichert in einer Art sozialen Ozonschicht (Keupp 2000, S. 15ff.), die sie vor dem direkten Eindringen gesellschaftlicher Problemlagen schützt, die beruflichen Qualifikationen, sozialen und politischen Kompetenzen des Erwachsenenstatus (vgl. Hoppe 1996, S. 24ff.). Die Aufgabe, in dieser Zeit seine Identität und Kompetenzen einer selbstständigen Lebensführung auszubilden, wird aus dieser Perspektive zwar als wichtig und für die Heranwachsenden als bedeutende Herausforderung anerkannt, die gesellschaftlichen Vorgaben und Vorbilder für die Entwicklung von Einstellungen, Fähigkeiten und Verhaltensweisen waren jedoch im Rahmen der traditionellen Gesellschaft eindeutig und die Wahlmöglichkeiten auf ein überschaubares Maß beschränkt.
Unter dem Stichwort der Entstrukturalisierung der Jugendphase wird aktuell die scheinbare Auflösung dieses traditionellen Jugendkonzeptes beschrieben. Jugendliche werden zunehmend aus dem Schonraum einer klar abgrenzbaren Jugendphase entlassen, können früher am gesellschaftlichen und politischen Leben teilnehmen. Schröder/ Balzter/ Schroedter (2004) nutzen hier den Begriff der Freisetzung und betonen die Generationenkonkur- renz, welcher Jugendliche so unvorbereitet ausgesetzt werden. Früh müssen sich junge Menschen bereits wie Erwachsene verhalten. In ihre Überlegungen bezüglich der schulischen und auch beruflichen Orientierung fließen Fragen nach dem, was man brauchen kann, was marktfähig und nützlich sein könnte, determinierend mit ein. Die Auflösung einer solchen jugendspezifischen Schutzzone führt jedoch schnell dazu, dass der Blick dafür verloren geht, dass die Art und Weise, wie Jugendliche und junge Erwachsene mit den auf sie zukommenden Problemen umgehen, stark durch die innere Logik dieser Entwicklungsphase gekennzeichnet ist. Jugendliche und zunehmend auch junge Erwachsene benötigen noch immer und vielleicht sogar mehr denn je diesen gesellschaftlichen Schonraum, um ihre spezifischen Entwicklungsaufgaben bewältigen zu können. Hurrelmann (2003) vermutet, dass eine Reihe psychischer Belastungen durch eben diese Statusunsicherheiten hervorgerufen werden. Die Ursache hier für sieht der Autor darin, dass Jugendliche heute die Kontrolle über ihren eigenen Weg verloren haben. Das Gewirr aus Anforderungen, Angeboten und Unsicherheiten bedingt das Gefühl der Orientierungs- und Strukturierungslosigkeit vieler junger Menschen heute. Jugendliche befinden sich in einer Art Dazwischen, sie sind noch nicht fertig mit sich und haben ihren Platz in der Gesellschaft noch nicht gefunden. Im Gegenteil: Die Frage der eigenen Identität scheint bei vielen Jugendlichen bis in das junge Erwachsenenalter zu reichen. Das junge Erwachsenenalter steht für eine Zeit, in der der Status der ökonomischen Selbstständigkeit noch nicht erreicht ist (fast die Hälfte der jungen Erwachsenen befinden sich noch oder wieder in der Ausbildung2 ). Die Suche nach dem was man einmal werden soll, findet so parallel zur Suche nach sich selbst statt, nach dem wie man ist und was mit einem los ist. Identitätssuche und Integrationsperspektive brechen so heute im Jugend- und jungen Erwachsenenalter zeitgleich auf, gehen jedoch oft nicht zusammen (vgl. Schröder/Balzter/ Schroedter 2004, S. 32).
Vor dem Hintergrund dieser hier dargestellten Aspekte des Jugend- und jungen Erwachsenenalters ergeben sich gerade für den Bereich der politischen
Bildung neue Anforderungen und Herausforderungen. Welche Konsequenzen sich zum einen durch die Veränderungen des strukturellen Wandels unserer Gesellschaft und zum anderen durch die Veränderungen der Lebensphase Jugend selbst an den Bereich der politischen Bildung ergeben, soll ein Aspekt sein, der Eingang in die Überlegungen dieser Arbeit findet.
Welche Inhalte und Schwerpunkte müssen den Kern einer politischen Bildungsarbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen bilden, um auch mit Blich auf die Zukunft den Zielen dieses Bildungsbereiches entsprechen zu können?
Politische Bildung, wie sie im Förderprogramm des Kinder- und Jugendplans des Bundes (KJP) festgeschrieben wird, soll sich in ihrer Grundaufgabe an der Leitidee zur Mündigkeit orientieren:
„Politische Bildung soll jungen Menschen Kenntnisse über Gesellschaft und Staat, europäische und internationale Politik einschließlich der politisch und sozial bedeutsamen Entwicklungen in Kultur, Wirtschaft, Technik und Wissenschaft vermitteln. Sie soll Urteilsbildung über gesellschaftliche und politische Vorgänge und Konflikte ermöglichen, zur Wahrnehmung eigener Rechte und Interessen ebenso wie der Pflichten und Verantwortlichkeiten gegenüber Mitmenschen, Gesellschaft und Umwelt befähigen sowie zur Mitwirkung an der Gestaltung einer freiheitlich-demokratischen Gesellschafts- und Staatsordnung anregen “ (KJP 2001, S. 20).
Es sind vor allem drei Teilziele der politischen Bildung mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen so hervorzuheben: Wissen vermitteln, Urteilsbildung ermöglichen und zur Mitwirkung anregen. Die damit verknüpfte Ausrichtung auf Selbstbestimmung und auf eigene Handlungskompetenz führt zu der Schwierigkeit, dass politische Bildung eigentlich das voraussetzen muss, was sie erreichen will. Sie will eben nicht bevormunden und den Jugendlichen sagen, was richtig und was falsch ist und wo es langgehen soll. Sondern sie soll dazu befähigen, eigene Entscheidungen treffen zu können (Schrö- der/Balzter/Schroedter 2004, S. 36). Geradezu zwingend wird so die Notwendigkeit, vor dem Hintergrund dieser inhaltlichen Zielsetzungen des Kinder- und Jugendplanes, zur Einnahme einer am Subjekt orientierten pädagogischen Perspektive. Welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für die politische Bildungsarbeit? Welches Verständnis von Lehren und Lernen setzt eine am Subjekt orientierte pädagogische Arbeit notwendig voraus?
Diese einleitenden Fragestellungen sollen im Folgenden in den aufeinander aufbauenden Kapiteln meiner Arbeit beantwortet werden.
Im Vordergrund des Kapitels 2 stehen die Dimensionen des gesellschaftlichen Wandels. Unter den Stichworten Globalisierung, Individualisierung und Entstrukturalisierung werden die Bedingungen des Aufwachsens heute Jugendlicher und junger Erwachsener zusammengefasst. Das Kapitel schließt nach einer resümierenden Zusammenfassung dieser Darstellungen mit der These, Identitätsentwicklung notwendig als Kern der politischen Bildungsarbeit zu konzipieren, um den Anforderungen unserer postmodernen Gesellschaft, den Zielen des Bildungsbereiches und den ganz individuellen Bildungsbedürfnissen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu entsprechen.
Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich das Kapitel 3 daran anschließend mit der Frage, was genau unter Identität und Identitätsentwicklung zu verstehen ist. Welche Sichtweisen und Grundannahmen dem Identitätsbegriff zugrunde liegen und welches Identitätsverständnis eine am Subjekt orientierte politische Jugend- und junge Erwachsenenbildung beinhalten muss, damit Bildungsarbeit im Sinne von Kompetenzentwicklung für den Einzelnen erfolgreich konzipiert werden kann.
Im Kapitel 4 steht der Kompetenzbegriff im Mittelpunkt der Betrachtung. An dieser Stelle eröffnet sich der Blick auf den aktuellen kritischen Diskurs der Erziehungswissenschaften zur Kompetenzentwicklung, der überblicksartig und als reflektierender begriffsdefinitorischer Rahmen dieser Arbeit dargestellt wird. Was genau ist gemeint, wenn von Kompetenz und Kompetenzentwicklung gesprochen wird? Den Abschluss des Kapitels und die vorangegangenen Darstellungen resümierend, bildet die Antwort auf die Frage, ob Kompetenzentwicklung als Modernisierungsbegriff des klassischen Bildungsbegriffes definiert werden kann.
Das Kapitel 5 geht vertiefend auf Aspekte kompetenzentwickelnden Lernens ein. Leitende Fragestellung hierbei ist die lerntheoretische Anschlussfähigkeit des als Kompetenzentwicklung förderlichen informellen Lernens. Hierbei gehe ich zunächst auf die Begrifflichkeit des informellen Lernens selbst ein. Hieran anschließend werden systemisch-konstruktivistische Begründungen des Selbstlernens und die Subjektorientierung in der Lerntheorie von Klaus Holzkamp als lerntheoretische Folie dargestellt, vor welcher abschließend die sich hieraus ergebenden pädagogisch-didaktischen Implikationen einer politischen Bildungsarbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen herausgearbeitet werden. Unter der Überschrift Lehren und Lernen neu denken lenke ich den Blick auf die sich aus den voranstehenden Darstellungen ergebenden Konsequenzen und Möglichkeiten der pädagogischen Umsetzung einer an der Kompetenzentwicklung des Einzelnen orientierten politischen Bildungsarbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Das Kapitel 6 fasst die vorangegangenen Darstellungen in resümierender Weise zusammen und bildet den Abschluss meiner Arbeit.
Die moderne Gesellschaft im Zeitalter der Globalisierung ist gekennzeichnet durch Wandel, Modernisierung und stetige und immer neue Entwicklungen in allen Bereichen des Lebens. In Diskussionen zur gesellschaftlichen Situation der Gegenwart und dem strukturellen Wandel wird immer wieder unter dem Stichwort der Globalisierung auf aktuelle Veränderungsprozesse verwiesen. „Globalisierung ist sicher das am meisten gebrauchte - missbrauchte - und am seltensten definierte, wahrscheinlich missverständlichste, nebulöseste und politisch wirkungsvollste (Schlag- und Streit-) Wort der letzten, aber auch der kommenden Jahre“ (Beck, U. 1999, S. 42). In pädagogischen Diskussionen ist dagegen von Globalisierung selten die Rede. Dies mag daran liegen, so Hornstein (2001), dass im allgemeinen Verständnis die Globalisierungsprozesse vor allem im wirtschaftlichen Bereich gesehen werden. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch sehr schnell deutlich, dass ebenso Fragen der Erziehung und der Bildung durch diese Prozesse beeinflusst werden. Hornstein (2001) führt als Beispiel hier neben den Forderungen der Bildungspolitik, durch die versucht wird, mit Hilfe von Reformen, kürzeren Studienzeiten und einer stärkeren Förderung von Eliten, auf die erhöhte internationale Konkurrenz zu reagieren, die neuen Bildungsziele, ein neues Menschenbild und weitere soziale und kulturelle Entwicklungen und Veränderungsprozesse an.
Was genau unter Globalisierung verstanden und gefasst wird, ist jedoch nicht immer eindeutig. Die verschiedenartigen Bezugssysteme, die sich dieser Terminologie bedienen, fokussieren, jedes auf ihre Weise, die vielseitigen Aspekte des Globalisierungsbegriffs mit oftmals ganz unterschiedlichen Gewichtungen und Akzenten. Eine Unterscheidung verschiedener Dimensionen von Globalisierung erscheint somit dringend notwendig. Hornstein (2001) verweist auf die Übersicht der Gruppe von Lissabon (1995), deren Aufstellung im weiteren Verlauf dieser Arbeit hier als Grundlage dienen soll (vgl. Hornstein, 2001, S. 519ff.).
Tabelle 1: Dimensionen und Konzepte der Globalisierung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Hornstein 2001, S. 519 in Anlehnung an die Gruppe von Lissabon 1995, S.49
Deutlich wird durch die Aufstellung in Tabelle 1 vor allem die Vieldimensiona- lität dessen, was sich hinter dem Begriff Globalisierung verbirgt. Durch die dynamischen Wechselbeziehungen der einzelnen Dimensionen untereinander sind weitgehend alle Lebensbereiche betroffen. Das primär ökonomisch wahrnehmbare Thema Globalisierung hat so erkennbar auch weitreichende soziale, politische und kulturelle Folgen. Hornstein (2001) fasst die Konsequenzen, die in ihrem Zusammenwirken Globalisierung ausmachen, zusammen als:
(1) Verselbstständigung und Dominanz des Ökonomischen gegenüber dem Gesellschaftlichen
Das erste und zentrale Element der Globalisierung liegt in der Herauslösung des Ökonomischen aus dem Gesellschaftlichen. Gemeint ist damit, in Anlehnung an Polanyis The great Transformation, dass die Ökonomie nicht mehr den gesellschaftlichen Bedürfnissen dient und in soziale und gesellschaftliche Beziehungen eingebettet ist, sondern nun die Wirtschaft an ihre Stelle tritt und soziale Beziehungen und die Gesellschaft überhaupt nur noch zu einem Beiwerk des Wirtschaftssystems werden (Polanyi 1977). Gerade für die Bildungsarbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, in wieweit es zu einer Ökonomisierung der Pädagogik bereits gekommen ist oder auch kommen muss, um eine zeitgemäße und zukunftsorientierte Arbeit leisten zu können. Im Kapitel 4 wird diese Frage aufgegriffen und der Kompetenzbegriff im Spannungsfeld zwischen Wirtschaft und Pädagogik näher beleuchtet.
(2) Die Entstehung internationaler Kapitalmärkte
Nur ein geringer Teil der Handelvorgänge, die täglich rund um den gesamten Globus getätigt werden, besteht aus dem Handel mit realen Waren und Gütern. Finanz- und Währungsgeschäfte bestimmen den Markt. Der internationale Finanzmarkt entwickelt sich unabhängig von realen wirtschaftlichen Bedürfnissen und Bedingungen und nationalstaatlichen Regelungen. Der Markt ist somit nicht mehr an die Demokratie und ihre Gesellschaft gebunden (vgl. Hornstein 2001, S. 522).
(3) Die Transnationalisierung und der veränderte Stellenwert der Erwerbsarbeit
Als weiteres Merkmal der Globalisierung kann die globale Ausdifferenzierung der Produktion und Verteilung von Gütern und Dienstleistungen gesehen werden, so dass eine Arbeitsteilung entsteht, die vor allem durch das Wettbewerbs- und Kostenprinzip bestimmt ist. Nationale Märkte verschwinden, internationale Geldmärkte bestimmen über Produktionsstandorte und Strategien. Die Weiterentwicklung der Technologien begünstigt zudem die Spaltung zwischen hoch und niedrigqualifizierten Arbeitsplätzen, d.h. einer schmalen Schicht der Spitzenverdiener im Bereich Steuerung und Management tritt der Masse der gering bezahlten Arbeitskräfte, deren Arbeiten nicht durch Rationalisierung ersetzbar sind oder deren Rationalisierung sich nicht lohnt, gegenüber (vgl. ebd.). Ebenfalls resultierend aus der Globalisierung sieht auch Beck die hohe Arbeitslosigkeit. „Der Kapitalismus schafft die Arbeit ab. Arbeitslosigkeit ist kein Randschicksal mehr, sie betrifft potentiell alle - und die Demokratie als Lebensform.“ (Beck 1999, S. 107).
(4) Globale Informationssysteme
Die Globalisierungsprozesse sind in entscheidendem Maß an die Möglichkeiten der modernen Informations- und Kommunikationssysteme gebunden. Durch sie werden Raum und Zeit und die sich hieraus ergebenden Einschränkungen aufgelöst. Investitions- und Absatzentscheidungen werden weltweit und ohne große zeitliche Verzögerung möglich. Globalisierung darf in diesem Zusammenhang jedoch nicht als notwendige Folge der Existenz und Weiterentwicklung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien verstanden werden, wohl aber können die beschriebenen Technologien als notwendige Bedingungen und Voraussetzungen für die Prozesse der Globalisierung begriffen werden (vgl. Hornstein 2001, S. 523).
(5) Soziale, politische und kulturelle Folgen bzw. Aspekte der Globalisierung
Globalisierung hat auch eine soziale Dimension. Politische Globalisierung meint, die Verlagerung nationalstaatlicher Zuständigkeiten und Regelungskompetenzen auf supranationale Ebenen. Der Begriff kulturelle Globalisierung lenkt den Blick auf die Angleichung von Lebensstil, Konsumgewohnheiten und Lebensformen, eine zunehmende Homogenisierung und Universalisierung.
Besondere Beachtung müssen in diesem Zusammenhang nicht nur die Entwicklungen finden, die unter dem Begriff der Globalisierung vorstehend beschrieben worden sind, sondern ebenfalls die entsprechenden Gegenbewegungen der Globalisierung müssen in den Betrachtungen des Wandels berücksichtigt werden. „In jeder Hinsicht erzeugen Sog und Dynamik der Globa- lisierung zugleich Gegenbewegungen.“ (ebd., S. 524). Die grundlegendste Gegenbewegung sieht Hornstein (2001) in der Suche nach nationaler und regionaler Verortung und Verankerung. Auf politischer Ebene werden in der Gegenbewegung Fragen nach der Verantwortung für das Abfedern der drohenden Arbeitslosigkeit und den Mitbestimmungsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger diskutiert. Als Gegenbewegungen im kulturellen Bereich sind die zunehmend fundamentalistisch ausgerichteten kulturellen Selbstbestimmungsbewegungen zu bemerken, die Spaltung und Partialisierung der Welt in weiten Teilen bewirken3 und als ebenso wirksam angesehen werden müssen, wie die Tendenz der wirtschaftlichen Vereinigung auf der anderen Seite (vgl. ebd.). Diesen Aspekt betont auch Sennett (2006), in dem er sagt: „Eine der unbeabsichtigten Folgen des modernen Kapitalismus ist die Stärkung des Ortes, die Sehnsucht der Menschen nach der Verwurzelung in einer Gemeinde. All die emotionalen Bedingungen modernen Arbeitens beleben und verstärken diese Sehnsucht: Die Ungewissheit der Flexibilität; das Fehlen von Vertrauen und Verpflichtung; die Oberflächlichkeit des Teamworks; und vor allem die allgegenwärtige Drohung, ins Nichts zu fallen, nichts >>aus sich machen zu können<<, das Scheitern daran, durch Arbeit eine Identität zu gelangen. All diese Bedingungen treiben die Menschen dazu, woanders nach Bindungen zu suchen“ (Sennett 2006, S.190).
Globalisierung darf also nicht als rein ökonomischer Vorgang beschrieben werden.
Seine sozialen, politischen und kulturellen Folgen sind gravierend. Globalisierung ist, als Teil der gesellschaftlichen Realität, durch ihre dynamischen Wechselbeziehungen der verschiedenen Dimensionen geprägt.
Durch die steigende Dynamisierung ökonomischer und gesellschaftlicher Lebensverhältnisse werden die traditionellen und kulturellen Muster der Lebensführung immer schneller entwertet. Traditionell vorgegebene Lebenswege lösen sich besonders durch Veränderungen in der Arbeitswelt auf. Der in der Vergangenheit auf Lebenszeit ausgeübte Beruf verschwindet zusehends, Arbeitplätze und Arbeitsorte auf Zeit treten an seine Stelle und das einzig Beständige dieser modernen Gesellschaft scheint der Wandel zu sein (vgl. Wittwer 1996, S. 5ff.). Gleichzeitig ergeben sich durch die Pluralisierung der Möglichkeiten für jeden Einzelnen immer neue Perspektiven und Wege, das eigene Leben zu gestalten. In ihrem Buch „ Der große Zwang zur kleinen Freiheit “ beschreiben Geißler und Orthey (1998), wie die Effekte der kapitalistischen Wirtschaftsprinzipien zu Pluralisierung und Individualisierung der Lebensverhältnisse geführt haben und zeitgleich zur Steigerung von Sinn- und Orientierungsverlusterlebnissen vieler Menschen führen. Individualisierung bedeutet in diesem Sinn die Herauslösung der Biographie der Menschen aus vorgegebenen Fixierungen und die Übertragung der individuellen Gestaltung der Biographie als Aufgabe in das Handeln jedes einzelnen (vgl. Geißler/ Orthey 1998, S. 50ff.).
Durch moderne Rationalisierungsmaßnahmen und die Veränderungen von Arbeit und Organisation, den Wandel der Sozialcharaktere und der Normalbiographien, der Lebensstile und Liebesformen, der Wirklichkeitsauffassungen und Erkenntnisnormen, werden letztendlich die „Quellen der Gewißheit [sic], aus denen sich das Leben speist, verändert “ (Beck 1986, S. 25).
Zur Analyse der Anforderungen, die durch diese Veränderungen an Jugendliche und junge Erwachsene gestellt werden, soll im Folgenden genauer eingegangen werden. Es werden ausschnittsweise Teilbereiche der Veränderungsprozesse beleuchtet, die in entscheidendem Maß für Sinn- und Orientierungsverlusterlebnisse gerade junger Menschen bedingend wirken und so den Hintergrund skizzieren, vor dem Bildungsarbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen gestaltet werden muss.
Ein wesentliches gesellschaftliches Strukturelement muss im Bereich der Arbeit und ihrer berufsförmigen Organisation gesehen werden. Diese Arbeitswelt befindet sich in einem grundlegenden Wandel. Dieser häufig zitierte Strukturwandel der Arbeit betrifft ganz unterschiedliche Aspekte. Die eingesetzten Technologien der Arbeit werden durch immer schnellere Modernisierungsprozesse geprägt und ständig weiterentwickelt, die Betriebsorganisationen und Berufsstrukturen verändern sich. Der Arbeitsmarkt ist in kontinuierlicher Bewegung, um nur einige Bereiche des Wandels an dieser Stelle anzusprechen (vgl. Voß 2001, S. 2).
Der Begriff Arbeit ist seiner Herkunft nach, wie folgend auch noch beschrieben der Berufsbegriff, eng mit dem Christentum verbunden. Die Arbeit ist nach dem Alten Testament die Schöpfungsaufgabe Gottes an den Menschen. Arbeit wird hier gesehen als die Existenzgrundlage des Menschen vor Gott. Diese moralische und ethische Aufladung des Arbeitsbegriffes wird später auch durch Luther weiter getragen, der formuliert, dass jeder Mensch zu einer bestimmten Arbeit berufen ist und dieser Berufung gewissenhaft zu folgen hat. Mit der gesellschaftlichen Säkularisierung und der ökonomischen Betrachtung der Arbeit erfolgt in der Neuzeit dann auch eine Säkularisierung des Begriffes selbst. Die ethische und moralische Aufladung des Begriffes wird aufgegeben. Arbeit bezeichnet nur noch die reine Tätigkeit des Menschen. Arbeit ist die geistige und körperliche Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur, führt durch den Gebrauch von materiellen und geistigen Werkzeugen zur Produktion von materiellen und/oder geistigen Gütern und trägt zur Entfaltung der Persönlichkeit bei. Diese anthropologische Perspektive auf den Arbeitsbegriff betont die Arbeit als das grundlegende Charakteristikum des Menschen. Die Arbeit wird dabei verstanden als die erste Grundbedingung allen menschlichen Lebens (Marx/Engels 1989, zitiert nach Ar- nold/Gonon 2006, S. 78ff.). Diese Bedeutung und der enorme Stellenwert der Arbeit lassen erahnen, wie weitreichend sich Veränderungen in diesem Bereich auf die gesamte Gesellschaft auswirken.
Bedeutungsgeschichtlich entstammt der Begriff Beruf der Lutherischen Bibelübersetzung, die ihn als „Ruf Gottes zur Dienstbereitschaft in der Gesellschaft und zur christlichen Lebensführung verstand“ (Harney 1999, S. 52).
Berufsorientierung beruht auf tief verwurzelten, religiös geprägten Denkweisen und beinhaltet die Vorstellung eines gottgefälligen Lebens, das durch Streben und pflichtbewusster Berufsarbeit seinen Ausdruck findet und so die kulturelle Basis und gesellschaftliche Gültigkeit des Berufskonzeptes formt (vgl. Arnold/Gonon 2006, S.74). Diese religiöse Ausrichtung der Beruflichkeit wurde im Verlauf immer weiter verweltlicht, in dem diese Begründungen und Motivationen mehr und mehr in den Hintergrund traten. Der klassische Ausspruch von Georg Kerschensteiner (1854-1932) „Die Berufsbildung steht an der Pforte zur Menschenbildung“ (zitiert nach Arnold/Gonon 2006, S. 74) deutet auf diese berufbildungstheoretische Überdehnung des Sinns der Berufsbildung hin. Berufe stellten gerade vor diesem Hintergrund nicht nur eine Form der gesellschaftlichen Arbeitsteilung dar, sondern waren ebenso Bestandteil des soziokulturellen Systems der Gesellschaft und gingen weit über die reine Ausübung einer Funktion auf dem Arbeitsmarkt zur Sicherung der materiellen Existenz hinaus. Der Beruf ist zu einem Rahmen geworden, der die individuelle Biographie, die Identität bestimmt und als Medium der gesellschaftlichen Integration und Statuszuweisung gesehen werden musste. Der Beruf war in dieser vorindustriellen Zeit der Lebenskosmos der Menschen und der wichtigste Ort, an dem soziale Wirklichkeit erfahren wurde (vgl. Wittwer 1996, S.75ff.). Das leitende Prinzip der Erwerbsarbeit war das der Meisterlehre. Durch das klar vorgegebene Karrieremuster: Lehrling- GeselleMeister waren die Lebenswege der Auszubildenden strukturell vorgegeben. Inhaltlich ging es um den Erwerb und die Vervollkommnung der Fachqualifikationen. Dazu zählte auch die Fähigkeit, innerhalb eines bestimmten Gesellschaftsverbandes, seine Zunft zu leben (vgl. ebd.). Diese „Idee der Meisterschaft“ (Wittwer 1996, S. 76) beinhaltete somit vier Aspekte:
(1) die Orientierung der Berufsbildung an einer ganz bestimmten Berufstätigkeit,
(2) die Vorstellung, Meister eines Faches werden zu können,
(3) die Idee des Berufes als Lebensberuf,
(4) die statische gesellschaftliche Verortung des Berufstätigen.
Mit fortschreitender Industrialisierung traten die Stände und Zünfte zunehmend in den Hintergrund, weiterhin beständig blieb jedoch das gültige Karrieremuster, die Idee des Lebensberufes und der Berufsbezug, der auch heute immer noch das grundlegende Prinzip der beruflichen Ausbildung ausmacht. Vor dem Hintergrund der Veränderungen im Bereich der Arbeit stellt sich jedoch besonders mit Blick auf die Zukunft die Frage, ob diese berufsorientierte Ausrichtung noch tragfähig ist. Auch der „Normal-Lebenslauf“ (vgl. Hurrelmann 2003), der bis heute ebenfalls als Orientierungsmuster für die Gesellschaftspolitik und eine Reihe gesellschaftlicher Institutionen und politischrechtlicher Regelungen gesehen werden muss, ist von Veränderung betroffen.
Zur genauere Analyse der Veränderungen, die sich, wie bereits beschrieben, im strukturellen Wandel der Gesellschaft ausdrücken und als Folge beschleunigter ökonomisch-technischer Entwicklungen und Globalisierungsprozessen gesehen werden müssen, sollen im weiteren Verlauf ein Auswahl spezieller Entwicklungen herausgegriffen werden, die in ihrer Konsequenz den Begründungszusammenhang einer zeitgemäßen Jugend- und Erwachsenbildung beschreiben. Im Mittelpunkt stehen sollen der Verlust der Orientierungsfunktion des Berufs (Kapitel 2.1.1), die Entwicklung vom einstigen Lebensberuf zum möglichen zukünftigen Idealbild des flexiblen Arbeitskraftunternehmers (Kapitel 2.1.2), die Auflösung der Zweiteilung von Bildungsund Berufsphase (Kapitel 2.1.3), die steigende Individualisierung in der Gesellschaft (Kapitel 2.2) und die Entstrukturalisierung der Lebensläufe (Kapitel 2.3).
Ulrich Becks Metapher vom „Geisterbahnhof“ verdeutlicht sehr eindringlich gerade die Situation Jugendlicher, die am Beginn ihrer Ausbildung stehen. „Ein [...] Geisterbahnhof, [...] in dem die Züge nicht mehr nach Fahrplan verkehren. Dennoch läuft alles nach alten Mustern ab. Wer verreisen will - und wer will schon zu Hause bleiben, wo das Zuhausebleiben Zukunftslosig- keit bedeutet-, muss sich in irgendwelchen Warteschlangen zu den Schaltern anreihen, an den Fahrscheine für Züge vergeben werden, die meist sowieso überfüllt sind, oder nicht mehr mit der ausgezeichneten Zielrichtung abfahren. Als sei nichts geschehen, verteilen die Bildungsbeamten hinter den Fahrkartenschaltern mit großem bürokratischem Aufwand Fahrkarten ins
Nirgendwohin und halten die sich vor ihnen bildenden Menschenschlangen mit der >>Drohung<< in Schach: >>Ohne Fahrkarten werdet ihr nie mit dem Zug fahren können! << Und das Schlimme ist, sie haben auch noch recht...!“(Beck 1986, S. 238; Hervorhebungen im Original).
Die Bereiche Arbeit und Beruf haben sich gerade auch durch die zuvor skizzierten Prozesse der Globalisierung in entscheidendem Maß gewandelt. Von dem vorindustriellen Berufskonzept und seiner gesellschaftlichen Funktion ist in inhaltlicher, normativer und sozialer Sicht nicht mehr viel übrig geblieben (vgl. Wittwer 1996, S. 82).
Die Liste der Ausbildungsberufe des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK e.V.) präsentiert sich in einer stark dynamischen Gestalt. Als Reaktion auf Branchenentwicklungen werden immer neue Berufbilder an die veränderten Bedürfnisse der Ausbildungsbetriebe angepasst. Ausbildungsbetriebe und Auszubildende können aktuell unter 360 Berufsbildern wählen und jährlich kommen neue oder modernisierte Ausbildungsberufe hinzu (vgl. DIHK e.V. - Berufsbilder nach Maß 2008). Der technologische Wandel besonders der modernen Informations- und Kommunikationstechnologien, die damit verbundene Neuorganisation der Arbeitsprozesse und der Wandel in den Wirtschaftsektoren von der Produktions- zur Dienstleistungsgesellschaft bewirkt Veränderungen der notwendigen Qualifikationen und Kompetenzen der Arbeitenden. In der Tendenz steigt das nachgefragte Qualifikationsniveau an. Es werden Qualifikationen erwartet, die so als Qualifikationsprofil bisher noch nicht existiert haben. Neue Technologien erfordern neue Qualifikationen. Die Anforderungen an die Beschäftigten erhöhen sich. Es werden zunehmenden Tätigkeiten verlangt, die über die des erlernten Berufes hinausgehen. Auch die Arbeitsorganisation selbst verändert sich, Arbeitsaufgaben werden zunehmend komplexer und können größten Teils nur im Team oder in gemeinsamen Projekten realisiert werden. Die steigende Zahl immer neuer und sich verändernder Tätigkeiten, die innerhalb einer Arbeitsstelle ausgeübt werden, macht die Auflösung und Erweiterung der einzelnen Berufsbilder sehr deutlich (vgl. Nölle, 2006, S. 14). Berufsprofile werden zu Qualifikationsbündeln und neben den fachlichen Qualifikationen gewinnen die überfachlichen Kompetenzen mehr und mehr an Bedeutung (Beck/ Bra- ter/ Daheim 1997, S. 25). Vor diesem Hintergrund muss daher von einer zunehmenden Erweiterung der Berufsbilder und dem Verlust der Orientierungsfunktion des Berufskonzeptes selbst gesprochen werden, da der Beruf und die dazugehörigen Berufsbilder sich dem ständigen Wandel anpassen und gerade für Jugendliche und junge Erwachsene der einmal erlernte Beruf den sozialen und persönlichen Weg nicht mehr in dem Maß vorgibt, wie es noch ihrer Elterngeneration vielfach der Normalfall gewesen ist. Jugendliche und junge Erwachsene müssen lernen, mit immer neuen Anforderungen, die das Berufsleben an sie stellt zu Recht zu kommen. Sie müssen mit der immer wiederkehrenden Entwertung ihrer Qualifikationen, der zunehmenden Instabilität ihrer Erwerbsbiographien, dem Erhalt ihrer beruflichen Handlungskompetenz und ihrer Beschäftigungsfähigkeit kompetent umzugehen lernen, um so auf die Veränderungen des Berufskonzeptes reagieren zu können (Kehl/ Kunzendorf 2006, S. 83).
Ein Blick auf die aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit und dem Statistischen Bundesamt für das Jahr 2007 lässt einen deutlichen Trend erkennen. Aus dem Monatsbericht für Dezember und das Jahr 2007 gehen, so die Bundesagentur für Arbeit in ihrer Statistik, ein weiterhin deutlicher Anstieg des realen Bruttoinlandsproduktes, sowie ein Anstieg der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und der selbstständig Beschäftigten hervor. Das Bruttoinlandprodukt ist im Vergleich zum Vorjahr um 2 % Prozent gewachsen, bei gleichzeitig positiver Entwicklung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, bei denen sich eine Veränderung von plus 1,7 Prozent im Vergleich zum Jahr 2006 verzeichnen lässt. Diese Gruppe der Beschäftigten macht mit 68 Prozent somit immer noch den größten Teil der Erwerbstätigen aus, wobei ihre Bedeutung im Trend über die Jahre abgenommen hat (im Jahr 2000: 71 Prozent; im Jahr 1994: 75 Prozent). Über die Jahre an Gewicht zugenommen haben vor allem selbstständig Beschäftigte, deren Zahl sich, so das statistische Bundesamt in seiner Veröffentlichung für das Jahr 2007, im Jahresdurchschnitt um 54.000 Beschäftigte oder 1,2 Prozent auf insgesamt 4,45 Mio. erhöht hat. Somit übten im Jahr 2007 durchschnittlich 11 Prozent aller Erwerbstätigen eine selbstständige Tätigkeit aus (vgl. Statistik der Bundesagentur für Arbeit [07.01.2008]). Es scheint also auf dem Arbeitsmarkt zu einem Wandel der Beschäftigten zu kommen. Das Normalarbeitsverhältnis als ein auf Dauerhaftigkeit angelegter Arbeitsvertrag mit der Orientierung an Vollzeitbeschäftigung und einem tariflich abgesichertem Gehalt ist auf dem Rückzug (vgl. Kehl/ Kunzendorf 2006, S. 81). In der Entwicklung positiv sind die Zahlen für selbstständig Beschäftigte. Hier scheint sich die Entwicklung mit den Prognosen von Voß (2001) und auch Sennett (2006) zu decken, die auf ihre Weise das Bild des neuen Beschäftigen nachzeichnen. Voß (2001) beschreibt den Typ des Arbeitskraftunternehmers, der sich durch eine Vielzahl neuer Schlüsselqualifikationen für den modernen Arbeitsmarkt auszeichnet. In seinem Ansatz beschreibt Voß (2001) die veränderten Strategien in der Führung vieler Unternehmen, die versuchen, durch die gezielte Ausweitung indirekter Steuerung, die eigentliche Steuerung und Überwachung der Transformation von Arbeitspotential in Arbeitsleistung den Beschäftigten selber zu übertragen. Hintergrund dieser Reorganisationsprozesse bilden die durch die Globalisierung verschärften nationalen und vor allem internationalen Wettbewerbsbedingungen. Der Konkurrenzdruck fordert von den Betrieben neben dem Abbau von Kosten und der Steigerung der Produktivität in erster Linie eine Erhöhung der betrieblichen Reaktionspotentiale und ihrer Produktqualität. Tayloristische Prinzipien der Detailsteuerung scheinen hierbei hinderlich zu sein und es wird stattdessen versucht, Verantwortlichkeiten und Spielräume der Mitarbeiter zu erhöhen, mit dem Ziel einer steigenden Leistungsqualität. Langmaack (2004) betont neben der zunehmenden Individualität und der Vielfalt des Marktes, der zu einem steigenden Konkurrenzdruck der Unternehmen führt, als einen wesentlichen Faktor der Veränderung, den Wandel der Führungsstile in den Betrieben. Sie beschreibt die Entwicklung von einer Führung, die auf den Prinzipien der „3K (Langmaack 2004, S. 33) beruhten und sich durch die Stichworte Kommando, Kontrolle und Korrektur charakterisieren lassen, hin zu einem Prozess aus Fordern, Fördern und Feed-back geben. Das Führen wird hierbei als ein Interaktionsprozess verstanden, bei dem der Mitarbeiter in die Planung und Durchführung der Aufgabe aktiv eingebunden ist (vgl. ebd., S. 34). Durch diese veränderten Sichtweisen gerade in den Unternehmensführungen bilden sich neue Formen der Arbeit heraus.
Voß (2001) unterscheidet hier zwei Bereiche:
(1) Arbeitsformen im Rahmen konventioneller Beschäftigungsverhältnisse
- gruppen- und teambezogene Organisationsformen,
- projektförmige Arbeitsorganisation und erweiterte Delegations- oder management-by-objektives-Modelle,
- hoch flexibilisierte Arbeitszeiten („Vertrauensarbeitszeit“, „Zeitkonten“ usw.),
- Center-Konzepte (Profit-, Cost- und Qualitäts-Center) oder Intrapre- neur-Ideen,
- Neue Formen computervermittelter Heim- und Mobilarbeit usw.
(2) Betriebsübergreifende Arbeitsverhältnisse
- Nutzung sog. „Scheinselbstständiger“ oder „arbeitnehmerähnlicher“ Mitarbeiter
- Kooperation mit echten Selbstständigen
- „virtuelle“ Betriebe, d.h. kontinuierliche Kooperation von Arbeitenden ohne eine eindeutige Betriebsverfassung (vgl. Voß 2001, S. 5).
Der neue Arbeitskraftunternehmer muss neben einer aktiven Produktivitätsorientierung und Marktkompetenz hinsichtlich seiner eigenen Fähigkeiten und Leistungen, die Fähigkeit zur flexiblen Selbstorganisation von Alltag und Lebenslauf besitzen, Kompetenzen zum Identitätsmanagement und zur Ich- Stabilisierung einschließlich der Begrenzung von Selbstausbeutung beherrschen und komplexe Lernfähigkeiten, umfassende Sozial- und Kommunikationsqualifikationen u.ä.m. besitzen (vgl. Voß 2001, S. 18). Die moderne Arbeitswelt, so die These von Voß (2001) weiter, zeichnet sich durch autono- misierte Arbeitsformen aus, in denen sich die Arbeitskräfte zunehmend und systematisch selber ausbeuten. Hierbei steht aus unternehmerischer Sicht die Idee im Mittelpunkt, dass niemand aus einem Menschen so viel herausholen kann wie er selber. Das Potential, das durch diese Form der Führung in den Arbeitskraftunternehmern freigesetzt werden kann, ist für Betriebe der entscheidende wirtschaftliche Faktor. Das Interesse der Betriebe richtet sich an die Kreativität, Intuition und Phantasie, die Begeisterungsfähigkeit und den Willen zur ultimativen Leistung, das Erfahrungswissen und Gespür, das Reaktionsvermögen und die Lernbereitschaft, an die Solidarität, die Loyalität, die Kooperationsbereitschaft und vieles andere mehr (vgl. Voß 2001, S. 15). Dadurch, dass Betriebe ihren Mitarbeitern ein hohes Maß an Selbstorganisation ermöglichen, erhoffen sie sich, so Voß (2001), einen totalen Zugriff auf alle Potentiale der Arbeitskraft und somit im weiteren Sinn auf einen Zugriff der gesamten Arbeitsperson.
Hieraus ergeben sich, darin stimmen Voß (2001) und Sennett (2006) deutlich überein, neue Herrschafts- und Machtverhältnisse, die auf den ersten Blick und bei Betrachtung der „dazu gewonnenen“ neuen Freiheiten der Beschäftigten nicht unbedingt sofort klar erkennbar sind. An die Stelle der direkten betrieblichen Einflussnahme tritt nun eine neue, eher indirekte Macht. Von den Mitarbeitern wird nun verlangt, ihre Fähigkeiten und Kompetenzen im Unternehmenssinn eigenverantwortlich einzusetzen. Es entsteht so eine Herrschaft, „die die Arbeitskräfte über sich selbst ausüben - mit der sie jedoch nach wie vor Ziele erreichen müssen, die nur bedingt ihre eigenen sind und im Rahmen von Strukturen, die sie nur partiell beeinflussen können“ (Voß 2001, S. 14).
Auch Sennett (2006) beschreibt die Folgen des Wandels als eine Zeit der neuen Macht und geht in seinem Entwurf des flexiblen Menschen auf die notwendigen und charakteristischen Züge ein, um in diesem neuen Kapitalismus zuhause zu sein. Sich von der eigenen Vergangenheit zu lösen und immer wiederkehrende Brüche zu akzeptieren, ist so die entscheidende Fähigkeit des modernen Arbeitnehmertypus. Die Zunahme von Umbrüchen und Diskontinuitäten in den Erwerbsbiographien spiegelt sich in aktuellen Zahlen aus der Berufswelt wieder. So arbeiten drei Jahre nach dem Abschluss der Ausbildung, Unterschiede ergeben sich hier je nach Ausbildung und Beruf, zwischen 21% und 68% der Erwerbstätigen nicht mehr in dem von ihnen gelernten Beruf und jährlich werden 31% aller Beschäftigungsverhältnisse neu vereinbart (vgl. Wittwer 1998, S. 145).
Den eindeutigen Gewinnern dieses Wandels auf dem Arbeitsmarkt steht eine große Gruppe an Verlierern gegenübersteht, denen die notwendigen Kompetenzen und Qualifikationen fehlen und die mit den Anforderungen der marktorientierten Nutzung von Arbeitskraft weit überfordert sind. Die Unterscheidung in Gewinner und Verlierer ist somit eine eindeutige Frage der Kompetenzen und ihrer Entwicklung. Jugendliche, junge Erwachsene und auch bereits im Beruf stehende Erwachsene brauchen die ständige und fortlaufende Entwicklung und Erweiterung ihrer Kompetenzen, um in einer Arbeitswelt, die geprägt ist von immer neuen Technologien und einem steigenden Konkurrenzdruck, ihre Arbeitskraft zu platzieren.
Ein Bereich der Veränderungsprozesse im Bereich von Arbeit und Beruf betrifft die Aufhebung der Zweiteilung der Lebensphasen. Die traditionelle Unterscheidung zwischen Ausbildungsphase und der Phase, in der das Gelernte beruflich angewendet wird, wird zunehmend zugunsten des lebenslangen Lernens aufgehoben. Die traditionell leitende Idee der Berufsausbildung mit dem Ziel, des Meisters seines Faches zu werden, kann, durch die beschleunigten ökonomisch-technischen Entwicklungen nicht mehr eingelöst werden. „Der Begriff Ausbildung für die Bildungsphase am Anfang des Lebens stimmt also heute nicht mehr, denn das Wort „ Aus “ bedeutet soviel wie abgeschlossen, beendet, fertig oder reif. „ Ausbildung “ bezeichnet dementsprechend eine Phase, an deren Ende der Bildungsprozess abgeschlossen wäre. Die Ausbildung ist jedoch heute erst der Start zu einem lebenslangen Lernen und nicht bereits der Abschluss“ (Wittwer 1996, S. 79, Hervorhebungen im Original). Die Sichtweise, dass unter Berufsbedingungen die individuelle Entwicklung als etwas prinzipiell Abschließbares und Abgeschlossenes betrachtet wird, verdeutlicht ein Menschenbild, nach dem der einzelne sich bis zu einem bestimmten Punkt entwickeln kann und dann plötzlich „fertig“ ist. Gleichgesetzt wird dieser Zustand aus unverlierbaren und unveränderbaren Eigenarten mit dem Status des Erwachsenseins. Dieses Bild eines „fertigen“ Erwachsenen widerspricht nicht nur den realen Anforderungen lebendiger Erfahrungsverarbeitung und den Möglichkeiten des lebenslangen Lernens, sondern es beinhaltet ein Idee des Menschen, die ihm die Fähigkeit abspricht, sich zu jeder Zeit weiterzuentwickeln, neue Perspektiven und Fähigkeiten zu erwerben. Weiter und hier von besonderem Gewicht, stellt sich dieses Konzept des Menschen deutlich den aktuellen beruflichen dieses Konzept des Menschen deutlich den aktuellen beruflichen Erfordernissen lebenslanger Lern- und Umstellungsbereitschaft (vgl. Beck/Brater/Daheim 1997, S.38). Diese Forderungen und Konzepte zum lebenslangen Lernen stehen somit in einem Gegensatz zu den Prinzipien der traditionellen Berufsbiographie. Für den Einzelnen kann sich genau diese Gegenüberstellung als tiefgreifender biographischer Konflikt äußern: Auf der einen Seite hindern ihn die ökonomischen Bedingungen seiner berufsförmigen Arbeit daran, lebenslang zu lernen, auf der anderen Seite kann jedoch auch ein Festhalten an einem „fertigen“ Lebensberuf gerade zu der Konkurrenzunfähigkeit führen und den Verlust seiner ökonomischen Stellung bedeuten. Orientierungslosigkeit und Verunsicherung resultieren aus dieser Situation (vgl. ebd.).
Seit den 1960er Jahren ist das lebenslange Lernen das impulsgebende Thema der Bildungsdiskussion. Internationale Studien der OECD, der UNESCO und seit den 1990er Jahren auch der EU, betonen ihr Interesse, vor dem Hintergrund sich globalisierter Markt- und Wettbewerbsstrukturen, an der Ausschöpfung des Begabungs- und Qualifikationsreservoires (vgl. Brödel 1998, S. 7). Schon im Bericht des Deutschen Bildungsrates von 1970 heißt es, dass die traditionelle Vorstellung von zwei Lebensphasen, die ausschließlich und voneinander getrennt entweder mit der Aneignung oder mit der Anwendung von Bildung zusammenfallen, abgelöst werden soll durch die Auffassung, dass organisiertes Lernen sich nicht auf eine Bildungsphase am Anfang des Lebens beschränken kann (vgl. Deutscher Bildungsrat 1970, S. 51ff.). Weiterbildung, im Sinne eines lebenslangen Lernens, soll das Individuum zur bewussten Teilhabe und Mitwirkung an den Entwicklungs- und Umformungsprozessen aller Lebensbereiche befähigen und so zur Entfaltung der gesamten Persönlichkeit beitragen (vgl. ebd.).
Kade und Seiter (1998) betonen in diesem Zusammenhang die Zweidimen- sionalität des lebenslangen Lernens und sehen es zwischen Emanzipation und Obligation (vgl. Kade/Seiter 1998). Auf der einen Seite beschreibt der Bedeutungszuwachs die demokratischen - emanzipatorischen Potentiale des lebenslangen Lernens. Emanzipation wird hierbei verstanden als die individuelle Steigerungsmöglichkeit und Vervollkommnungsperspektive und beinhaltet eine Veränderung bzw. eine Neufassung des Bildungsbegriffs.
Dem lebenslangen Lernen werden Entfaltungs-, Entwicklungs- und Steigerungsperspektiven zugeschrieben und hierdurch in den Zusammenhang mit dem klassischen Bildungskonzept gebracht (vgl. ebd.). Die Sichtweise, die Freisetzung individueller Lebensläufe der Individuen und die Möglichkeit der biographischen Selbststeuerung als positiven Effekt auch der Globalisierungsprozesse zu verstehen, betont die Anschlussfähigkeit des Konzeptes des lebenslangen Lernens an strukturelle Wandlungsprozesse.
Aus einer weitaus kritischeren Perspektive heraus betonen Kade und Seiter (1998) jedoch weiter das lebenslange Lernen als Obligation, also als Verpflichtung und gesellschaftlichen Zwang. Die reinen betriebswirtschaftlichen Begründungen kennzeichnen den instrumentellen Charakter der Lernleistungen und der fortwährenden Pflicht zur Weiterbildung (vgl. Kade/ Seiter 1998, S. 52; Wittwer/ Kirchhoff 2003). Vertiefend soll dieser Aspekt im Kapitel 4.1.2 nochmals aufgegriffen werden und die Frage gestellt werden, in wie weit sich gesellschaftliche Anforderungen, in diesem Zusammenhang also eine betriebswirtschaftliche Begründung des lebenslangen Lernens, und die individuellen Bildungsbedürfnisse jedes Einzelnen miteinander vereinbaren lassen.
Unterschieden werden muss weiter zwischen einem bildungspolitischen und einem erwachsenenpädagogischen Zusammenhangsgeflecht. Bildungspolitisch wird versucht, in der Verwendung dieser Begrifflichkeiten die Konkretisierung der Wissensgesellschaft durch die Schaffung einer Lerngesellschaft herbeizuführen. Wissen wird als die unmittelbare Produktivkraft und gesellschaftliche Ressource gesehen, deren Funktion mit derjenigen Funktion vergleichbar ist, die der Faktor Arbeit im Produktionsprozess traditioneller Industriegesellschaften darstellt (vgl. Beck 1996, zitiert nach Brödel 1998, S. 2). Bildungspolitisch ergeben sich aus dieser Sichtweise eine Vielzahl neuer Ansätze, das lebenslange Lernen im Weiterbildungssystem der Bildungseinrichtungen zu etablieren. Im Rahmen dieser Arbeit soll der Fokus im Folgenden jedoch genauer auf die erwachsenenpädagogische Bedeutungsdimension des lebenslangen bzw. lebensbegleitenden Lernens gelegt werden. Aus einer jugend- und auch erwachsenenpädagogischen Perspektive führt die Verwendung des Lebensbegleitenden hin zu einer bedürfnisorientierten Bildungsarbeit, die das Streben des Subjektes nach Kongruenz, biographischer
Kontinuität und Verbindung zu einer Ganzheit zum Ziel hat. Lebensbegleitende Bildung bedeutet somit die Synthesearbeit, die dem Einzelnen hilft, mit Brüchen in der Lebensführung und Differenzerfahrungen aufgrund gesellschaftlicher Modernisierungen umzugehen und sie lebensgeschichtlich und sinnhaft zu verbinden (ebd., S. 4).
Die Biographie des Einzelnen wird zunehmend individuell frei und eigenverantwortlich gestaltbar. Wechsel, Brüche, Diskontinuität und Neuorientierungen scheinen zur Normalität geworden zu sein und die Idee des Berufes als ein Lebensberuf verliert an Überzeugungskraft. Individualisierung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Biographie der Menschen aus ihrer vorgegebenen Fixierung gelöst wird und als Aufgabe so in das Handeln jedes einzelnen gelegt wird. Die statisch gesellschaftliche Verortung des Berufstätigen gerät in Bewegung und scheint zusehends zu verschwinden. Nach Beck (1986) nehmen die prinzipiell entscheidungsverschlossenen Anteile der eigenen Biographie ab, die Anteile, die entscheidungsoffen und selbst herzustellen sind, hingegen zu (vgl. Beck 1986, S. 216). Lebenswege und Entscheidungen über die Wahl der Ausbildung, den Beruf, den Arbeitsplatz, den Wohnort, den Ehepartner und die Kinderzahl und vieles mehr, sind Entscheidungen, die von jedem Einzelnen getroffen werden können und getroffen werden müssen. Vormals sozial vorgegebene Biographien sind nun in jede Richtung offen und müssen vom Individuum selbst geschaffen werden. Diese Entscheidungsfreiheiten, soweit, wie Beck (1986) hinweist, in diesem Zusammenhang überhaupt von Freiheiten gesprochen werden kann, da oftmals weder Bewusstsein noch reale Alternativen bestehen, führen dazu, dass der Einzelne seine Entscheidungen mit all ihren Konsequenzen selbst tragen muss. „In der individualisierten Gesellschaft muß der einzelne entsprechend bei Strafe seiner permanenten Benachteiligung lernen, sich selbst als Handlungszentrum, als Planungsbüro in bezug auf seinen eigenen Lebensverlauf, seine Fähigkeiten, Orientierungen, Partnerschaften usw. begreifen.“ (Beck 1986, S. 217).
Die individualisierte Welt bringt so nicht nur immer mehr Risiken hervor, sondern, so Beck (1986), auch die Qualität der Risiken verändert sich. Das persönliche Risiko jedes einzelnen wächst und mit ihm die Möglichkeiten und das Erleben des persönlichen Versagens. Als scheinbares Gegengewicht zu den entstanden neuen Freiheiten der individuellen Lebensgestaltung durch die Auflösung traditioneller Bindungen und Sozialformen, treten nun zunehmend sekundäre Instanzen und Institutionen, die versuchen, bestimmend auf den individuellen Lebenslauf einzuwirken und die Gefahr für jeden Einzelnen mit sich bringen, zum Spielball von Moden, Verhältnissen, Konjunkturen und Märkte zu werden (Beck 1986, S. 211).
Vor diesem Hintergrund ergibt sich so gerade auch für den Bereich der Bildungsarbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein stetig wachsendes Handlungsfeld und der Umgang mit Unsicherheiten wird so zur biographischen und politischen Schlüsselqualifikation (Beck 1986, S. 101) und weist den Weg zur individuellen Kompetenzentwicklung als notwendige Bedingung für ein Leben in der sich wandelnden Welt.
Als Lebenslauf wird die Abfolge von Ereignissen im Leben eines Menschen definiert und durch die jeweils spezifischen Anforderungen an die Entwicklung in den unterschiedlichen Lebensphasen charakterisiert. Die Vorstellung eines Modells, von aufeinander aufbauenden Phasen, beschreibt die prozessuale Struktur des Lebenslaufs. Die Übergänge von einer Phase in die nächst Folgende sind Zeiten tiefgreifender Veränderungen und möglicher individueller Krisen. Sie fordern vom Einzelnen enorme Leistungen bei der Neuorganisation von Einstellungen und Handlungen (Hurrelmann 2003, S. 115). Die unterschiedlichen Phasen ergeben sich nicht allein durch ihre biologische Definition, sondern werden ebenso durch kulturelle, wirtschaftliche und generationsbezogene Faktoren beeinflusst. Der Lebenslauf in seiner klassischen - traditionellen Dreiteilung, in die Kleinkind-, Kind- und Jugendphase, die Erwachsenenphase und das Seniorenalter unterliegt vor dem Hintergrund aktueller demographischer, kultureller, ökonomischer und sozialer Entwicklungen einem deutlichen Wandel. Bestehende Lebensphasen werden umgestaltet. Ganz neue Lebensphasen kommen im Lebenslauf hinzu.
Die Lebenserwartung der Menschen verlängert sich zunehmend. Die durchschnittliche Lebensdauer lag zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei Männern bei 65 Jahren und ist aktuell auf einen Durchschnitt von 75 Jahren bei Männern und 81 Jahren bei Frauen angestiegen (vgl. Hurrelmann 2004). Durch diese Steigerungen kommt es am Ende der Lebensspanne zu ganz neuen Lebensphasen. Die Phase des Senioralters, die sich an die Pensionierung anschließt und die in früheren Generationen nur von einem kleinen Teil der älteren Menschen erfahren werden konnte, hat sich zu einer eigenständigen Lebensphase entwickelt. Die Phase des hohen Alters, nach dem 90. Lebensjahr, ist in ihrer Entwicklung ebenfalls neu und wird heute von immer mehr Menschen erlebbar. Der Lebenslauf gliedert sich in Folge der altersbedingten, kulturellen und ökonomischen Entwicklungen in immer mehr einzelne Phasen und Segmente, die sich durch ihre jeweilige Eigendynamik und relative Eigenständigkeit auszeichnen. (vgl. Hurrelmann, K. 2003, S.17)
Neben der Lebensphase des Senioralters, der Lebensphase des hohen Alters, ist in der Entwicklung eine deutliche Expansion der Lebensphase Jugend erkennbar. Sie hat sich seit 1900 stetig ausgedehnt und aufgrund ihrer zeitlichen Dauer und biographischen Bedeutung eine Schlüsselstellung innerhalb des gesamten Lebenslaufs eingenommen (vgl. Hurrelmann 2004, S. 16). Durch diese Neustrukturierung des Lebenslaufs lassen sich eine Reihe neuer biographischer Effekte erfassen. Die für die Persönlichkeitsentwicklung entsprechende Bedeutung der einzelnen Lebensphasen verliert durch die Vielzahl an unterschiedlichen Phasen tendenziell an Gewicht. Die Vielfalt der Lebensabschnitte bringt immer auch die Möglichkeit der Neugestaltung und sogar Neudefinition des persönlichen Lebensentwurfs mit sich. Entsprechend werden die Spielräume für die individuelle Gestaltung des Lebenslaufs größer. Es ergeben sich beim Übergang in eine sich anschließende Phase zusätzliche Korrekturmöglichkeiten (Hurrelmann 2004, S. 18ff.).
Die Biographie und die Strukturierung von Ereignissen werden nur noch zu einem immer geringer werdenden Teil durch gesellschaftliche Vorgaben und kulturelle Symbole vorgegeben. Die Bildung der Biographie ist in diesem Sinn ein zentraler Bestandteil der Sozialisation über den gesamten Lebenslauf hinweg. Die Jugendphase wird zu einer Schlüsselphase in einem individuell zu komponierenden Lebenslauf (vgl. Hurrelmann 2003, S. 121), da das Jugendalter als eine Phase innerhalb des Lebens gesehen werden muss, die durch das Zusammentreffen von biologischen, intellektuellen und sozialen Veränderungen zur Quelle ganz vielfältiger Erfahrungen wird (Oerter/Dreher 2002, S. 258). Die Grenzziehung zwischen den Lebensabschnitten wird durch den Wegfall vieler Initiationsriten4 unklarer und wie bereits zuvor angesprochen, durch die Anzahl der aufeinander folgenden Lebensphasen im Lebenslauf insgesamt durchlässiger. Hurrelmann (2003) sieht hier die Begründung für den steigenden biographischen Stellenwert der Lebensphase Jugend, da in ihr alle für die heutige Lebensbewältigung typischen Anforderungen ein erstes Mal erprobt werden können. Der Autor beobachtet im Jugendalter den Vorboten für weitreichende Veränderungen der Entstrukturali- sierung und Destandardisierung der Lebensphasen insgesamt. Die Jugendphase symbolisiert wie keine andere Phase die Spannung zwischen persönlicher Individuation und sozialer Integration (Hurrelmann 2003, S. 115ff.). Durch die Ausdehnung der Jugendphase ist die Eigenleistung junger Menschen bei der Gestaltung des Lebenslaufs höher, als in vorherigen gesellschaftlichen Formationen. Die Anforderungen, so seine These weiter, an eine aktive Lebensführung und die Gestaltung der Biographie spielen somit im Jugendalter die entscheidende Rolle (ebd.). Ferchhoff (1999) spricht in diesem Zusammenhang sogar von der Jugend als ein Lebensstil, der quasi altersübergreifend zu einer Art Markenzeichen moderner Identität geworden ist.
„Ich fühle mich oft wie ein Wirbel im Wind geschleift gedreht gehoben gebeutelt gedreht um die eigene Achse Orientierung verloren nach außen nach innen daheim“ Elke, 19 (zitiert aus Bieri Busch, C. & Forrer, E. 2005, S.104)
Der strukturelle Wandel der Gesellschaft, wie in diesem zweiten Kapitel skizziert, prägt die alltäglichen Lebensformen der Menschen heute. Globalisierung, Individualisierung, Pluralisierung, Flexibilität und Mobilität gehören immer mehr zu den Normalerfahrungen ihres Alltags. In dem Maß, in dem Menschen sich aus vorgegebenen Mustern der Lebensgestaltung herauslösen können, aber auch müssen, wächst die Zahl der möglichen Lebensformen und möglichen Vorstellungen von Normalität und Identität (vgl. Keupp 2005, S. 66ff.). Immer weniger Selbstverständlichkeiten von fest etablierten Verhaltens- und Denkmustern stehen zur Verfügung und der Einzelne muss sich im postmodernen Pluralismus für die eine oder andere Möglichkeit entscheiden. Sein Leben wird so zu einem Projekt, vielmehr zu einer Serie vieler Projekte (vgl. ebd.). Die sukzessive Erosion aller Verbindlichkeiten, der Trag-
[...]
1 Der Begriff des psychosozialen Moratoriums wurde durch Erik H. Erikson geprägt. Bezeichnet wird hierdurch die Übergangsphase zwischen Kindheit und Erwachsenenidentität, in welcher experimentelles Rollenverhalten gesellschaftlich akzeptiert ist und ohne Konsequenzen gelebt werden kann. Für Erikson (1966) ist dieses psychosoziale Moratorium determinierend für die gesunde Entwicklung der erwachsenen Persönlichkeit.
2 Vgl. hierzu Silbereisen, R.K.; Vaskovics, L.A.; Zinnecker, J. (Hrsg.) (1997): Jungsein in Deutschland. Jugendliche und junge Erwachsene 1991 und 1996. Opladen: Leske +Budrich.
3 Vgl. hierzu die These von S.P. Huntington (2007) in „Kampf der Kulturen“. Der Politikwissenschaftler Samuel Phillips Huntington stellte 1993 die These auf, dass die Weltpolitik des 21. Jahrhunderts nicht von politischen, ideologischen oder wirtschaftlichen Auseinandersetzungen geprägt sein werde, sondern durch die Konflikte zwischen den Kulturen. Kernaussage Huntingtons ist, dass der Faktor Kultur in der internationalen Politik einen massiven Bedeutungsgewinn erfährt. Sein distinktivitätstheoretischer Ansatz besagt, dass auf der Mikroebene eine durch Globalisierungsprozesse intensivere Auseinandersetzung mit dem „Anders sein“ statt finden wird, die dazu führt, dass Menschen sich verstärkt über Distinktionen identifizieren. Auf der Makroebene führt Globalisierung seiner Meinung nach zu einer selektiven Adaption und Assimilation. Ziel der Assimilation und Adaption ist es, die eigene Kulturseele zu stärken. Das Kulturfremde, das nicht nützlich zu sein scheint, wird ignoriert oder abqualifiziert (vgl. hier Huntington 2007).
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