Bachelorarbeit, 2020
36 Seiten, Note: 1,3
Psychologie - Klinische Psychologie, Psychopathologie, Prävention
Abkürzungsverzeichnis
Zusammenfassung
1 Einleitung
2 Theorie
2.1 Kognitive Theorie der Depression
2.2 Dichotomes Denken
2.3 Entwicklung und Psychometrie von Textanalyseprogrammen
2.3.1 Ethische Perspektive
2.5 Linguistische Marker im Kontext von Depression
2.6 Absolutistisches Denken und depressive Symptome
2.6.1 Vorgängerstudie und Hypothesen
3 Methode
3.1 Datenerhebung
3.2 Textanalyse
3.3 Versuchsdesign
4 Ergebnisse
4.1 Hypothese 1, 2 und 3
4.2 Hypothese 4
5 Diskussion
5.1 Untersuchung depressionsbezogener Marker
5.1.1 Implikationen für die Praxis
5.2 Limitationen und Ausblick
5.3 Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit dieser wissenschaftlichen Arbeit wurde weitestgehend auf die Nennung der weiblichen Wortform verzichtet. Dieser Umstand ist nicht etwa auf diskriminierende Motive zurückzuführen, sondern dient einzig und allein einem flüssigeren Sprachgebrauch.
AV Abhängige Variable
BMI Body Mass Index
CBT Cognitive Behavioural Therapy
DSM-5 Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders 5. Edition
ER Extreme Responses
LIWC Linguistic Inquiry and Word Count
NLP Natural Language Processing
UV Unabhängige Variable
VIF Variance Inflation Factor
Es existiert eine große Evidenz für die Manifestation psychischer Störungen in der menschlichen Sprache. Dichotomes Denken, das im Zusammenhang mit Depressionen steht, kann auf der linguistischen Ebene in Form von absolutistischen Wörtern operationalisiert werden. In der vorliegenden Beobachtungsstudie geschah dies über die computerbasierte Untersuchung natürlicher Sprache aus Onlineforen. Dazu wurden Forenbeiträge von n = 329 Probanden gesammelt, die in eine depressionsbezogene Testgruppe und eine Kontrollgruppe unterteilt wurden. Unter Verwendung des Linguistic Inquiry and Word Count (LIWC) wurden die Beiträge hinsichtlich des prozentualen Aufkommens ausgewählter Wortkategorien untersucht. Neben absolutistischen Wörtern wurden ebenfalls Personalpronomen in der 1. Person Singular und negative Emotionswörter erhoben. Unter Verwendung von t-Tests und einer logistischen Regression wurden die Zusammenhänge zwischen den Wortvariablen und der abhängigen Variable Depression untersucht. Sowohl absolutistische als auch negative Emotionswörter und Personalpronomen stehen in einem signifikanten Zusammenhang zu Depressionen. Eine logistische Regression schränkt die Vorhersagekraft absolutistischer Wörter allerdings ein. Diese Ergebnisse indizieren einerseits das Potenzial linguistischer Analysen und andererseits den bestehenden Bedarf experimenteller Forschung auf dem Gebiet linguistischer Marker.
Unter Depressionen versteht man eine häufig vorkommende psychische Störung, die sowohl die geistige als auch die körperliche Gesundheit betrifft. Zu den Hauptsymptomen einer Depression zählen das mangelnde Interesse an den üblichen Lebensaktivitäten, Schlaflosigkeit, die Unfähigkeit, das Leben zu genießen und suizidale Gedanken (Cui, 2015). Das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) beschreibt depressive Störungen als charakterisiert durch das Vorhandensein von trauriger, leerer oder gereizter Stimmung, begleitet von somatischen und kognitiven Veränderungen, die die Funktionsfähigkeit des Individuums erheblich beeinträchtigen (American Psychiatric Association, 2013). Des Weiteren existieren dokumentierte negative Auswirkungen von Depressionen auf zwischenmenschliche Beziehungen, den Bildungsstand und die finanzielle Sicherheit (Kessler & Wang, 2009). Darüber hinaus haben Patienten mit einer schweren depressiven Störung ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Herz-Kreislauf-Erkrankung und eine ebenso erhöhte Morbidität und Mortalität (Seligman & Nemeroff, 2015). Demnach sind Depressionen sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene mit enormen Kosten verbunden. Es wird geschätzt, dass ca. 300 Millionen Menschen auf der Welt an Depressionen leiden, welche von der Weltgesundheitsorganisation als Hauptursache zur globalen Entstehung von Behinderungen eingestuft werden (Smith, 2014). Einer der besorgniserregendsten Aspekte besteht darin, dass Jugendliche mit schweren Depressionen mit einer 30 mal so hohen Wahrscheinlichkeit Selbstmord begehen wie Vergleichsgruppen, die nicht an einer Depression erkrankt sind (Stringaris, 2017). Epidemiologische Erhebungen deuten darauf hin, dass die Lebenszeitprävalenz einer Depression 16,6% beträgt, bei Frauen wird diese sogar auf 21,3% geschätzt (Kessler & Bromet, 2013). Wichtig ist, dass es sich hierbei um eine stark rezidivierende Erkrankung handelt. Demnach erhöht jede depressive Episode die Wahrscheinlichkeit, dass Personen eine wiederkehrende Depression entwickeln (Solomon, 2000).
Obwohl Depressionen heute eines der präsentesten globalen Gesundheitsprobleme darstellen, ist ihre komplexe Pathogenese nach wie vor nicht ausreichend verstanden, denn sowohl kulturelle, psychologische als auch biologische Faktoren tragen zu der Entstehung von Depressionen bei (Gross, 2014). Das unzureichende Verständnis dieser Krankheit könnte dabei eine vermittelnde Funktion in der gesellschaftlichen Stigmatisierung von Depressionen einnehmen. Diese werden mit mangelnder Willenskraft und fehlender Bereitschaft, sich mit der Krankheit auseinanderzusetzen, in Verbindung gebracht. Aufgrund dessen verbergen Betroffene häufig ihren Zustand, weigern sich Hilfe zu suchen und konsolidieren folglich die Symptomatik.
Der Bericht des Europäischen Zweigs der World Health Organization (2016) widmete der Identifizierung von Anzeichen einer Depression und der Personalisierung von Online-Methoden zu ihrer Prävention besondere Aufmerksamkeit. Die linguistische Analyse spezifischer Online-Foren und sozialer Medien wird als Möglichkeit diskutiert, die Symptome einer Depression rechtzeitig zu erkennen. Dadurch kann es Psychologen ermöglicht werden, den Risikogruppen Präventions- und Interventionsmaßnahmen bereits im Frühstadium nahezulegen.
Nach Becks kognitivem Modell der Depression spielt die voreingenommene Erfassung und Verarbeitung von Informationen eine primäre Rolle bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung von Depressionen (Beck, 1972). Die dem Modell zugrundeliegenden Mechanismen, wie zum Beispiel dysfunktionale Kognitionen, wurden in zahlreichen Untersuchungen mit dem Ausbruch und der Aufrechterhaltung von Depressionen in Verbindung gebracht (Disner et al., 2011). Es existieren vielfältige Forschungsansätze in Bezug auf die Untersuchung einzelner Konstrukte des kognitiven Modells der Depression. Ebenso gibt es wissenschaftliche Bemühungen, moderne neurobiologische und psychologische Erkenntnisse in das Modell zu integrieren. In der vorliegenden Arbeit soll es jedoch insbesondere um den Zusammenhang zwischen einem dichotomen Denkstil, welcher umgangssprachlich als Schwarz-Weiß-Denken bezeichnet wird, und Depressionen gehen. Al-Mosaiwi und Johnstone (2018) untersuchten in dem Zusammenhang, inwiefern ein dichotomer Denkstil auf der linguistischen Ebene sichtbar wird. In einer softwarebasierten linguistischen Analyse von Experimental- und Kontrollforen fanden sie dabei einen erhöhten Gebrauch absolutistischer Wörter in den Foren, die mit affektiven und depressiven Störungen assoziiert waren. Unter absolutistischen Wörtern versteht man hier Begriffe, die keine Nuancierung zulassen.
In Anlehnung an die Studie von Al-Mosaiwi und Johnstone (2018), behandelt die vorliegende Untersuchung die Frage, inwiefern ein absolutistischer Wortgebrauch als Marker für selbstberichtete depressive Symptome in Online-Foren fungiert. Diese zentrale Fragestellung wird anhand eines analytischen Forschungsdesigns überprüft.
In Kapitel 2.1 erfolgt zunächst die Darstellung der Kognitiven Theorie der Depression nach Beck. In Kapitel 2.2 wird das dichotome Denken näher beleuchtet. Das Kapitel 2.3 beinhaltet die Entwicklung und Psychometrie von Textanalyseprogrammen inklusive des ethischen Diskurses über die Verwendung der genannten Software. Darauf folgt die Darstellung relevanter Literatur in Bezug auf linguistische Marker im Kontext von Depressionen. In Kapitel 2.6 wird die bisherige Studienlage zu absolutistischem Wortgebrauch und Depressionen eruiert. Anschließend werden die Hypothesen der vorliegenden Arbeit aufgestellt. In Kapitel 3 wird das methodische Vorgehen bezüglich des Forschungsdesigns, der Auswertungssoftware und statistischer Kennzahlen beschrieben. In Kapitel 4 geht es sowohl um die deskriptive Beschreibung ausgewerteter Daten als auch um die inferenzstatistische Hypothesenprüfung. Den Abschluss dieser Arbeit bildet die in Kapitel 5 stattfindende Diskussion, welche mit einem Fazit abgeschlossen wird.
Absolutistische Wörter sind Begriffe, die per Definition keine Nuancierungen zulassen, wie beispielsweise die Wörter immer oder nie. Es wird hypothetisiert, dass sie als manifeste Variable eines dichotomen Denkstils gelten, welcher wiederum im Zusammenhang mit depressiven Symptomen steht und eine kognitive Verzerrung darstellt (Al-Mosaiwi & Johnstone, 2018). Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Arbeit von einem absolutistischen Denkstil gesprochen. Das grundlegende Verständnis kognitiver Verzerrungen schaffte (Beck, 1963) mit seiner Kognitiven Theorie der Depression. Die Befunde der vorliegenden Untersuchung werden im Rahmen von Becks Depressionsmodell diskutiert, um den Zusammenhang zwischen Sprache und Depression herauszuarbeiten.
Die Kognitive Theorie beziehungsweise das Modell der Depression wurde von Beck verfasst und thematisiert - die Entstehung und Aufrechterhaltung von Depressionen. Grundlage für die Theorie sind diverse klinische und theoretische Arbeiten (Beck, 1963, 1964). Becks Theorie unterscheidet sich fundamental von vorherigen Theorien, da er Denkprozesse als primären Ursprung für die Depression sieht und nicht als eine Konsequenz der Depression (Beck, 1963).
Seine Theorie fußt auf drei wesentlichen Annahmen: (1) dysfunktionale Schemata, (2) automatische Gedanken, (3) negative kognitive Triade. Laut Beck prägen Erfahrungen Schemata, welche dann wiederum die Kognitionen und somit die Denkweise von Menschen bestimmen. Depressive Menschen besitzen nach dieser Ansicht dysfunktionale Schemata, die zu automatisierten negativen Gedanken führen, die ihrerseits um die drei Konstrukte der negativen kognitiven Triade Selbst, Umwelt und Zukunft kreisen. Die negative kognitive Triade wird zudem von sogenannten kognitiven Verzerrungen aufrechterhalten, wie zum Beispiel dem dichotomen Denken, der selektiven Abstraktion oder den willkürlichen Schlussfolgerungen. Es ist leicht zu erkennen, wie jede dieser kognitiven Verzerrungen dazu neigt, die negative kognitive Triade aufrechtzuerhalten. Wenn die Gedanken einer Person bezüglich ihrer Ansichten über sich selbst, ihre Umwelt und Zukunft bereits negativ sind und sie - die Person - dazu tendiert, negative Ereignisse bevorzugt wahrzunehmen oder voreilig negative Schlussfolgerungen zu ziehen, ist es unwahrscheinlich, dass diese negativen Gedanken verschwinden. Nichtsdestotrotz erfordert die von Beck begründete Cognitive Behavioural Therapy (CBT), welche zur Behandlung von Depressionen eingesetzt wird, eine kritische Analyse, welche kognitiven Muster und Verzerrungen genau mit ihren Symptomen verbunden sind.
Obwohl Becks Theorie im Laufe der Zeit um empirische Belege und ergänzt und in vielen Punkten bestätigt wurde (Clark, Beck, & Alford, 1999), gab es ebenfalls kritische Äußerungen. So postulierte Beck, dass die dysfunktionalen Schemata als Vulnerabilitätsfaktor für Depressionen gelten, die beim Auftreten von Stressoren aktiviert werden. Tatsächlich reicht es aber in der Regel aus, bei einer Person, die zuvor depressiv war, eine depressive Stimmung zu erzeugen, zum Beispiel durch das Hören trauriger Musik oder das Abrufen trauriger Erinnerungen, um latente depressive Schemata zu aktivieren (Ingram et al., 2006). In einer neueren Untersuchung konnte Beck (2016) die kontroversen und vielfältigen Befunde integrieren, so dass sein Modell auch heute noch aktuell erscheint. Demnach gibt es eine Kontinuität der kognitiven Struktur und Funktion in allen Bereichen, die für Depressionen relevant sind. Beginnend mit dem frühesten Stadium der Kognition führen negative Wahrnehmungen und Einschätzungen nacheinander zu negativen Gedanken und Überzeugungen. Die in Schemata eingebetteten Überzeugungen beeinflussen die Informationsverarbeitung und -interpretation in Bezug auf die Veranlagung und Auslösung einer schweren Depression weiter. Die weiterhin bestehende Aktualität des Modells gibt Anlass zu der Annahme, dass das dichotome Denken einen relevanten Faktor zur Aufrechterhaltung einer Depression darstellt.
In Übereinstimmung mit kognitiven Modellen der Psychopathologie wurde eine Tendenz zu dichotomem Denken mit einer Reihe von psychiatrischen Symptomen und Störungen in Verbindung gebracht, was auf einen transdiagnostischen Prozess hindeutet. Beispielsweise ist dieser dysfunktionale Denkstil bei Personen mit Stimmungsstörungen relativ häufig anzutreffen. Bereits in den 1960er Jahren wurde festgestellt, dass Suizidpatienten das Leben schwarz-weiß sehen und in ihrer Wahrnehmung "eingesperrt" sind, ohne sich Alternativen vorstellen oder neue Wege zur Lösung ihrer Probleme in Betracht ziehen zu können. In getrennter Betrachtung haben kognitive Rigidität, dichotomes Denken und Problemlösung konsistente und starke Assoziationen mit suizidalem Denken und Verhalten gezeigt, werden aber zunehmend als eng miteinander verbundene Prozesse betrachtet (Ellis, 1987; Ellis & Rutherford, 2008).
Eine Studie von Teasdale et al. (2001) untersuchte die kognitive Vermittlung der Rückfallprävention durch kognitive Therapie mit 158 Patienten mit weiter bestehenden, depressiven Symptomen. Testscores, die auf einer Übereinstimmung mit den Iteminhalten von fünf Fragebögen zur depressionsbezogenen Kognition basierten, lieferten keine Hinweise auf eine kognitive Vermittlung. Ein Maß für die Form der Reaktion auf diese Fragebögen, das heißt die Anzahl der Male, in denen Patienten extreme Antwortkategorien wie stimme völlig zu und stimme völlig nicht zu verwendeten, zeigte eine signifikante und substanzielle Vorhersage des Rückfalls, des differentiellen Ansprechens auf die kognitive Therapie und der Übereinstimmung mit den Mediationskriterien. Die Therapie verringerte die Rezidivrate durch Reduzierung des absolutistischen beziehungsweise dichotomen Denkstils. Die kognitive Therapie kann somit ein Rezidiv verhindern, indem die Patienten darin geschult werden, die Art und Weise der Verarbeitung depressionsbezogenen Materials anstatt den Glauben an depressive Denkinhalte zu ändern. Das Dichotomous Thinking Inventory (Oshio, 2009) bewertet drei Dimensionen: (1) Präferenz für Dichotomie, (2) dichotomischer Glaube und (3) Gewinn- und Verlustdenken. Die Präferenz für Dichotomie spiegelt eine Präferenz für Unterscheidbarkeit und eindeutige Situationen wider. Das Gewinn- und Verlustdenken beinhaltet die Planung, wie man aus Situationen Vorteile ziehen und Nachteile vermeiden kann, wie zum Beispiel der Wunsch zu klären, ob Informationen nützlich oder nutzlos sind. Oshio lieferte zudem vorläufige Beweise für die Zuverlässigkeit von Test-Retest-Reliabilität, interner Konsistenz, Faktorstruktur und konvergenter Validität. Bei der Betrachtung des Dichotomous Thinking Inventory wird deutlich, dass diese kognitive Verzerrung über mehrere Facetten verfügt, die im jeweiligen Kontext differenziert betrachtet werden können.
Eine Studie von Dove, Byrne und Bruce (2009) zeigte, dass dichotomes Denken den Zusammenhang zwischen Depression und Adipositas bei der Behandlung von Gewichtsverlust bei adipösen und übergewichtigen Personen mildert. Personen mit einem dichotomen Denkstil neigen dazu, ein ähnliches Maß an depressiven Symptomen zu zeigen, unabhängig davon, ob sie fettleibig oder übergewichtig sind. Dies deutet darauf hin, dass jede Unregelmäßigkeit dessen, was ein dichotomer Denker für ein akzeptables Körpergewicht hält, das Risiko für Depressionen erhöhen kann. Das Ziel einer Studie von Antoniou et al. (2017) war, die vermittelnde Rolle des emotionalen Essens und dichotomen Denkens bei Depressionen und Fettleibigkeit zu untersuchen. Die Daten von 205 Personen aus einer gemeindebasierten Studie, die an der Universität Maastricht in den Niederlanden durchgeführt wurde, dienten als Untersuchungsmaterial. Selbstberichtete Daten über Depressionen, emotionales Essen, Body Mass Index (BMI) und dichotomes Denken wurden gesammelt und die entsprechenden Punktzahlen in einem querschnittlichen Forschungsdesign berechnet. In der Primäranalyse wurde die Hypothese getestet, dass Depression durch dichotomes Denken und emotionales Essen eine vermittelnde Wirkung auf den BMI besitzt. Ein Zwei-Mediatoren-Modell wurde verwendet, um die direkten und indirekten Auswirkungen von emotionalem Essen und dichotomem Denken auf den Depressions-BMI vorherzusagen. Die depressiven Symptome waren positiv mit dem BMI, dem emotionalen Essen und dem dichotomen Denken korreliert. Demnach könnte ein dichotomer Denkstil den Zusammenhang zwischen Depression und BMI teilweise erklären.
Die Untersuchung von Zusammenhängen zwischen einem dichotomen Denkstil und menschlicher Sprache bedarf anderer Messinstrumente als zum Beispiel die bei Teasdale et al. (2001) verwendete Likert-Skala. Dazu gehören psycholinguistische Methoden, die heute in Form von Computerprogrammen Anwendung finden und auf einer Reihe psychologischer Prinzipien basieren.
Die Wurzeln der modernen Textanalyse reichen bis in die Anfänge der Psychologie zurück. Freud (1901) schrieb über Versprecher, bei denen sich die verborgenen Absichten eines Menschen in offensichtlichen Sprachfehlern offenbaren. Rorschach (1921) entwickelte projektive Tests zum Nachweis von Gedanken, Absichten und Motiven aus der Beschreibung mehrdeutiger Tintenkleckse. McClelland und eine Generation von Forschern rundum den Thematischen Apperzeptionstests (1979) stellten fest, dass die Geschichten, die Menschen als Reaktion auf Zeichnungen erzählen, wichtige Anhaltspunkte für ihre Bedürfnisse nach Zugehörigkeit, Leistung und Macht liefern. Allgemeinere und weniger anreizgebundene Ansätze entwickelten sich in den 1950er Jahren. Gottschalk und Gleser (1969) entwickelten eine inhaltsanalytische Methode, mit der auf Freuds Theorie basierende Themen in Textproben verfolgt werden konnten.
Das erste computergestützte Textanalyseprogramm für die Messung genereller Zusammenhänge im Bereich der Psychologie wurde von Stone, Dunphy, Smith und Ogilvie (1966) entwickelt. Mit Hilfe eines Großrechners bauten diese ein komplexes Programm, das McClellands bedarfsorientierte Kodierungsschemata an jeden offenen Text anpasst. Das Programm, General Inquirer genannt, stützt sich auf eine Reihe komplexer Algorithmen. Der General Inquirer hat sich bei der Unterscheidung von psychischen Störungen, der Beurteilung von Persönlichkeitsdimensionen und der Bewertung von Reden als wertvolles Messinstrument erwiesen. Eine Einschränkung dieses Programmes ist jedoch, dass sie sich auf die Manipulation und Gewichtung von Sprachvariablen verlassen haben, die für den Benutzer nicht einsehbar waren. Die erste transparente Textanalysemethode wurde von Weintraub (1989) entwickelt. Über den Zeitraum eines Jahrzehnts zählte er die Worte von Menschen in politischen Reden und medizinischen Interviews von Hand nach. Er bemerkte, dass die Verwendung von Singularpronomen wie ich oder mein zuverlässig im Zusammenhang mit dem Grad einer Depression steht. Obwohl seine Methoden valide waren und seine Erkenntnisse stets mit derzeit relevanten Messwerten korrelierten, wurde seine Arbeit weitgehend ignoriert. Seine Beobachtung, dass die Worte der Alltagssprache psychologische Zustände widerspiegeln, war dennoch weitsichtig und korrekt.
In den 1980er Jahren entdeckten Forscher, dass Menschen eine Verbesserung der körperlichen Gesundheit zeigten, wenn man sie dazu aufforderte, über emotionale Umwälzungen in ihrem Leben zu schreiben (Pennebaker & Beall, 1986). Um eine effizientere Bewertungsmethode zu finden, wandten sie sich computergestützten Textanalyseprogrammen zur Bewertung dieser Aufsätze zu. Damals existierte kein derartiges Programm. Folglich begannen sie mit der Aufgabe, eine geeignete Software zu entwickeln. Ihr Gedanke war, ein Programm zu schaffen, welches in psychologisch relevanten Kategorien und über mehrere Textdateien hinweg Wörter zählte. Das Ergebnis ist ein sich ständig veränderndes Computerprogramm (LIWC; Pennebaker & Francis, 1999). Das LIWC-Programm hat zwei zentrale Merkmale: die Verarbeitungskomponente und die dazugehörigen Wörterbücher. Die Verarbeitungskomponente ist das Programm selbst, das eine Reihe von Textdateien öffnet, die aus unterschiedlichen Quellen bestehen. Jedes Wort in einer bestimmten Textdatei wird mit der Wörterbuchdatei verglichen und einer Kategorie zugeordnet. Das Programm erfährt eine kontinuierliche Überarbeitung (Pennebaker, Boyd, Jordan & Blackburn, 2015) und Anpassung an neue Befunde (Tausczik & Pennebaker, 2010). Weitere methodische Details der Software werden im Methodenteil der vorliegenden Arbeit näher beleuchtet, da LIWC in dieser Arbeit als Auswertungsmethode dient.
Die hier beschriebenen Methoden fallen unter das sogenannte Natural Language Processing (NLP). Darunter versteht man die computerbasierte Verarbeitung großer Datensätze, die menschliche, natürliche Sprache beinhalten. Aus der Verwendung von Programmen zur Analyse menschlicher Sprache erwachsen nicht nur neue Möglichkeiten wie die Vorhersage akademischen Erfolgs (Pennebaker et al., 2014), sondern auch eine gesellschaftliche und ethische Verantwortung.
Die medizinischen Wissenschaften haben seit langem einen Ethikkodex für Experimente aufgestellt, um das Risiko einer Schädigung der Versuchspersonen zu minimieren. NLP wurde eingangs verwendet, um meist anonyme Korpora zu untersuchen, welche die linguistische Analyse bereichern sollten. Daher schien es anfangs unwahrscheinlich, dagegen ethische Bedenken zu erheben. Da sich NLP weiter ausbreitet und immer mehr Daten verwendet - insbesondere die sozialer Medien -, hat sich die Situation geändert. Die Ergebnisse von NLP-Experimenten und -Anwendungen können nun einen direkten Einfluss auf das Leben der einzelnen Anwender haben. Bis vor kurzem wurde der Diskurs zu diesem Thema im Feld wenig verfolgt. Der öffentliche Diskurs hingegen konzentrierte sich auf eine unverhältnismäßige Gefahrendarstellung (Trotzek et al., 2018). In der wissenschaftlichen Diskussion geht es vor allem um Ausschluss, Übergeneralisierung, Expositionsprobleme und Dual-Use.
Infolge der Situiertheit der Sprache beinhaltet jeder Datensatz eine demographische Verzerrung, das heißt latente Informationen über die darin enthaltenen demographischen Daten. Eine Überbewertung dieser Informationen kann schwerwiegende Auswirkungen auf die Anwendbarkeit von Befunden haben. In der Psychologie werden die meisten Studien auf der Basis westlicher, gebildeter, industrialisierter und demokratischer Forschungsteilnehmer durchgeführt. Die stille Annahme, dass Erkenntnisse über diese Gruppe problemlos in andere demographische Bereiche übersetzt werden kann, hat zu einem verzerrten Korpus psychologischer Daten geführt. Zu den möglichen Folgen zählen Ausgrenzung von Personengruppen oder demographische Fehldarstellungen. Dies stellt an sich bereits ein ethisches Problem für Forschungszwecke dar und bedroht die Universalität und Objektivität wissenschaftlicher Erkenntnisse (Merton, 1973).
Die Übergeneralisierung gilt als ein Nebeneffekt der Modellierung. Beispielhaft kann man Interferenzen von Benutzerattributen im Bereich des NLP betrachten, deren Analyse vielversprechende Anwendungsgebiete wie zum Beispiel Empfehlungsmaschinen und Betrugserkennung mit sich bringt (Badaskar et al., 2008). Die Kosten für falsch-positive Ergebnisse erscheinen auf den ersten Blick als nebensächlich. Eine falsch adressierte E-Mail oder eine irrtümliche Gratulation zum Geburtstag werden in der Regel als harmlos angesehen. In der wissenschaftlichen Praxis kann jedoch das Vertrauen auf Modelle, die falsch-positive Ergebnisse liefern, zu einer massiven Verzerrung führen. Ein fehlerhaftes System zur Vorhersage sexueller Orientierung, religiöser Ansichten oder psychischer Anomalien würde wahrscheinlich negativer bewertet werden. Je nach Sensibilität der Daten, sollten also entsprechende Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden.
Eine Überexposition des Themas schafft Verzerrungen. Anders als der Ausschluss und die Überexposition, welche durch die Verwendung von Algorithmen verhindert werden können, geht eine Überexposition aus dem Forschungsdesign hervor. Eine solche thematische Überexposition kann zu einem psychologischen Effekt führen, der als Verfügbarkeitsheuristik bezeichnet wird (Tversky & Kahneman, 1973). Wenn Menschen sich an ein bestimmtes Ereignis erinnern können oder über spezifisches Wissen verfügen, messen sie diesem automatisch eine größere Bedeutung bei. Derartige Heuristiken werden ethisch aufgeladen, wenn Merkmale wie Gewalt oder negative Emotionen stärker mit bestimmten Gruppen oder Ethnien assoziiert sind (Slovic et al., 2007). Wenn in der Forschung wiederholt festgestellt wird, dass die Sprache einer bestimmten demographische Gruppe Auffälligkeiten zeigt, kann dadurch eine Situation kreiert werden, in der die entsprechende Gruppe als anormal betrachtet wird. Somit enthält die Gruppe durch eine thematische Überexposition ein Stigma.
Ein weiteres Konzept wird unter dem Begriff Dual-Use subsumiert. Darunter versteht man in diesem Kontext die Zweckentfremdung der sprachwissenschaftlichen Methoden, zum Beispiel durch die kommerzielle Anwendung von erworbenen Daten (Oltmann, 2015). Dabei geht es vor allem um die Problematik, in welchem Ausmaß Wissenschaftler entwickelte Programme für die Allgemeinheit zugänglich machen sollten. Beispielsweise könnte eine Software zur linguistischen Identifikation depressiver Symptome von Arbeitgebern benutzt werden, um Online-Profile potenzieller Bewerber im Vorhinein zu überprüfen.
Die dargestellten Probleme implizieren, dass Fortschritte in der Sprachanalyse negativ konnotiert sein können. Zu den Gegenmaßnahmen für den Ausschluss gehören Techniken zur Kontrolle von Verzerrungen. Zur Vermeidung von Übergeneralisierung werden Dummy-Labels, Fehlergewichtungen oder Konfidenzintervalle verwendet. Expositionsprobleme können nur durch ein sorgfältiges, objektives Forschungsdesign angegangen werden. Dual-Use-Probleme scheinen auf der Ebene des einzelnen Forschers kaum lösbar zu sein, sondern erfordern die konzertierte Anstrengung der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Zur Einhaltung des ethischen Kodex sollte es prioritär sein, die Nützlichkeit von NLP für den Menschen in den Vordergrund zu stellen. Die im Zusammenhang mit Depression stehende Textanalyse brachte beispielsweise zahlreiche linguistische Marker hervor, die zu einer besseren Früherkennung führen können. Nach Brockmeyer et al. (2015) zählt die Analyse narrativer Sprache bereits zu den diagnostischen Instrumenten der Psychotherapie. Dabei gelten sprachliche Indikatoren als psychopathologische Marker, welche zum Erfolg einer Psychotherapie zur Frühdetektion oder Suizidprävention beitragen können (Leiva & Freire, 2017).
James J. Bradac (1999) betonte bereits die zahlreichen Möglichkeiten, mit denen Wissenschaftler gleichzeitig sowohl Sprache als auch menschliche Kommunikation untersuchen können. Er verstand den Wert von hochgradig kontrollierten Laborstudien und gleichzeitig die Bedeutung der natürlichen, menschlichen Sprache. Von besonderer Bedeutung war für ihn jedoch, dass die Sprachforschung ihre Theorien und Ergebnisse in einer Vielzahl von Methoden und Stichproben reproduziert, so dass ein konsistentes Bild entsteht.
Negative Emotionswörter sind ein vielfach untersuchter Marker für Depressionen. Dies wird vor allem durch die auf den ersten Blick ersichtliche Logik begründet, dass depressive Menschen vermehrt negative Emotionen erfahren. Es existieren einige Studien, die einen Zusammenhang beschreiben (Bucci & Freedman, 1981; Fekete, 2002; Rude et al., 2004; Weintraub, 1989). Trotz dieser intuitiven Zusammenhänge wird behauptet, dass Pronomen und absolutistische Wörter stärkere Prädiktoren für Depressionen sind als negative Emotionswörter, die zu den Inhaltswörtern zählen. Pronomen und absolutistische Wörter gehören zu den Funktionswörtern, lassen sich als implizite Marker messen und spiegeln die Denkweise eines Menschen, unabhängig vom Inhalt, wider (Pennebaker & Chung, 2013). Dennoch galten negative Emotionswörter lange als ein geeigneter Marker, weshalb sie in der vorliegenden Arbeit ebenfalls untersucht werden.
Eine Studie von Rude, Gortner und Pennebaker (2004) untersuchte die Sprache von depressiven und depressionsgefährdeten Studierenden in Essays von College-Studenten, die gegenwärtig an einer Depression erkrankt waren, zuvor eine Depression hatten und genesen sind, oder noch nie eine Depression hatten. Diese wurden auf sprachliche Unterschiede hin untersucht. Ziel war es, die kognitiven Operationen zu beleuchten, die mit Depression und Depressionsanfälligkeit verbunden sind. Ein Textanalyseprogramm berechnete - in Übereinstimmung mit Becks kognitivem Modell der Depression - die Inzidenz von Wörtern in vorher festgelegten Kategorien, wobei depressive Teilnehmer mehr negative Emotions- und selbstbezogene Wörter als nie depressive Teilnehmer benutzten. Ehemals depressive Teilnehmer unterschieden sich bei diesen Indizes der depressiven Verarbeitung nicht von den nie depressiven Teilnehmern. In Übereinstimmung mit der Vorhersage nutzten die ehemals depressiven Teilnehmer das Wort ich über alle Aufsätze hinweg signifikant häufiger als Teilnehmer ohne Depression. Die häufige Verwendung von Singularpronomen wird gemeinhin durch ein Modell von Pyszczynski und Greenberg (1987) begründet, in dem eine erhöhte Selbstaufmerksamkeit als Konsequenz des Verlusts einer Ressource des Selbstwerts betrachtet wird. Edwards und Holtzman (2017) führten eine Meta-Analyse von Studien durch, die Korrelationen hinsichtlich der Verwendung singulärer Personalpronomen gemessen haben. Dazu gehörten auch zahlreiche unveröffentlichte Studien. Die Analyse der fixen Effekte ergab eine nach modernen Maßstäben geringe Korrelation (r = .13). Die Korrelation wurde weder nach Geschlecht noch danach, ob der Effekt publiziert worden war, moderiert. Diese Ergebnisse erhärten den Verdacht, dass die Verwendung singulärer Pronomen als linguistisches Markenzeichen für Depressionen gilt, wobei die Korrelationen jedoch verhältnismäßig gering ausfallen. Ergänzend führten Zimmermann, Brockmeyer, Hunn, Schauenberg und Wolf (2017) eine längsschnittliche Untersuchung an 29 Patienten mit klinischen Depressionen durch. Die selbstbezogene Aufmerksamkeit, gemessen über Singularpronomen der 1. Person, sagte signifikant depressive Symptome voraus. Explorative Analysen ergaben dabei, dass dieser Effekt hauptsächlich durch die Verwendung reflexiver und possessiver Wörter wie mich oder mein verursacht wurde. Folglich sollte es naheliegen, auch diese Pronomen in ein Wörterbuch im Kontext der Depressionsforschung miteinzubeziehen. Dass diese Ergebnisse jedoch nicht konsistent sind, zeigte Lumontod (2020), welcher depressive Symptome bei Studenten untersuchte. Dabei entdeckte er, dass insbesondere das Wort ich mit Depressionen in Verbindung steht. Derartige Widersprüche zeigen, dass noch keine universell gültigen Aussagen über Singularpronomen getroffen werden können.
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