Bachelorarbeit, 2020
38 Seiten, Note: 2,0
1. Einleitung
2. Der Autor Amara Lakhous - Leben und Werk
3. Die Literatur für Amara Lakhous
4. Der Roman Scontro di civilta per un ascensore a Piazza Vittorio
4.2 Die Handlung
4.2 Ein (Kriminal) Roman
5. Die Orte: Rom, Piazza Vittorio und der Aufzug
6. Die Bedeutung des sprachlichen Elements
5.2 Der Unterschied zwischen Neuschreibung und Übersetzung
5.3 Die arabische Sprache „italienisieren“
5.4 Die italienische Sprache „arabisieren”
5.1 Die Funktion des Dialekts im Roman Scontro di civilta per un ascensore a Piazza Vittorio
7. Fazit
Literaturverzeichnis
Die Suche nach der eigenen Identität ist ein kritisches und zentrales Thema in der Literatur. Insbesondere die Qual, die Schriftsteller erlebten, deren literarische Arbeit von Migrationserfahrungen geprägt worden ist, ist in den letzten Jahren zu einem sehr starken literarischen Thema geworden. Grundlage dieser Arbeit ist die Analyse des Werkes des algerischen modernen Autors Amara Lakhous Scontro di civilta per un ascensore a Piazza Vittorio (auf Deutsch: Der Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio), der selbst Träger großer Zweifel ist, die mit der Frage der kulturellen Identität und Integration verbunden sind. In diesem Roman werden verschiedene Punkte zu den Themen Interkulturalität und Mehrsprachigkeit behandelt, die zu zentraler Inspiration für die Entwicklung dieser Bachelorarbeit geworden sind. Nach einer sorgfältigen Lektüre des Werkes entstand eine Reflexion über die Schwierigkeiten, die die Erfahrung der Migration mit sich bringt, und über die Folgen der Begegnung verschiedener Kulturen. In diesem Kontext spielt die Sprache die zentrale Rolle. Im Laufe der vorliegenden Arbeit wird die Sprache analysiert, die als Brücke zwischen verschiedenen Welten fungiert, eine Sprache die verbindet und definiert. Genauer erklärt, wird es einen Vergleich zwischen den beiden Sprachen des Romans geben: Arabisch und Italienisch. Dank dieser parallelen Analyse wird es möglich zu beobachten, wie Amara Lakhous beide Sprachen verwendet, um den Leser zu einer anderen Wahrnehmung der Realität, in der er lebt, zu bewegen. Ziel der Auseinandersetzung mit dieser Thematik ist es, die Stärke und Auswirkungskraft des sprachlichen Elements zu zeigen und durch den Roman zu bestätigen, dass die Sprache nicht nur ein Weg des Ausdruckes ist, sondern ein grundlegendes Mittel für die Selbstidentifikation. Die Bachelorarbeit ist in sechs Kapiteln gegliedert , die teilweise in Unterkapiteln untergliedert sind. Das erste Kapitel bietet einen Überblick über Leben und Werk von Amara Lakhous. Dieses Kapitel soll es dem Leser ermöglichen grundlegende Informationen über den Autor zu erfahren, die elementar für das Verständnis der gesamten Ausarbeitung sind. Nach dieser biographischen Einleitung folgt im zweiten Kapitel ein Exkurs über die Bedeutung der Kunst der Literatur aus Sicht des Autors. Hier wird erläutert, wie der Autor seine literarische Arbeit versteht, was ihn dazu motiviert und inspiriert. Der dritte Abschnitt bietet Informationen über das Werk Scontro di civiltâ per un ascensore a Piazza Vittorio. Dort geht es nicht nur um die reine Handlung, sondern auch um das Genre. Fest verbunden mit der Handlung sind in diesem Roman bestimmte Orte, die der Fokus des vierten Kapitels sind. Es handelt sich für den Autor um besondere Orte, die nicht nur im Roman, sondern auch in seinem Leben eine wichtige Rolle spielten und die zu seiner persönlichen kulturellen Identifikation beigetragen haben. Das fünfte Kapitel ist der Hauptteil dieser Bachelorarbeit, in dem die Sprache des Romans tiefgehend analysiert und interpretiert wird. Es wird erstens auf die Wichtigkeit des sprachlichen Elements für Amara Lakhous eingegangen, daraufhin auf die Wirkung von Dialekten. Ein anderer besonderer Aspekt der diesen Autor auszeichnet ist, dass er seine Romane Länderspezifisch anpasst und sogar in der anderen Sprache umschreibt anstatt sie lediglich übersetzen zu lassen. Seine Geschicklichkeit Arabisch und Italienisch zu mischen wird ebenso in diesem Abschnitt behandelt. Nach der gesamten Analyse werden alle Erkenntnisse in einem Fazit zusammengefasst. In diesem letzten Teil wird rekapituliert warum Amara Lakhous ein solcher herausstechender moderner Autor und wie wichtig die Sprache für den Menschen im Allgemeinen und für die persönliche kulturelle Identifikation ist.
Wie bereits erwähnt, wird in diesem ersten Teil der Bachelorarbeit eine Einführung über das Leben und das Werk des Autors dargestellt. Einige biographische Angaben über Amara Lakhous sind von grundlegender Bedeutung, um die literarische Dimension des Autors besser zu verstehen. Amara Lakhous ist ein berberischer in Algerien geborener und aufgewachsener Autor, der seit 1995 in Italien lebt und seit einigen Jahren die italienische Staatsbürgerschaft besitzt. Aufgrund des großen Publikumserfolgs und der bedeutenden kritischen Auszeichnungen, die er in den letzten zehn Jahren bekommen hat, gilt er als einer der wichtigsten Schriftsteller der sogenannten Letteratura della migrazione („Migrantenliteratur“) in der zeitgenössischen italienischen Literaturszene, obwohl er sich selbst diesem Bereich nicht vollständig zuordnen würde1. Heute ist er Autor von sechs Romanen in italienischer Sprache. Lakhous ist 1970 in Algier geboren und war das sechste von neun Kindern einer großen berberischen Familie2. Er verbrachte in Algier seine Kindheit und Jugend und begann im Jahr 1989 dort Philosophie zu studieren. Er erhielt seinen Abschluss, musste aber später, im Jahr 1995 sein Land aufgrund der politischen Lage verlassen3. Als innovativer Romanautor und Journalist sah er sich während des Bürgerkriegs in Algerien lebensbedrohlichen Bedingungen ausgesetzt. Algerien war in den neunziger Jahren ein Land, in dem Terroristen Intellektuellen vorwarfen mit den Machthabern zusammenzuarbeiten und deswegen diese töteten. Eine Gelegenheit ermöglichte ihm 1995, Algerien zu verlassen, um nach Italien zu reisen. Bevor er 1995 nach Rom kam und dort Kulturanthropologie an der Universität La Sapienza studierte, schrieb er 1993 in Algerien seinen ersten Roman in arabischer Sprache البق و القرصان(Al-baq w’al qursan), auf Italienisch Le cimici e ilpirata , auf Deutsch wörtlich übersetzt Die Wanzen und der Pirat. Dieses erste Werk befasste sich mit der gesellschaftspolitischen Situation Algeriens Anfang der 1990er Jahre. Der Text wurde 1999 zum ersten Mal in Italien in einer zweisprachigen Ausgabe veröffentlicht, die vom italienischen Arabisten Francesco Leggio übersetzt wurde4. In Rom promovierte Amara Lakhous im Bereich der Kulturanthropologie und widmete seine Doktorarbeit einer Analyse der Präsenz arabischer muslimischer Minderheiten in Italien. In der italienischen Hauptstadt wohnte der Autor sechs Jahre lang an der Piazza Vittorio, Mittelpunkt einer multikulturellen Gesellschaft5 und Ort, an dem sich der Roman Scontro di civilta per un ascensore a Piazza Vittorio abspielt. Dieser Platz ist nicht nur ein geographischer Ort, sondern eine ausschlaggebende Inspiration für seine Arbeit. Am Anfang fühlte sich Amara Lakhous in Rom wie ein Waise. Der Autor, der damals dort noch keine Familie oder Freunde hatte, der keine Kenntnisse der italienischen Sprache oder von der Stadt mit ihren Vierteln besaß, erlebte eine schwierige erste Phase in seiner neuen Heimat. Er wurde gezwungen eine Zukunft ohne seine Erinnerungen zu gestalten und dort weiterzuleben ohne jemals zurückzuschauen6. Im Laufe der Zeit hat sich jedoch das Verhältnis des Autors zu seiner neuen Heimat positiv verändert. Der Autor behauptet, er wurde auf der Piazza Vittorio wiedergeboren. Dieser Platz in Rom, mit seinen Brunnen, Märkten und Gärten hat Lakhous' Seele von Melancholie und Nostalgie bereinigt. Seine Erinnerungen an Algier mit seinen überfüllten Vierteln waren stark und von ihm unlösbar. Der Markt auf der Piazza Vittorio milderte seine Ängste. Als Lakhous durch die Menge ging und den Schreien der Verkäufer lauschte, fühlte er sich wieder wie auf den Märkten von Algier. Oft ging er in Rom auf den Markt, nicht um irgendwas zu kaufen, sondern um in die Vergangenheit zu reisen. Der Markt auf der Piazza Vittorio war für den Autor eine wunderbare Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Algerien und Italien, Kindheit und Jugend7. Lakhous arbeitete in Italien sechs Jahre lang in einem Begrüßungszentrum für Einwanderer und Flüchtlinge. Er teilte physischen Raum, Zeit, Essen und Emotionen mit ihnen. Diese Begegnungen haben sein Leben grundlegend verändert8. 2003 veröffentlichte Lakhous seinen zweiten Roman in arabischer Sprache:
كیف ترضع من الذ ئبة دون أن تعضك,(KaIfa tarda'a min ad-d’iba düna an-ta'ddaka), wörtlich ins Deutsche übersetzt Wie du dich von der Wölfin säugen lassen kannst, ohne dass sie dich beißt. Dieses Werk erschien zuerst in Algerien und später im Libanon9. 2006 traf der Autor die Entscheidung die italienische Sprache als einzige Sprache für seine Romane zu verwenden und schrieb das Werk ein zweites Mal auf Italienisch unter dem Titel Scontro di civilta per un ascensore a Piazza Vittorio. Dieses Werk scheint in verschiedener Hinsicht Ausdruck einer Übergangsphase auf seinem literarischen Weg zu sein. Mit diesem Roman erzielte Amara Lakhous internationale Erfolge. Das Werk wurde in Italien zu einem der bekanntesten Bestseller-Romane, die Themen wie Rassismus, Provinzialismus und nationale Identität in der heutigen italienischen Gesellschaft behandeln10. Für diesen Roman hat Amara Lakhous im Juli 2006 den Preis Flaiano und im September 2006 den Preis Recalmare- Leonardo Sciascia gewonnen11. 2008 wurde das Werk in einer dritten Auflage in englischer Sprache veröffentlicht und somit international zugänglicher gemacht. Einige Jahre später erschienen weitere Romane, nämlich Divorzio all ’islamica a Viale Marconi (Scheidung auf islamisch in der Viale Marconi) im Jahr 2010 und Un pirata piccolo piccolo von 2011. Nach vielen Jahren in Rom zog Lakhous nach Turin, wo er in einem von arabischen Einwanderern bewohnten Viertel lebte. In dieser Stadt schrieb er Contesa per un maialino italianissimo a San Salvario (2013) (aus der englischen Übersetzung: Dispute Over a Very Italian Piglet) und La zingarata della verginella di Via Ormea im Jahr 2014 (The Prank of the Good Little Virgin of Via Ormea). Das Wissen des Autors in den Bereichen Innenpolitik und Geschichte, aber auch Literatur und Film, ist außergewöhnlich. Mehr als lediglich ein „italienischer Schriftsteller“ werden zu wollen, will er im Namen einer globalen Kulturvision das bestehende Konzept von „italienisch“ ändern. Lakhous ist ein innovativer Autor, der ein internationales Publikum anspricht. Im nächsten Kapitel wird sich die Arbeit speziell auf das Konzept von Literatur für den Autor und den Wert, den er dem literarischen Engagements beimisst fokussieren.
Die Kunst des Erzählens und der literarischen Vorstellungskraft ist für Amara Lakhous die Fähigkeit, sich selbst in andere Menschen, alltägliche Situationen, Kulturen und gesellschaftliche Konzeptionen zu versetzen und diese zu analysieren. Dieser Prozess ermöglicht es den Leser dieselben Erfahrungen und Verständnisse zu erleben. Ein gutes literarisches Werk kann die Emotionen und die Vorstellungskraft des Lesers ansprechen und es ihm ermöglichen, sich in die Rolle eines ganz anderen fremden Menschen hineinzuversetzen und durch die entstehende Empathie, Verständnis- und Lernprozesse auszulösen. Werke, die das Wissen über die heutige Gesellschaft, kulturelle Identifikation und emotionale Reaktion fördern, senken Hemmungen und fordern zu einem Leben in einer offenen Gesellschaft auf12. Literatur ist für Amara Lakhous die Erziehung zur Vielfalt, deren Verständnis für das individuelle Wachstum unerlässlich ist. Die Literatur erlaubt dem Leser seine Vorstellungskraft zu finden und zu entwickeln. Die Vorstellungskraft kann der Neigung zum Umgang durch Stumpfheit und Ignoranz mit bestimmten Personengruppen, die gleichzeitig immer im Auge behalten werden und gleichzeitig unsichtbar sind, entgegenwirken. Die Literatur dient dazu, die Menschen zu einer allgemeinen Empathie auszubilden, aber auch die besonderen „blind Spots“ der Gesellschaft zu korrigieren und sie dabei zu unterstützen, die Strömungen zu steuern, die sie von ihrem Ideal von Demokratie trennen13. Amara Lakhous beschloss aus verschiedenen Gründen zu schreiben. Vor allem, weil er als Kind von mündlich überlieferten Geschichten sehr fasziniert war. Er verbrachte ganze Abende zu Hause mit seinen Geschwistern, um Geschichten zu hören, die von seiner Mutter und von seiner älteren Schwester überliefert wurden. Als er als Kind zu lesen anfing, lies er meistens Geschichten. Eine weitere wichtige Erfahrung und ein erster Anreiz zum Schreiben war für Amara das Kino. Er sah also Filme, hörte Geschichten und las Romane. Durch all diese Elemente begann er zu diskutieren und Fragen zu stellen. Tatsächlich hat er, als er älter wurde, angefangen, die Realität anders zu betrachten. Der Autor erkannte im Laufe der Zeit, dass Schreiben ein Weg ist, die Realität zu verstehen, die Welt zu reflektieren, zu vertiefen und zu verstehen14. Für Amara Lakhous’ muss ein guter Roman eine umfangreiche verborgene Bibliographie haben, die stark auf einer intensiven Dokumentation und Recherche basiert. Er ist ein Autor, welcher sehr wissenschaftlich arbeitet und für seine Romane sich sehr tief in Thematiken einarbeitet, indem er viel liest, sich selbst dokumentiert und mit dem verfügbaren Material zu schreiben anfängt. Für Scontro di civilta per un ascensore a Piazza Vittorio, kombinierte Amara Lakhous sein bereits vorhandenes Wissen der philosophischen Theorien mit ethnographischen Studien. Um eine Metapher zu verwenden, die auch den Namen des Autors entspricht (Amara عمارة kann auf Arabisch verschiedene Bedeutungen haben: „Bau“, „Gebäude“, „Architektur“) und die seine Vorstellung vom Schreiben erklärt, könnte ein Projekt, wie der Bau eines Hauses verwendet werden. Um ein Haus zu bauen, braucht es einen Plan und ein Grundstück. Genauso muss eine Geschichte an einen Ort angepasst werden, da dieser von einer grundlegenden Bedeutung ist. Aufgrund dessen erscheinen Ortsnamen in seinen Werken auch immer schon in den Titeln. Ein weiteres wichtiges Element sind gute Materialien, ohne diese kann der Aufbau nur theoretisch erfolgen, aber nicht in der Realität. Wenn angefangen wird zu bauen, gibt es Dinge, die für das Projekt geplant waren, die aber, wie man oft später erkennt, in der Realität nicht funktionieren. In einer solchen Situation muss flexibel gedacht werden und die Fähigkeit besitzen, Ideen zu ändern. Wenn das gesamte Material vorbereitet ist, kann angefangen werden zu bauen, oder zu schreiben. Die Forschung und Vorbereitung sind die aufwendigsten Phasen die das Schreiben von Amara Lakhous ermöglichen. Das Formulieren des Romans erfolgt dabei fast wie von selbst. Scontro di civilta per un ascensore a Piazza Vittorio, der im Jahr 2003 das erste Mal in arabischer Sprache erschien, entstand aus einer Intuition. Seine Inspirationsquellen haben drei Ursprünge, der erste ist seine persönliche Erfahrung als algerischer Migrant in Rom. Amara hat sechs Jahre lang in der italienischen Hauptstadt mit Geflüchteten aus verschiedenen Nationen gearbeitet und mit ihnen im selben Wohnheim gelebt. Er war selber noch nie im Iran, Irak, in Albanien, in Peru usw., aber er hatte trotzdem das Gefühl, diese Länder zu kennen da er mit Leuten aus diesen Ländern auf engen Raum zusammengelebt hatte. Wenn man mit einer Person zusammenlebt, sieht man nicht nur die positiven Aspekte. Es werden die menschlichen Dimensionen entdeckt, sowohl positiv als auch negativ, und man hat die Möglichkeit tiefer zu gehen, besonders wenn man über einige Werkzeuge zur Reflexion und Analyse verfügt. Damals hatte der Autor sein Studium in Philosophie bereits abgeschlossen, daher besaß er schon die Fähigkeit Dinge zu analysieren und die passenden Fragen zu stellen. Diese Jahre waren also wie in „Reisen investiert“ ohne Italien zu verlassen. Der zweite Ursprung, ist die Commedia all’italiana, eine Film- und Literaturbewegung aus der Lakhous viele Aspekte in seinem Werk eingebunden hat. Der Autor hält die Entdeckung dieser Bewegung für sein wahres Glück. Durch die italienische Commedia schreibt der Autor über das Aufeinandertreffen von Zivilisationen in einem multiethnischen und multikulturellen Rom, in dem die verschiedenen Arten des Denkens und Handelns existieren. Hauptmerkmale dieser typisch italienischen Bewegung sind der starke Realitätsbezug, die Orte, die Ironie und die Analyse der Charaktere durch Zuordnung von Stereotypen und Klischees. In diesem Roman geht es nicht nur um Migration, vielmehr ist es Romane über Menschen, über eine Stadt, über Nachbarschaften, Missverständnisse und Ängste. Die italienische Komödie gibt Lakhous die Möglichkeit, dramatische Situationen durch Ironie leicht zu erzählen. So hat der Leser während des Lesens Spaß, jedoch reflektiert er gleichzeitig unterbewusst. Der dritte und letzte Einfluß ist die italienische Gesellschaft im Allgemeinen. Um die italienische Gesellschaft verstehen zu können, ist es notwendig die historischen Kontexte zu beachten. Italien ist durch die verschiedenen kulturellen Einflüsse immer ein gespaltenes Land gewesen, nicht nur zwischen Nord und Süd, sondern auch zwischen den Regionen herrschen heute noch große Unterschiede. Deswegen ist die italienische Gesellschaft eine diverse Gesellschaft, in der nicht nur die Integration und das friedliche Zusammenleben zwischen Migranten und Italienern schwer fällt, sondern auch zwischen Italienern unter sich. Für Amara Lakhous ist es von grundlegender Wichtigkeit verschiedene Stimmen in jedem Roman zu präsentieren. Seiner Meinung nach, braucht es, um die heutige komplexe Realität zu betrachten, unterschiedliche Blickwinkel. So erschien dieser Roman wie ein Orchester mit mehreren Instrumenten, in dem man Italiener, neue Italiener, Auswanderer und Antitaliener findet15.
Amara Lakhous ist einer der ersten mehrsprachigen Schriftsteller, deren literarische Werke eine genaue Analyse der heutigen italienischen Gesellschaft bieten. Insbesondere kann sein Roman Scontro di civilta per un ascensore a Piazza Vittorio als ein Versuch angesehen werden, die sich wandelnde kulturelle Dynamik Italiens darzustellen16. Amara Lakhous eröffnete seine literarische Produktion in italienischer Sprache mit dem Roman Scontro di civilta per un ascensore a Piazza Vittorio (2006), eine Neuschreibung einer in arabischer Sprache veröffentlichten Erstfassung von 2003. Diese Arbeit kennzeichnet eine Übergangsphase der literarischen Produktion von Amara Lakhous, der später direkt auf Italienisch schreiben wird, und kann als erster Beweis für das Schreiben des Autors für sein neues Publikum angesehen werden. Dieser Roman, ein ständig oszillierendes Werk zwischen Realität und Fiktion, zeichnet ein lustiges und delikates Porträt der italienischen multikulturellen Gesellschaft, in der Lakhous gelebt hat. Der Roman kann auf zwei Ebenen gelesen werden: auf einer Seite die unmittelbare, einfache Geschichte eines Mordes, der in einem Aufzug stattfand, auf der anderen die verborgene Bedeutung, die am Ende mit Kraft, Erinnerungen, Identität, Wahrheiten und Schuldgefühlen gegenüber der verlassenen Heimat Algerien auftaucht. Der Protagonist ist in der Tat ein algerischer Einwanderer, Ahmed, der nach Italien kam, nachdem er seine von Fundamentalisten getötete Freundin Bagia in Algerien verloren hatte. Jeder in Rom nennt ihn Amedeo, nachdem der Barkeeper Sandro versehentlich die arabische Aussprache seines Namens übernommen und ihn versehentlich in einen italienischen Namen verwandelt hat. Das geniale Auffinden des fast homophonen Namens ermöglicht es dem Protagonisten, ein italienisches Leben in Rom neu aufzubauen, das dank der hervorragenden Beherrschung der italienischen Sprache und der Liebenswürdigkeit seines Charakters perfekt integriert ist und es ihm ermöglicht, ein positiver Bezugspunkt für alle Einwohner des Gebäudes zu werden. Nach dieser Prämisse, fragt man sich an dieser Stelle allerdings, welche Zivilisationen im Roman aufeinander treffen. Von einem algerischen Schriftsteller würde man eher eine Auseinandersetzung zwischen der katholischen - oder laizistischen und der muslimischen Zivilisationen erwarten, zwischen Westen und Osten. Aber so ist es nicht. Die Analyse in diesem Roman ist subtiler und betrifft drei verschiedene Ebenen der heutigen italienischen Gesellschaft. Die erste große Konfrontation besteht zwischen italienischen und ausländischen Bürgern. Das Zusammenleben dieser beiden sozialen Gruppen wird aufgrund offensichtlicher sprachlicher und religiöser Unterschiede schwierig. In dem Gebäude an der Piazza Vittorio wohnen viele verschiedene ethnisch-kulturelle Gruppen. Sie leben alle zusammen, beobachten sich gegenseitig, mit allen möglichen Vorurteilen, sowohl harmlose als auch radikale, und kollidieren im Alltag wegen Kleinigkeiten. Diese Ereignisse, könnten teilweise als lustig betrachtet werden, wenn sie die zivile Koexistenz nicht beeinträchtigen würden. Um den Leser konkreter in den Kontext des Gebäudes einzufügen, in dem der Roman sich abspielt, werden in den folgenden Zeilen zwei Beispiele für Charaktere vorgestellt, die sich täglich mit dem Problem des kulturellen Zusammenlebens auseinandersetzen. Das erste Beispiel ist der iranische Kellner der Bar neben dem Gebäude, der sich über den Spitznamen guaglio (aus dem italienischen Dialektwort guaglione, Junge) mit dem die neapolitanische Pförtnerin ihn anspricht und er als Beleidigung interpretiert beschwert. Der Mann antwortet ihr ironisch immer mit einem merci, das wiederum von der Frau missverstanden und als Beleidigung interpretiert wird. Das zweite Beispiel ist Frau Maria Cristina Gonzalez, eine peruanische Altenpflegerin, die in einem der ersten Kapitel von ihrem Leben mit Frau Rosa, eine seit zehn Jahren gelähmten alten Frau erzählt. Rosas Kinder haben Schichten festgestellt, um sie an einem Tag in der Woche zu besuchen. Dieser Tag, von Mittag bis Mitternacht, ist der einzige Urlaub für Maria Cristina. Die Frau verbringt die meiste Zeit dieser zwölf Stunden mit ihren Landsleuten am Bahnhof Roma Termini. Überwältigendes Zusammenleben mit körperlichem Verfall, Fernsehen als einziger Begleiter, Fettleibigkeit, eine Reihe von Abtreibungen, Meinungsverschiedenheiten mit den anderen italienischen Bewohnern, die darauf bestehen, sie Filippina (philippinisch) zu nennen: das ist die italienische Existenz von Maria Cristina. Die wenigen Seiten, in denen die Frau von ihrer Lage erzählt, sind mehr wert als jede Statistik, um die Automatismen zu bekämpfen, die diese Leute in die Unsichtbarkeit führen. Der zweite Konfliktplan ist zwischen Italienern aus verschiedenen Regionen von Nord- und Süditalien. In diesem Fall ist der kulturelle Konflikt nicht durch sprachliche oder ästhetische Unterschiede gegeben, sondern durch tiefere historische Gründe. Norditaliener halten die Süditaliener für faul und chaotisch, während die Nordbürger als zu streng, traurig und einfallslos gelten. In ähnlicher Weise spielt sich der dritte große Konflikt des Romans zwischen Migranten unter sich ab. Dieser Zusammenstoß wird nicht nur durch diverse Lebensstile und Gewohnheiten verursacht, sondern es ist hauptsächlich durch die unterschiedliche Offenheit gegenüber der italienischen Gesellschaft und die Integration der einzelnen Migranten zurückzuführen. Nach dieser kurzen Einführung ist es nun möglich, die Handlung des Romans Scontro di civiltà per un ascensore a Piazza Vittorio kurz zu beschreiben, um dann weiter zum Genre überzugehen, eine interessante Wahl, die von Amara Lakhous implementiert wurde.
[...]
1 CALABRETTA-SAJDER, Ryan: Amara Lakhous: da scrittore a rivoluzionario del giallo. IN: Italica 93 (2016), S. 816-837, S. 816.
2 LAKHOUS, Amara: Piazza Vittorio: A Cure for Homesickness. IN: Review: Literature and Arts of the Americas 42(2009), S. 134-137, S. 134.
3 LAKHOUS (2009), S.134.
4 CASINI, Lorenzo: Immaginario, migrazione e politica nella scrittura di Amara Lakhous: Kayfa tarda‘u min al-dhi’ba duna an ta‘addaka e la sua autotraduzione Conflitto di civilta. per un ascensore a Piazza Vittorio. IN: Imago. A Journal of the Social Imaginary 7 (2016), S.169-182, S. 172
5 GARGIULO, Marco: La funzione del dialetto nella narrativa di Amara Lakhous. IN:MARCATO, Giovanna (Hrsg.): Dialetto. Parlato, scritto,trasmesso. Padova 2015, S. 117-124, S. 119.
6 LAKHOUS (2009), S. 134.
7 LAKHOUS (2009), S. 135.
8 LAKHOUS (2009), S.136.
9 NEGRO, Maria Grazia: L’upupa o l’Algeria perduta: i nuclei tematici, il processo di riscrittura e la ricezione nel mondo arabo di Amara Lakhous. IN: Kümâ, creolizzare l’Europa 12 (2006). Die Seitenzahl konnte nicht angegeben werden, da das Dokument auf der offiziellen Seite der Zeitschrift nicht mehr Verfügbar ist. Alternative Quellenangabe: https://www.academia.edu/17469712/L upupa o l Algeria perduta i nuclei tematici il processo di ri scrittura e la ricezione nel mondo arabo di Amara Lakhous, S.1.
10 ESPOSITO, Claudia: Literature is language. An interview with Amara Lakhous. IN: Journal of Postcolonial Writings 48 (2012), S. 418-430,S.418.
11 LAKHOUS (2009), S. 137.
12 NUSSBAUM,Martha; Poetic Justice: The Literary Imagination and Public Life. Boston 1995, S. 5.
13 BENEDETTI, Laura: La letteratura come educazione alla diversitâ e fondamento della democrazia. Gli esempi di Clara Sereni ed Amara Lakhous.IN: GUIDA, Patrizia u. SCIANATICO, Giovanna (Hrsg.): Saggi di Letteratura Italiana. Selected Papers of the 2010 AATI Annual Conference. May 29-30, 2010- Lecce,Italy, S. 27-43, S. 35.
14 CALABRETTA-SAJDER (2016), S.816.
15 CALABRETTA-SAJDER (2016), S.817-820
16 MARI, Lorenzo u. SHVANYUKOVA, Polina: Linguistic Encounters Now and Then: Amara Lakhous and Tahar Lamri Engage in the Debate on a (Dis)United Italy. IN: Carte Italiane 8 (2012), S. 115-139, S.117.
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