Bachelorarbeit, 2019
45 Seiten, Note: 2,0
1. Einleitung
2. Propaganda
2.1 Forschungsstand
2.2 Definition
2.3 Staatliche Nutzung von Propaganda - Das Propagandaministerium
2.4 Die Propagandakonzeption der Nationalsozialisten
2.5 Heutige Auseinandersetzung mit Propaganda in der Geschichtskultur
3. Was bedeutet Gegenwarts- und Zukunftsbezug?
3.1 Funktionen im Geschichtsunterricht
3.2 Kritik zum Gegenwarts- und Zukunftsbezug
4. Plakate im Geschichtsunterricht
5. Aufgaben im Geschichtsunterricht
6. Entwurf eines unterrichtspraktischen Beispiels einer Schulbuchseite
6.1 Überlegungen zur Behandlung von Nationalsozialismus im Unterricht
6.2 Schulbuchseite Layout
6.3 Aufgabenstellungen zur Schulbuchseite
6.4 Didaktische Begründung
6.6 Methodische Begründung
7. Chancen und Risiken für den Geschichtsunterricht
8. Fazit
9. Literaturverzeichnis
10. Anhang
„ Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ – Alexander Gauland AfD1
Aktuelle gesellschaftspolitische Diskussionen und Positionen2 werfen immer wieder Bezüge zur nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands auf, sowohl in positiver Weise, zum Beispiel durch Pflege der Erinnerungskultur, als auch in verleugnender Position zur Frage nach der Verantwortung Deutschlands bis in die heutige Zeit. Im allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs steht immer wieder die Problematik nach der Bedeutung des Nationalsozialismus in der deutschen Geschichte im Vordergrund. Die deutsche NS-Zeit und der Umgang mit ihr ist nach wie vor ein „hochaktuelles“ Thema des gesellschaftlichen Interesses und stößt dabei immer wieder neue Konfliktpunkte an. Dabei gelten Nationalsozialismus und Holocaust, sowohl in der Gesellschaft als auch im Geschichtsunterricht, als „schwierige und sensible“ Themen. Ein aktuelles Beispiel ist die Eröffnung eines Lehrer-Meldeportals durch die AfD Niedersachen und anderer Bundesverbände der Partei, bei dem Lehrer und Lehrerinnen, die angeblich gegen das Neutralitätsgebot verstoßen, durch ihre Schüler und Schülerinnen und deren Eltern gemeldet werden können. Das gilt neben wertenden Aussagen über die AfD Partei selbst, auch für eine wertende Vermittlung von Unterrichtsinhalten beispielsweise über den Nationalsozialismus.3
Die Unterrichtsgestaltung schwankt zwischen moralisch-politischer Sozialisation der Lernenden und der Vermittlung von historischen Inhalten. Geschichtsunterricht soll historische Verantwortung induzieren und ein Wachhalten der Erinnerung garantieren, aber nicht ermahnen und Meinungen diktieren. Diese Grundlagen des Unterrichts sind auch im Beutelsbacher Konsens von 1976 festgelegt.4 Schüler und Schülerinnen sollen aus der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands für die Gegenwart und Zukunft lernen.5 Aber wie? Wie sollen Schüler und Schülerinnen mit ihren eigenen, aktuellen Fragen zur Vergangenheit umgehen? Ihre Fragen lassen sich nur noch durch vorhandene Quellen und Darstellungen erschließen und beantworten. Zeitzeugenberichte sind in nahender Zukunft nur noch in „gespeicherter Form“ zum Beispiel durch bereits geführte Interviews und Aufnahmen abrufbar. Als eine sehr häufig dokumentierte Form der Quelle für die nationalsozialistische Zeit in Deutschland, finden sich propagandistische Dokumente/Aufnahmen/Sachgegenstände.
Ziel des Geschichtsunterrichts muss es also sein, die Lernenden an diese Form der Quellen heranzuführen und sie im Umgang mit nationalsozialistischer Propaganda zu schulen. Für viele Schüler und Schülerinnen steht dabei, wie bei allen Themen des Geschichtsunterrichts, die Frage nach dem „Nutzen“ der Beschäftigung mit der Vergangenheit im Fokus.
Mit der vorliegenden Bachelorarbeit soll untersucht werden, wie der Umgang mit nationalsozialistischer Propaganda im Geschichtsunterricht erfolgen kann und wie die Erkenntnisse durch die Anwendung von Gegenwarts- und Zukunftsbezügen zum Verständnis der Schüler und Schülerinnen beitragen kann, um so das historische Lernen erfolgreich zu fördern.
Anhand des Themas nationalsozialistischer Propaganda soll der Gegenwarts- und Zukunftsbezug im Geschichtsunterricht näher betrachtet werden. Dabei stehen vor allem folgende Fragen im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses: Wie kann man mithilfe historischen Materials Bezüge zur Gegenwart und Zukunft herstellen? Wie können Fragen aus der Gegenwart an historischem Material beantwortet werden? Wie erfolgt eine sinnvolle und zielorientierte Vermittlung der Thematik im Geschichtsunterricht?
Hierfür muss zunächst der Gegenstand der Propaganda, speziell der nationalsozialistischen Propaganda betrachtet und analysiert werden. Zudem muss das Konzept des Gegenwarts- und Zukunftsbezugs näher definiert werden, um das ausgewählte Beispiel einer selbst entworfenen Schulbuchseite zu analysieren. Dabei sollen auch die Auswirkungen auf das historische Lernen berücksichtigt werden, um anschließend Chancen und Risiken der Arbeit mit nationalsozialistischer Propaganda in Bezug auf Gegenwarts- und Zukunftsbezug zu beurteilen. Um eine nutzbare Schulbuchseite zu entwickeln, müssen zudem die Grundlagen zur Stellung und Funktion von Aufgaben und die theoretische Betrachtung von (politischen) Plakaten im Geschichtsunterricht herangezogen werden.
Die größte Schwierigkeit bei der Analyse des Förderungspotenzials von Propaganda im Unterricht, stellt vor allem die Entwicklung von geeigneten Aufgaben und Materialien und deren Umsetzung dar. Die Schulbuchseite basiert auf den im Folgenden erarbeiteten theoretischen Aspekten von Propaganda und wird mit selbst erarbeitetem und entworfenem Material und Aufgabenstellungen entwickelt. Die zugehörigen Aufgabenstellungen sollen zudem auf dem Prinzip des Gegenwarts- und Zukunftsbezugs basieren. Die Ergebnisse geben daher keinen oder nur sehr geringen Aufschluss über andere Kategorien des historischen Lernens, was eine Berücksichtigung in der Gesamtbeurteilung erfordert. Die Ergebnisse können lediglich die Förderung des historischen Lernens unter dem Aspekt Gegenwarts- und Zukunftsbezug bewerten.
Es ist davon auszugehen, dass unterschiedliche Formen der Darstellung von Propaganda einen unterschiedlichen Grad der Förderung des historischen Lernens zulassen und jeweils andere Wirkungsweisen bei Schüler und Schülerinnen zeigen. Je nach Beispiel und Analysemöglichkeiten werden Lernende über unterschiedliche Zugänge an die Propagandainhalte herangeführt. Die Ergebnisse der Beispielanalyse und Aufgabenbearbeitung können also lediglich die Förderung des historischen Lernens unter dem Aspekt Gegenwarts- und Zukunftsbezug für das spezielle Beispiel der entworfenen Schulbuchseite bewerten. Die Schulbuchseite arbeitet mit bildlichen Quellen in Form von Plakaten, welche methodische Grundkenntnisse seitens der Schüler und Schülerinnen im Umgang mit diesen erfordern. Trotz der genannten Einschränkungen hat der Entwurf einer auf Gegenwarts- und Zukunftsbezug basierenden Schulbuchseite mit ausgewählten Beispielen durchaus eine didaktische Berechtigung, da die entwickelten Materialien und Aufgaben praktische und theoretische Anwendung im Geschichtsunterricht finden können und der Analysevorgang neue und nutzbare Erkenntnisse über die Vermittlung des Gegenwarts- und Zukunftsbezuges im Unterricht erbringen kann.
Grundlegendes Thema der Schulbuchseite ist die Propaganda des Nationalsozialismus. Für die korrekte Formulierung von Aufgaben und Anforderungen ist die Kenntnis über die Definition von Propaganda und die Entwicklung von Forschungstheorien ausschlaggebend. Sie ist ein zentrales Thema der wissenschaftlichen Forschung des 20. Jahrhunderts, die als wichtiger Vorreiter für die moderne empirisch orientierte Kommunikationswissenschaft gilt. Daraus resultierte eine intensive fachwissenschaftliche Diskussion um Machtinstrumente und die Funktion von politischer Propaganda für die Gesellschaft. Bis heute besitzt vor allem die politische Propaganda eine Schlüsselrolle zur Analyse von beispielsweise internationalen Krisen oder extremistischen Tendenzen. Der sprachliche Gebrauch von Propaganda ist allgegenwärtig, jedoch im Alltag häufig undefiniert und unreflektiert gebraucht. Häufig steht die Assoziation mit der Kommunikationspolitik der Nationalsozialisten an erster Stelle oder sogar einzelne charakteristische Institutionen und Personen, wie der Propagandaminister Joseph Goebbels. Insgesamt lässt sich der Propagandabegriff nur schwierig systematisieren.6
Bussemer definiert Propaganda als ein Diskurssystem, das in unterschiedlichen Zeiten eine unterschiedliche Ausprägung erfährt und sich hinsichtlich der sozialen Relevanz und der politischen Brisanz stets verändert.7 Propaganda beschreibt sich nicht lediglich über Personen und Ereignisse, sondern, nach Bussemer, in erster Linie über Werthaltungen, Kommunikationsmodelle, Forschungsmethoden und Wirkvorstellungen. Insgesamt sollte Propaganda stets in der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung konzeptualisiert werden, das heißt, es muss immer Produktion, Verbreitung und Rezeption betrachtet werden, denn Propaganda ist ein Kommunikationsmodus der modernen Gesellschaft.8
Seit den 1920er-Jahren häufen sich die historisch angelegten Überblicksarbeiten zur Thematik der Propaganda und viele erste Versuche der sozialwissenschaftlichen Systematisierung. Unterbrochen von den Auseinandersetzungen des zweiten Weltkrieges entwickelte sich die Propagandaforschung immer weiter bis hin zu sozialwissenschaftlichen case studies und historisch-institutionengeschichtlicher Arbeiten. In den Mittelpunkt rückten nun zahlreiche Betrachtungen und Studien zum Propagandaapparat der Nationalsozialisten.9 Die Nähe zwischen Herrschaft in der bürgerlichen Gesellschaft und dem Konzept von Propaganda steht in den 1960er Jahren im Vordergrund der Forschung. Die moderne Sozialwissenschaft wendet Methoden und Theorien auf den Gegenstand der Propaganda an. In den letzten Jahren versuchte vor allem die Geschichtswissenschaft die Propagandathematik in die Gesellschaftsgeschichte einzuordnen. Aber auch in der Kommunikationswissenschaft kommt es zur Weiterentwicklung von Propagandawirktheorien. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung fokussiert sich also vor allem auf kommunikative, gesellschaftliche und politische Folgen von Propaganda.10
Eine große Schwierigkeit stellt die Abgrenzung des Propagandabegriffs von verwandten Begriffen wie Werbung, Public Relations, Öffentlichkeitsarbeit oder politischer Kommunikation dar. Zudem birgt der Begriff eine lange und wechselvolle Begriffsgeschichte mit unterschiedlichen Konnotationen und Deutungen. Der Begriff Propaganda leitet sich aus dem Lateinischen für „ausstreuen, ausbreiten und fortpflanzen“ ab. Die erste wörtliche Nennung findet sich in einer Schrift Papst Gregors von 1622 in der Beschreibung von Missionarstätigkeiten. Der Begriff ist in der katholischen Kirche zunächst positiv besetzt, in der evangelischen Kirche, aufgrund der Differenzen zum Vatikan, negativ konnotiert. Propaganda wird als kommunikationstechnischer Begriff über die Ausbreitung des Glaubens eingeführt. In der Geschichte finden sich immer wieder neue Adaptionen und Nutzungen für den Propagandabegriff. In der französischen Revolution wandelte sich die Propagandathematik zum politischen Aktionsbegriff. Propaganda war gleichbedeutend mit dem selbstverständlich in Anspruch genommenen revolutionären Interventionsrecht. Während der Revolution 1848/49 wurde das Propagandaprinzip durch die deutschen Demokraten durch systematische Gegenpropaganda zum deutschen Kaiserreich genutzt.11 Im ersten Weltkrieg wurde Propaganda zum ersten Mal in großem Stil auf amerikanischer und britischer Seite kriegsbedeutend eingesetzt. In den 1930er Jahren bestanden die Nationalsozialisten auf eine strikte Trennung des Propagandabegriffes vom Begriff der Werbung. Propaganda sollte der politischen Sphäre vorbehalten sein und nicht kommerziell verwendet werden. Es kam zu einer Politisierung und Militarisierung von Propaganda. Hauptpunkte der nationalsozialistischen Propagandatechnik waren Diffamierung des Gegners oder Rechtfertigung von politischen und militärischen Maßnahmen.12
Eine gesamte und allumfassende Definition von Propaganda ist aufgrund der multiplen Nutzungen und Deutungen des Begriffs ausgeschlossen. Bussemer definiert jedoch eine gemeinsame Schnittmenge aller Merkmale von Propaganda.
Propaganda bedeutet eine in der Regel medienvermittelte Formulierung handlungsrelevanter Meinungen und Einstellungen politischer oder sozialer Großgruppen durch symbolische Kommunikation und als Herstellung von Öffentlichkeit zugunsten bestimmter Interessen verstanden werden. Propaganda zeichnet sich durch die Komplementarität von überhöhten Selbst- und denunzierenden Fremdbild aus und ordnet Wahrheit dem instrumentellen Kriterium der Effizienz unter. Ihre Botschaften und Handlungsaufforderungen versucht sie zu naturalisieren, so dass diese als selbstverständliche und nahe liegende Schlussfolgerungen erscheinen. 13
Wichtigster Aspekt für die weitere Behandlung von Propaganda in dieser Arbeit ist die politische Zielverfolgung, bei der spezifische Strategien mittels Propaganda verfolgt werden, um die Ansichten des herrschenden Regimes/ der herrschenden Partei umzusetzen. Dabei ist Propaganda auf ein spezielles Mediensystem angewiesen, mit dem die Beeinflussung der öffentlichen Meinung die politische Entscheidungsfindung lenken kann. Propaganda zielt also auf Überredung. Es sollen bestimmte Haltungen eingenommen werden und nach dieser Überzeugung gehandelt werden. Propaganda arbeitet vor allem mit und durch Sprache und Bilder und ist dabei meist manipulierend.14 Propaganda weist eine doppelte Medialität auf: Zum einen erhalten die Menschen Informationen aus zweiter Hand durch die mediale Repräsentation, die dabei jedoch verfälscht werden kann. Zum anderen dienen unterschiedliche Medientypen als Träger zur Verbreitung der propagandistischen Botschaften. Durch Gleichschaltung und Zensur können Medien unter Zwang dem Lenkenden gefügig gemacht werden, um so ausgenutzt zu werden. Die Form der Propaganda orientiert sich dabei an den vorhandenen Meinungen, Bedürfnissen und Erwartungen sowie Rezeptionsgewohnheiten des anvisierten Publikums, vorhandene Inhalte werden mit bekannten Kommunikationsformen aufgenommen und mit eigenen Botschaften verknüpft. Propaganda unternimmt eine umfassende Ideologisierung der Wirklichkeit zugunsten der zu verbreitenden Botschaften und Ansichten. Dafür werden konkrete Handlungsaufforderungen mit diesem idealisierten Weltbild verknüpft. Die Propaganda bildet dabei ein rein instrumentelles Verhältnis zur Wahrheit. Andere als die propagierte Handlungsoption erscheinen alternativlos. Häufig wurden Zuwiderhandlungen und Nicht-Befolgung mit Sanktionen belegt. Die Propaganda ist dabei an keine Form gebunden, sie kann zum Beispiel für Machterhalt oder für Revolution werben. Bussemer definiert vier verschiedene Unterformen von Propaganda: „Kriegspropaganda“ ist eng auf militärische Ziele beschränkt. „Weiße Propaganda“ nutzt publizistische Kanäle zur Kommunikation. „Schwarze Propaganda“ lässt keine Senderinformationen erkennen und ist damit häufig keiner Person, Partei, Institution zuzuordnen. „Graue Propaganda“ befindet sich zwischen den beiden Definitionen.15
Ein wichtiger Aspekt der Propaganda sind zudem die Massenmedien, wie Zeitungen und Rundfunk, sie bieten die Möglichkeit, große Teile der Gesellschaft zu erreichen und dabei einzelne Individuen auch außerhalb von Versammlungen zu beeinflussen. Mittel zum Zweck bildet dabei die Massenpsychologie und mit ihr die Kommunikation als Mittel zur Beeinflussung. Ein irrational geleitetes Publikum und die technisch-medialen Mittel bilden die grundlegenden Bausteine des frühen Propagandabegriffs.16
Die Wahlergebnisse vor 1933 und die Machtergreifung der Nationalsozialisten in der Weimarer Republik zeigten zum Mal Ergebnisse der großen Wirksamkeit von Propaganda in der Öffentlichkeit. Die Propagandabewegung wurde national und in großem Stil durch die NSDAP gesteuert. Die Nationalsozialisten erkannten sehr früh den Nutzen der Propaganda für den Staat, da sie als gesamtgesellschaftliches Instrument zur Lenkung eingesetzt werden konnte und so die sozialen und politischen Konflikte der Zeit beeinflussen konnte. Die Propaganda diente zudem der Sicherung der deutschen Position in den internationalen Konflikten und somit der Absicherung der Politik des Nationalsozialisten und deren Akzeptanz.17 Dabei ist aus heutiger Ansicht die besondere Abneigung der NS-Machthaber zu beachten: Sie wünschten keine wissenschaftliche Analyse ihrer Herrschaftstechniken und unterbanden so die aufstrebende Propagandaforschung.18
Zuständig für die Gestaltung und Verbreitung von Propaganda ist das Reichspropagandaministerium. Das Ministerium widmete sich offiziell der „Frage der Volkserziehung“ und somit der nationalen Erziehung des deutschen Volkes. Joseph Goebbels bildete als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda die führende und bestimmende Kraft hinter dem Ministerium. Die Aufgaben des Ministeriums waren die Überwachung der geistigen Einwirkung auf die Nation, der Werbung für den Staat, Kultur und Wirtschaft, der Unterrichtung der in- und ausländischen Öffentlichkeit, Verwaltung der dienenden Einrichtungen. Umgesetzt wurden diese Aufgaben durch Methoden der totalitären Massenführung.19 In der heutigen Betrachtung wird das Propagandaministerium häufig einzig mit der Person Joseph Goebbels identifiziert, dabei ist er jedoch nicht als genereller Typ des nationalsozialistischen Propagandisten auszumachen. Das Propagandaministerium war verantwortlich für die Gleichschaltung der deutschen Medien, die Berichterstattung der NS-Presse und das Anfertigen von Propagandaparolen und deren Verbreitung. Die Berichterstattung sollte reichsweit verbindlich geregelt werden. Das Ministerium kontrollierte dabei den genauen Wortlaut von Pressemitteilungen vor jeglichen Veröffentlichungen, zum Teil wurde der Inhalt selbst oder komplett neu formuliert und auf kontrollierten Pressekonferenzen präsentiert. Zusätzlich war die Organisation von Veranstaltungen wie Massenaufmärschen zum Nationalfeiertag des deutschen Volkes am 1. Mai und anderen Großveranstaltungen Aufgabe des Ministeriums.20 Das Reichministerium für Volksaufklärung und Propaganda bildete also das Zentrum der organisierten Indoktrination des deutschen Volkes und vereinbarte so die Elemente der Massenführung durch Propaganda in einem Haus.21 Besondere Anforderung des Ministerstabs war dabei die Kriegspropaganda, die die Sicherung der inneren Bereitschaft des deutschen Volkes, die Abwehr der feindlichen Einwirkung und die Beeinflussung des feindlichen und neutralen Auslands sichern sollte.22
Hitlers Propagandakonzeption schilderte er bereits in seinem Werk „Mein Kampf“, er verfolgte eine strikte Strategie der Massenbeeinflussung auf Basis wissenschaftlicher Theorien. Goebbels vertrat eine differenzierte Perspektive, die durch seine Erfahrungen als werdender Journalist geprägt wurden. Goebbels fokussierte seine Propaganda auf visuelle Reize und griffige Parolen. Beide NS-Machthaber waren überzeugt von der mechanischen Beherrschbarkeit des in der Masse aufgelösten Individuums.23 Die Methoden der NS-Propaganda entwickelten sich aus dem täglichen Umgang und der Kenntnis Goebbels über die intellektuelle Kultur und das Mediensystem der Zeit.24
Vor 1933 konkurrierte die NSDAP auf dem demokratischen Meinungsmarkt mit einer Vielzahl an etablierten Parteien und der parteiungebundenen Presse. Nach der Machtergreifung und der damit einhergehenden Gleichschaltung der Medien, besaßen die Nationalsozialisten ein Monopol über die öffentliche Meinung. Durch die Kontrolle der gesamten Presse, den Rundfunk und alle anderen Formen der Meinungsäußerung wurden Nachrichten der Bevölkerung im Übermaß aufgedrängt oder vorenthalten. Es entstand eine künstliche Regie des öffentlichen Lebens. Die Zensur und Verstaatlichung der Presse wurden mit der „Notverordnung zum Schutze von Volk und Staat“ vom 28. Februar 1933 rechtskräftig. Mit der Einführung des Volksempfängers wurde zudem der Wirkungsbereich der Propaganda drastisch erweitert, nahezu alle gesellschaftlichen Teile wurden nun erreicht. Mit der Anordnung zum Gemeinschaftszwang wurde ein umfassendes System zur Informationskontrolle festgelegt.25
Bussemer unterteilt drei große Phasen des Propagandastils der Nationalsozialisten: Vor der Machtergreifung von 1933 definierte ein aggressiver und agitatorischer Stil die nationalsozialistische Propaganda. Er sollte der NS-Bewegung höchstmögliche Aufmerksamkeit verschaffen und bediente sich pseudomilitärischer Formen wie beispielsweise Uniformen und Fahnen, die Staatlichkeit und Macht verdeutlichen sollten. Die mediale Präsenz ist jedoch nicht zu vergleichen mit der späteren Präsenz der NS-Propaganda, unter anderem aufgrund beschränkter finanzieller Mittel der Partei. Goebbels setzte neben der positiven, gelenkten Propaganda auch auf die durch die von den anderen Parteien gesteuerte Gegenpropaganda, er wollte Schlagzeilen sichern, egal in welcher Form. Ziel dieser Propaganda war die Gewinnung neuer Anhänger, die paramilitärische Eroberung der Straßen, ein ständiger Aktionismus der Partei. Er setzte neben der medialen Propaganda vor allem auf Kundgebungen, Aufmärsche und erreichte somit eine Dauerpräsenz der Partei in der Gesellschaft.
Nach der Machtübernahme 1933 verlagerte sich der Fokus auf Integrationspropaganda, die Gesellschaft sollte an den neuen Staat und die neue Staatsform herangeführt werden und so die Opposition stark schwächen. Staatsmännische Propaganda sicherte die Bereitschaft im Volk. Umgesetzt wurde dies durch die Steuerung der Medien, vor allem durch den Rundfunk, die Filmproduktion, aber auch durch Maßnahmen wie den Autobahnbau. Das Propagandaministerium setzte dabei auf moderne Medienkultur und modernen Propagandastil, er sollte jedoch rezeptionsfähig für die breite Masse bleiben und dem Ausland ein prosperierendes Deutschland vortäuschen. Konsum und Vergnügen sollten weitverbreitet sein und im Fokus der Gesellschaftspolitik stehen.
In den Endjahren des Krieges wandelte sich die Propaganda stark. Aus dem Fokus auf gesellschaftliche Themen des Wohlstandes und Vergnügens wurden die schrille Durchhalterhetorik und die bis heute bekannten Endsieg-Parolen.26
Die Inhalte der Propaganda waren stets vielfältig aufgebaut neben Funktionen der Unterhaltung der Gesellschaft standen Optimismus zum Krieg, Ablenkung und Manipulation im Vordergrund. Propaganda funktionierte als staatliches Ablenkungsprogramm zum Krieg. Uniformen, Angriffe und andere Aspekte des Krieges sollten von der Gesellschaft ferngehalten werden. Selbst unpolitische Inhalte wurde so zum Bestandteil der politischen Propaganda.27 Nicht jede Propaganda enthielt ideologische Motive, sondern diente zum Teil auch der Verschleierung und der Ablenkung von den politischen Themen der Zeit. Der Effekt wird in der Literatur als Entpolitisierung der Propaganda beschrieben. Die Wirkung blieb dabei jedoch erhalten: Auch unideologische Propaganda diente der Informationskontrolle des Staates, der Beeinflussung der Gesellschaft und der Strukturierung der Volksgemeinschaft.28 Die Nachrichtenlenkung hatte vor allem Effekte auf die Kriegsführung und den Kampf um die öffentliche Meinung. Die Nachrichtenpolitik war wohl eine der schwersten Aufgaben der Propagandapolitik.29 Den Tiefpunkt ihrer Wirkung erfuhr die NS-Propaganda zum Kriegsende hin, die Stimmung in der Gesellschaft wurde kritischer und die Propaganda verlor an Ausdruck und Einfluss. Die Glaubwürdigkeit konnte in Deutschland lange aufrechterhalten werden, während im Ausland schon nach kurzer Zeit die Propaganda als reine Manipulation und weniger als Nachrichtenform erkannt wurde.30
Die nationalsozialistische Propaganda enthielt bis zuletzt ein hohes Maß an Informationskontrolle und nutzte die Stellung als Informationsmonopol. Die heutige Propagandaforschung zeigt bis heute das professionelle Kommunikationsmanagement der Nationalsozialisten. Die NS-Propaganda umfasste ausgeprägte Techniken der Gefühlsmanipulation und schaffte es, den Verteidigungswillen des Volkes lange aufrecht zu erhalten. Insgesamt kamen viele unterschiedliche Elemente und Strategie zum Tragen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten der NS-Herrschaft unterschiedlich stark genutzt wurden.
Die Geschichtskultur in Deutschland ist dominiert durch den Umgang mit dem Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg. Vor allem die NS-Verbrechen haben hohe Präsenz im öffentlichen Bewusstsein, welche sich auch in der wissenschaftlichen Forschung und Auseinandersetzung widerspiegelt. Unmengen an propagandistischen Überbleibseln und Zeugnissen der Zeit sind noch unerforscht.31 In der Nachkriegszeit waren die alliierten Mächte der Meinung, propagandistisches Material müsste zur Prävention vernichtet werden. Ungeachtet des wissenschaftlichen Potenzials der Objekte, war die Angst zu groß vor ungehinderter und unkontrollierter Verbreitung im Nachkriegsdeutschland und vor der Gefährdung des Demokratisierungsprozesses.32 Heutzutage wird der strikte Verschluss von propagandistischem Material vor der Wissenschaft vielfältig kritisiert und stößt somit eine geschichtskulturelle Diskussion über die Bedeutung der propagandistischen Materialien für die deutsche Gesellschaft an. In der Alltags- und Sozialgeschichte werden neue, vielfältige Zugänge zur Propaganda verfolgt. Auch für das historische Lernen werden Propagandamaterialien als bedeutend eingeschätzt.33
Der Geschichtsunterricht soll Schülerinnen und Schüler zu Kompetenzen zur selbstständigen Reflektion der Vergangenheit befähigen und die Ursprünge und Wirkung der Geschichtskultur vermitteln.34 Nationalsozialismus und Holocaust gelten dabei als besonders schwierig zu vermittelnde Themen. Die Präventionsabsicht ist bis heute die pädagogische Absicht hinter der Unterrichtsbehandlung. Dabei bewegt sich der Unterricht zwischen der inhaltlichen Vermittlung und der moralisch-politischen Sozialisation der Heranwachsenden. Darlegung historischer Verantwortung und Wachhalten der Erinnerung stehen bis heute im Fokus des Unterrichts. Geschwächt werden diese Ziele durch die fehlenden biographischen Bezüge der Schüler und Schülerinnen, wenn überhaupt ist es die Großeltern- oder sogar Urgroßelterngeneration der heutigen Schüler und Schülerinnen, die den Krieg und die NS-Zeit als Zeitzeugen erlebten. Viele der Zeitzeugen sind jedoch nicht mehr am Leben. Der Geschichtsunterricht muss mit vorhandener Geschichtskultur arbeiten.35 Dabei müssen Quellen, vor allem propagandistische Quellen, häufig von der Lehrkraft begleitet werden, um das gesamte Lernpotenzial auszuschöpfen und kritischen Umgang mit den gelieferten Informationen anregen.36
[...]
1 Alexander Gauland, Parteivorsitzender und Fraktionsvorsitzender der AfD Deutschland auf dem Bundeskongress der Jungen Alternativen, Seebach 02.06.2018.
2 Vgl. https://www.welt.de/politik/deutschland/article176912600/AfD-Chef-Gauland-bezeichnet-NS-Zeit-als-Vogelschiss-in-der-Geschichte.html, Zugriff: 01.07.18.
3 Vgl. Mlodoch, Peter/ Hoesmann, Elke: AfD schaltet Lehrer-Portal in Niedersachsen frei, Weser-Kurier. Tageszeitung für Bremen und Niedersachsen, https://www.weser-kurier.de/region/niedersachsen_artikel,-afd-schaltet-lehrerportal-in-niedersachsen-frei-_arid,1792606.html (Zugriff: 23.12.18).
4 Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung: Beutelsbacher Konsens, http://www.bpb.de/die-bpb/51310/beutelsbacher-konsens (Zugriff: 14.11.2018).
5 Vgl. Bunnenberg, Christian: Reprints von NS-Presseerzeugnissen als didaktische Herausforderung für den Geschichtsunterricht, In: Kuchler, Christian (Hrsg.): NS-Propaganda im 21. Jahrhundert. Zwischen Verbot und öffentlicher Auseinandersetzung, Köln u.a. 2014, S. 41 ff.
6 Vgl. Bussemer, Thymian: Propaganda. Konzepte und Theorien, Wiesbaden 2005, S.11.
7 Vgl. Ebd.: S.12.
8 Vgl. Ebd.: S.13.
9 Vgl. Bussemer: Propaganda, S.21.
10 Vgl. Ebd.: S.22.
11 Vgl. Ebd.: S.25.
12 Vgl. Bussemer: Propaganda, S.26.
13 Ebd.: S.29f.
14 Vgl. Ebd.: S.30.
15 Vgl. Bussemer: Propaganda, S.31/32.
16 Vgl. Ebd.: S.70.
17 Vgl. Ebd.: S.151.
18 Vgl. Bussemer: Propaganda, S.153.
19 Vgl. Krings, Stefan: Das Propagandaministerium. Joseph Goebbels und seine Spezialisten, In: Hachmeister, Lutz/ Kloft, Michael (Hg.): Das Goebbels-Experiment. Propaganda und Politik, München 2005, S.29.
20 Vgl. Ebd.: S.31.
21 Vgl. Ebd.: S.35.
22 Vgl. Ebd.: S.36.
23 Vgl.: Bussemer, Thymian: Über Propaganda zu diskutieren, hat wenig Zweck. Zur Medien- und Propagandapolitik von Joseph Goebbels, In: Hachmeister, Lutz/ Kloft, Michael (Hg.): Das Goebbels-Experiment. Propaganda und Politik, München 2005, S.49.
24 Vgl. Ebd.: S.51.
25 Vgl. Ebd.: S.53.
26 Vgl. Bussemer: Über Propaganda zu diskutieren, S.53.
27 Vgl.Ebd.: S.54.
28 Vgl. Ebd.: S.57.
29 Vgl. Bussemer: Über Propaganda zu diskutieren, S.58.
30 Vgl. Ebd.: S.60.
31 Vgl. Kuchler, Christian: NS-Propaganda zwischen Verbot und öffentlicher Auseinandersetzung, In: Kuchler, Christian (Hg.): NS-Propaganda im 21. Jahrhundert. Zwischen Verbot und öffentlicher Auseinandersetzung, Wien 2014, S.7.
32 Vgl. Kuchler: NS-Propaganda, S.8.
33 Vgl. Ebd. S.13.
34 Vgl. Bunnenberg: Reprints, S.43.
35 Vgl. Ebd.: S.45.
36 Vgl. Ebd.: S.54.
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