Bachelorarbeit, 2020
36 Seiten, Note: 1,7
Geschichte Deutschlands - Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg
Inhalt
I. Einleitung
II. Forschungsstand und Quellen
III. Aufbau der Ordnungspolizei und ihr Platz im NS- Machtapparat von der Machtübernahme bis zum Zweiten Weltkrieg
III.1. Erste Phase: Konsolidierung (1933-1936)
III.2. Zweite Phase: Zentralisierung (1936-1939)
IV. Die Ordnungspolizei ab dem Beginn des Zweiten Weltkrieges
IV.1. Die HSSPF und die doppelte Befehlskette
IV.2. Die ideologische Schulung der Ordnungspolizisten für den Einsatz im Krieg
V. Die Beteiligung der Ordnungspolizisten an den NS- Verbrechen während der Kriegszeit
V.1. Białystok: Der Auftakt zum Massenmord?
VI. Resümee
VII. Abkürzungsverzeichnis
VIII. Quellenverzeichnis
IX. Literaturverzeichnis
Am 25.05.2020 ist der US-Amerikaner George Floyd infolge eines Polizeieinsatzes ums Leben gekommen. Das Video seiner Verhaftung und die darauffolgenden weltweiten Proteste der Black Lifes Matter - Bewegung1 führten auch in Deutschland zu einer öffentlichen Diskussion um rassistische Strukturen und Praktiken in der Polizei.
Eine 2020 veröffentlichte Studie vom Kriminologen der Ruhr-Universität-Bochum verdeutlicht, dass die durch Befragungen festgestellte schlechtere Behandlung von Menschen mit Migrationshintergrund und People of Color durch Polizeibeamte nicht nur durch individuelle, sondern ebenso durch strukturelle Probleme innerhalb der Polizei begründet sein kann .2 Die Studie weist infolge dessen darauf hin, dass gerade der Polizei als Inhaberin des staatlichen Gewaltmonopols eine besondere gesellschaftliche Verantwortung zukommt.3
Diese Verantwortung ist gerade in Deutschland auch immer vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte zu beurteilen. Bist vor 75 Jahren, dass Rassismus, Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit ein struktureller Bestandteil des Staates und dementsprechend auch der Polizei als dessen ausführender Gewalt waren.
Ähnlich wie bei der Wehrmacht, fällt es jedoch auch bei der Polizei im Hinblick auf diese Strukturen schwerer, diese schlichtweg als Organisation des NS-Regimes per se zu beurteilen. Die Polizei war keine Parteiorganisation der NSDAP. Ihre Grundstruktur war bereits vor der Machtergreifung der NSDAP 1933 gegeben. Zu diesem Zeitpunkt übten viele Menschen selbst höhere Ämter in der Polizei aus, die die Mitglieder der NSDAP wenige Jahre zuvor noch bekämpft hatten. Dies offenbart die Frage, wie eben diese „ ganz normalen “ Männer, die einen Eid auf die Weimarer Verfassung geschworen hatten, innerhalb weniger Jahre zu einem Bestandteil der nationalsozialistischen Kriegs- und Vernichtungspolitik wurden.
Unter der Fragestellung, wie die uniformierte Polizei4 nach der Machtergreifung im Sinne der Nationalsozialisten umstrukturiert wurde und inwieweit „ ganz normale“ Polizisten an den NS-Verbrechen beteiligt waren, wird diese Entwicklung im Folgenden in mehreren Schritten dargelegt.
Zunächst spielen hierbei die institutionellen Veränderungen des Polizeiapparates von der Machtergreifung bis hin zum Zweiten Weltkrieg eine Rolle. Diese werden in zwei Phasen (1933-1936 und 1933-1939) aufgeteilt und vor dem Hintergrund der Frage, welche Rolle im Staatssystem und welche Aufgaben die Ordnungspolizei in diesen Phasen innehatte, dargestellt. Dabei sind die Befehlshierarchie und das Verhältnis zwischen der Polizei und den Parteiorganisationen der NSDAP von besonderer Bedeutung.
Eine Zäsur in der polizeilichen Praxis unter der nationalsozialistischen Herrschaft war gewiss der Beginn des Zweiten Weltkrieges 1939. Darum wird die Aufstellung der Polizei für den Einsatz im Krieg und ihre dortige Rolle gesondert behandelt. Besonders relevant sind hierbei die Aspekte der Doppelten Befehlskette im Kriegseinsatz und die weltanschauliche Schulung der Ordnungspolizisten.
Auf den institutionellen Blick des Kriegseinsatzes der Ordnungspolizei folgt die Beschäftigung mit der Beteiligung der Ordnungspolizisten an den Verbrechen, die unter der NS-Herrschaft während der Kriegszeit begangen wurden. Die systematische Ermordung der europäischen Juden, an welcher die Ordnungspolizei ebenso beteiligt war, wird dabei besonders in den Fokus gerückt.
Dafür werden die direkten und indirekten Verbrechen der Polizei im Einsatz anhand von quellengestützten Beispielen dargestellt. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den Ereignissen in Bialystok vom Sommer 1941 und dem Polizeibataillon 309.
Abschließend wird in einem Resümee auf die eingangs gestellte Frage, wie die uniformierte Polizei durch die Nationalsozialisten umstrukturiert wurde und inwieweit „ganz normale“ Polizisten an den NS- Verbrechen beteiligt waren, im Kontext der vorherigen Ergebnisse eingegangen.
Diese Arbeit erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es werden hier ausgewählte Entwicklungen, Strukturen und Beispiele beleuchtet, die einen differenzierten Blick auf die Beantwortung der Fragestellung ermöglichen sollen.
Vor der inhaltlichen Betrachtung ist jedoch erst ein Überblick über den Forschungsstand und die Quellenlage in diesem Bereich der NS-Täterforschung notwendig.
Die historische Beschäftigung mit der Institution Polizei während der NS-Zeit fand in Teilen bereits am Ende der 1950er Jahre statt. Dabei standen vor allem Fragen der Verwaltung und der Organisation im Vordergrund.5 Diese Forschung wurde polizeiintern betrieben. Später ließ dies den Vorwurf laut werden, dass dabei die Beteiligung der OrPo an den NS-Verbrechen intentional zu verschleiern versucht wurde.6
Bezogen auf die NS-Verbrechen und die Schuld der Ordnungspolizei an diesen, gewann die Forschung ab den 1990er Jahren an Dynamik.
So lag der Fokus zunächst auf der Geheimen Staatspolizei als „ Instrument des Terrors“7 , ehe die Beschäftigung mit der uniformierten Polizei, den ganz normalen Polizisten ebenso bedeutender wurde. Dies hängt maßgeblich mit den Veröffentlichungen der US- Amerikaner Christopher Browning und Daniel Goldhagen zusammen.
Brownings Studie aus dem Jahr 19938 zum Hamburger Reserve-Polizeibataillon 101 wird auch in neueren Publikationen noch als „bahnbrechend“9 bezeichnet.
Wesentlich kontroverser wurde das von Daniel Goldhagen im Jahr 1996 veröffentlichte Buch „Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust“ behandelt, in welchem die Ordnungspolizei ebenfalls eine zentrale Rolle spielt.10 Auch wenn diese Veröffentlichung zu einer breiteren Diskussion über die Rolle der Polizei im Nationalsozialismus führte, wurde gerade Goldhagens Grundthese eines spezifisch deutschen „ Eliminatorischen Antisemitismus“11 von Seiten der Geschichtswissenschaft kritisiert.12
Infolge des gesteigerten Interesses an der Ordnungspolizei und im Speziellen ihrer Rolle bei den NS-Verbrechen wurden in den Jahren darauf vor allem Einzelstudien zu einzelnen Polizeibataillonen veröffentlicht.13 Insgesamt ist diese Beschäftigung der so genannten „Neueren Täterforschung“14 zuzuordnen, wo sich der Blick weg von den Führungspersönlichkeiten des Regimes hin zu den Tätern niederer Ränge wendet.
Eine systematische Übersicht über den Einsatz der Ordnungspolizei im Zweiten Weltkrieg veröffentlichte Wolfgang Curilla zunächst über das Baltikum15, dann bezogen auf den Judenmord in Polen16 und zuletzt 2020 über die Rolle der Ordnungspolizei im Einsatz in den Gebieten Westeuropas17. Zudem bietet Stefan Klemp eine Übersicht über die im Krieg eingesetzten Polizeibataillone in Verbindung mit den Strafermittlungen gegen diese.18
Gerade bezogen auf die These der „ganz normalen Männer“ wurden neben den Arbeiten der Historiker ebenso Studien veröffentlicht, die dies aus einer soziologischen Sicht beleuchten.19
Im Jahr 2011 wurde im Deutschen Historischen Museum in Berlin eine Ausstellung mit dem Titel „ Ordnung und Vernichtung—Die Polizei im NS-Staat“20 eröffnet. Diese Ausstellung erregte jedoch, verglichen mit den beiden Ausstellungen über die Verbrechen der Wehrmacht um die Jahrtausendwende, eine geringere Aufmerksamkeit.
Zusammengefasst ist die Rolle der uniformierten Polizei im Nationalsozialismus ein breit erforschtes Feld der Auseinandersetzung mit den NS-Tätern, gerade der so genannten Neueren Täterforschung. Dabei liegt der Schwerpunkt auf den tatsächlich ausgeübten Taten einzelner Polizeieinheiten im Krieg. Jedoch werden hierbei schwerpunktmäßig die Polizeibataillone, weniger die Gendarmerie und „noch weniger die Schutzpolizei“21 behandelt. Dies scheint auch der Quellenlage geschuldet zu sein.22 Neuere Studien beschäftigen sich zudem mit der polizeilichen Ausbildung im Nationalsozialismus.23
Bei den für diese Arbeit herangezogenen Quellen handelt es sich bei der institutionellen Betrachtung um Gesetzestexte und Erlasse, welche aus Quellensammlungen und aus der Literatur entnommen wurden.
Des Weiteren werden für die Behandlung der Ordnungspolizei im Kriegseinsatz und gerade der Beteiligung an den NS-Verbrechen ausgewählte Teile aus Kriegstagebüchern, Fernschreiben und Zeugenaussagen herangezogen. Diese sind jedoch bei den einzelnen Polizeieinheiten von unterschiedlichem Ertrag.24
Zudem ist zu beachten, dass viele der vorliegenden Quellen die Vorgänge und Verbrechen lediglich aus der Täterperspektive zeigen.
Vor der genaueren Beschäftigung mit der institutionellen Veränderung der Ordnungspolizei ist zunächst ein Blick auf den Polizeibegriff im Allgemeinen und die einzelnen Kompetenzbereiche der Polizei zu legen.
Grundsätzlich fallen unter den Begriff Polizei im Blick auf das Deutsche Reich drei unterschiedliche Spaten öffentlicher Aufgaben. Diese sind laut Curilla: „ die Verwaltungspolizei, die Ordnungspolizei sowie die Kriminal- und politische Polizei.“25. Die Aufgaben der OrPo werden ferner wie folgt zusammengefasst: „Die Ordnungspolizei hatte für die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung auf den öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen zu sorgen und war uniformiert.“26 .
Traditionell lag die Befehlsgewalt über die Polizeieinheiten und die Gendarmerie27 bei den Ländern, sie war also im Sinne des Föderalismus dezentral organisiert. Durch die Rolle des Militärs im Kaiserreich wurden bewaffnete und kasernierte Polizeitruppen zunächst nicht benötigt. Dies änderte sich jedoch mit den inneren Unruhen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, als beispielsweise in Preußen 1919 eine Sicherheitspolizei geschaffen wurde.28 Diese wurde auf Drängen der Siegermächte durch den Versailler Vertrag formal aufgelöst und erhielt in den Meisten Ländern den Namen „Schutzpolizei“29 , in einigen, wie zum Beispiel in Hamburg, aber auch schon den Titel „ Ordnungspolizei“.30
Im Jahr 1928 waren es nach Absprache mit der Internationalen Militär-Kontroll-Kommission und den Regierungen der Alliierten 138.470 Polizeibeamte, von denen 104.955 zur staatlichen Polizei gehörten, von denen 34.650 kaserniert waren.31 Die dezentrale Struktur der Polizei veränderte sich in der Weimarer Republik vor allem in Bezug auf ihre staatliche, beziehungsweise kommunale Organisation.32
In der polizeihistorischen Forschung wird für die Zeit des Nationalsozialsozialismus keine kontinuierlich zielgerichtete Entwicklung des Polizeiapparates gesehen.33 Stefan Linck identifiziert für die gesamte Entwicklung der Polizei drei Phasen, welche sich unter die Begriffe „Konsolidierung, Zentralisierung und Radikalisierung“34 . zusammenfassen lassen. Die Konsolidierung beginnt demzufolge mit der Machtübernahme im Jahr 1933, die Zentralisierung 1936 und die Radikalisierung 1939 mit dem Kriegsbeginn.35
Da der dritten Phase in weiteren Kapiteln bezogen auf den Kriegseinsatz mehr Platz eingeräumt wird, werden die ersten beiden Phasen im Folgenden behandelt. Dabei stehen die Fragen, inwieweit die Radikalisierung in diesen Phasen schon vorbereitet wurde und wie die Polizei der Weimarer Republik in diesen Phasen zum Teil des NS-Machtapparates wurde, im Vordergrund.
Die vorrangigen Ziele der Nationalsozialisten waren in den ersten Jahren die Festigung der eigenen Macht durch die Bekämpfung der politischen Gegner und durch die Verhinderung möglicher Umsturzversuche. Bei diesem Prozess spielte die Polizei als staatliche Exekutivgewalt eine erhebliche Rolle. Um die Polizei von republikanischen oder sozialdemokratisch gesinnten Offizieren und höheren Beamten zu ‚ säubern‘, wurde im April 1933 das Gesetz zur Widerherstellung des Berufsbeamtentums verabschiedet, in dem es heißt:
„Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden.“36 .
Auch wenn durch dieses Gesetz eine rechtliche Legitimation dafür geschaffen wurde, kam es infolgedessen nicht zu einer Entlassungswelle größeren Ausmaßes. So wurden bis zum Ende des Jahres 1933 bei der Schutzpolizei 7,3% der Offiziere und nur 1,7% der Polizeiwachtmeister entlassen.37 Es ist jedoch unbekannt, wie viele Ermittlungsverfahren es diesbezüglich gab.38
Somit wird deutlich, dass die Nationalsozialisten es in dieser frühen Phase nicht darauf absahen, den Polizeiapparat personell komplett auszuwechseln, wenn überhaupt an den höheren Stellen.
In der Forschung werden für dieses Vorgehen mehrere Gründe genannt. Zuerst wird dabei ein Mangel an Personal genannt, um viele Stellen neu zu besetzen, weshalb es vielerorts eher zu Versetzungen statt zu Entlassungen gekommen war.39 Als zweiten Grund nennt Linck, dass Herrmann Göring40 die Zahl der SS und SA Angehörigen in der Polizei zu diesem frühen Zeitpunkt gering halten wollte, „um den Einfluß von Röhm einerseits und Himmler andererseits auf die Polizei möglichst niedrig zu halten.“41 Zuletzt wird den uniformierten Polizisten im Allgemeinen eine Sympathie für die NS-Regierung attestiert.42
Die Reichsregierung verließ sich jedoch nicht auf diese Sympathie. So wurde durch einen Erlass im Februar 1933 in Preußen und später auch in weiteren Ländern eine Hilfspolizei aufgestellt.43 Diese setzte sich „ zu 50% aus SA-Leuten, zu 30% aus SS Männern und zu 20 % aus Angehörigen des Stahlhelmes […]“44 zusammen.
Die Hilfspolizei hatte die Aufgabe, mögliche Umsturzversuche, besonders im Hinblick auf die Reichstagswahl vom März 1933, zu unterbinden. Sie unterstand formell der Schutzpolizei und war maßgeblich an Gewalttaten gegen politische Gegner der NSDAP beteiligt.45 Durch den Einsatz der Hilfspolizei, welche im selben Jahr wieder aufgelöst wurde, „ beschleunigte sich der Konsolidierungsprozess der nationalsozialistischen Regierung deutlich“46 , so Linck.
In der Forschung wird darauf hingewiesen, dass die Gewalttaten gerade von Seiten der Hilfs- und nicht der Schutzpolizisten ausgeübt wurden47, hierbei allerdings eine Legitimation des Terrors der Parteiorganisationen stattfand und die ganz normalen Polizisten sich zu diesem frühen Zeitpunkt mit dieser Legitimation bereits konfrontiert sahen.48 Patrick Wagner zufolge sollte dies stärker in Betracht gezogen werden, „ wenn man das Verhalten Uniformierter Polizeiformationen während des Vernichtungskrieges in Osteuropa zu erklären versucht.“49
Ein weiterer wichtiger Schritt des frühen Transformationsprozesses der Polizei nach der nationalsozialistischen Machtübernahme war die Herauslösung der Politischen Polizei aus der Kriminalpolizei und deren Umgestaltung zur Geheimen Staatspolizei (Gestapo).50
Diese unterstand zunächst dem Reichsinnenministerium, jedoch wurde der Einfluss des Reichsführers SS Heinrich Himmler, welcher bereits im April 1934 zum stellvertretenden Leiter der Gestapo war, zunehmend größer.51
Die Gestapo hatte vor allem die Aufgabe inne, „alle staatsgefährdenden Bestrebungen zu erforschen und zu bekämpfen, die Ergebnisse der Ermittlungen zu sammeln und auszuwerten und Regierung sowie Behörden zu unterrichten und mit Anregungen zu versehen.“52 , fasst Curilla es zusammen.
Bedingt durch die hier erwähnten frühen Transformationsprozesse, nämlich durch die frühe Konsolidierung der Macht mit Unterstützung der dafür eigens geschaffenen Hilfspolizei und den Aufgaben der Getsapo bei der Durchsetzung staatlicher Interessen und der Bekämpfung von politischen Gegnern, veränderte sich dementsprechend auch der Status der Schutzpolizei. Diese wurde für diese Zwecke kaum noch benötigt.53
So verwundert es wenig, dass infolgedessen Teile der kasernierten Polizei in die Wehrmacht überführt wurden. Das 1935 dafür beschlossene Gesetz besagte:
„Die Angehörigen […] der dem Reichskriegsminister unterstellten Einheiten, Verbände und Einrichtungen der Landespolizei werden nach den näheren Bestimmungen, die der Reichskriegsminister im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Innern erläßt, in das Rechtsverhältnis von Soldaten und Wehrmachtsbeamten überführt.“54
Durch dieses Gesetz wurden 56.000 Polizisten zu Wehrmachtssoldaten „ und bildeten dort den Kern zahlreicher Bataillone “55. Teile dieser Offizierskader dienten Browning zufolge „[…] als Ausbildungsstelle für künftige Wehrmachtsoffiziere.“ 56
Zusammengefasst lässt ist für diese erste Phase der Entwicklung der Ordnungspolizei festzuhalten, dass die uniformierte Polizei in dieser frühen Phase der nationalsozialistischen Herrschaft nicht gänzlich verändert wurde. Es fand jedoch durch die Einführung der Gestapo eine Veränderung in den Polizeiaufgaben statt und die Beamten der Schutzpolizei wurden durch die kurze Zeit, in der es die Hilfspolizei gab, mit den nun staatlich legitimierten Gewalttaten der NS-Parteiorgane konfrontiert.
Im Zuge der NS-Gleichschaltungspolitik erhielt der Reichsminister des Innern Wilhelm Frick weitreichende Befugnisse über die Polizei, welche ihm von dort an formal unterstand. Jedoch erhielt Frick nicht den Titel eines Reichspolizeichefs.57
Unterstand die uniformierte Polizei in der ersten Phase dem RMI, so sollte es in den darauffolgenden Jahren geschehen, dass auch sie weiter mit den Parteiorganisationen der NSDAP, vor allem mit der Schutzstaffel, verzahnt wurde.
Ein entscheidender Schritt dafür war die Ernennung Heinrich Himmlers zum Chef der Polizei. Diese war das Resultat eines Machtkampfes zwischen Frick und Himmler, in welchem ersterer im Hinblick auf die Polizei entmachtet wurde.58 In dem Erlass vom 17. Juni 1936 hieß es:
„ Zur einheitlichen Zusammenfassung der polizeilichen Aufgaben im Reich wird ein Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern eingesetzt, dem zugleich die Leitung und Bearbeitung aller Polizeiangelegenheiten im Geschäftsbereich des Reichs und Preußischen Ministeriums des Innern übertragen wird.“59
[...]
1 Vgl. Bericht der Tagesschau vom 06.06.2020, siehe: https://www.tagesschau.de/inland/georgefloyd-protest-deutschland-101.html, abgerufen am 11.11.2020
2 "Um ein strukturelles Problem handelt es sich vielmehr, da sowohl die Entste-hung von Erfahrungswissen und verräumlichtem Polizeihandeln als auch unbewusste Ste-reotype keine zufälligen Erscheinungen bei einzelnen Beamt*innen sind, sondern (auch) aus den Strukturen der Organisation Polizei entstehen – etwa ihren Aufgaben und Tätig-keiten, der Art und Weise der Umsetzung dieser sowie den Formen des Umgangs mit Fehlern und Missständen." Abdoul-Rahman, Laila et. al.: Rassismus und Diskriminierungserfahrungen im Kontext polizeilicher Gewaltausübung. Zweiter Zwischenbericht zum Forschungsprojekt "Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen"(KviAPol), Bochum 2020, S. 7.
3 Vgl. Ebd.
4 Diese Behandlung setzt den Fokus bewusst nur auf die uniformierte Polizei, die so genannte „Ordnungspolizei“, da eine Gesamtbetrachtung aller Polizeiorgane, insbesondere der Gestapo und Hilfspolizei den Rahmen dieser Betrachtung sprengen würde und weiterer Beschäftigungen bedarf. Zudem eignet sich die Ordnungspolizei besser für die Betrachtung der „ganz normalen" Polizei.
5 Siehe v.A.:Neufeldt, Hans-Joachim; Huck, Jürgen; Tessin, Georg: Zur Geschichte der Ordnungspolizei 1936-1945 (Schriften des Bundesarchivs), Koblenz 1957, im Folgenden zitiert als: Neufeldt; Huck; Tessin: Zur.
6 Vgl.Mallmann, Klaus-Michael: Vom Fußvolk der "Endlösung". Ornungspolizei, Ostkrieg und Judenmord, in: Tel Aviver Jahrbuch für Deutsche Geschichte 26 (1997), S. 355–391, S.357f., im Folgenden zitiert als: Mallmann: Vom.Mehr zu der Schuldfrage und der Vergangenheitsplitik der OrPo, siehe Kap. VI.
7 Vgl. u.A.Lang, Jochen von; Sibyll, Claus: Die Gestapo. Instrument des Terrors, Hamburg 1990.
8 Vgl.Browning, Christopher: Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die "Endlösung" in Polen, Erweiterte und übersetzte Neuausgabe, Hamburg 2020, im Folgenden zitiert als: Browning: Ganz.In dieser Arbeit wird die übersetze Neuauflage der erstmals 1993 veröffentlichten Studie benutzt.
9 Curilla, Wolfgang: Die deutsche Ordnungspolizei im westlichen Europa 1940-1945, Paderborn 2020b, S. 1, im Folgenden zitiert als: Curilla: deutsche.
10 Vgl.Goldhagen, Daniel Jonah: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, 1. Aufl., München 2012, 219ff., im Folgenden zitiert als: Goldhagen: Hitlers.Hierbei wird ebenso wie bei Browning die aktuellste Auflage der deutschen Übersetzung benutzt.
11 Ebd. S. 487
12 Siehe u.A.Mommsen, Hans: Einleitung, in: Finkelstein, Norman G.; Birn, Ruth Bettina (Hgg.): Eine Nation auf dem Prüfstand. Die Goldhagen-These und die historische Wahrheit, Hildesheim 1998, S. 9–23.
13 Vgl. u.A.Schneider, Karl: "Auswärts eingesetzt". Bremer Polizeibataillone und der Holocaust, 1. Aufl., Essen 2011.
14 Deppisch, Sven: Täter auf der Schulbank. Die Offiziersausbildung der Ordnungspolizei und der Holocaust (Veröffentlichungen des Bayerischen Polizeimuseums, Band 2), Marburg 2016, S. 23, im Folgenden zitiert als: Deppisch: Täter.
15 Vgl.Curilla, Wolfgang: Die deutsche Ordnungspolizei und der Holocaust im Baltikum und in Weissrussland. 1941 - 1944, Paderborn 2006a, im Folgenden zitiert als: Curilla: deutsche.
16 Vgl.Curilla, Wolfgang: Der Judenmord in Polen und die deutsche Ordnungspolizei. 1939 - 1945, Paderborn 2011.
17 Vgl.Curilla: deutsche.
18 Vgl.Klemp, Stefan: "Nicht ermittelt". Polizeibataillone und die Nachkriegsjustiz ; ein Handbuch (Schriften / Villa ten Hompel, 5), 1. Aufl., Essen 2005, im Folgenden zitiert als: Klemp: Nicht.
19 Vgl.Grüneisen, Sven: Kameradschaft im Reserve-Polizeibataillon 101 und der Genozid an den Juden. Eine soziologische Rekonstruktion von Verhaltenserwartungen in Extremsituationen, in: Gruber, Alexander; Kühl, Stefan (Hgg.): Soziologische Analysen des Holocaust. Jenseits der Debatte über "ganz normale Männer" und "ganz normale Deutsche“, Wiesbaden 2015.
20 Siehe im dazugehörigen Begleitband:Dierl, Florian, et al. (Hgg.): Ordnung und Vernichtung. Die Polizei im NS-Staat, Dresden 2011.
21 Curilla: deutsche, S. 17.
22 Vgl. Ebd.
23 Vgl.Deppisch: Täter, S. 29–35.
24 Vgl.Mallmann: Vom, 372.
25 Curilla: deutsche, S. 49.
26 Ebd.
27 Ebd.:„ Auf dem Lande übte im ganzen Reich seit den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts die nach französischem Vorbild geschaffene Gendarmerie den polizeilichen Vollzugsdienst aus.“
28 Vgl.Wilhelm, Friedrich: Die Polizei im NS-Staat. Die Geschichte ihrer Organisation im Überblick (Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart), 2., durchges. und verb. Aufl., Paderborn 1999, S. 24–26, im Folgenden zitiert als: Wilhelm: Polizei.
29 Curilla: deutsche, S. 51.
30 Vgl.Kopitzsch, Wolfgang: Polizeieinheiten in Hamburg in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, in: Nitschke, Peter (Hg.): Die deutsche Polizei und ihre Geschichte. Beiträge zu einem distanzierten Verhältnis (Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Polizeigeschichte, 2), Hilden/Rhld. 1996, S. 139–167, S. 140.
31 Zahlen und Daten Vgl.Curilla: deutsche, S. 51.
32 Vgl. Ebd.
33 Vgl.Wagner, Patrick: Art. „Der Kern des Völkischen Maßnahmenstaates“. Rolle, Macht und Selbstverständnis der Polizei im Nationalsozialismus, in: Schulte, Wolfgang (Hg.): Die Polizei im NS-Staat (Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Polizeigeschichte e.V, 7), Frankfurt am Main 2009, S. 23–51, S. 23–25, im Folgenden zitiert als: Wagner: Kern.
34 Linck, Stephan: Der Ordnung verpflichtet: deutsche Polizei 1933 - 1949. Der Fall Flensburg (Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart), Paderborn 2000, S. 23, im Folgenden zitiert als: Linck: Ordnung.
35 Vgl.Ebd.
36 §4 Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7.April 1933, in RGBI I. 1933 S.175
37 Vgl.Leßmann-Faust, Peter: Die preußische Schutzpolizei in der Weimarer Republik. Streifendienst und Straßenkampf, Düsseldorf 1989, S. 388, im Folgenden zitiert als: Leßmann-Faust: preußische.
38 Vgl.Linck: Ordnung, S. 25.
39 Vgl. Ebd.
40 Göring war zu diesem Zeitpunkt als kommissarischer Preußischer Innenminister und später Ministerpräsident der Oberbefehlshaber über die Preußische Polizei.
41 Ebd.
42 Vgl.Dierl, Florian: Die Ordnungspolizei, in: Dierl, Florian et al. (Hgg.): Ordnung und Vernichtung. Die Polizei im NS-Staat, Dresden 2011, S. 32–41, S. 32.
43 Vgl.Wilhelm: Polizei, S. 38.
44 Curilla: deutsche, S. 51.
45 Vgl.Leßmann-Faust: preußische, S. 393.
46 Linck: Ordnung, S. 26.
47 Vgl.Wagner: Kern, S. 32.
48 Vgl.Linck: Ordnung, S. 27.
49 Wagner: Kern, S. 32.
50 Da die Transformation der Ordnungspolizei der Untersuchungsgegenstand dieses Kapitels ist, wird die Gestapo vor allem vor diesem Gesichtspunkt behandelt. Für eine genauere Beschäftigung mit der Gestapo für diese Zeit, siehe u.A.:Graf, Christoph; Hofer, Walther: Politische Polizei zwischen Demokratie und Diktatur. Die Entwicklung der preußischen Politischen Polizei vom Staatsschutzorgan der Weimarer Republik zum Geheimen Staatspolizeiamt des Dritten Reiches (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 36), Berlin 1983.
51 Vgl.Wilhelm: Polizei, S. 43.
52 Curilla: deutsche, S. 52.
53 Vgl.Linck: Ordnung, S. 27.
54 §1 Gesetz über die Überführung von Angehörigen der Landespolizei in die Wehrmacht vom 3. Juli 1935, in RGBI I 1935, S. 815
55 Curilla: deutsche, S. 54.
56 Browning: Ganz, S. 24.
57 Vgl.Lichtenstein, Heiner: Himmlers grüne Helfer. Die Schutz- und Ordnungspolizei im Dritten Reich, Köln 1990, S. 20f., im Folgenden zitiert als: Lichtenstein: Himmlers.
58 Vgl.Wagner: Kern, S. 32.
59 Erlaß über die Einsetzung eines Chefs der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern vom 17.Juni 1936, in RGBI I 1936, S. 487
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