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Bachelorarbeit, 2010
57 Seiten, Note: Sehr gut
1 Einleitung
2 Forschungsfrage und Hypothesen
3 Erörterung des bisherigen Forschungsstandes
3.1 Die Gruppe
3.1.1 Die Kleingruppe (Primärgruppe)
3.1.2 Gruppendynamik
3.1.3 Kommunikation und Gruppendynamik
3.1.4 Lernen in der Gruppe
3.1.5 Psychosozialer Einfluss einer Gruppe
3.1.6 Evaluierung von Gruppen
3.2 Gruppentherapie bei neurologischer Sprachstörung
3.2.1 WHO Richtlinien
3.2.2 Ziele der Gruppentherapie
3.2.3 Methoden
3.2.4 Strukturmerkmale
3.2.5 Der psychosoziale Aspekt
3.2.6 Abgrenzung von psychotherapeutischen Gruppen sowie von Selbsthilfegruppen
3.2.7 Einzeltherapie vs. Gruppentherapie
3.2.8 Schwierigkeiten der Evaluierbarkeit
3.2.9 Zusammensetzung der Gruppe
4 Darlegen der gewählten Methodik
4.1 Struktur und Setting
4.2 Durchführung
4.3 Material
4.3.1 Video
4.3.2 Code of ethics
4.4 Die Gruppe
4.4.1 Die Teilnehmer - Einheit am 2.März 2010
4.4.2 Die Teilnehmer - Einheit am 16. März 2010
4.4.3 Die Teilnehmer - Einheit am 23. März 2010
4.5 Interview mit Jenny Watermeyer, PhD
5 Ergebnisse der empirischen Studie
5.1 Einheit am 2. März 2010
5.1.1 1.Übung:
5.1.2 Methodisches Verhalten der Therapeutin (Th.):
5.1.3 Kommunikation und Lernen in der Gruppe:
5.1.4 2.Übung:
5.1.5 Methodisches Verhalten der Therapeutin (Th.):
5.1.6 Kommunikation und Lernen in der Gruppe:
5.2 Einheit am 16. März 2010
5.2.1 1.Übung:
5.2.2 Methodisches Verhalten der Therapeutin 2 (Th. 2):
5.2.3 Kommunikation und Lernen in der Gruppe:
5.2.4 2.Übung:
5.2.5 Methodisches Verhalten der Therapeutin (Th.):
5.2.6 Kommunikation und Lernen in der Gruppe:
5.3 Einheit am 23. März 2010
5.3.1 Übung:
5.3.2 Methodisches Verhalten der Therapeutin (Th.):
5.3.3 Kommunikation und Lernen in der Gruppe:
5.4 Zusammenfassung des Interviews mit Jenny Watermeyer, PhD
6 Interpretation und Schlussfolgerungen
7 Literaturliste
8 Anhang
8.1 Consent form
8.2 Interview mit Jenny Watermeyer, PhD am 23. März 2010
Eine neurologisch bedingte Sprachstörung bedeutet für die betroffenen PatientInnen meist eine massive Einschränkung der linguistischen Fähigkeiten und der verbalen (z.T. auch nonverbalen) Kommunikation. Diese mangelnde Kommunikationsfähigkeit führt in weiterer Folge zu vermehrter sozialer Beeinträchtigung bis hin zu sozialem Rückzug. Die Betroffenen leiden dadurch häufig unter mangelndem Selbstwertgefühl und zum Teil auch unter Depressionen.
In der logopädischen Therapie von neurologischen Sprachstörungen finden sich vier Schwerpunkte (vgl. Simon-Schadner, 2009, S.3):
1. Symptomorientiertes Vorgehen (z.B. gezielte Therapie von phonematischen Paraphasien[1] …)
2. Alltagsorientiertes Vorgehen (z.B. Einkaufen, Telefonieren…)
3. Kommunikationsorientiertes Vorgehen (z.B. Erlernen von kommunikativen Bewältigungsstrategien…)
4. Psychosoziale Unterstützung (z.B. Hilfestellung beim Umgang mit der Sprachstörung…)
„Sprachtherapeutische Gruppen werden hierzulande eher als Zusatzangebot konzipiert. In Nordamerika hingegen stehen Gruppentherapien schon länger in der Aufmerksamkeit von sowohl Wissenschaftlern als auch praktisch tätigen Sprachtherapeuten.“ Masoud fasst in Bezugnahme auf (Elman, 1999; Fawcus, 1992a; Kearns & Elman, 1994, Marshall, 1999a, Pachalska, 1991; sowie Sonderheft Aphasiology 1991:5) zusammen, dass im anglophonen Sprachraum sprachtherapeutische Gruppen vermehrt Thema der wissenschaftlichen Literatur sind.
Auch im europäischen Raum wird die logopädische Gruppentherapie voraussichtlich Einzug halten. Dies vermutet die Autorin um einen aufgrund der Forderungen der ICF (Kap. 3.2.1) und zum anderen letztendlich aufgrund der Kosteneinsparungen bei der Finanzierung von Rehabilitationstherapien. SprachtherapeutInnen sehen sich bereits heute im Spannungsfeld immer knapper werdender Ressourcen und zugleich steigender PatientInnenzahlen (vgl. Masoud, 2007).
Die Gruppentherapie ermöglicht den TherapeutInnen, mehrere PatientInnen zu betreuen. Dies ist kostengünstiger und sorgt für eine effizientere Nutzung von einzelnen TherapeutInnen (vgl. Ross & Deverell, 2004, S.272).
Aufgrund der raren deutschsprachigen wissenschaftlichen Forschung in Bezug auf die logopädische Gruppentherapie bei neurologischen Sprachstörungen möchte die Autorin durch ihre Bachelorarbeit die Literatur mit einem empirisch erhobenen praktischen Beispiel bereichern.
Im weiteren Sinne soll dies TherapeutInnen im nicht anglophonen Raum die Möglichkeit bieten, diese Methode theoretisch kennen zu lernen und einen Anreiz geben, die Methode gegebenenfalls durchzuführen.
Im theoretischen Teil dieser Arbeit wird der bisherige Forschungsstand zum Thema „Die Gruppe“ und „Gruppentherapie bei neurologischen Sprachstörungen“ erörtert. In Kapitel 4 und 5 werden die Methodik und die Resultate der empirischen Studie erläutert. Die Arbeit schließt mit der Interpretation und der Schlussfolgerung der Ergebnisse ab.
Im Rahmen der empirischen Beobachtungen wurde am 23. März 2010 ein Interview mit Jenny Watermeyer, PhD zum Thema „Gruppentherapie bei neurologischer Sprachstörung“ durchgeführt. Dieses Interview wurde von der Autorin ins Deutsche übersetzt.
Eine Zusammenfassung dieses Gesprächs findet sich im Kapitel 5. 4. und das gesamte Interview im Anhang.
Im anglophonen Raum gehört die Gruppentherapie in der logopädischen Behandlung zum therapeutischen Alltag. Im nicht anglophonen Raum hingegen wird die Gruppentherapie aufgrund mangelnder Evaluierbarkeit prinzipiell weniger angewandt. Aus diesem Grund finden sich in der deutschsprachigen Literatur kaum praktische Therapiebeispiele.
In dieser Arbeit sollen die Methodik und die kommunikativen Effekte der logopädischen Gruppentherapie bei neurologischen Sprachstörungen anhand eines praktischen Beispiels untersucht werden.
Da die Gruppentherapie - trotz schwieriger Evaluierbarkeit - im anglophonen Sprachraum regelmäßig angewandt wird, geht die Autorin davon aus, positive Entwicklungen der kommunikativen Verhaltensweisen unter den Betroffenen beobachten zu können.
Ziel der Autorin ist es, die logopädische Gruppentherapie bei neurologischen Sprachstörungen kennen zu lernen und sie dadurch auch für KollegInnen zugänglich zu machen.
Meine Forschungsfrage lautet folglich:
Welche Methodik wird bei einer logopädischen Gruppentherapie bei neurologischen Sprachstörungen angewandt und welche kommunikativen Verhaltensweisen können durch die Gruppensituation bei den neurologischen PatientInnen beobachtet werden?
„Im Licht der menschlichen Gruppenbezogenheit können wir sagen, dass der Mensch ,am Wir zum Ich’ wird“
(Battegay, 2000, S.37).
Die folgende Beschreibung der Kleingruppe („Primärgruppe“), ihre Einteilung und Charakteristika sind dem Sammelbandbeitrag von Šubik entnommen (1974, S.21-23).
Unter dem Begriff Primärgrupp e versteht man eine menschliche Gemeinschaft, die durch ihre überschaubare Größe, durch persönliche Verbindungen und durch Zusammenarbeit gekennzeichnet ist. Durch ein gemeinsames Ganzes, eine gemeinsame Aufgabe und Zielsetzung kommt es in ihr zu einer wechselseitigen Identifizierung, d.h. zu einem so genannten „Wir-Gefühl“. Im Gegensatz dazu stehen die Sekundärgruppen, in denen nur indirekte Beziehungen bestehen und ein vages Bewusstsein der Zusammengehörigkeit institutionell oder sachlich vermittelt wird.
Das Hauptaugenmerk der Kleingruppenforschung gilt also der Primärgruppe, die nach ihrem Entstehen klassifiziert werden kann:
„Natürliche Primärgruppen“ – Familie, Nachbarn, Dorfgemeinschaften…
„Künstliche Primärgruppen“ – Laboratoriums- oder Trainingsgruppen…
„Kontinuierliche oder beständige Primärgruppen“ – Vereine, Schulklassen, Banden…
„Unbeständige Primärgruppen“ – Diskussionsrunden, Komitees…
Innerhalb jeder dieser Primärgruppen wurden folgende sieben gemeinsame Merkmale beobachtet:
1. Interaktionen: verbaler und nonverbaler Kontakt ohne Einschaltung von Mittelspersonen; Reaktion auf Sprache, Werturteile und soziale Regeln jedes Individuums; Voraussehen und Begreifen von Verhaltensweisen
2. Entstehung von Normen: Resultat der Interaktionen; Verhaltensregeln; sie ändern sich je nach Ausgangslage, Situation und Struktur der Gruppe; wenn sie sich verfestigen, sind sie schwer wieder aufzuheben
3. Gemeinsame Gruppenziele: Erleichterung des Zusammenhalts; z.B.: Problemlösung, Ausführen einer Aufgabe
4. Gemeinsame Emotionen: führen zu gemeinsamen Handlungs- und Reaktionsweisen
5. Informelle affektive Struktur: Auf- und Verteilung von Sympathien und Antipathien, welche die innere Gruppenhierarchie beeinflusst; Entstehen von Untergruppen
6. Das kollektive Unbewusste: gemeinsame Geschichte der Gruppe durch Bewältigung und Nichtbewältigung von Problemen in der Gruppe; unbewusste psychische Beeinflussung des Verhaltens innerhalb der Gruppe
7. Errichtung eines inneren Gleichgewichts und eines stabilen Bezugssystems zur Umwelt: zur Sicherung der Kontinuität; Überwindung von Konflikten durch Schaffung eines neuen Gleichgewichts
Gruppendynamik ist die „Lehre von der Gesetzlichkeit vorbewusster u. unbewusster Prozesse in Gruppen, unabhängig von Intelligenzgrad u. weitgehend unabhängig von Sozialschicht“ (Franke, 2008, S.93). Sie dient der theoretischen und praktischen Erforschung von Kleingruppen, die eine der grundlegenden Strukturen des zwischenmenschlichen Kontakts und der Kommunikation darstellen (vgl. Šubik 1974, S.9).
Der Inhalt dieses Kapitels bezieht sich auf den Sammelbandbeitrag von Prof. Heintel (1974, S.138, S.141-142).
Die Bedeutung der zwischenmenschlichen Kommunikation kann wie folgt zusammengefasst werden:
- Kommunikation ist Voraussetzung für alle Erziehungs- und Bildungsprozesse.
- Kommunikation konstituiert konkret die Ich-Identität.
- Kommunikation beantwortet die Frage: Wer bin ich?
- Kommunikation setzt das Wort „wir“. Regeln und Normen sind das Produkt kommunikativ festgelegter Verbindlichkeiten.
- Kommunikation ermöglicht die Erstellung eines allgemeinen sozialen Bezugrahmens.
- Kommunikation ermöglicht Selbst- und Rollendistanz.
- Kommunikation ist die einzige Möglichkeit der Verhütung des Selbstverlustes in die Ich-Einsamkeit.
In einer Kleingruppe ist am ehesten direkte Kommunikation möglich. Innerhalb der Gruppe lässt sich Verbindlichkeit erzeugen und verändern. Die Gruppe bietet einen Platz, an dem sich das Individuum selbst erfahren kann.
Das Kommunikationsverhalten von AphasikerInnen[2] kann nun wie folgt zusammengefasst werden:
Es gibt eine große Bandbreite an Symptomen bei PatientInnen mit einer Hirnschädigung: Inadäquates Turn-taking[3], stark eingeschränkte Kontrolle über das Gesprächsthema, falscher Gesprächsbeginn und falsche Selbstkorrekturen, wenig Blickkontakt, hohe Ablenkbarkeit und Vergesslichkeit, auditive Hypersensibilität und verlangsamte Informationsverarbeitung. Während einer Konversation zeigen die PatientInnen eine eingeschränkte Fähigkeit zur Selbstkorrektur und eine erhöhte Anzahl von Gesprächsabbrüchen. Auch das Sprachverständnis kann vor allem bei Zunahme der Komplexität betroffen sein (vgl. Penn, 2000, S.185).
„Es gibt eine Reihe psychischer Funktionen, die am Zustandekommen von Lernleistungen beteiligt sind und erklären können, weshalb die Anwesenheit anderer Personen zur Verbesserung individueller Lernleistungen beizutragen vermag“ (Huber&Müller, 1998, S.223).
Rückmeldungen und Widerspiegelungen innerhalb der Gruppe erweitern den individuellen Wahrnehmungsfokus, bieten Optionen für neue Einsichten, Wissensperspektiven und Verhaltensweisen (vgl. Huber&Müller, 1998, S.223). Die Feedbacks, die das Individuum innerhalb einer Gruppe erfährt, führen zum Erkennen eigener Haltungs- und Verhaltensbesonderheiten, und dieses Selbstbild entscheidet über das Fortkommen eines Individuums in einer Gruppe und der Gesellschaft (vgl. Battegay, 2000, S.39).
Gruppen verfügen überdies über mehr Ressourcen, die zur Aufrechterhaltung von Lernprozessen einsetzbar sind (Information, Annerkennung und Zuneigung), als Einzelpersonen. Soziales Lernen und die Aneignung neuer Verhaltensweisen kann so wirkungsvoll verstärkt werden. Es muss jedoch auch auf die potentielle Gefährdung des Lernerfolgs durch Wettbewerb und Rivalität hingewiesen werden (vgl. Huber&Müller, 1998, S.224). Der Wettbewerb wirkt leistungsmindernd auf die Zusammenarbeit innerhalb der Gruppe. Unter kooperativen Bedingungen resultieren deutlich bessere Problemlösungen und individuell höhere Lerngewinne (vgl. Wetzel, 1998, S.125). Das Verhältnis der individuellen Ziele der Mitglieder zueinander und zum übergeordneten Gruppenziel ist entscheidend für das gemeinsame Arbeiten in der Gruppe (vgl. Wetzel, 1998, S.115).
Die Effektivität der Gruppe in Bezug auf Lernprozesse muss aber auch im Licht bestimmter Randbedingungen betrachtet werden. Entscheidend sind die individuellen Kenntnisse einzelner TeilnehmerInnen hinsichtlich sozialer Lernerfahrungen. Wenn die TeilnehmerInnen wenig Erfahrung in diesem Gebiet aufweisen, dann ist es zu Beginn sinnvoll, Methoden einzusetzen, die zunächst nur geringe Anforderungen an soziale und kommunikative Kompetenzen stellen. Darüber hinaus sollten sich ErwachsenenbildnerInnen immer im Klaren darüber sein, dass nicht jede Maßnahme für jede Person geeignet ist (vgl. Huber&Müller, 1998, S.224-225).
Nirgends ist ein einzelner Mensch ohne die ihn umgebenden Gruppierungen zu denken, und es sind die Erwartungen, die er an sie richtet, sowie die Ansprüche, die von der Gruppierung an ihn herangetragen werden, die unsere individuelle Lebenswelt ausmachen (vgl. Huber, 1974, S.27). Aus psychotherapeutischer Sicht gilt die Gruppe als Verstärker für Gefühle, Erkenntnisvorgänge und Kognitionen. In ihrem Rahmen gewinnt der Mensch an Selbstgewissheit und Selbstwahrnehmung (vgl. Battegay, 2000, S.39). “Die Gruppe fungiert als Hort individueller Bedürfnisse und Entfaltung, als soziales Refugium, dessen Bestandssicherung für jedes Individuum von Bedeutung ist, weil es in ihm auch den eigenen Bestand und die eigene Lebensform sichert“ (Zysno, 1998, S.12).
Durch die Arbeitsform der Gruppendynamik soll das einzelne Individuum lernen, wie es die von ihm gemachten negativen Erfahrungen und Frustrationen durch positive Erlebnisse im täglichen Kommunikationsprozess ersetzen kann (vgl. Huber, 1974, S.33).
Ein wesentlicher psychologischer Faktor, der für den Erfolg der Gruppentherapie ausschlaggebend ist, ist die sog. Kohäsion. Damit ist der innere Zusammenhalt der Gruppe gemeint, und die Attraktivität der Identifizierung mit der Gruppe für den Einzelnen. Die Kohäsion als Bindung des einzelnen Individuums an die Gruppe entspricht der Vertrauensbeziehung zischen PatientIn und TherapeutIn in der Einzeltherapie. Eine gute Kohäsion führt demnach zu einem guten Arbeitsklima (vgl. Masoud, 2009, S.11).
Da Gruppenprozesse jedoch wesentlich schwerer vorhersehbar sind als man bisher annahm (vgl. Ardelt-Gattinger & Gattinger, 1998, S.9), spricht man in der Sozialpsychologie davon, dass die Untersuchung von Gruppen ein generell unüberschaubares Unterfangen ist. Die Schwierigkeit besteht darin, eine der Fragestellung adäquate Methode zu finden (vgl. Brauner, 1998, S.192).
Angewandte Methoden sind z.B. Fragebögen oder Ratingbögen (vgl. Brauner, 1998, S.182). In der Gruppenforschung unterscheidet man zwischen strukturanalytischen und prozessanalytischen Verfahren (vgl. Brauner, 1998, S.179). Gruppendiagnoseinstrumente sollen also Informationen über die Zusammensetzung der Gruppe und über in ihr ablaufende Prozesse liefern, damit Maßnahmen zur Regulierung ergriffen werden können. In therapeutischen Gruppen können sie Anhaltspunkte darüber liefern, welche Übungsmaßnahmen für die Gruppe geeignet und sinnvoll sein können (vgl. Brauner, 1998, S.176).
„One good thing happened in rehab that gave me a
glimmer of hope. My doctor put me in touch with a
stroke survivor“
(Green, 2008, S.128).
Im anglophonen Sprachraum ist die Gruppentherapie schon seit längerem Thema der wissenschaftlichen Literatur. Zu den vergleichsweise wenigen Übersichtsveröffentlichungen zum Thema „sprachtherapeutische Gruppentherapie“ finden sich hierzulande neun maßgebende Studien (Aten et al. 1982, Bollinger et al. 1993, Radonjic u. Rakuscek 1991, Marshall 1993, Brumfitt u. Sheeran 1997, Avent 1997, Wertz et al. 1981, Elman u. Bernstein-Ellis 1999a, Pulvermüller et al. 2001, Meizer et al. 2005), die von Masoud beschrieben werden (2009, S.22-31).
Die Begründungen für eine Gruppenbehandlung, soweit sie explizit gemacht werden können, sind sehr unterschiedlich und reichen von psycho- bzw. soziotherapeutischen Ansätzen über lerntheoretische Fundierungen bis hin zu klar umschriebenen Settings, die auf bestimmte kommunikative Fähigkeiten abzielen (vgl. Döppler, 1991, S.51).
„Die International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) ist eine von der WHO initial 2001 erstellte und herausgegebene Klassifikation zur Beschreibung des funktionalen Gesundheitszustandes, der Behinderung, der sozialen Beeinträchtigung sowie der relevanten Umweltfaktoren von Menschen.“ Die ICF basiert auf einem ressourcenorientierten biospsychosozialen Ansatz (vgl. WHO, 2010, 25. März).
Der Trend, Sprache im sozialen Kontext zu verstehen, wird durch die Etablierung der ICF verstärkt. Eine alltagsorientierte Therapie wird gefordert, wobei der Mensch in seiner individuellen Lebenssituation zu sehen ist und seine „funktionale Gesundheit“ nicht nur auf die Struktur- und Funktionsebene beschränkt ist (vgl. Masoud, 2009, S.3-4). Das Modell der WHO vereint das medizinische und das soziale Modell zu einem “biopsychosozialem Modell“ (vgl. Worrall, 2001, S.52). „The WHO model provides me with an overarching framework for the client‘s goals, but it also acts as a reminder that all dimensions are part of the disabling condition” (Worrall, 2001, S.53).
Übertragen auf die Therapie bedeutet dies, den Patienten in seinem individuellen Alltag wahrzunehmen und seine persönlichen Ziele und seinen subjektiven Leidensdruck als Priorität der therapeutischen Intervention anzuerkennen. Wenn man den Dimensionen der ICF gerecht werden will, muss die Sprache nicht nur als linguistisch beschreibbares System, sondern als zielgerichtetes Handeln im sozialen Kontext verstanden werden. (vgl. Masoud, 2009, S.3-4). LogopädInnen sollten den Kontext ihrer Arbeit überdenken und sich dessen bewusst sein, dass es viele gute Gründe gibt, sich über diese Dinge Gedanken zu machen. Einzel- und Gruppentherapien, in denen das soziale Modell angewandt wird, bieten die Möglichkeit, einen anderen Zugang zu den PatientInnen zu erlangen. Es entsteht eine engere Beziehung, in der die TeilnehmerInnen von der Rolle der PatientInnen tendeziell in die von PartnerInnen wechseln. Dies bedeutet wiederum, dass Kliniker-Innen erkennen werden, dass die traditionellen professionellen Richtlinien nicht mehr passen. Diese Richtlinien werden sich verändern und müssen teilweise auch überschritten werden (vgl. Sherratt & Hersh, 2010, S.159).
Die Aufgabe der LogopädInnen ist es herauszufinden, welche sprachlichen Defizite dem individuellen Ziel im Wege stehen, und eine Struktur zu entwickeln, durch die das Ziel schrittweise am besten erreicht werden kann. Die Konsequenz besteht dabei auch darin, gegebenenfalls bereit zu sein, sich von primär linguistischen oder artikulatorisch/motorischen Zielen wegzubewegen. Häufig wird in der Aphasietherapie im Allgemeinen die Kommunikation als Behandlungsziel erst an das Ende der Therapie gestellt. Sprachsystematische Übungen im Bereich Syntax, Semantik und Artikulation stehen hingegen im Vordergrund. Doch der therapeutische Grundgedanke sollte davon geleitet sein, dass Kommunikation in jedem Stadium der sprachlichen Beeinträchtigung von zentraler Bedeutung ist, auch wenn kaum sprachliche Verständigung möglich ist, (vgl. Lamprecht, 2008, S.178-180).
Zentrales Ziel - insbesondere der gruppentherapeutischen Intervention - ist demnach die bestmögliche Wiederherstellung der Kommunikationsfähigkeit zu gewährleisten, bzw. die Verbesserung der eingeschränkten Teilhabe am sozialen Leben. Dazu zählt das Erarbeiten von individuellen kommunikativen sowie psychosozialen Strategien. Ein übergeordnetes Ziel der sprachtherapeutischen Gruppentherapie ist die Aktivierung der PatientInnen hin zu einer Selbstinitiierten und sprachlich erfolgreichen Interaktion mit verschiedenen GesprächspartnerInnen. Die trainierten Fähigkeiten werden mittels Gruppentherapie in den Alltag transferiert. Dies kann eventuell auch die Akzeptanz und Verwendung individueller Kommunikationsstrategien beinhalten, die die Teilhabe am sozialen Leben erleichtern sollen. In der Gruppentherapie steht somit nicht die sprachsystematisch korrekte Form im Vordergrund, sondern die Funktionalität des kommunikativen Aktes (vgl. Masoud, 2007, S.3-4).
Als weiterer wichtiger Punkt in der Zielsetzung gilt die Effizienzsteigerung der Einzeltherapie (Kap. 3.2.5). Erarbeitete therapeutische Maßnahmen sollen mittels der Gruppe konserviert und stabilisiert werden (vgl. Pulvermüller, 1991, S.61). Die Transferleistungen der Gruppentherapie stellen idealerweise die Übertragung der erlernten Strategien auch auf ungeübte Strukturen und Situationen dar. Weiters wird die zentrierte Ausrichtung auf den Therapeuten vermieden, indem authentische kommunikative Zusammenhänge geschaffen werden (vgl. Masoud, 2009, S.8).
Für Dreißig & Rokitta (Logopäden der Abteilung für Neurologie des KH Lindenbrunn in Deutschland) kommen zu den hier erwähnten Zielen und Inhalten der Gruppentherapie u.a. ebenso die Mobilisierung von Vorstellungsbereichen, Aktivierung von Aufmerksamkeits- ,Wahrnehmungs-, Planungs- und Beurteilungsleistungen, sowie die Förderung der Reagibilität bei Aufforderungen hinzu (vgl. Lindenbrunn, 2010, 1.Mai). Lamprecht betont, dass ergänzende Modalitäten, wie z.B. Ausdauer, Konzentration, Aufmerksamkeit, soziale Kompetenzen und Beziehungen, sowie Flexibilität und Wissensanwendung nicht vernachlässigt werden dürfen, da sie entscheidend das sprachliche Vermögen beeinflussen (vgl. Lamprecht, 2008, S.180).
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Grupptherapien AphasiepatientInnen die Möglichkeit bieten, linguistische Fehler zu minimieren, Kompensationsstrategien anzuwenden, die Kommunikationsfähigkeit zu verbessern und psychosoziale Kompetenzen auszubauen (vgl. McCarney & Johnson, 2001, S.1017).
Der Nachweis der Effektivität gestaltet sich einerseits aufgrund der vagen Konzeptbeschreibungen, andererseits aufgrund fehlender Messinstrumente außerordentlich schwierig und wird i. d. R. nicht erbracht. Es besteht jedoch allgemeiner Konsens darüber, dass psychosozial orientierte Gruppentherapien effektiv sein können und einen Einfluss auf die Lebensqualität erzielen (Kap. 3.2.4).
Die eigentliche sprachtherapeutische Gruppe zielt auf die Verbesserung sprachlicher Leistungen ab. Da jedoch psychosoziale Aspekte einen wesentlichen Einfluss auf die sprachlichen Leistungen haben, ist eine scharfe Trennung der beiden Therapiekonzepte in der Praxis nicht möglich. Generell gibt es für die Durchführung von Gruppentherapien weder ein Bezugssystem noch Standards (vgl. Masoud, 2007, S.1-2).
[...]
[1] Phonematische Paraphasien: „Das gebrauchte Wort ähnelt klanglich dem gesuchten“ (Franke, 2008, S.162).
[2] Aphasie: „erworbene, zentrale Sprachstör., die durch hirnorganische Schäd. entsteht. Tritt nach dem abgeschlossenen Erwerb der Muttersprache auf. Alle Komponenten der Sprachsystems (Lautstruktur, Wortschatz, Satzbau, Bedeutungsinhalte) können beeinträchtigt sein“ (Franke, 2008, S.21).
[3] „Der Sprecherwechsel (auch Turn-taking, engl. turn taking) ist ein gängiges Phänomen in Gesprächen, das dafür Sorge trägt, dass und wie mehrere Gesprächsbeiträge (Turns) auf die Gesprächsteilnehmer verteilt werden“ (Turn-taking, 2010, 20.Feb.).